Luftkrieg: Mönchengladbach 11./12. Mai 1940

silesia

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Man stößt immer wieder auf Darstellungen des britischen Luftangriffs auf Mönchengladbach-Rheydt am 11./12. Mai 1940. Was ich dazu gefunden habe, ist hier aufbereitet.

Vorwiegend in nicht-militärischen, zudem besonders in revisionistischen Darstellungen zum Weltkrieg wird der Angriff als erster Bombenangriff auf eine deutsche Stadt, als ein Terrorangriff, Flächenbombardement, Bombenangriff auf und Beginn des Bombenkrieges rein gegen die Zivilbevölkerung gekennzeichnet. Es wird dazu vom „moral bombing“ und vom Angriff auf die Wohngebiete gesprochen. Diese Darstellungen sind unrichtig.

Zum Hintergrund:
Am 10.5.1940 begann im Westen die deutsche Offensive, der sog. Fall Gelb. Dabei wurde im hier interessierenden Abschnitt die belgische Grenze von zwei deutschen Panzerdivisionen überschritten (3. und 4. PD). Ihr folgten die zurück gestaffelten Teile der 20. ID (mot.), sowie weiterer Infanteriedivisionen (1., 61.) nach. Die IDs bewegten sich mit Truppenteilen vom 11.-13. Mai 1940 auch durch den Raum Mönchengladbach-Rheydt, wobei die Bahnlinien nach Westen und Südwesten genutzt wurden (Jacobsen, Fall Gelb).

Die alliierten Luftstreitkräfte wurden in recht planlosen und unkoordinierten Anweisungen aufgefordert (Boog, in DRZW 6, S. 452ff.), Luftangriffe gegen diese deutschen Bodenoperationen vorzunehmen, wobei sich die rapide verschlechternde militärische Lage am Boden auswirkte. Angriffe östlich des Rheins waren zur der Zeit vom War Cabinett untersagt. Ein Schwerpunkt der Angriffe sollten dabei die Maasbrücken bei Maastricht darstellen, über die deutsche Truppen nach Westen strömten. Ein anderer Schwerpunkt waren die Bahn- und Straßenlinien. Aufgrund des Mangels an Bombern wurde zusätzlich auch das Bomber Command beauftragt, Angriffe zu führen. Dieser Angriff des BC wurde gegen die Verbindungslinien bei Mönchengladbach sowie im Raum bis Aachen bestimmt. Er sollte wie üblich nachts durchgeführt werden, aufgrund der verlustreichen Erfahrungen aus 1939. Der Angriff forderte 4 Todesopfer auf deutscher Seite in Mönchengladbach. Beteiligt waren die 18., 51., 58. und 77. Squadron. Nach Chorley, Royal Air Force Bomber Command Losses, Band 1 (1939-1940) wurden drei britische Flugzeuge abgeschossen..

Luftangriffe auf Städte außerhalb des Konzeptes von „moral bzw. area bombing“ lassen sich grundsätzlich in drei Kategorien einordnen:
a) im unmittelbaren Zusammenhang und räumlicher Nähe zu militärischen Operationen
b) als Angriffe auf befestigte Städte in analoger Anwendung der Haager Landkriegsordnung
c) als begrenzte Bombenangriffe auf militärische Ziele, die in oder in unmittelbarer Nähe von Städten liegen. Dazu gehören militärisch nutzbare Anlagen wie Bahnhöfe, Schienen- und Straßenwege, Wasserstraßen, Flughäfen, Rüstungsbetriebe, Häfen.
Alle drei Kategorien von Luftangriffen wurden 1939 nach ganz herrschender Meinung (vgl. Spaight, Air Power and War Rights, schon aus 1924) als vom Kriegsrecht gedeckt betrachtet, obgleich der Abschluß einer speziellen Luftkriegsordnung vor dem Krieg gescheitert war.

Zu diesem Zeitpunkt waren dem BC Angriffe auf deutsche Städte ohne Zusammenhang mit militärischen Bodenoperationen untersagt. Der Angriff auf Mönchengladbach-Rheydt, wie auch die anderen Angriffe in dieser Nacht nach Kategorie c) stellt insofern keine Eskalation des Bombenkrieges dar. Er wurde angeordnet, weil das alliierte Oberkommando fälschlicherweise hinter dem belgischen Raum zu diesem Zeitpunkt auch das Schwergewicht der deutschen Offensive vermutete. Tatsächlich war der Raum Mönchengladbach, die Straßen und Schienenwege zum Zeitpunkt des Angriffes von deutschen Truppen regelrecht verstopft. Dagegen wurden die durch Südbelgien/Luxemburg auf Sedan vorstoßenden Verbände und ihr Aufmarsch kaum behelligt.

Bei früher erfolgten Angriffen wurde das Ruhrgebiet vom BC ausgenommen, um keine Provokationen für deutsche Luftangriffe alliierte Städte auszulösen. Zur Bombardierung vorgegeben wurden vor dem 11.5.1940 auf deutschem Gebiet nur militärische Ziele gemäß c) - für a) und b) fehlten die Anlässe -, bei denen die Gefahr einer versehentlichen Bombardierung der Stadt weitestgehend ausgeschlossen war. Der Angriff auf Mönchengladbach wurde wie damals üblich, weil technisch bedingt, in Einzelanflügen durchgeführt. Die Treffergenauigkeit war gering, Zielmarkiereungen nicht vorhanden. Über Flugroute, Flughöhe etc. konnte jede Besatzung selbst entscheiden, nächtliche Formationsflüge waren nicht durchführbar (Neillands, The Bomber War, Arthur Harris and the Allied Bomber Offensive 1939-1945).

Der Bombenangriff als Begleiterscheinung einer militärischen Großoperation im Westen wurde auch durch die deutsche Führung als solcher ausdrücklich erkannt (und als unerheblich und planlos gegen die Verkehrswege zur bedrohten Front, nicht als Vergeltungs- oder Terrorangriffe gewertet; Boog, DRZW 6, S. 452). Er wurde somit auch nicht als Angriff auf die Zivilbevölkerung, sondern als gegen die Verbindungslinien gerichtet erkannt. Die Luftverteidigung im Westen berichtete ab dem 10. Mai 1940 ausschließlich von Einzelangriffen (am 10.5. auf die Krupp-Werke und 2 Kohlebergwerke, am 11.5. gegen Oberwesel, in der folgenden Nacht gegen 15 Einzelziele im Raum Aachen-Mönchengladbach-Düsseldorf-Viersen). Berichtet wird von nur geringfügigen Schäden, so dass auch keine Reaktionen für die deutsche Luftabwehr für notwendig gehalten wurden (Walter Grabmann, The German Air Defences, 1957, Studie für die US-Luftwaffe, Teil I, S. 285).

Umgekehrt hatte die Luftwaffe bereits bis zu diesem Tag Bombenangriffe auf Städte in großem Umfang vorgenommen, die mit dem unmittelbaren Zusammenhang zu militärischen Operationen begründet worden sind.


