Die Geschichte des Sitzens

Klaus

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Hallo allerseits,

Mich würde mal interessieren, ob das Sitzen auf einem Stuhl eine Ruhehaltung ist, die es schon immer gegeben hat, oder ob es sich um eine neuzeitliche Erfindung handelt.

Der Anlass für diese Frage ist eine Diskussion darüber, warum so viele Menschen Probleme mit den Hüftgelenken haben (was zum Einsetzen von künstlichen Gelenken führt), und ob dies auf eine (noch) unvollständige evolutionäre Anpassung unserer Anatomie an den aufrechten Gang anzusehen ist. Das leuchtet mir allerdings nicht ganz ein, da unsere Vorfahren im Cro Magnon, wären sie so hüftlahm gewesen wie wir, doch erhebliche Schwierigkeiten beim Überleben gehabt haben müssten.

Eine andere Erklärung wäre die unterschiedliche Lebensweise, die heutzutage mit viel Sitzen verbunden ist.

In Afrika z. B. ist mir aufgefallen, dass die bevorzugte Ruhehaltung das Hocken - mit den Fußsohlen flach auf dem Boden und den Knien vor der Brust - ist, in Südostasien der Schneidersitz. Bei den Römern wurde beim Essen gelegen. Mein Sohn (12) kniet sich auf den Fußboden und setzt sich dann zwischen seine Beine, mit dem Po auf dem Boden (könnte ich gar nicht).

Der Verdacht liegt nahe, dass das Sitzen keine naturgegebene Haltung ist, sondern eine kulturelle Errungenschaft.

Weiss jemand etwas über die Historie dieser Körperhaltung ?
 
Um mal gleich die Hypothese ein wenig zu beschießen: Natürlich gibt es allerlei Sitzhaltungen, die ohne Stühle auskommen. Die Hauptursache für Hüftproblem dürfte aber nicht das Sitzen an sich sein, sondern die Dauer und der Nahrungsmittelkonsum. Wir sind dafür ausgelegt, täglich eine staatliche Anzahl von km laufend zurückzulegen. Wir sind eigentlich in der Lage, z.B. ein Reh zu Tode zu hetzen. Nun die meisten von uns sind es nicht, weil wir zu kurzatmig sind etc. Aber wir könnten es sein. Statt also täglich 20 bis 40 km laufend zurückzulegen, "surfen" wir im Netz (surfen klingt ja fast nach Sport) und fressen Süßzeug in uns hinein, rauchen Zigaretten etc.
Es ist also nicht das Sitzen an sich, sondern die Dauer, die uns unsere Gelenke kaputt macht.
 
Hallo allerseits,

Mich würde mal interessieren, ob das Sitzen auf einem Stuhl eine Ruhehaltung ist, die es schon immer gegeben hat, oder ob es sich um eine neuzeitliche Erfindung handelt.
Also vor der Neuzeit war das auf jeden Fall mit dem Sitzen auf Stühlen etc. auch schon üblich. Ich kann mich da keines bedeutenden Einschnittes um 1500 erinnern.

Was sich sicher verändert hat, ist die Bequemlichkeit.
Ist man heute Stühle, Sessel oder dgl. gewöhnt, so hatten viele Sitzmöglichkeiten in der Vergangenheit keine Rückenlehne. Der Unterschied wird mir immer wieder bewusst, wenn ich längere Zeit in Museumsdörfern bin, wo der Anteil der Stühle zu Bänken ohne Lehne besonders groß ist. Man merkt dann doch, dass da dann etwas im Rücken fehlt, woran man sich gewöhnt hat und was natürlich nützlich ist.
 
In Afrika z. B. ist mir aufgefallen, dass die bevorzugte Ruhehaltung das Hocken - mit den Fußsohlen flach auf dem Boden und den Knien vor der Brust - ist,

Aber nur, wenn kein Stuhl oder besser Hocker/Schemel da ist.
In einigen afrikanischen Ländern hat der Stuhl eine ähnliche kulturelle Bedeutung als Herrschafts- oder Respektssymbol wie der Thron in anderen Weltgegenden.


....in Südostasien der Schneidersitz.
als alltägliche Sitzhaltung beim essen und arbeiten?
In vielen Kulturen wird wesentlich flacher gesessen, auf Teppichen, Sitzkissen oder Schemeln, die höchtens so hoch wie unsere Fußbank sind.

