Der bärtige Jesus

El Quijote

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Meine Frage hat eine kunsthistorische Richtung. Angeregt durch die Grabtuchdiskussion und unserem "Wissen" wie Jesus aussah (Lange Haar, langer Bart [Löcher in den Händen, Gras wächst aus der Tasche]) will ich immer ein Argument bringen, was ich aber tatsächlich nie bringe, da meine Quelle für das Argument der Spielfilm Jesus von Montréal ist. In dem Film, den man aus mehreren Perspektiven sehen kann, geht es um eine Laienschauspielergruppe, welche die Passionsgeschichte darstellt und auch immer wieder (kunst)historische Erklärungen einfließen lässt. Der Regisseur und Jesusdarsteller wird im Laufe des Films völlig von seiner Rolle eingenommen, aber auch andere der Schauspieler haben Charakteristika, die unser kulturelles Gedächtnis einigen Figuren der Passionsgeschichte zuschreibt (auch wenn das dem biblischen Text nicht immer zu entnehmen ist und es sich um Deutungen aus der kirchlichen Tradition handelt, wie Maria Magdalena = Sünderin). Am Ende kommt es zu einem Unfall und der Schauspieler der Jesus spielt stirbt am Kreuz (lebt aber gewissermaßen durch Transplantationen weiter)

Zur eigentlichen Frage: In einer der kunsthistorischen Erläuterungen, welche in den Film einfließen, wird behauptet, dass in den Frühdarstellungen Christus ohne Bart dargestellt wird und dass erst in der byzantinischen Zeit, weil in der damaligen Zeit Männer mit Bart dargestellt wurden und Frauen ohne, das Bild vom bärtigen Jesus aufgekommen sei, welches sich bis in die Gegenwart tradierte. Außerhalb dieses Films habe ich noch nie davon gehört und ich kenne auch keine gesicherten Darstellungen Jesu vor der Spätantike, einzig eine Darstellung aus den römischen Katakomben, bei der strittig ist, ob es sich um Jesus oder Sol Invictus handeln soll. Kann da jemand weiterhelfen?
 
Außerhalb dieses Films habe ich noch nie davon gehört und ich kenne auch keine gesicherten Darstellungen Jesu vor der Spätantike, einzig eine Darstellung aus den römischen Katakomben, bei der strittig ist, ob es sich um Jesus oder Sol Invictus handeln soll. Kann da jemand weiterhelfen?

Meinst Du diese Darstellung?
File:ChristPeterPaul.jpg - Wikipedia, the free encyclopedia

Depiction of Jesus - Wikipedia, the free encyclopedia
[der Artikel existiert nicht in der deutschen Wikipedia, und enthält einige Quellen]
 
Hast Du dazu ein Bild?

Jedenfalls wäre die Darstellung in den Marcellinus-Katakomben ebenfalls "bärtig". Geht es Dir um Darstellungen vor dem 4. Jhdt?
 
Da das Bilderverbot des alten Testaments auch bei den frühen Chrisen galt, sind die ersten bekannten Jesusdarstellungen einen gewissen Zeitraum vom „Original“ entfernt. Dementsprechend setzt die Darstellung Jesu erst im dritten bzw. vierten Jh. ein.
Hierbei dürfte es verschiedenen Formen gegeben haben. Zum einen die, welche Jesus in Übereinstimmung mit dem Großteil der jüdischen Bevölkerung - also bärtig - darstellten und zum anderen die welche ihn eher traditionell wie einen Römer - also rasiert -darstellten.
Das Einzige stichhaltige was ich dazu gefunden habe war bei Robert Forrer: „Römische Und Byzantinische Seidentextilien Aus Dem Gräberfelde Von Achmim-Panopolis“ auf Seite 22. Dort steht, dass Jesus bei dem Bild der „Auferstehung des Lazerus“ „mit kurzem Haar und ohne Bart“ zu sehen ist.
 