Weitere Darstellungen in der Literatur, zB:
Veale (Advance to Barbarism, 1953) formuliert zu dem Angriff wie folgt: “the first deliberate breach of the fundamental rule of civilized warfare that hostilities must only be waged against the enemy combatant forces". Friedrich, Der Brand, S. 77 spricht lapidar von Angriffen auf Straßen und Schienenwege in Mönchengladbach und nennt es den Auftakt zum Bombenkrieg auf deutschem Boden. Genauer ist Richards, RAF 1939-1945, Band I, S. 115. Er erwähnt Angriffe auf die „Exits“ von Mönchengladbach, wobei im militärisch-operativen Sinn die Straßen- und Schienenwegenetze gemeint sind. Weiter wird richtig dargestellt, dass der Angriff zur Blockade der deutschen Truppenbewegungen nach Westen angeordnet worden ist. Die Bomber Command War Diaries, S. 42 (von Middlebrook/Everitt) weisen für den 12.5.1940 folgendes Ziel des Angriffs: „spezielle, als Ziel bestimmte Straßen und Eisenbahnverbindungen“.


Gibt es weitere Anmerkungen/Einwendungen zu diesen Vorfall? Ergänzungen sind sehr erwünscht, wobei mich bei der Zusammenstellung das häufige unkritische Zitieren erstaunt hat.
 
Nachtrag aus Neumann, Royal Air Force gegen Luftwaffe: 4.9.1939 bis 12. Mai 1940, Dissertation Frankfurt 2007 (inzwischen publiziert):

5 Bomben schlugen im Stadtgebiet in der Luisen- und Weststraße ein, wodurch 4 Anwohner starben (Stadtarchiv Mö-Gldb. 1c/3608). Weitere Bomben fielen außenhalb auf unbebautes Gebiet. Die Streuung ergibt sich durch den unzureichenden Ausbildungsstand der 5th Bomber Group, einzelne der für M-G bestimmten 35 Flugzeuge griffen wegen Navigationsfehlern Hamm und auch Essen an; der besser ausgebildete 2nd Bomber Group wurden die Maasbrücken als Großziel zugewiesen.

Neumann nennt einen weiteren Grund, allerdings ohne die operativen Hintergründe dieser Luftangriffe zu beleuchten: die Bombardierungen im deutschen Hinterland (während parallel die Luftwaffe belgische, niederländische und französische Städte bombardierte) sollte die Luftwaffe von der bedrängten Westfront ablenken. Das Argument ist falsch und hinfällig, weil am 11.5.1940 die militärische Lage überhaupt nicht als bedrohlich eingeschätzt wurde (vgl. DRZW Band 2, Butler-Grand Strategy II, Ellis-The War in France and Flanders, Webster/Frankland-Strategic Air War I).

Spaight äußerte zudem, der Angriff wurde gegen Widerstand der Franzosen im Oberkommando angesetzt.
 
Hallo Silesia,

noch mal die beide letzten Mailings nun hier Forum…

in Deinen Postings zur Beurteilung des Luftangriffs auf MG gibt es einen auffallenden Widerspruch. Im ersten schreibst Du zur militärischen Gesamtlage:

'(...) Luftangriffe gegen diese deutschen Bodenoperationen vorzunehmen, wobei sich die rapide verschlechternde militärische Lage am Boden auswirkte.'

Das soll aufzeigen, daß die Notwendigkeit gezielt taktischer Luftangriffe gesehen wurde.

Beim zweiten Posting hälst Du der These, daß es sich um eine gezielte Provokation der britischen Luftwaffe handelte, ein Zitat entgegen, daß 'am 11.5.1940 die militärische Lage überhaupt nicht als bedrohlich eingeschätzt wurde'.


Noch dazu:


Selbstverständlich ist das kein ‚Flächenbombardement’. Aber auffallend ist doch das Datum des 12.05., da es am 11.05. einen Beschluss der britischen Regierung zur Aufnahme des Bombenkriegs gegen deutsche Städte gab.

Prinzipiell scheinen ja auch gezielte taktische Nacht-Angriffe bei der schlechten Qualität der damaligen Zielgeräte als relativ unmöglich und so verwischen ja die Grenzen zwischen beiden Qualitäten. Am 15.05. sind aber dann erhebliche Angriffe im gesamten Bereich des Ruhrgebietes zu verzeichnen z Bsp. auf Hagen. Insgesamt war die britische Luftwaffe ja ohnehin stärker auf strategische Angriffe ausgelegt.


Aber wäre es, wenn man der Logik taktischer Angriffe folgt, nicht sinnvoller gewesen, die Verkehrswege direkt und nicht das sich fächerartig aufweitende Straßensystem einer Stadt anzugreifen.

Das Landesumweltamt/ Altlastensanierung NRW berichtet in einer Studie ja sogar von Angriffen auf Düsseldorf am 4. Februar, Köln am 1. März und auf Kleve am 10.Mai 40.


Beste Grüße

Vitruv
 
Hallo vitruv,

vorab zum ersten Punkt, tatsächlich scheint hier ein Widerspruch vorzuliegen, der sich vielleicht wie folgt klären läßt:

1. die strategische Komponente - im Kontext zum Bomber Command als "letzte Reserve"
Die Gesamtlage wurde bis zum 13.5.1940 nicht als kritisch eingeschätzt, diese Würdigung betrifft die strategische Sicht. Der Plan "D" der Allierten vollzog sich in den vorgesehenen Zeitabschnitten, die Dyle-Schutz-Stellung auch für Brüssel wurde eingenommen, die strategische Bedeutung des deutschen Durchbruchs durch die Ardennen Richtung Mass im Abschnitt Sedan-Dinant wurde nicht erkannt.

Folglich wurde die erste formale Kabinettsitzung Churchill am 13.5. abgehalten, nachdem er am 10.5. Premier einer Allparteienregierung geworden war. Entscheidungen bis zum Aufmarsch an der Dyle-Stellung wurden nicht für notwendig gehalten. In den Ablauf des Feldzuges wurde nicht eingegriffen; gleiches galt übrigens auch für das französische Oberkommando (Butler II, S. 181). "Until the night of the 13th the situation in the land battle did not appear particularly alarming." (Butler II, S. 182). Alle vorgesehenen Positionen wurden planmäßig erreicht.

Die Lage am 13.5. muss dann jedoch als verschlechtert angesehen worden sein, was am Entschluß ablesbar ist, die (einzige) britische Panzerdivision aus GB zusätzlich nach Frankreich zu verlegen, ebenso weitere 4 Jäger-Sqdr. Bereits am 17.5. mußten dann die 10 Bomber-Sqdr. der AASF wegen hoher Verluste zu 6 Sqdr. zusammengelegt werden. Bereits am 13.5. hatte der Air Staff zusätzlich 60 (!) Sqdr. (=480 Flugzeuge) angefordert, um gegen die Luftwaffe bestehen zu können. Die Nachricht vom Durchbruch bei Sedan erreichte das Kabinett am 14.5., kann also ebenso außer Betracht bleiben.

Würdigung bis zum 13.5.: nicht alarmierend.


2. die operative Komponente - im Kontext zum Einsatz der AASF und des BC gegen operative Ziele
Große Teile der belgisch-niederl. Luftstreitkräfte wurden am ersten Tag zerschlagen. Die Luftlandungen bei Maastricht und Rotterdam verursachten eine operative Krise, zugleich wurden hier Stoßrichtungen offenbart. Der deutsche Vormarsch vollzog sich unerwartet schnell ggü. den letzten Kriegsplanungen. Der Hauptstoß wurde unverändert zwischen Namur/Antwerpen erwartet, die Dyle-Stellung erschien allerdings rechtzeitig erreichbar von den alliierten Kräften am 11.5.1940 (Ellis, S. 37-40).

Würdigung: Lage in BEL, insbesondere in den NL kritisch, große Teile der Luftstreitkraft vernichtet.