Der Verdacht liegt nahe, dass das Sitzen keine naturgegebene Haltung ist, sondern eine kulturelle Errungenschaft.

Beim Sitzen muß man wahrscheinlich eine Arbeitshaltung von einer entspannten Ruhehaltung unterscheiden.
Wenn die Arbeit am Boden stattfindet, ist die Hocke bei kurzdauernden Arbeiten die angenehmste und flexibelste Position. Schneidersitz und Hinknien sind eher für längerdauernde Arbeiten geeignet. Muß man beim Thema Sitzen neben den Schemeln/Stühlen nicht auch nach Tischen fragen? Ohne einen Tisch ergibt das Sitzen auf einem Stuhl nicht soviel Sinn.:grübel:
 
Auch bei den alten Ägyptern wurde gesessen. Man braucht sich da nur die vielen Sitzstatuen der Pharaonen ansehen. Auch der Urmensch wird ,wenn ein entsprechend hoher Stein oder ein umgefallener Baum zur Verfügung stand, eine Sitzhaltung eingenommen haben.
 
Hmm... auch bereits Affen können sitzen (siehe untenstehende Foto). Vermutlich waren es gesellschaftliche Rituale, die massgeblich waren (man denke an die knienden Japaner).
 

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Hmm... auch bereits Affen können sitzen (siehe untenstehende Foto).

Ich hoffe es wird kein Beweisfoto verlangt wenn ich behaupte dass der Hund meiner Eltern auch "sitz" macht wenn man es ihm sagt. :p

Im übrigen hat Denke ich EQ das Wichtigste bereits gesagt: Für die so genannten Zivilisationskrankheiten gibt es so viele Parameter dass man daraus ableitend nun wirklich keine in sich konsistentes Theorie stützen kann. Vielmehr sehe ich das Sitzen als ganz nachvollziehbare Eigenschaft eines Lebewesens um während des Tagesprogramms Energie zu sparen. Ich habe mir mal die Mühe gemacht das in einen Kalorienverbrauchsrechner einzugeben. (Wie zuverlässig die sind weiß ich natürlich nicht.)

Für eine Stunde "Ruhig stehen (in einer Schlange stehen)" brauche ich mit meinen Körperdaten 69 kcal.
Für eine Stunde "Ruhig sitzen" benötige ich 57 kcal.
Für eine Stunde "Ruhig liegen, nichts tun" ebenfalls 57 kcal.

Im übrigen werden die Muskeln kaum beansprucht die man als Nicht-Computer-Sitzer in der Regel am meisten braucht: Die Beinmuskeln.
 
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Lukrezia Borgia schrieb:
Ich hoffe es wird kein Beweisfoto verlangt wenn ich behaupte dass der Hund meiner Eltern auch "sitz" macht wenn man es ihm sagt. :p

Oh Klasse, ich dachte schon, meiner sei der einzige, der sitzen kann. Da bin ich doch so glücklich, daß ich das Beweisfoto gleich mitliefere - einmal Augen links, der kleine Lümmel sitzt auch!
 
Es ist also nicht das Sitzen an sich, sondern die Dauer, die uns unsere Gelenke kaputt macht.
Ja und nein. Klar spielt die Dauer des Sitzens eine Rolle, aber eben auch das sozialisierte Sitzen. Also nicht "rumzappeln", nicht "rumlümmeln", nicht zu breitbeinig (die Herren) bzw. ganz ladylike die Beine übereinander geschlagen (die Damen). Das mag zwar alles ganz furchtbar toll aussehen, gesund ist es aber nicht unbedingt. Die gesündeste Sitzposition ist grundsätzlich nicht die schönste sondern die individuell bequemste. Durch Erziehung und Sozialisation schafft man es durchaus auch sich die Gelenke, Sehnen, Bänder und Venen zu ruinieren. Das Sitzen/Hocken/Kauern an sich ist also keine kulturelle Errungenschaft, vielmehr ist die jeweilige kulturelle Sitzhaltung (und die entsprechende Häufigkeit) als kulturelle Errungenschaft zu werten und wirken sich unterschiedlich positiv oder negativ aus. Eine "gesündeste" Sitzhaltung, wie gerne von der Werbung propagiert, gibt es dabei nicht (ich finde es bspw. auch unheimlich bequem so zu sitzen wie dein Sohn @Klaus, anderen verursacht allein der Anblick mangels Körperflexibilität bereits Schmerzen), sondern ist eben individuell von der eben erwähnten Flexibilität und dem persönlichen "Bequemfaktor" abhängig.
 
