I.G.Farben als der Schöpfer der modernen Welt

Da mich eben die Anfrage erreichte, ob die Kontaktaufnahmen in Sachen SS-Wirtschaft/KZ tatsächlich von den Wirtschaftsunternehmen ausgingen (so bei Schult und Kaienburg), hier noch eine weiterführende Quelle:

Diensttagebuch des Deutschen Generalgouverneurs in Polen, Frank,
Eintrag vom 6.9.1941, Besprechung, Vermerk:

"MinR Plodeck macht dem Herrn GG Mitteilung davon, dass die I.G. Farben vom Oberkommando der Wehrmacht und vom Reichswirtschaftsministerium beautragt worden seien, ein viertes Bunawerk zu errichten. Als Standort für das Werk sei Auschwitz gewählt worden. Die I.G. Farben suche nach geeigneten Kalkvorkommen ... und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass ... das Vorkommen bei einem Ort zwischen Auschwitz und Kressendorf in Betracht kommt.

Der Herr GG wendet sich entschieden gegen diesen Plan ... [Anm: weil der Standort gerade außerhalb des Generalgouvernements liegen würde. Frank wollte den Standort im GG] ... Der Herr GG ist bereit, einen Vertreter der I.G. Farben in dieser Angelegenheit zu hören."


Dem Wunsch wurde unverzüglich Folge geleistet. Das Diensttagebuch weist unter dem 11.9.1941 eine Besprechung mit dem Direktor der I.G. Farben (Weiß) aus, nach dem der Standort von Frank akzeptiert wurde.


Die Quelle legt offen, wie der Hase lief.

(1) Der Werkswunsch lief über die Rüstungskoordination OKW und RWM,
(2) der Werksstandort wurde von I.G. Farben festgelegt (dem OKW und dem RWM war das völlig wurscht),
(3) der Standort wurde nach Analysen durch IG-Farben aufgrund bestimmter Wirtschaftlichkeitskriterien festgelegt
(4) der Standort wurde Himmler/Pohl und der SS-Verwaltung sowie der Verwaltung des GG signalisiert,
(5) die GG-Verwaltung war zunächst dagegen und
(6) wurde dann - höchstwahrscheinlich unter Nutzung der Rückendeckung durch die SS-Wirtschaftsverwaltung - "überzeugt".

zitiert nach Präg/Jacobmeyer, Dienstagebuch Frank, S. 401 ff.



EDIT: noch ein Nachtrag

„Die in Auschwitz sterben mussten, haben andere auf dem
Gewissen...“
Projektion, Rezeption und Realität der
I.G. Farbenindustrie AG. im Nürnberger Prozeß.
von Stefan Hörner, Dissertation Berlin 2010.
Objekt-Metadaten @ FU Dissertationen Online / Mycore 2.0.2


EDIT: Nachtrag II, Witte: Der Dienstkalender Heinrich Himmlers 1941/42.
dort Eintrag 1.3.1941 Besuch Auschwitz "mit führenden Herren der I.G. Farben"

Himmler hatte zuvor am 26.2.1941 Wolff als Verbindungsmann zur I.G. Farben ernannt und angewiesen, "... dieses Bauvorhaben durch die Gefangenen aus dem Konzentrationslagen in jedem nur möglichen Umfang zu unterstützen".
[Dienstkalender, S. 123]

Aus der Dissertation von Hörner zum I.G. Farben-Prozeß geht hervor, dass die IG Farben dagegen ein Projekt schon 1940 örtlich verfolgte und die Kohleversorgung (900.000 JaTo für BUNA IV) auf ein früheres Projektvorhaben zur Steinkohle in derselben Gegend traf.
 
Zuletzt bearbeitet:
Für mich hier abschließend:

Es geht MIR keineswegs um IG-Farben.
Der Komplex ist 50Jahre lang ausgiebig aufgearbeitet worden, und verspricht wenig neues zu bringen.
Und ich teile die Auffassung der Mehrheit der Diskutanten hier in Bezug auf IG und IG-Direktoren.

Mir geht es um die grundsätzliche Herrschaftsausübung der Nazis, und da ist an Terror gegen Einzelne, soweit sie nicht funktionierten, alles vorgekommen, das NS-System ist in der Beziehung nicht zu toppen.
(es würde mich nicht wundern, wenn auch noch irgendwo mal die Pistole auf dem Schreibtisch lag, durchgeladen, Sicherungsbügel nach unten)

Davon ein andermal mehr.
 
Zuletzt bearbeitet:
Zu diesen Worten stehe ich. Ein Terrorregime braucht Funktionäre, ob das nun Parteimitglieder, Führungskräfte in Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft etc. oder ganz normale Bürger sind.
Fakt ist: Im Nationalsozialismus ist niemand gezwungen worden zu morden. Fakt ist auch, dass kein IG Farben-Manager gezwungen wurde, mit der SS zusammenzuarbeiten. Ja sogar mehr noch: Wie silesia gezeigt hat, ist sogar die IG Farben auf die SS zugegangen.
Der angebliche Zwang, unter dem die Verantwortlichen bei IG Farben standen ist eine Erfindung aus der Nachkriegszeit.
 