BC und AASF bekamen daher auschließlich militärische Ziele dieses deutschen Vormarsches bis zum 13.5. zugewiesen. Die mittleren Bomber der AASF (10 Sqdr.) flogen dabei verlustreiche Tagesangriffe, so mit 4 Sqdr. am 10.5. in Luxemburg, am 11.5. beiderseits der deutschen Grenze und am 12.5. mit allen Kräften gegen die Maastricht-Brücken, über die ein Hauptstoß zu laufen schien (Ellis, S. 54). Große Verluste ergab dann beim AASF der 14.5., als man die Durchbruchsstelle an der Maas bei Sedan erkannt hatte und mit allen Mitteln angriff.

BC und AASF flogen in der Zusammenfassung bei Ellis, S. 309 folgende Angriffe nach Zielbefehlen:
- Tageslichtangriffe von mittleren Bombern der AASF gegen Truppenbewegungen und Verbindungslinien in direkter Frontnähe
- Nachtangriffe der AASF gegen dieselben Ziele
- Nachtangriffe des BC (Group 3,4,5) gegen Truppenkonzentrationen und Verbindungslinien westlich des Rheins
- Nachtangriffe gegen dieselben Ziele östlich des Rheins
- Nachtangriffe gegen Treibstoff-Ziele in Deutschland.

Hieraus erklären sich die operative begründeten Angriffe bis 14.5. (wegen des schnellen deutschen Vormarsches und der großen Einwirkung der deutschen Luftwaffe). Die strategischen Ziele östlich des Rheins sowie gegen die Treibstoffindustrie nach der Vorkriegsplanung wurden erst am 15.5.1940 freigegeben.

Dafür gab es völlig unzureichende Mittel: im Mai 1940 verfügte die RAF über 544 Bomber in erster Linie für die aufgelisteten Operationen, darunter rd. 240 schwere Bomber des BC. Strategische Ziele (4. und 5. Spiegelstrich) wurden am 15.5.1940 freigegeben durch das War Cabinett. Gleichzeitig wurden Tagesangriffe verboten - "cut off (!), auch die AASF mußte nun ausschließlich Nachtangriffe fliegen. (Ellis, S. 310)


Diese britischen Darstellungen aufgrund der "Aktenlage" wurden in der unmittelbaren Einschätzung von deutscher Seite zu gleicher Zeit übereinstimmend gesehen und nachvollzogen, siehe Quelle oben.


BS=Bomber Command (schwere strategische Luftstreitkräfte)
AASF= Advanced Air Striking Force (operative mittlere Bomber).


Anm: die britischen Beschlüsse und Diskussionen vom 10.5. bis 15.5. trage ich noch nach.
 
Hallo Silesia,

noch ein paar kurze Zwischenbemerkungen bzw. Fragen zum Kontext.

Zunächst in Bezug auf diese Bemerkung:

‚Spaight äußerte zudem, der Angriff wurde gegen Widerstand der Franzosen im Oberkommando angesetzt.’

Gibt es irgendeinen Hinweis, durch was der Widerstand gegen diesen Angriff motiviert war? Das wäre doch sehr interessant, falls die französische Seite dies auch als ein Verwischen von taktischer mit strategischer Operation interpretierte oder gar eben als Umsetzung der zuvor getroffenen politischen Entscheidung des brit. Kriegskabinettes.

Denn nach meiner Einschätzung schafft dieser am 11.05.40 gefasste Kabinettsbeschluss zur Aufnahme des Bombenkrieges gegen deutsche Städte als politische Entscheidung dem Mönchengladbach Angriff diese Bedeutung. Zuvor hatte es eben auch mehrere Angriffe gegen westdeutsche Städte gegeben, aber deren Bedeutung wird auf Grund der strategischen Gesamtsituation und der fehlenden politischen Absichtserklärung vernachlässigt. Ob dies den Einsatzstäben vor Ort auch so vermittelt wurde, ist eine ganz andere Frage.

Auch die interessante Untersuchung des Landes NRW zu den Bombenaltlasten, die keineswegs ideologisch motiviert ist, sondern die Entwicklung sehr nüchtern analysiert, kommt zu dem Ergebnis:

’Ein Kabinettsbeschluss der britischen Regierung, der am 11.05.1940 unmittelbar nach Einsetzen der deutschen Westoffensive gefasst wurde, markiert dann den Anfang des systematischen strategischen Luftkrieges gegen Deutschland: Bereits wenige Tage später wurden Angriffe gegen Aachen Köln, Mönchengladbach, Neuss sowie Düsseldorf und die Städte des westlichen Ruhrgebietes geflogen (…)’ (Landesumweltamt NRW, Materialien zur Altlastsanierung u. z. Bodenschutz, Band 18, S.38)

Die Untersuchung wurde fast ausschließlich auf Grund von britischen Quellen durchgeführt einschließlich der zahlreichen noch vorhandenen Luftbilder und es wurden aber auch nur die strategischen und nicht die taktischen Angriffe erfasst.

Daher MG als taktischen Angriff zu werten ist sehr schwierig, da, wie auch von Dir beschrieben, taktische Schläge in der Nacht fast überhaupt nicht durchführbar waren.


Prinzipiell glaube ich ohnehin, dass die Polaisierungsdebatte ins Leere geht. Interessanter ist eher die Betrachtung, dass die RAF schon Mitte der 30er auf das strategische Luftkriegskonzept a la Douhet angelegt war und es eindeutige Produktionsentscheidungen in diese Richtung gibt. In die strategische Rüstung floss auch der Großteil der ökonomischen Mittel für die RAF und daher war es bei der sich zuspitzenden Gesamtlage ohnehin zu erwarten, dass die britische Seite zu dem Mittel greifen würde.

Würdest Du denn den Beginn des strategischen Luftkrieges dann für den 15.05.40 datieren?


Grüße

Vitruv
 
Zuletzt bearbeitet:
’Ein Kabinettsbeschluss der britischen Regierung, der am 11.05.1940 unmittelbar nach Einsetzen der deutschen Westoffensive gefasst wurde, markiert dann den Anfang des systematischen strategischen Luftkrieges gegen Deutschland: Bereits wenige Tage später wurden Angriffe gegen Aachen Köln, Mönchengladbach, Neuss sowie Düsseldorf und die Städte des westlichen Ruhrgebietes geflogen (…)’ (Landesumweltamt NRW, Materialien zur Altlastsanierung u. z. Bodenschutz, Band 18, S.38)

Die Aussage halte ich für nicht haltbar, sie verwischt geradezu typisch für die Literatur mE die tatsächlichen Abläufe. Welcher Beschluß soll das sein, in der fraglichen Zeit gab es die War Cabinett-Beschlüsse 117 bis 123? Letzter datiert vom 15.5., ist auch nach Deinen richtigen Darstellungen der Einschnitt und markiert erst die Freigabe zur strategischen Bombardierung. Darstellung bei Boog, DRZW 6, S. 452-455.

Die französischen Bedenken - Frankreich war in dieser Frage wohl eher Randfigur mangels verfügbarer Bombenstreitkräfte - resultierten aus der Befürchtung von Vergeltungsangriffen der Luftwaffe.

Taktische Schläge, die im Rahmen der Operationen angeordnet werden, konnten sehr wohl subjektiv (für die Wertung der Entscheidungen!) bei Nacht erfolgen. Hier ist zunächst vom geringen Erfahrungswert auszugehen. Anweisungen ergingen, sich an "night-illuminated targets" zu orientieren. Sodann darf man sich den Raum Mönchengladbach-Aachen-Köln zu dieser Zeit ein riesiges Aufmarschgebiet und Heerlager mit entsprechendem Eisenbahn- und Kolonnenverkehr vorstellen. Schließlich hatten die Bomber Anweisungen, auch mit "Ladung" bei fehlenden Zielen zurückzufliegen. Verfolgt man einzelne Einsätze, trifft dieses auf rund ein Drittel der eingesetzten Flugzeuge zu.