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Der Anlass für diese Frage ist eine Diskussion darüber, warum so viele Menschen Probleme mit den Hüftgelenken haben (was zum Einsetzen von künstlichen Gelenken führt), und ob dies auf eine (noch) unvollständige evolutionäre Anpassung unserer Anatomie an den aufrechten Gang anzusehen ist. Das leuchtet mir allerdings nicht ganz ein, da unsere Vorfahren im Cro Magnon, wären sie so hüftlahm gewesen wie wir, doch erhebliche Schwierigkeiten beim Überleben gehabt haben müssten.
Mir scheint die unterschiedliche Lebenserwartung von Cro Magnon und dem Menschen im 21. Jahrhundert die entscheidende Antwort zu sein:

Wenn ein nicht allzu schwerwiegender Hüftgelenksdefekt von Geburt an besteht, so kommt der zu massiven Gehbehinderungen führende durch die Fehlbildung/- stellung hervorgerufene Verschleiß doch i.A. erst in der heutigen Lebensmitte zum Vorschein. Damals dürfte das Lebensende aber schon vor der heutigen Lebensmitte gelegen haben, womit der Defekt erst gar nicht zum Vorschein gekommen sein dürfte.

Die heutigen "Altershüften" sind altersbedingter Verschleiß, der an einem das Körpergewicht tragenden Gelenk i.A. als schwerwiegender wahrgenommen wird als der Verschleiß z.B. des linken Zeigefingergelenks- vorausgesetzt Du bist kein Musiker.
 
Mir scheint die unterschiedliche Lebenserwartung von Cro Magnon und dem Menschen im 21. Jahrhundert die entscheidende Antwort zu sein
Mit diesem Argument habe ich so meine Probleme wegen des Gebrauchs des Begriffs "Durchschnittsalter".

Es gibt mMn eine Lebensdauer, auf die eine Spezies eingerichtet ist, und an dessen Ende alle "Komponenten" ungefähr gleichzeitig versagen. Es widerspräche dem ökonomischen Prinzip, die eine Komponente so üppig auszurüsten, dass sie 200 Jahre lang hält, wo das Gesamtkunstwerk auf Grund der Haltbarkeit anderer Komponenten jedoch bereits nach 50 Jahren Schrott ist.

Wie oft dieses Maximum tatsächlich erreicht wird bzw. welcher Prozentsatz von Individuen durch Krieg, Hunger oder andere widrige Umstände vor der Zeit zu Tode kommt, steht auf einem anderen Blatt. Wir, der Homo Sapiens, sind heute nicht langlebiger als früher, sondern es erreicht nur derzeit ein höherer Prozentsatz von uns die Lebenszeit, für die wir ausgelegt sind. Das Schwein hingegen hat eine biologische Lebenserwartung von etwa 12 Jahren, erreicht aber nur ein Durchschnittsalter von 0,5 Jahren, weil es dann geschlachtet wird.
 
@Klaus: Auch heute kommt nicht jeder Mensch mit einem Hüftgelenksdefekt auf die Welt. Es geht doch nur darum zu zeigen, dass bei einer allgemein als niedrig einzustufenden Lebenserwartung auf Grund der Umstände wie Geburtensterblichkeit, fehlende Heizung, fehlende Antibiotika etc. ein angeborener Defekt, der nie als Ausschlusskriterium für die Vermehrung in Erscheinung trat, gut weitervererbt werden konnte.

Noch in meiner Kindheit gingen die Alten im Dorfe teils rechtwinklich nach vorn gebeugt am Stock. Sie taten dies, weil die Medizin ihre maroden Hüftgelenke noch nicht ersetzen konnten.
 