Es wäre vielleicht angebracht, statt einer Meta-Diskussion konkrete Namen zu nennen.


P.S.
Die "ausweglose Situation" trifft nicht einmal für den Fall Junkers zu (der Vergleich zum Fall I.G. Farben ist abwegig, da es hier nicht um Gesellschaftsanteile ging).
Junkers konnte die wertlosen Gesellschaftsanteile abgeben und sich entfernen.
Außerdem wurde er gerade nicht zur Mitarbeit gezwungen, weil es der NS-Führung umgekehrt um seine Entfernung ging. Um "Mitarbeit" und Zwang geht es aber in den Schutzbehauptungen der I.G.-Farben-Direktoren.

P.P.S.
Es lohnt, sich mal die Aussagen in der Dissertation im Prozeß durchzulesen. Bzgl. der Lagererrichtung wird da auf dreiste Art gelogen und der Ablauf auf den Kopf gestellt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Zu diesen Worten stehe ich. Ein Terrorregime braucht Funktionäre, ob das nun Parteimitglieder, Führungskräfte in Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft etc. oder ganz normale Bürger sind.
Fakt ist: Im Nationalsozialismus ist niemand gezwungen worden zu morden. Fakt ist auch, dass kein IG Farben-Manager gezwungen wurde, mit der SS zusammenzuarbeiten. Ja sogar mehr noch: Wie silesia gezeigt hat, ist sogar die IG Farben auf die SS zugegangen.
Der angebliche Zwang, unter dem die Verantwortlichen bei IG Farben standen ist eine Erfindung aus der Nachkriegszeit.


Wenn Du das ganze auf die IG beschränkt haben willst, hast Du vermutlich recht.

Bleibt der "indirekte Zwang"
wie:
"hast Du gehört, dem Meier von der AHG seinen Sohn haben sie von der Uni geholt, Ostfront..."
Das Umfeld des Meier (der Meier sowieso) hat von dem Augenblick an wieder gut funktioniert...
 
Wenn Du das ganze auf die IG beschränkt haben willst, hast Du vermutlich recht..

Ich dachte, um die ging es in diesem Thread.

Bleibt der "indirekte Zwang"
wie:
"hast Du gehört, dem Meier von der AHG seinen Sohn haben sie von der Uni geholt, Ostfront..."
Das Umfeld des Meier (der Meier sowieso) hat von dem Augenblick an wieder gut funktioniert...

Ob das so der Fall war oder nicht: Die Entscheidung, nicht mitzumachen dürfte äußerst schwierig gewesen sein. Zivilcourage ist ja selbst heute noch schwierig. Aber ich will kein neues Fass aufmachen.
 
Die Methoden der Nazi-Machthaber waren subtiler, aber gleich wirkungsvoll!

Die Methoden waren nicht subtiler. Im wesentlichen basierten sie auf zwei schlichten Prinzipien, die sukzessive zum Einsatz kamen.

1. Eine Hand wäscht die andere und geht von einer weitgehenden Deckung der Interesen aus, Neudeutsch "WinWin-Position"

sofern sich aber einer der Wirtschaftspartner aus dieser Beziehung verabschieden wollte und es lief dem Pimat der Politik eindeutig entgegen, griff Methode 2

2. Und willst Du nicht mein Freund sein, dann ....

Dieses Verfahren illustriert Tooze (Ökonomie der Zerstörung) an zwei Beispielen sehr anschaulich:

1. August 34 wollte Schacht die Finanzierung zusätzlich Hydrieranlagen sicher stellen. "Also appelierte Schacht unumwunden an die Interessen der Montanbetriebe. Sie hätten bislang gute Gewinne eingestrichen..., die in Wirklichkeit der Öffentlichkeit gebühren" (S. 148).

und fährt fort im Rahmen der Gründung der "Brabag", drohte Schacht sogar Geldstrafen in unbegrenzter Höhe und die Inhaftierung eines jeden an, der sich der Kooperation verweigerte.

Aber das ist nur die habe Wahrheit, denn es konnten sich Unternehmen durchaus verweigern wie die "Vestag" als das RLM ihr die Junkerswerke anbot und die Wirtschaftsprüfer des Unternehmens die Übernahme als zu riskant ablehnten (ebd. S. 159).

2. Dass der Einsatz von Gewalt zur Durchsetzung des Primats der Politik im polykratischen Wirtschaftssystem des 3. Reichs kein Einzelfall war belegt Tooze an einem weiteren Beispeil im Rahmen des Aufbaus der Textilindustrie. Von einem Einsatz wurde allerdings Abstand genommen, da sie gegen Mitarbeiter der IG Farben hätte eingesetzt werden müssen. (ebd. S. 163).