Zum Ziel Mönchengladbach (was auf den ersten Blick vielleicht überraschend wirkt) einige Überlegungen: diese berücksichtigen die allierte Funkaufklärung. Zunächst war in Mönchengladbach das Oberkommando der 6. Armee und wahrscheinlich ein Armeekorps angesiedelt. Dann ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die dort am 9.5.1940 liegende Panzerdivison (3.) erkannt worden ist (gleiches trifft zB auf den "Raum Köln" schon im Oktober 1939 zu, als belgische Aufklärung dort die Versammlung von Panzerverbänden berichtete). Durch die "exits von München-Gladbach" als Nadelöhr bewegten sich anschließend Teile von 6 vorrückenden Infanteriedivisionen (Lageatlas OKH 10.-13.5.1940). Auch dieses wird seit dem 10.5. von den Allierten erkannt worden sein. Schließlich wurde in dem Raum die Hauptstoßrichtung des deutschen Aufmarsches vermutet, wie in "Plan D" ersichtlich.

Es bleibt, die einzelnen Beschlüsse auf alliierter Seite darauf zu untersuchen, wann und aus welchen konkreten Gründen der Schwenk von operativen zu (begrenzten) strategischen Lufteinsätzen erfolgt ist. Dazu, nämlich zu den Hintergründen, liefert Boog nur Hinweise, Neumann berücksichtigt das nur am randläufig.
 
Exits...

Hallo Silesia,

Kurz am Morgen:

Dein: ‚Die französischen Bedenken - Frankreich war in dieser Frage wohl eher Randfigur mangels verfügbarer Bombenstreitkräfte - resultierten aus der Befürchtung von Vergeltungsangriffen der Luftwaffe.’

Dann sah man in den französischen Stäben also genau auch dieses Problem des Verwischens von taktischen und strategischen Luftangriffen. Nach meiner Kenntnis war die französische Luftwaffe ja ebenso wie die deutsche gar nicht auf strategische Angriffe nach Douhet ausgelegt, hatte also auch nicht eine Affinität hierzu entwicklelt.

Dein:
’Zum Ziel Mönchengladbach (was auf den ersten Blick vielleicht überraschend wirkt) einige Überlegungen: diese berücksichtigen die alliierte Funkaufklärung. Zunächst war in Mönchengladbach das Oberkommando der 6. Armee und wahrscheinlich ein Armeekorps angesiedelt. Dann ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die dort am 9.5.1940 liegende Panzerdivison (3.) erkannt worden ist (gleiches trifft zB auf den "Raum Köln" schon im Oktober 1939 zu, als belgische Aufklärung dort die Versammlung von Panzerverbänden berichtete). Durch die "exits von München-Gladbach" als Nadelöhr bewegten sich anschließend Teile von 6 vorrückenden Infanteriedivisionen (Lageatlas OKH 10.-13.5.1940). Auch dieses wird seit dem 10.5. von den Allierten erkannt worden sein. Schließlich wurde in dem Raum die Hauptstoßrichtung des deutschen Aufmarsches vermutet, wie in "Plan D" ersichtlich.’

Aus diesen Kriterien heraus wird jede deutsche Stadt oder Großstadt zwischen Köln und Ruhrgebiet ein Initial abgeben, dort Mitte Mai Luftangriffe durchzuführen. Mich verwundert eigentlich nur der Gegensatz, dass man in MG die Einheiten lokalisieren kann, es aber nicht aufklären kann, dass der Hauptstoß durch das schlechte und völlig überlastete und damit sehr anfällige Straßennetz der Ardennen läuft. Aber vielleicht war dem ja auch so…In den Ardennen hätten ein paar auch unplatzierte Bomben erhebliches Chaos auslösen können. Fotos der Luftaufklärung wären hier natürlich exzellent bei der Bewertung der Vorgänge. Nach dem 15.05. greift man aber nicht nun konsequent die aufgeklärten Knoten an, sondern die Industriestädte im tieferen Ruhrgebiet und Ostwestfalen.

Hast Du einmal auf der Karte nachgeschaut, wo die Bomben eingeschlagen sind? Was hier so präzise und rational als ‚Exits’ erscheint, liegt real und unmittelbar am Rande der Altstadt inmitten dichter Wohnbebauung, wahrscheinlich des 19. Jahrhunderts. Das vordergründige Motiv des Angriffs auf die verkehrliche Infrastruktur war bis Kriegsende das offizielle Ziel des großen Teils auch der Flächenbombardements. 1945 gerieten Städte in der planerischen Interpretation auf die Abschussliste, wenn eine Straße hindurchführte oder eine Bahnstrecke sie erschloß- so im Prinzip alle. Das müsste man vielleicht bei der Wertung der offiziellen Angriffsmotivation auch berücksichtigen.


Dein:

’Es bleibt, die einzelnen Beschlüsse auf alliierter Seite darauf zu untersuchen, wann und aus welchen konkreten Gründen der Schwenk von operativen zu (begrenzten) strategischen Lufteinsätzen erfolgt ist. Dazu, nämlich zu den Hintergründen, liefert Boog nur Hinweise, Neumann berücksichtigt das nur am randläufig.’

Die Frage der Entscheidungen auf der politischen Ebene wird hier zum zentralen Moment, da der Angriff ja im Prinzip sowohl taktisch als auch strategisch völlig bedeutungslos war. Nur in Verbindung mit einer politischen Entscheidung gewinnt er Gewicht. Wie sehr oft die militärische Ebene der Prozesse vernachlässigt wird, so darf man hier nicht die politische ignorieren.

Das Datum des 11.05.40 zu dieser Entscheidung erscheint bisweilen in der Literatur, wie auch hier bei der Publikation des Amtes für Altlastensanierung. Dort wurden die gesamten Einsatzunterlagen der einzelnen Bomber-Verbände ausgewertet incl. der Aufklärungsfotos. Es kann doch nicht sein, dass in einer so wesentlichen Frage, nur von einander abgeschrieben wurde. Dieser Entscheid muß doch auffindbar sein. Ihn zu ignorieren, wie Boog das aus rein militärischer Perspektive das tut, ist eigentlich völlig absurd.

Grüße

Vitruv
 
Dann sah man in den französischen Stäben also genau auch dieses Problem des Verwischens von taktischen und strategischen Luftangriffen. Nach meiner Kenntnis war die französische Luftwaffe ja ebenso wie die deutsche gar nicht auf strategische Angriffe nach Douhet ausgelegt, hatte also auch nicht eine Affinität hierzu entwicklelt.

Hier ist sorgfältig auseinander zu halten: die taktischen Schläge waren von frz. Seite ausdrücklich erwünscht, wie die deutsche Beurteilung zeigte, hat man das auch fein auseinder halten können; die Bedenken bezogen vielmehr sich nur auf die geplanten strategischen Bombardierungen (und hierunter wurde bis dato nur die Treibstoffindustrie verstanden!)

