Die Kirche als Bremser des wissenschaftlichen Fortschritts ab 1540

@ Sepiola #101: Zur Bedeutung der Astrologie heute:
Danach hat niemand gefragt.

Gefragt habe ich:

Welchen Profit zogen die Astrologen des 16. Jahrhunderts von der Kalenderreform?

Hätte ein im astrologischen Sinn "zuverlässiger" Kalender nicht das siderische Jahr berücksichtigen müssen? Der Gregorianische Kalender basiert auf dem tropischen Jahr.
 
@ buschhons #103: Bei der Christianisierung der Heidenvölker war das Ziel der Kirche naturgemäß die Ausbreitung und Festigung des Christentums als des neuen Glaubens. Die neu gebauten Klöster brachten den Menschen der Umgebung auch praktische Vorteile, etwa neue Anbau-Methoden und neue anbaubare Pflanzen. Vermutlich waren für Erkrankte auch neue Heilmethoden verfügbar. Eine Pflege der Werke antiker "heidnischer" Philosophen konnte nicht Ziel sein. Das galt im Grunde auch 700 Jahre später um 1600 n.Chr. Deren Werke, obwohl faszinierend, sollten nur im Glauben gefestigten Bürgern zugänglich sein, siehe Umberto Eco, "Der Name der Rose". Eine stärkere Allgemeinbildung der Bevölkerung wurde wohl mehr von den weltlichen Landesherren umgesetzt (Gründung von Universitäten).
 
Klasse. Beispiel Portal des Ulmer Münster. Oben hält der erschaffende (präexistente) Christus eine Kugel in der Hand. Ich bin mir nur nicht sicher ob das die Erde sein soll oder eher der gesamte Kosmos.

Auch wenn es langsam vom Kernthema wegführt: Diese Bedenken sind nicht unbegründet. Die antiken Götter Jupiter und Sol Invictus wurden auch mit der "Weltkugel" dargestellt. Die Imperatoren taten es ihnen nach. Orbis terrarum ? Wikipedia
Man kann das als Ausdruck der Vorstellung von Kreis und Kugel als Allumfassendem, Vollkommenem sehen. Daran knüpften auch die Päpste mit ihrem Segen "urbi et orbi" an. Und schließlich (damit kriege ich jetzt doch noch einigermaßen die Kurve zum Hauptthema) hatte Kepler seine Schwierigkeiten mit dieser Vorstellung bei der Formulierung der nach ihm benannten Bewegungsgesetze.

Weil es manchem doch eher fremd sein mag:
http://de.wikipedia.org/wiki/Urbi_et_Orbi
 
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Eine Pflege der Werke antiker "heidnischer" Philosophen konnte nicht Ziel sein.

Auch wenn es Dir nicht schmeckt:

Das war das Ziel.

Die mittelalterlichen Kleriker haben die Werke antiker Philosophen nicht vervielfältigt, um sie in Giftschränken einzuschließen. Sie haben sich positiv damit auseinandergesetzt, sie kommentiert und an ihre Erkenntnisse angeknüpft.

Spätestens mit der Übersetzung u. Verbreitung der Werke Aristoteles seit dem 11. Jh. wurde die Kugelgestalt der Erde zur allg. anerkannten Lehrmeinung. Aristoteles, der im Hoch- u. Spätma. als größte Autorität in Fragen der Naturwissenschaft galt, führte eindeutige Belege für eine kugelförmige Erde an. Auch Thomas von Aquin (1225-1274), der bedeutendste u. einflussreichste Kirchenlehrer des Hochmittelalters lehrte: „der Sternenkundige beweist durch Sonnen- u. Mondfinsternis, dass die Erde rund ist“ (Summa theologica I q1 a 1 ad 2).
Mittelalterlexikon der populären Irrtümer - Erdscheibe oder -kugel

Eine stärkere Allgemeinbildung der Bevölkerung wurde wohl mehr von den weltlichen Landesherren umgesetzt (Gründung von Universitäten).
An den Universitäten studierte nur eine kleine Elite, für die Allgemeinbildung der Bevölkerung war noch lange der Klerus zuständig.

Vermittler des „gelehrten“ Wissens waren die Geistlichen in den Städten u. auf dem Lande. Für sie gab es „populärwissenschaftliche Handbücher“ u. Kompendien.
Eine verbreitete Form dieser Handbüchlein war z.B. der 1120 in Süddt. von Honorius Augustodunensis auf Latein geschriebene „Elucidarius“ („der Erleuchter“), der um die Mitte des 12. Jh. auf mittelhochdt. verfasste „Lucudarius“ („Leuchter“), der die Erde als 'sinewel' (= kugelig) bezeichnet u. das ebenfalls volkssprachl. gehaltene „Buch Sidrach“ (13. Jh.), das im Spätma. in den meisten germ. u. rom. Sprachen verbreitet war. In der mittelniederdt. Fassung heißt es in Letzterem zur Gestalt der Erde: „see ist rond also eyn appel“ („sie ist rund wie ein Apfel“). In anderen populären Handbüchern wird als Gleichnis oft ein Ei herangezogen.
All diese Kompendien gehörten zur Ausbildungsliteratur der Pfarrgeistlichen in Land u. Stadt u. wurden von diesen zur Predigtvorbereitung benutzt.

Übrigens gingen die frühen Universitäten z. T. aus Domschulen hervor und wurden oft von Klerikern gegründet bzw. mitgegründet.