In dem dritten Buch Mose 21,5 steht: Sie sollen keine Glatze auf ihrem Kopf scheren, und den Rand ihres Bartes sollen sie nicht abscheren". Wurde von einigen wichtigen Rabbinen so verstanden, dass man den Bart nicht mit einer Rasierklinge oder einem Messer rasieren darf. Ich habe auch mal gelesen, dass Juden sich nicht die Haare schneiden durften, aber ob das der Wahrheit für diese Zeit entsprach, ist mir nicht geläufig.

Da Jesus Jude war, denke ich schon, dass er langes Haar und Bart getragen hatte, so wie auch die anderen Juden.
 
Nur gab es im Palästina des ersten Jahrhunderts kein einheitliches Judentum, sondern lediglich zahlreiche Strömungen unter der sich eine (die der Pharisäer) mit ihren Interpretationen durchsetzte. Ich weiß aber leider zu wenig um genaues über die Haar- und Bartpracht der verschiedenen Denkschulen zu sagen. Über einen Kamm scheren würde ich sie aber in keinem Fall.
 
"Auch den Männern ist die Gefallsucht ...durch einen Naturfehler angeboren, auch unser Geschlecht hat seine eigentümlichen Kunstgriffe zur Hebung der Gestalt, z. B. den Bart möglichst glatt zu rasieren, dünner zu machen, rundumher zu stutzen, ... während doch, wenn man Gott erkannt und die Gefallsucht der Gefahr sinnlicher Lüste wegen abgelegt hat, alle diese Dinge als müßig und der Sittsamkeit zuwider verschmäht werden müßten."

BKV

Müßt nochmal im Original überprüft werden, "möglichst glatt" rasiert klingt nach, bartlos = unkeusch.
 
Im Original steht "barbam acrius caedere, intervellere, circumradere", also "den Bart schärfer zu schneiden, zu zupfen, rundherum abzuschaben".
 
Hier sind einige Darstellungen. Das erste ist das umstrittene oder synkretistische Bild Helios/Sol oder Jesus im Mausoleum M in Rom (unterm Petersdom), die anderen beiden Bilder stammen aus Ravenna, 4. Jhdt./frühes 5. Jhdt. (Bild in der Mitte Laurentius-Kirche, Ravenna, fälschlich bekannt als Mausoleum der Galla Placidia) Andere Bilder aus Ravenna aus dem 5 Jhdt. zeigen Jesus dann schon mit Bart.
 

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Eine sehr schöne Frage, bei der ich glaube, daß man einzelne Komponenten auseinanderhalten muß.
Selbst wenn man Jesus für eine historische Person hält, ist es unerheblich, seine Bärtigkeit zu hinterfragen. Abgesehen davon, daß man es nicht nachweisen könnte, hinge es davon ab, welcher jüdischen Strömung Jesus anhing, arkas hat es ja angedeutet. Da aber der Jesus, den wir suchen, ein Konstrukt ist, welches vielleicht von einer historischen Person ausgeht, diese dann aber als Projektionsfläche für eine Vielzahl von Ideen nutzt, ist die Frage nach der Darstellung eines Bartes mit den Interessen der Rezipienten verbunden. Soweit ist das ja bestimmt klar, ich wollte es nur nochmal als Grundlage anführen.

Nun sind Bilddarstellungen von Menschen in der Antike ja niemals als reale Wiedergaben eines Aussehens zu werten, sondern als eine Summe von bestimmten Formeln zu werten. Diese Formeln entstehen durch Traditionslinien. In welchen Traditionen stehen aber die frühen Jesusdarstellungen?