Aus diesen Kriterien heraus wird jede deutsche Stadt oder Großstadt zwischen Köln und Ruhrgebiet ein Initial abgeben, dort Mitte Mai Luftangriffe durchzuführen. Mich verwundert eigentlich nur der Gegensatz, dass man in MG die Einheiten lokalisieren kann, es aber nicht aufklären kann, dass der Hauptstoß durch das schlechte und völlig überlastete und damit sehr anfällige Straßennetz der Ardennen läuft. Aber vielleicht war dem ja auch so…In den Ardennen hätten ein paar auch unplatzierte Bomben erhebliches Chaos auslösen können. Fotos der Luftaufklärung wären hier natürlich exzellent bei der Bewertung der Vorgänge. Nach dem 15.05. greift man aber nicht nun konsequent die aufgeklärten Knoten an, sondern die Industriestädte im tieferen Ruhrgebiet und Ostwestfalen.
Das ist ausgesprochen logisch, weil es die falsche alliierte Einschätzung der Sachlage widerspiegelt. Damit ist (nach den gezogenen falschen alliierten Schlüssen über die deutsche Offensive) der Bombardierungsraum konsequent ausgesucht. Er wurde völlig logisch begleitet von den Tagesangriffen der AASF am 11./12.5. im selben Raum! Von deutscher Seite aus könnte ich mir sogar Absicht vorstellen: ein durch Funkverkehr vorgetäuschter rechter Flügel, während mitte-links der Sichelschnitt abläuft. Zusätzlich ein Hinweis auf die im Mechelen-Zwischenfall Januar 1940 erbeuteten deutschen Aufmarschplanungen, die hierzu nahtlos passen (der Manstein-Plan war noch nicht GRundlage!).

Übrigens hat nach diesen "Kriterien" die deutsche Luftwaffe bereits den Polenfeldzug geführt. Tatsächlich ist die Zielverteilung der Alliierten so: schaut man sich bei Boog die Bombardierungskarte vom Sept39-Juli40 an, so ergibt das eine dicke Punktewolke westlich des Rheins im Grenzgebiet bis zum Saaland (allerdings nur mit wenigen Flugzeugen, kein Vergleich zum weiteren Kriegsverlauf).


Hast Du einmal auf der Karte nachgeschaut, wo die Bomben eingeschlagen sind? Was hier so präzise und rational als ‚Exits’ erscheint, liegt real und unmittelbar am Rande der Altstadt inmitten dichter Wohnbebauung, wahrscheinlich des 19. Jahrhunderts.
Der Auftrag lautete "exits of München-Gladbach, railway and communication lines"; hier zu unterscheiden ist die Realisierung, und da kommt es noch toller: Da im Einzelflug angegriffen wurden, verirrten sich die hierfür bestimmten Flugzeuge bis Hamm und Essen, also nicht nur ein paar Straßen weiter.

Die Motivationen 1945 und 1940 würde ich vorläufig streng auseinander halten, weil hier 5 Jahre Eskalation des Bombenkriegs dazwischen liegen.


Dieser Entscheid (11.5.) muß doch auffindbar sein. Ihn zu ignorieren, wie Boog das aus rein militärischer Perspektive das tut, ist eigentlich völlig absurd.
Das Diskussionsergebnis vom 11.5. wurde auf Intervention von Churchill um 24 Stunden verschoben, dann nochmal vertagt und hat mit den Nachtangriffen bis 15.5. folglich nichts zu tun. Ich bin hierzu an einer Zusammenstellung, da auch Boog im wesentlichen bei der Dokumentation von Webster/Frankland abgeschrieben hat.
 
Fotos der Luftaufklärung wären hier natürlich exzellent bei der Bewertung der Vorgänge. Nach dem 15.05. greift man aber nicht nun konsequent die aufgeklärten Knoten an, sondern die Industriestädte im tieferen Ruhrgebiet und Ostwestfalen.

Das ist nicht ganz richtig.

Bereits im Tagesverlauf 16.5.1940, also nach dem Beschluss vom 15.5. zu den strategischen Bombardierungen und dem aus Sicht der Alliierten enttäuschenden Verlauf der ersten Nachtangriffe, ging man für die Nacht vom 17.5./18.5. auf eine Zweiteilung über: nur Teil-Kräfte des Bomber Command übernahmen die strategischen Bombardierungen (mW Küstenziele/Ölraffinerien bei Bremen und Hamburg), der andere Teil wurde wieder taktisch auf den nun voll erkannten Durchbruch Sedan-Dinant und in Belgien angesetzt /so auch bereits tagsüber am 17.5..
 
Bei der Aussage

‚Nach dem 15.05. greift man aber nicht nun konsequent die aufgeklärten Knoten an, sondern die Industriestädte im tieferen Ruhrgebiet und Ostwestfalen’ hatte ich mich auf Deine Differenzierung zwischen ausgemachter Bedrohung im Raum zwischen Köln und Ruhrgebiet und nicht erkannter Bedrohungslage im Ardennenbereich eingelassen.

Daß die Lagebeurteilung sich dann rapide verändert, ist bekannt, hat aber weniger mit der möglichen Bedrohungslage im Raum MG zu tun. Die evtl. vorhandenen Luftbilder wären aber hier wirklich interessant, denn sie könnten Auskunft geben über: Was wurde aufgeklärt, wie wurde auf dieser Basis nach welchen Kriterien entschieden?

Prinzipiell bin ich bzgl. des Zeitpunktes des Kabinettsbeschlusses nicht ganz überzeugt. Obwohl Churchill und sein Kriegskabinett am 15.05.40 zum ersten Mal zusammentraten, wäre es doch möglich, dass der Beschluss auf andere Weise zustande kam z. Bsp. in Runderlass-Form. Das ist aber wieder spekulativ und so wäre eigentlich eine Absicherung unbedingt notwendig. Ein wörtliches Zitat des Beschlusses oder am besten eine Repro des Papiers (Kabinettsprotokoll o.ä.) ist eigentlich bedeutend wichtiger als die immer wieder publizierten Fotos von Flugzeugtypen und rauchenden Trümmern. Dass ja ‚Unmittelbarkeit Trug ist’, betont auch immer Bonhoeffer.

Eine wohl erste angelsächsische Quelle, die den 11.05.40 als Datum des Beschlusses nennt, ist das Werk ‚ Andrew Kershaw, Battle of the Atlantic’ von 1975. In jedem Fall zeigt es überdeutlich die zentrale Bedeutung, die Churchill der strategischen Luftkriegsführung zumaß, ggf. ist diese Entscheidung zur Aufnahme des Luftkrieges gegen deutsche Städte sein erster Beschluss als Kriegspremier überhaupt. Und das geschah zunächst unabhängig von der militärischen Lage, die wie gezeigt in diesen Tagen gar nicht als kritisch angesehen wurde.

Insofern ist auch die oft zu lesende Interpretation, Großbritannien hätte zum strategischen Luftkrieg gegriffen, weil es die einzige Möglichkeit war das Dritte Reich zu treffen, ein Fehlgriff. Hier wird dann so getan, als wenn das Bomber Command ein ‚Dachbodenfund’ war und ignoriert die langfristigen industriellen Entscheidungen, die erst zum Aufbau einer solchen Flotte getroffen werden müssen. In dieser Zeit wurden eben die Produktionsentscheidungen getroffen, die 1942 zu den 1000-Bomberangriffen führten.

Eine Auffassung, den Krieg mit einem Luftkrieg gegen die feindlichen Städte unabhängig vom Landkrieg mit dem Kern der darin enthaltenen Doktrin von Douhet gewinnen zu können, hat die eigentliche Dynamik in die Entwicklung hin zum Flächenbombardement und dem gezielten Verbrennen von Innenstädten gebracht- von Thunderclap bis Nagasaki. Und für die Überzeugung der Wirksamkeit dieser Luftschläge war ja Churchill 1944/45 in weiterer Eskalation auch bereit, chemische Waffen und Milzbrandbomben einzusetzen.