Ein interessantes Thema von Klaus, wozu vielleicht die Betrachtung von Sitzmöbeln der verschiedenen Epochen (1400–2016) etwas beitragen kann:

15. Jh.: das entspannte Sitzen war immer noch Usus. Der Hocker war das meistverbreitete Sitzmöbel und erforderte eine aktive Haltung des Rückens. Der Europäer war noch naturverbunden, als würde er immer noch auf einem liegenden Baumstamm sitzen. Herrscher drückten ihre Stellung durch eine kontrollierte Haltung aus, was sie vom Pöbel distanzierte. Etwaige Rückenlehnen waren gerade, was das Herumlümmeln eh schwierig machte. Polstermöbel gab es keine. Man las auch im Aufrechtsitzen, oder sogar im Stehen (was heute als undenkbar erscheint)

16. Jh.: mehr oder weniger wie im Spätmittelalter, außer dass die ersten Polstermöbel aufkamen. Das Sitzen wurde dadurch etwas bequemer. Der Renaissance-Mensch griff auf die (vermeintliche) Antike zurück. Interessanterweise wurde aber auf die Essliege verzichtet. Stattdessen wurde das aufrechte Sitzen noch weiter verbreitet, sodass auch die weniger Betuchten nun vermehrt Sitzmöbel mit geraden Rückenlehnen besaßen.

17. Jh.: mehrplätzige Polstermöbel wurden zur Mode, entlang von Wänden aufgestellt. Sitzmöbel hatten generell immer noch gerade Lehnen. Am Hof wurde die Etikette beim Sitzen noch wichtiger. Die Sitzhaltung der Oberschicht wurde deutlich steifer und kontrollierter, insbesondere am französischen Hof. Individualität war das Letzte, was man vorzutragen wagte. Der angepasste Mensch war Teil des Staatapparates, was er mit artig aufgerichtetem Sitzen ausdrückte.

18. Jh.: in Frankreich begann man in der Régence, Sitzgruppen zu bauen, die inmitten von Räumen aufgestellt wurden. Die Dame durfte sich auf bequemere, gepolsterte Stühle setzen. Später nahmen auch die Herren auf diesen dick gepolsterten Sitzmöbeln Platz. Herumgelümmelt wurde aber kaum, sondern aufmerksam gesessen. Die Aufmerksamkeit betont hatte das umgekehrte Sitzen auf Stühlen, was zu Modellen führte, die speziell dafür gebaut wurden. Doch jene Aufmerksamkeit galt nun weniger dem Staat, sondern Spielen, oder den Damen.
Die Tischsitten wurden deutlich lockerer als im Jahrhundert zuvor, was auch das Aufkommen von auswechselbaren Polstern erklärt; man rechnete mit Flecken auf den Bezügen.

19. Jh.: Unter »Fauteuil« wurde plötzlich generell ein dick gepolstertes Sitzmöbel verstanden. Es wurden vermehrt rundum gepolsterte, tiefe Sitzmöbel gebaut, was um die Mitte des Jhs. zu orientalisierenden, eigentlichen ›Kissenmöbeln‹ führte. Im späteren Verlauf des Jahrhunderts gehörte das Herumlümmeln auf solchen Möbeln zum guten Ton; Individualität wurde mit individuellen Sitzposen ausgedrückt.
Nicht nur die Bezüge waren nun leicht auswechselbar, sondern auch die Sitzmöbel, die massenhaft hergestellt wurden.

20. Jh.: in der ersten Hälfte des Jahrhundert blieb alles wie gehabt. Außer, dass manche Designer auch mit der Sitzhaltung, bzw. mit Sitzmöbeln experimentierten; das Hinterfragen von Traditionen war generell verbreitet und sollte bis in die 1970-er anhalten. Hinzukam das Einzwängen des Menschen in minimalistische Möbelformen, wobei Funktionalität zwar hochgehalten, aber mit den Füßen getreten wurde. Der moderne Mensch hatte sich auf unbequemen Stühlen zurechtzufinden. So nahm das Herumlümmeln noch ungewöhnlichere Formen an, bedingt durch kaum noch körpergerechte Sitzmöbel.