Stehen sie in jüdischen Traditionen? Abgesehen davon, daß mir keine umfangreiche Selbstdarstellungen von Juden aus dem 1 Jh. v/ 1. Jh. n. Chr. bekannt sind, also Ehrenbilder oder Grabreliefs u.ä. (was aber nicht heißen soll, daß es sie nicht doch gab), müßte geklärt werden, warum spätere Jesusdarstellungen, die ihn ja zumeist nicht mehr als Juden zeigen wollten, auf solche Traditionen zurückgreifen sollten. Insofern würde ich die Frage, ob die jüdischen Männer in betreffender Zeit bärtig waren, als zweitrangig sehen.

Sind die Bilder in einem Umkreis entstanden, der sich eher an römischen Bildtraditionen orientierte, muß man unterscheiden, ob man einen Jesus zeitgenössisch oder eher historisierend dargestellt hätte. In letzterem Fall hätte man sich auf frühkaiserzeitliche Bilder berufen und wäre dann eher der Bartlosigkeit verpflichtet gewesen, im ersten Fall dagegen war ja, wie schon oben gesagt wurde, seit Hadrian der Bart wieder in die römische Männerdarstellung zurückgekehrt, wenn auch seit den Soldatenkaisern eher getrimmt als schönlockig, wie wir ja Marc Aurel oder Septimus Severus kennen.
Dazu gesellt sich aber auch eine weitere Problematik, die man ebenfalls nicht außer acht lassen sollte. Die Jesusgestalt ist auch kein homogenes Konstrukt, es ist vielfach beobachtet worden, wie viele antike Gottesvorstellungen auch auf die Vorstellung von jesus eingewirkt haben, und welche Gottheiten als stärkste Konkurrenz von Christus galten, die man, gemäß römischer religionstradition, zum Teil absorbiert hat. Dazu zählen bärtige Götter wie Asklepios, dessen geläufigen Beinamen "Soter", also der Retter, auch christlich übernommen wurde, zum Teil aber auch Herakles, dessen Feuertod als Voraussetzung zur Aufnahme in den Olymp durchaus Parallelen zum Kreuzestod aufweist.
Bartlos dagegen und somit ebenfalls Möglichkeiten, um als Vorbild für eine Jesusdarstellung zu gelten, sind Gottheiten wie Dionysos, Mithras, Helios/Sol und schließlich auch Apollon. Gerade die ersten drei zählten zu den beliebtesten römischen Göttern in der Kaiserzeit. Und gerade das vom Don angeführte Mosaik aus dem Mausoleum M zeigt den vermeintlichen Jesus ja als Sonnengott.

Und, um die Frage mal ganz von hinten zu beleuchten, auch wenn es zeitlich etwas weit weg ist: sehr interessant finde ich, wie nach Jahrhunderten kanonischer bärtiger Jesusdarstellung im Jüngsten Gericht der sixtinischen Kapelle Jesus wieder als perfekter Apollon dargestellt wurde.
 
Vielleicht noch als Hinweis, auch wenn der Text wohl eine gewisse Tendenz aufweist:

ENTWICKLUNG DER CHRISTUSDARSTELLUNG

Besonders beachtenswert finde ich den Hinweis, daß der Bart Jesu als Anlehnung an das griechische Philosophenbildnis gedacht war. Dazu ist vielleicht eine Wandmalerei aus der Domitilla-Katakombe in Rom interessant, welche Christus als Lehrer zwischen den Jüngern zeigt, hier aber wohl noch bartlos. Leider finde ich dazu im Netz nur eine ganz schlechte Darstellung, die ich nicht näher verifizieren kann, vielleicht können berufene Experten da mehr machen.
 
Kann nicht beides richtig sein?
Was hatte er als er starb?
Als er auferstand?
Als er begann zu predigen?

Als Baby wird er sicher keinen Bart gehabt haben.

Die Frage wie er nach seiner Auferstehung aussah ist nicht für ein Geschichtsforum.

Interessant wären judenchristliche Darstellungen über Jesus oder wenigstens arabische oder aramäische Abbildungen denn die werden am ehesten der Mode des Nahen Osten gerecht.

Die Römer werden Jesus ja wie einer von ihnen dargestellt haben.
 