Eine Entwicklung braucht immer ein Fanal um die Zäsur nach Außen konkret zu dokumentieren, Kabinettsbeschlüsse sind hierfür zu abstrakt. Ob Mönchen-Gladbach dazu tauglich ist, ist wirklich zweifelhaft. Aber auch strategische Bombardements konnten nach damaliger Auffassung durchaus taktische Wirkung haben. Es gäbe nichts Besseres zur Blockade einer verkehrlichen Infrastruktur als eine eingestürzte Hausfassade, hat Harris in abstraktem Kalkül einmal betont.
 
Nachsatz:

Und mit der Beurteilung, ob diese verstreuten Bomben der Auftakt zum Luftkrieg gegen die deutschen Städte war, damit waren aber die deutschen Stellen vor Ort sicher überfordert. Interessant wäre es in dem Zusammenhang auch herauszufiltern, wann der Kabinettsbeschluss überhaupt allgemein bekannt wurde, in den aktuellen Chroniken der RAF taucht er nicht auf. Und laut Chronologie des Kriegskabinettes befand sich Churchill am 11.05.40 auf einer Inspektionsfahrt.
 
Da der Ablauf eine große Rolle spielt, hier die Zusammenstellung:

Anfang 1940 bis zum 10.Mai 1940 wurde das BC in Reserve gehalten, riskante Einsätze wurden vermieden. Nachdem die Tagesangriffe (Wilhelmshaven) große Verluste brachten, wurde lediglich der Nachteinsatz erwogen. Erwähnenswert sind nächtliche Beobachtungsflüge, im Wesentlichen Flugblattabwürfe über Deutschland, wenige vereinzelte Bombenangriffe.

Bereits am 10.5. mit Beginn der Westoffensive hatte sich das alliierte Oberkommandos vorbehalten, die Gruppen des Bomber Commands einzusetzen, wenn die Luftwaffe zivile Ziele bombardiert, egal wo dieses passiert. Chruchill gibt eine entsprechende öffentliche Verlautbarung heraus.

10.5.1940:
In der Sitzung des War Cabinetts werden von der RAF zwei (!) Vorschläge gemacht: Bombardierung von Zielen im Ruhrgebiet (laut Planung betrifft dieses: Treibstofferzeugung) oder Zurückhaltung des BC für etwaige Krisen in der Landschlacht. Nevall (Chief of Staff RAF) schlägt vor, einige Staffeln Ziele westlich des Rhein, wie „zum Beispiel München-Gladbach“ bombardieren zu lassen. Er fordert eine Entscheidung im Laufe des Tages, ob im Ruhrgebiet angegriffen werden soll. Der Beschluss für die möglichen taktischen Bombardierungen westlich des Rheins wird getroffen, die Bombardierung des Ruhrgebiets von eingehenden Meldungen über Angriffe der deutschen Luftwaffe abhängig gemacht. BC soll die Bereitschaft herstellen.
Chamberlain dazu: „the essential thing was not to do anything which could render us liable to be accused of having initiated unrestricted air bombing“.
Nachmittags gehen vereinzelte Meldungen über die Bombardierung ziviler Ziele durch die deutsche Luftwaffe ein. Um 17.00 wird beschlossen: “postponing an attack on objectives East of the Rhine (sic!), at any rate for 24 hours.” (Neumann, S. 128-130)
Tatsächlich war das BC zu diesem Zeitpunkt höchstens in der Lage, täglich etwa 100 Flugzeuge für Angriffe auf das Ruhrgebiet aufzubringen.
Dem AASF werden für die Nacht zum 11.5. befohlen: Bombardierung der Maastricht-Brücken, Rheinbrücken bei Wesel und Rees sowie Transportkolonnen nahe Goch und Geldern (Neumann, S. 131). Das BC greift mit 36 Flugzeugen deutsche Stellungen nach den Luftlandungen um Waalhaven an.

11.5.
Abends werden die Gebiete westlich des Rheins als Ziel von Angriffen vorgegeben, darunter die „exits“ von Mönchengladbach. Nur 8 Flugzeuge der AASF greifen tagsüber die Marschkolonnen in Luxemburg an.

12.5.
Tagsüber greift die AASF Marschkolonnen im Raum Maastricht-Tongres an (Richards, S. 116). Belgische Anforderungen gehen dahin, die Brücken über den Albert-Kanal zu bombardieren, was ebenfalls versucht wird. Das AASF bombardiert zudem tagsüber die Brücken bei Maastricht und verliert 10 von 24 Flugzeugen (Richards, s. 118). Der Bestand ist nun von 135 auf 72 Flugzeuge reduziert.
Morgens wird wiederum die Zurückhaltung des strategischen Bombenkrieges im War Cabinett diskutiert: es bestünde immer noch „die Möglichkeit, dass wir beschuldigt werden könnten, als erste den unterschiedslosen Bombenkrieg begonnen zu haben, und der Umstand, dass ein derartiges Vorgehen wahrscheinlich zu deutschen Vergeltungsschlägen gegen England führen würde.“ Angriffsbedingungen lägen voraussichtlich erst in der Nacht vom 16./17.5.1940 vor. Es seien aber entscheidende Maßnahmen zu ergreifen, da die eigenen Bomber bereits bei der Truppenunterstützung große Verluste erlitten hätten. Empfehlung des CoS: das lebenswichtige Zentrum des Gegners anzugreifen (meint: Ruhrgebiet/Treibstofferzeugung), und die deutschen Bomber aus der Erdkampfunterstützung gegen Ziele in England abzuleiten, wo man auf die Luftabwehr vorbereitet sei. Churchill erklärte in den Sitzungen des 12.5., man sei nicht länger an die Skrupel der bisherigen Zurückhaltung gebunden, denn Deutschland habe ausreichend Grund für die Vergeltung gegeben.
(Boog, S. 453).

13.5.
Newall, Stabschef RAF äußert, die strategischen Bombardierungen könnten große Wirkung auf die Bevölkerung der norditalienischen Industriegebiete haben, also evt. Italien vom Kriegseintritt abhalten.
Das AASF fliegt wegen der hohen Vortagsverluste nur einen kleineren Angriff auf eine Straßenkreuzung bei Breda.

14.5.
Meeting des Chieff of Staff: Diskussion über die Wirkungen der inzwischen erfolgten britischen und französischen Luftangriffe auf „Verkehrswege zur bedrohten Front“. Die Angriffe basierten auf den Eventualplanungen vom April 1940. (Boog, S. 452). Der Luftfahrtminister weist auf die Unmöglichkeit des genauen Bombenabwurfes auf Truppenbewegungen bei Nacht hin und auf die vermeindlich bessere Treffergenauigkeit bei Treibstofffabriken und Verschiebebhanhöfen.
Morgens beurteilt Lord Gort die Lage der Expeditionstruppen als „nicht ungünstig“, da ein deutscher Durchbruch noch nicht erzielt sei. (Boog, S. 454). Nachmittags kommen die Meldungen über die Krise bei Sedan herein. Abends setzt das BC die Tagesangriffe der AASF auf den deutschen Durchbruch bei Sedan fort.