Deutlich wird aber auch, dass staatliche Stellen eine Vielzahl von Machtmitteln zur Auswahl hatten, um Wohlverhalten zu erwingen. Wobei in der Regel ein relativ hoher Konsens in der Interessenstruktur vorhanden war (Kershaw: Der NS-Staat, S. 80ff).

Gewalt wurde punktuell eingesetzt gegen die Wirtschaft in Abhängigkeit von den beteiligten Personen und der politischen Bedeutung des Projekts. In diesem Sinne gab es vermutlich kein Automatismus.

Aufgrund mangelnder Transparenz der Wirtschaftslenkung war aber gewährleistet dass eine mangelnde Kooperation von Wirtschaftsunternehmen schwer zu erkennen war.

Auch in dem totalitären System des 3. Reichs war die Machtausübung aufgrund der rivalisierenden Machtzentren nicht eindeutig definiert.
 
Die Frage der "Mittäterschaft" bzw. der Frage nach der Rolle von "staatlicher Repression" gegenüber von Angehörigen der IG Farben beurteilt Hayes (Industry and ideoloy. IG Farben in the Nazi era, 1987) in seinem Epilogue (S. 377ff) durchaus differenziert (Kershaw führt diese Quelle als wichtigste Referenz an).

Insgesamt stellt er in Bezugn auf ihre Verantwortung fest:
"They became not so much guilty of the Nazi horrors, since they lacked Hitler`s intent, as co-responsible for them."

Im wesentlichen geht er dann der Frage nach, welche Motivation die IG-Manager hatten sich dem NS-System anzudienen, obwohl sie eigentlich aufgrund der Firmengeschichte keine besonders exponierte Nähe zu revisionistischen Zielen hatten.

Seine Antwort zielt auf die systemimmanente Profitorientierung des Kapitalismus ab und beschreibt die IG Manager als "Opfer" der kapitalistischen Rationalität.

Sie verfolgten die Ziele vor dem Hintergrund einer starken Rivalität der Großindustrie und sie antizipierten im wesentlichen, dass ihr Ausscheiden oder Versagen aus dem Prozess dazu führte, dass ein anderes Unternehmen, beispielsweise die in einem harten Konkurrenzkampf stehende Degussa, in die Rolle der IG Farben eintreten würde.

Neben der makröökonomischen Ebene des Unternehmenswettbewerbs greift er zusätzlich auf die sozialspchologische Ebene zu und führt Speer an, der die Manager des 3 Reichs einem "ethical hardening" (S. 381) unterworfen sieht und generalisiert die Aussage dahingehend: "It permits decision makers and those who succeed them in all socioeconomic systems to reason only within the demands of efficiency".

Unter dieser Perspektive schlussfolgert er, ist es egal, ob sie aktiv der nationalsozialistischen Ideologie anhingen oder nicht, sie funktionierten als mehr oder weniger effektive Manager des Systems.

Eine Erklärung, die auch teilweise auf die SS angewendet wurde und erstaunlicherweise als eine Quelle angeführt wird, warum sich die deutsche Wirtschaft nach 45 sehr schnell erholt hat. Die Quelle war die universelle Akzeptanz der Rationalität einer technokratisch angeleiteten Effektivität von Entscheidungen bzw. Handlungen.

Als Zeitzeugen zieht Hayes zurdem R. Merton heran, der bis 38 im Aufsichtsrat von IG Farben saß (und als Jude zur Emigration gezwungen wurde!!!) und belegt anhand eines Breifes von Merton, dass es durchaus systemimmanent war, in der Organsisation erfolgreich sein zu wollen und dazu zu gehören und somit auch die Ziele zu akzeptieren.

In diesem Sinne zeichnet Hayes eine Funktionselite innerhalb der IG Farben die....they relieved themselves of the obligation to make moral judgements or to examine the overall consequences of their decision".

Sie fühlten sich subjektiv nicht als Täter, sondern sie stellten lediglich das Funktionieren der Aufrüstung als nationales Ziel sicher. Und bis zum Abgang von Schacht gab es sicherlich auch ein konsensuales revisionistisches Weltbild zwischen den NS- und den Wirtschaftseliten, das erst in der Folge durch das NS-System einseitig modifiziert wurde.

Sie waren keine Opfer, die gezielten staatlichen Repressionen unterworfen waren, da ein weitgehend identisches poltisches Zielsystem zwischen diesen Eliten vorhanden war und den Konsens sicherstellte.

Die Muster, die er für die IG Farben aufzeichnet, lassen sich problemlos auf die Wirtschaftselite im 3 Reich übertragen, sofern sie nicht, als wenige Ausnahmen, grundsätzlich dem NS-System skeptisch gegenüberstanden.

Die Mechanismen der Tätigkeit von effektiven Funktionseliten haben allerdings in ihrer abstrakten Geltung einen geradezu erschreckenden Aktualitätsbezug und führen in der Praxis dazu, dass in den Sontagsreden gerne die verstärkte Lehre von Wirtschaftsethik gefordert wird. (Sorry den Bezug konnte ich mir nicht verkneifen")
 
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