Das Design und dessen Image ist auch im 21. Jh. noch wichtiger als die tatsächliche Funktionalität, auch wenn die Individualität unterdessen eher zurückgedrängt wird, d.h. langsam zum Luxus wird. Immer mehr Menschen werden tagsüber auf Stühle gedrängt; das Sitzen auf einem Stuhl wird zur häufigsten Pose im Leben und überholt sogar das Liegen. Breite Hinterteile und kaputte Gelenke sind der Preis des Abschiebens der Produktivität in ›weniger entwickelte‹ Länder.
 
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Das Design und dessen Image ist auch im 21. Jh. noch wichtiger als die tatsächliche Funktionalität, auch wenn die Individualität unterdessen eher zurückgedrängt wird, d.h. langsam zum Luxus wird. Immer mehr Menschen werden tagsüber auf Stühle gedrängt; das Sitzen auf einem Stuhl wird zur häufigsten Pose im Leben und überholt sogar das Liegen. Breite Hinterteile und kaputte Gelenke sind der Preis des Abschiebens der Produktivität in ›weniger entwickelte‹ Länder.
Klingt alles recht interessant. Freilich wüsste ich zu gern, auf welche empirischen Daten oder andere Quellen sich die Darstellung stützt. Hinweise zum letzten Absatz und insbesondere zum letzten Satz (inklusive Produktivitätsbegriff) würden mir vorerst reichen.
 
.., so kommt der zu massiven Gehbehinderungen führende durch die Fehlbildung/- stellung hervorgerufene Verschleiß doch i.A. erst in der heutigen Lebensmitte zum Vorschein. Damals dürfte das Lebensende aber schon vor der heutigen Lebensmitte gelegen haben, womit der Defekt erst gar nicht zum Vorschein gekommen sein dürfte.
In der Zwischenzeit habe ich mich aus eigener Betroffenheit ein wenig damit beschäftigt und bin zum Thema "naturgegebene Unterentwicklung des Hüftgelenks" und "künstliche Hüftgelenke" zur folgenden Erklärung gekommen.

Die Hüftgelenksschwäche von uns Mitteleuropäern des 21. Jahrhunderts ist auf eine Fehlhaltung zurückzuführen, und die kommt so zu Stande : Wir haben alle (zumindest mehr als die Hälfte) Plattfüße, ausgelöst dadurch, dass wir bereits als Kinder Schuhe mit steifen Sohlen tragen (müssen). Der komplizierte Aufbau des Fußes mit je 27 Knochen, der insbesondere der Dämpfung dient, einschließlich der entsprechenden Muskulatur, kommt dadurch "von Kindesbeinen an" nicht richtig zum Einsatz. Daher bildet sich die Muskulatur zurück, das Fußgewölbe sinkt ein und verliert seine federnde Funktion. Beim Einsinken des Fußgewölbes (probiert das ruhig mal aus) dreht sich das Bein automatisch nach innen ! Dadurch sitzt das Kugelgelenk des Femur ständig schief in der Gelenkpfanne des Beckens - und knirscht. Es kann dadurch zu einer Dauerentzündung (Arthrose) kommen, die das Gelenk zu Grunde richtet, so dass es schließlich durch eine Prothese ersetzt werden muss.

Das Sitzen wäre also weitgehend unschuldig.
 
Klingt alles recht interessant. Freilich wüsste ich zu gern, auf welche empirischen Daten oder andere Quellen sich die Darstellung stützt. Hinweise zum letzten Absatz und insbesondere zum letzten Satz (inklusive Produktivitätsbegriff) würden mir vorerst reichen.
Stimmt, den letzten Satz hätte ich weglassen sollen. Ich wusste schon beim Posten, dass im nächsten Beitrag das Wort »empirisch« vorgehalten wird. Werde mich jetzt aber nicht auf die hurtige Suche nach Statistiken machen, sondern ziehe hiermit schlicht die letzte Behauptung zurück: die Veränderung der Lebensweise durch überwiegendes Sitzen beeinflusst den Körper des Homo Sapiens in keiner Weise und wird dies auch nie tun, so wahr ich hier sitze.


Zum Rest, zu meinem Hinterfragen der Funktionalität minimalistischen Designs stehe ich nach wie vor, kann aber dazu leider nicht allzu ausführlich werden, ohne gleich die Moderne, deren Ansprüche und eigentlichen Gründe auszuleuchten, was hier zu weit führen würde.