15.5.
Churchill berichtet vom alarmierenden französischen Hilferuf im War Cabinet. Newall weist auf die starken Vortagsverluste hin (Angriffe auf die Brücken bei Sedan, rd. Die Hälfte der verfügbaren britischen Bomber vom AASF wurden abgeschossen). Churchill lässt zwei Fragen diskutieren:
1. die Entsendung der angeforderten 400 Jäger für die französische Front.
2. sollen Ziele östlich des Rhein, und generell strategische Bombardierungen vorgenommen werden?
Vom BC wird berichtet, dass für die kommende Nacht 100 Flugzeuge bereitstehen würden. Von Gamelin (frz. Generalstab) wird die Bitte übermittelt, nunmehr das „deutsche Hinterland“ zu bombardieren. Der Chef der Heimatluftverteidigung lehnt die Verlegung der Jäger ab und fordert stattdessen die strategischen Bombardierungen. Stellvertreter Newall äußert, die Bombardierungen der Treibstoffindustrie würden „den deutschen Vormarsch verzögern“. Churchill äußert, die Erdfront würde durch die Bombardierungen entlastet und weist auf die Kapitulation der Niederlande am frühen Morgen hin. Italien würde vom Kriegseintritt abgehalten und Frankreich Zweifel an Englands Opferwilligkeit (wegen Vergeltungsschlägen) würden mit diesem Schritt beseitigt.
Beschluss: Newall „die Erlaubnis für die Anordnung von Angriffen des Bomber Command auf geeignete militärische Ziele zu geben (eingeschlossen Verschiebebahnhöfe und Treibstoffwerke im Ruhrgebiet und anderswo“. Die Angriffe sollen in der kommenden Nacht mit den verfügbaren 100 Flugzeugen beginnen.
(Boog, S. 454-455). Zudem gibt Churchill Instruktion an die Presse, jeden Hinweis darauf zu vermeiden, dass die britischen Luftangriffe als Vergeltungsschläge gedacht sein könnten. Hintergrund dieser Anweisung ist der deutsche Bombenangriff auf Rotterdam.
Am 15.5. nachts bombardierten rund 94 Flugzeuge des BC strategische Ziele an der Ruhr, auftragsgemäß also östlich des Rheins (Butler II, S. 182). Darunter waren 74 schwere Bomber, die Hydrierwerke und Raffinerien sowie „railway-marshalling yards“ angriffen (Ellis, S. 57). Nur 24 fanden tatsächlich Ziele, etwa die Hälfte kehrte ohne einen Angriff zurück (Richards, S. 120ff.).

16.5.
Churchill konferiert mit dem frz. Oberkommando, das nunmehr in größter Sorge über den deutschen Panzerangriff bei Sedan ist. Er bestätigt das frz. Anliegen, die Nachtangriffe des Bomber Command umgehend auf die Maasübergänge bei Sedan-Dinant umzustellen. Die Angriffsstärke des BC wird damit zwischen den strategischen Zielen (in dieser Nacht Küstenziele bei Hamburg und Bremen) und dem Fronteinsatz aufgeteilt.

Den danach erreichten Zwischenstand der Zielvorgabe dokumentiert der Beschluss vom 31.5. Chief of Staff: durften militärische Ziele angegriffen werden, Angriffe zum Ziel der Bombardierung der Zivilbevölkerung waren verboten; die Möglichkeit zur Identifizierung des militärischen Ziels mussten gegeben sein, um zivile Verluste in der Umgebung des militärischen Zieles möglichst zu vermeiden (Butler II, S. 182).
 
Zuletzt bearbeitet:
Und mit der Beurteilung, ob diese verstreuten Bomben der Auftakt zum Luftkrieg gegen die deutschen Städte war, damit waren aber die deutschen Stellen vor Ort sicher überfordert.

Interessant wäre es in dem Zusammenhang auch herauszufiltern, wann der Kabinettsbeschluss überhaupt allgemein bekannt wurde, in den aktuellen Chroniken der RAF taucht er nicht auf. Und laut Chronologie des Kriegskabinettes befand sich Churchill am 11.05.40 auf einer Inspektionsfahrt.

Der Beschluß vom 15.5. hätte nicht mal publiziert werden müssen, da der Angriffswechsel deutscherseits durch die Bombenabwürfe registriert worden ist.

Die deutschen Stellen waren durchaus in der Lage, die Zielstellung der Angriffe deuten, siehe oben #1 mit dem Bericht zum Luftkrieg im Westfeldzug. Das ergibt sich schon daraus, dass Reaktionen der Luftabwehr (Jäger/Flak) verworfen worden sind, siehe Studie Grabmann. Boog führt dazu aus, dass der Charakter der Angriffe als das erkannt worden ist, was sie ausdrückten: Hektik und Planlosigkeit, keinesfalls als "Strategischen Bombenkrieg". Davon könne erst mit der Kabinettsentscheidung vom 15.5. die Rede sein, allerdings bei unzureichenden Mitteln.

Deutlich aus der Zusammenstellung wird aber ein Ursachenmix, der aus den verschiedenen Erwägungen bis zur Entscheidung am 15.5. hervorgeht: Die Entscheidung zum strategischen Bombenkrieg steht danach in engstem Zusammenhang zur verweigerten Verstärkung der Jagdwaffe an der Westfront.

Edit: über einen nicht vorhandenen Beschluß vom 11.5. können wir schlecht diskutieren. Wenn man hier neue Überlegungen anstellen will, müßte erst der ominöse Beschluß vorgelegt werden.
 
Irgendwie wird man ja immer fündig ... der 11. Mai 1940:

Wenn ich das jetzt richtig übersehe, ist die Nennung auf Spetzler, Luftkrieg und Menschlichkeit - Die völkerrechtliche Stellung der Zivilpersonen im Luftkrieg, S. 252 (eine Art Grundwerk zur völkerrechtlichen Betrachtung) aus 1956 zurückzuführen.

Er zitiert hierfür u.a. Richards-Saunders, S. 124. Die Quelle habe ich dagegen mit dem 15.5.1940 in Erinnerung, ich schlage das aber morgen mal nach. Es gibt einen weiteren Hinweis: der Beschluß sei damals geheim gehalten worden (Bezug auf Spaight S. 74, Veale S. 142). Das kann sich auf die Presseanweisung Churchills zum Beschluß vom 15.5. beziehen, siehe oben. Als Angriffsziele der gleichen Nacht (das wäre dann der 11.5.!) werden genannt: Dortmund-Essen-Hamm und andere Städte im Ruhrgebiet. Das wiederum kann sich nur auf den 15.5.1940 beziehen; der gesamte Einsatz am 11.5/12.5. bezog sich dagegen auf Mönchengladbach-Aachen und die Maasbrücken.


Möglicherweise ist daher Spetzler der Ursprung für die Nennung des 11.5.1940 und wurde weiter zitiert. Das könnte man jetzt überprüfen.
 
Die Bezugnahme von Spetzler auf Richards-Saunders, RAF I, S. 124, ist definitiv falsch. Dort wird der Beschluß vom 15. Mai behandelt.

Da auch Boog, der alle Kabinettsbeschlüsse in der Phase durchgeht, nichts vom 11.5. erwähnt, wird das bei Spetzler ein Schreibfehler sein.
 
Hallo Silesia,

klar ist so etwas vorstellbar, aber man wundert sich dann immer, weshalb noch niemand die Quellenlage zu einem solch’ zentralen Beschluss überprüft hat, auch Friedrich wahrscheinlich nicht.

Es gibt doch dieses Museum des Kriegskabinettes. Sind die Unterlagen ggf. dort zu finden. Am besten wäre es ja den Text selbst zu veröffentlichen. Auf irgendwelche Dokumente muß sich ja auch Richards-Saunders beziehen. Gibt es da den Original Wortlaut und wenn nein, wo lässt der sich finden??