Interessant wären judenchristliche Darstellungen über Jesus oder wenigstens arabische oder aramäische Abbildungen denn die werden am ehesten der Mode des Nahen Osten gerecht.

Arabische Darstellungen von Jesus? Vorislamische? Das stelle ich mir kompliziert vor. Außerdem ist das Darstellen von Moden nicht unbedingt zwingend, denn die Darstellung einer Person in der antiken Kunst dient nicht einer quasi "photorealistischen" Abbildung, sondern dem Transport einer Vorstellung, und die war unabhängig von einer realen Mode zur Zeit des Kaisers Tiberius.
Noch nicht zur Sprache gekommen sind die Darstellungen in der Hauskirche in Dura Europos aus dem 3. Jh. n. Chr. Damit wären wir, wenn Du es so möchtest, im Nahen Osten. Ist der gute Hirte aber automatisch Jesus? Es gab noch eine Darstellung von Petrus und Jesus auf dem See Genezareth. Petrus sinkt gerade zweifelnd ins Wasser, wenn die starke Kontur seines Gesichtes einen Bart andeuten soll, dann ist dieser kurzgeschoren, ich würde mich nicht festlegen. Jesus dagegen - kopflos, leider.

Die Römer werden Jesus ja wie einer von ihnen dargestellt haben.

Nö. Wer sind die Römer? Meinst Du römische Staatskunst oder römische Christen? Römer nach Konstantin, nach Theodosius? Und was heißt "einer von ihnen"? Als Soldaten natürlich nicht. In der Toga? Ich kenne ihn nur im griechischen Mantel. Darstellungen von Jesus dienten ja nicht dazu, ihn in die natürlicher Alltagsumgebung zu versetzen, sondern folgten bestimmten Topoi.
 
Nö. Wer sind die Römer? Meinst Du römische Staatskunst oder römische Christen? Römer nach Konstantin, nach Theodosius? Und was heißt "einer von ihnen"? Als Soldaten natürlich nicht. In der Toga? Ich kenne ihn nur im griechischen Mantel. Darstellungen von Jesus dienten ja nicht dazu, ihn in die natürlicher Alltagsumgebung zu versetzen, sondern folgten bestimmten Topoi.


Die ersten römischen Christen.

Ja sie folgen bestimmten Topoi trotzdem sind die Darstellungen in Europa sehr unterschiedlich nicht zuletzt auch das Aussehen der Jesus Darstellungen. Eine finnische Jesusabildung sieht anders aus als im Mittelmeer, in den meisten Fällen.

Daneben gab es zu dieser Zeit auch keine organisierte Kirche für das ganze Christentum bestimmte Vorstellungen durchsetzen konnte.
 
Besonders beachtenswert finde ich den Hinweis, daß der Bart Jesu als Anlehnung an das griechische Philosophenbildnis gedacht war.
Den "Philosophenbart" im Unterschied zur sonstigen bartlosen römischen Tracht findet man auch in Darstellungen einzelner römischer Kaiser, z.B. Marc Aurel.
Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich meine, dass Portraits mit Bart in der Spätantike ein Topos für Gelehrsamkeit, Weisheit etc. waren. Insofern können spätantike Jesusdarstellungen, sofern sie mit Bart sind, gleichsam programmatischen Charakter haben.
 
Den "Philosophenbart" im Unterschied zur sonstigen bartlosen römischen Tracht findet man auch in Darstellungen einzelner römischer Kaiser, z.B. Marc Aurel.
Allerdings war seit Hadrian das Tragen von Bärten generell wieder modern, auch ganz ohne philosophischen Hintergrund. Ab Konstantin I. kam er dann wieder aus der Mode, um ab dem frühen 7. Jhdt. ein Comeback zu erleben. Nur im 4.-6. Jhdt. war der Bart ein explizites Zeichen für jemanden, der als Philosoph gelten wollte, z. B. Kaiser Iulianus.
 
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