Nur soviel: die Moderne basiert zuvorderst auf Reduktion, Verstecken (z.B. des Innenlebens von Apparaturen), Vereinheitlichung und der Erleichterung der Produktion; Dinge, die per se kaum etwas mit »menschengerecht«, sondern mit »Ideologie« und »produzentengerecht« zu tun haben. Funktionaltät, d.h. den höchsten Nutzen für den Anwender zu erreichen, wie Haltbarkeit, Wertbeständigkeit und optimale Nützlichkeit stehen weit im Hintergrund; die ersten beiden werden sogar für kontraproduktiv gehalten. Die Möbelform der Moderne wiederspiegelt diese Bestrebungen und hat mit dem Streben nach bequemsten und gesundesten Möbeln nur soweit zu tun, bis die Form noch einigermaßen als gebrauchstüchtig angepriesen werden, d.h. verkauft werden kann.

Selbstverständlich werden aber auch menschengerechte Möbel hergestellt, sei dies durch die Form, durch hautfreundliche, natürliche Materialien, durch die Schonung der Resourcen mit Langlebigkeit und mit dem Fehlen der Verpackung. Da braucht man keine Statistiken, um die Aussage zu machen, dass all dem frühere Möbel eher gerecht wurden.
 
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Das Sitzen wäre also weitgehend unschuldig.
Siehe immerhin Kampagne: Finnen sollen nicht mehr sitzen - Agenda - FAZ

20. Jh.: ... minimalistische Möbelformen... Mensch hatte sich auf unbequemen Stühlen zurechtzufinden... Herumlümmeln
Ich bin absoluter Laie auf diesem Gebiet und frage deshalb nach:

  • Wie ordnet sich z. B. das Bauhaus in diese Entwicklung ein? Und wie die Firma mit dem Rentier?
  • Das "Herumlümmeln" wird hier sozusagen als allgemeines Phänomen eingeführt. Wie lässt sich das zeitlich ansetzen? 1945? 1968?
 
Wie ordnet sich z. B. das Bauhaus in diese Entwicklung ein?
Hm, warum gerade das schwierige Kapitel »Bauhaus«? Warum soll ich gerade das Bauhaus und dessen Originalität in einem deutschen Forum zerpflücken?

Ohne ausschließlich »Bauhaus« zu meinen, wäre zu bedenken, dass zwischen angesagtem Programm und tatsächlich erbrachter Leistung bei all den benannten Kunststilen der Zeit zwischen 1850 und 2.WK oft eine große Diskrepanz auszumachen ist. (soll bei Menschen auch sonst vorkommen) In erster Linie ging es um den Anspruch: zumeist darum, etwas Neues erfunden zu haben. Allein schon dies war ein alter Hut. Und ja, auch das Bauhaus war nicht unbedingt was Neues, wurde aber immerhin mit einer Konsequenz durchgezogen, sodass man meinen könnte, die nackte Kastenform hätten die Deutschen erfunden. Auch den Anspruch, wir wollen mal was Wertvolles schaffen, haben X-Andere schon hochgehalten. Niemand sagte, hei, wir möchten euch was Wertloses anbieten.

Kurz und bündig: das Bauhaus war an und für sich die Ankunft in der Moderne, während man auch anderso dort angelangt war.


Und wie die Firma mit dem Rentier?
Die Firma mit dem Renntier? Aha… Oh, Du meinst vielleicht den Filmverleih Goodtimes Entertainment mit Rudolph mit der roten Nase, wobei Rudolph ein süßes Rentier ist. Dazu fehlen mir die Worte.


Das "Herumlümmeln" wird hier sozusagen als allgemeines Phänomen eingeführt. Wie lässt sich das zeitlich ansetzen? 1945? 1968?
Das »Herumlümmeln« würde ich so ungefähr, sagen wir, mit der Industrialisierung ansetzen, als man begann das Individuum zu unterdrücken, wobei der Ausdruck der Individualität umso mehr vorgetragen, resp. betont werden musste. Contenence, Dandytum, dann wieder Beherrschtheit, dann aber Läßigkeit, Coolheit, und ja, Arschgeilheit (Wort in historischem Kontext!), etwa in dieser Reihenfolge, waren maßgeblich für die Attraktivität des sitzenden Mannes, während seine Individualität schmerzlich beschnitten wurde.
 
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