Hat Boog in Publikationen recherchiert oder in Original-Dokumenten? Die Publikation eines solchen Beschlusses kann den Briten nicht unbedingt recht sein. Vielleicht sollte man Friedrich hierzu einfach anschreiben und nach seinen Bemühungen fragen.

Nachsatz:

In Deiner wohl sorgsam aufgestellten Chronologie kommt der 15.05 als Datum eines eindeutigen Beschlusses gar nicht vor, den man also als Beginn der strategischen Bomberoffensive so zweifelsfrei interpretieren oder identifiziren könnte.

Ist das Politmarketing der Nachkriegsjahre, die jeden Hinweis darauf vermeiden will? Wird da wirklich die Innenkommunikation wiedergegeben oder ist das alles pure Außenkommunikation?

Grüße

Vitruv
 
Zuletzt bearbeitet:
Hat Boog in Publikationen recherchiert oder in Original-Dokumenten? Die Publikation eines solchen Beschlusses kann den Briten nicht unbedingt recht sein. Vielleicht sollte man Friedrich hierzu einfach anschreiben und nach seinen Bemühungen fragen.
Boog zitiert die Protokolle des War Cabinets in durchgehender Nummerierung, also direkt aus den Primärquellen.

In Deiner wohl sorgsam aufgestellten Chronologie kommt der 15.05 als Datum eines eindeutigen Beschlusses gar nicht vor, den man also als Beginn der strategischen Bomberoffensive so zweifelsfrei interpretieren oder identifiziren könnte.
15.5.1940: Beschluss: Chief of Staff Newall „die Erlaubnis für die Anordnung von Angriffen des Bomber Command auf geeignete militärische Ziele zu geben (eingeschlossen Verschiebebahnhöfe und Treibstoffwerke im Ruhrgebiet und anderswo“. Die Angriffe sollen in der kommenden Nacht mit den verfügbaren 100 Flugzeugen beginnen.

Das ist eindeutig und alles, was als Ergebnis der längeren Diskussion beschlossen wurde. Genau dieser Beschluß ist Grundlage der Literaturdiskussion über strategic bombing, die entschneidende Änderung ist die damit erteilte Freigabe der Angriffe "östlich des Rheins".
 
Zäsuren...

In der Tat kommt hier weder am 11.05 noch am 15.05.40 irgendein Beschluss oder Befehl vor, der die eindeutige Interpretation oder ggf. nur aus dem Kontext gezogen zuließe, dass der strategische Bombenkrieg zu diesem Zeitpunkt beschlossen worden sei. Trotzdem stellt sich für mich immer noch die Frage, auf welche Quellen oder Aktenbestände sich die Angaben aus den 50er bis 70er Jahre beziehen.

Offiziell war es deutschen Wissenschaftlern bis Anfang der Neunziger nicht erlaubt, in britischen Archiven hierzu zuforschen. Ob dies vereinzelt unterlaufen wurde, ist mir nicht bekannt. Erst zu diesem Zeitpunkt erhielt man ebenfalls Zugang zu dem umfangreichen Luftbildmaterial der britischen und amerikanischen Luftaufklärung, das auch wir damals nach dieser Zäsur bei der Koordinierung von städtebaulichen Planungen zur Klärung von Altlasten verwenden konnten.

Die Zitate machen insgesamt ja mehr den Eindruck, als sollte jeder Eindruck gerade vermieden werden, dass dem so sei. Und es verwundert hier bei der Gesamteinschätzung, dass auch Churchill sich hier nicht anders äußert, obwohl er seit den Dreißigern ein überzeugter Anhänger des Konzeptes des strategischen Luftkrieges war. Mir scheint in diesem durch die Akten vermittelten Szenario eher eine Außenkommunikation als eine Innenkommunikation abzulaufen. Die Kraft des Faktischen der Entscheidungen führten jedoch zum genauen Gegenteil des hier Skizzierten.

Dabei muss zumindest den Fachleuten in der Runde klar gewesen sein, dass bei Nachtangriffen, die ja auch schon durchgeführt worden waren, unter den damaligen technischen Bedingungen eine Differenzierung zwischen militärisch-industriellen und zivilen Zielen gar nicht möglich war. Hier kommuniziert und agiert man aber so, als wenn dem eindeutig so wäre.

Bis zum 13. Mai 1940 registrierte die deutsche Zählung insgesamt 51 britische Luftangriffe auf nichtmilitärische Ziele neben 14 Angriffen auf militärische wie Brücken, Bahnlinien und die Rüstungsindustrie. Auch das hätte schon Anlass zu einem ggf. auch nur behaupteten Beginn des strategischen Luftkrieges geboten. Welcher Angriff bietet aber nun Anlass zur Stilisierung als Fanal einer grundlegenden Zäsur?

Ehrlich gesagt war mein erstes Initial in diesem Kontext Verwunderung und der erste Gedanke, wieso man die lange nach dem Ende des Krieges verstrichene Zeit nicht zu einem effektiven Bereinigen der Akten genutzt hat? Dies aber zu klären, ob ggf. noch vor 1980 auf anderes oder zusätzliches Material zurückgegriffen werden konnte, das eine solche Einschätzung zulässt, wäre ein sehr spannender Ansatz.

Grüße



Vitruv
 
Zuletzt bearbeitet:
In der Tat kommt hier weder am 11.05 noch am 15.05.40 irgendein Beschluss oder Befehl vor, der die eindeutige Interpretation oder ggf. nur aus dem Kontext gezogen zuließe, dass der strategische Bombenkrieg zu diesem Zeitpunkt beschlossen worden sei.

Um die Entscheidung vom 15.5.1940 - ohne Zweifel ein Strategiewechsel unter dem Gang der Ereignisse - beurteilen und einordnen zu können, müßte man sich den weiteren Verlauf anschauen. Das führt aber weit über das Thema hinaus in eine Betrachtung der Genese des "Strategischen Bombenkriegs" (den Spetzler als Begriff für die Entscheidung vom 15.5. zurückweist!).

Der Beschluß folgt eigentlich nur der (falschen!) verbreiteten Auffassung, man könne mit den britischen Mitteln die Treibstoffproduktion zusammenbomben. Hier lag der eigentliche Schwerpunkt, ohne die technische Präzision und die Quantität an Bombern verfügbar zu haben. Fakt ist, dass die britische Einschätzung davon ausging, die deutsche Treibstoffversorgung in 3-6 Monaten zum Erliegen bringen zu können. als man den Irrtum einsah, ging man im Schwerpunkt auf die Rüstungsproduktion über.

Es vergehen noch fast 2 Jahre bis zum Area-Bombing-Beschluß. Dazwischen liegt viel, bis hin zum mehrmonatigen Abzug des Bomber Command für den Seekrieg.
 
Nochmals zum 11.5.1940:

Veale und Spaight, darauf Bezug nehmend Spetzler, aber auch Czesany erwähnen einen Beschluß vom 11.5.1940, bei dem das Hinterland der Truppenbewegungen für (operative) Bombardierungen freigegeben worden ist.

Die Bemerkungen, hierbei handele es sich um einen Meilenstein in der Eskalation des Bombenkrieges an sich, der den Alliierten zuzuschreiben sei,dürfte aber falsch bzw. überholt sein. Diese "operativen" Bombardierungen wurden von der Luftwaffe bereits in in großem Umfang in Polen, und im Westen ab dem 10.5.1940 vorgenommen.
 
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