Aus einigen Domschulen in Italien entstanden ab dem 12. Jahrhundert erste Universitäten in Bologna, Padua und Siena, in Frankreich in Paris und Toulouse. Sie entstanden als teilautonome Genossenschaften der Lehrenden und Studierenden, die Lehre wurde an ein bestandenes Examen gebunden. Lehrende benötigten ab 1233 die so genannte facultas hic et ubique docendi des Papstes („Lehrbefugnis hier und überall“), um Ketzerei zu verhindern. Seit dem Hochmittelalter entstanden neben den Domschulen kleinere Lateinschulen an den städtischen Pfarreien, die zunehmend unter die Verwaltung der Kommunen kamen ("Kommunalisierung").
Domschule ? Wikipedia

Sorry für die populärwissenschaftlichen Links.

Buchempfehlung mit wissenschaftlichem Anspruch:

Rudolf Simek
Erde und Kosmos im Mittelalter
Das Weltbild vor Kolumbus
München 1992


Umberto Eco, "Der Name der Rose"

Das ist ein Roman.

"Der geneigte Leser möge bedenken: Was er vor sich hat, ist die deutsche Übersetzung meiner italienischen Fassung einer obskuren neugotisch-französischen Version einer im 17. Jahrhundert gedruckten Ausgabe eines im 14. Jahrhundert von einem deutschen Mönch auf Lateinisch verfassten Textes." (Umberto Eco)
 
Nachtrag:

Literaturempfehlung mit wissenschaftlichem Anspruch:

Jürgen Hamel
Die Vorstellung von der Kugelgestalt der Erde im europäischen Mittelalter bis zum Ende des 13. Jahrhunderts - dargestellt nach den Quellen
Münster 1996

Und noch ein Link:

bibliotheca Augustana
Daz erste ist div erde. div ist kvgeleht.

The further investigation shows that the Mainauer Naturlehre most probably has to be seen as a teaching book destined for quadrivial instruction suitable for a heterogeneous circle of illiterate pupils because the text does not presuppose any kind of knowledge but itself gives all details necessary for an understanding of the subjects treated.
JSTOR: An Error Occurred Setting Your User Cookie
 
Mainauer Naturlehre schrieb:
Daz erste ist div erde. div ist kvgeleht.

Und die Mainauer Mönche standen damit nicht alleine: Gautier von Metz verglich 1246 die Erde mit einem Apfel, die vom Menschen umrundet werden könne, wie die Fliege einmal um den Apfel laufen kann.

Lui sembleroient toutes de voir | Enuers la terre moins paroir | Que ne feroit ung cheueu dôme | Sur son doy /ou sur une pôme | Et nempeschent quelle ne soit | Toute ronde en chascun endroit | la terre donc côuient ronde estre | Pour plus de bien y pouier nastre | si vous diray apres purquoy | Le monde estfait tout ront en soy.
 

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Und die Mainauer Mönche standen damit nicht alleine

Natürlich nicht. Jürgen Hamel zitiert über 60 mittelalterliche Autoren.
Die meisten natürlich auf Latein, aber ab dem 13. Jh. häufen sich volkssprachliche Quellen. Gautiers "Image du monde" wird von Hamel als "enzyklopädische Darstellung des Wissens für eine unterhaltsame Laienbildung" bezeichnet.


Apropos "Mainauer Mönche": Wo die sogenannte "Mainauer Weltchronik" entstanden ist, scheint unklar. Wahrscheinlich nicht auf der Mainau. Dort befand sich auch kein Kloster, sondern eine Deutschordenskommende.
 
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Auch wenn es Dir nicht schmeckt:

Das war das Ziel.

Die mittelalterlichen Kleriker haben die Werke antiker Philosophen nicht vervielfältigt, um sie in Giftschränken einzuschließen. Sie haben sich positiv damit auseinandergesetzt, sie kommentiert und an ihre Erkenntnisse angeknüpft.

...

Ich will die Diskussion nicht wieder anreizen, aber eines der Probleme bezüglich des wissenschaftlichen Fortschritts bestand doch gerade darin, sich in der Zeit ab ca. 1450 von den antiken Erkenntnissen, auf die sich auch die Scholastik wesentlich bezog, zu lösen. Eigentlich war der Fortschritt im naturwissenschaftlichen Bereich keine "Renaissance", keine Abwendung von einer angeblich dummen vorurteilsbelasteten christlichen Vorstellung zu rein rationalem antiken Denken: die christlich geprägte Wissenschaft war im Grunde genommen mindestens meist auf der Höhe der Antike, teilweise weiter. Entscheidend war, daß man sich in der neuen Linie der Wissenschaft der frühen Neuzeit, die vielleicht Francis Bacon am treffendsten auf den Punkt gebracht hat, gerade von vielen lächerlichen antiken Annahmen distanzierte, wie z.B. der Kreisbahn als idealer Form für Himmelsbewegungen oder der Säftelehre in der Medizin, und das man dem praktischen Experiment zur Theorienprüfung besonderen Raum verschaffte.
 
Zum Teilthema "bis ans Ende der Welt": Im Neuen Testament wird "...bis an der Welt Ende" (Matth.28,20) rein zeitlich gebraucht, also "bis ans Ende aller Tage". Wilhelm Tell sagt dagegen in Schillers "W.Tell" 4,3: "Denn jede Straße führt ans End´der Welt". Im Jugendlied heißt es dazu später "Wir kamen bis ans End der Welt, an einen Bretterzaun...". So liegt am Ende des Jakobsweges an der Westküste Spaniens das Kap Finisterre, Ziel vieler Pilgerfahrten. Von den Nichtteilnehmern wurde dort wohl öfter ein Ende der Welt vermutet, bis zu den Entdeckungsfahrten. Dabei heißt "Finis terrae" übersetzt bloß Ende des Festlandes.
 
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