Man sollte auch hier vorsichtig sein:
Im Johannes-Evangelium kritisiert Jesus "die Juden" sehr heftig.
Daraus würde ich nicht schließen, dass Jesus kein Jude war.
Zugegeben, der Schluss, den ich aus Jesu Kritik an den Pharisäern ziehe - nämlich dass Jesus sich selbst nicht dazugezählt hat -, ist logisch betrachtet kein zwingender.
Aber dass Jesus Jude war setzen die Quellen an beinah unzähligen Stellen voraus (jüdische Abstammung wird sogar explizit behauptet). Dass Jesus hingegen Pharisäer war, setzen die Quellen nirgends voraus (noch viel weniger wird dies explizit behauptet).
Was meine persönliche Einschätzung (- mehr kann's gar nicht sein -) anbelangt, halte ich es, wie gesagt, mit Huldas Formulierung, dass Jesus gut in pharisäischer Tradition gestanden haben kann.
Stellt sich die Frage überhaupt, ob Jesus eher richtiger Pharisäer war oder eher "nur" in pharisäischer Tradition gestanden hat?
Die Pharisäer werden doch keine Mitgliedslisten geführt haben, so dass man hätte strikt trennen können: Hr. Meier steht auf der Liste; ergo ist er Pharisäer-Mitglied. Hr. Müller steht nicht drauf; ergo ist er kein Pharisäer. Mir scheint das war
eine Bewegung mit mehreren unterschiedlichen Schulen (teils ergänzend? teils konkurrierend?). Das Pharisäertum wird kaum eine Institution und wohl auch keine Organisation gewesen sein (die Lehrbetriebs-Zentren der einzelnen Schulen um bestimmte Rabbiner vielleicht hingegen schon). Die Grenzen zwischen Pharisäertum und sonstigem ernsten jüdischen Glauben werden schwimmend gewesen sein.
Bei den Essenern wird das anders gewesen sein. Wir wissen aus den Qumranschriften, dass es Aufnahmebedingungen und -prozeduren gab, Probezeiten, Rechte und Pflichten des einzelnen Mitglieds in der Gemeinschaft. Ausstoß aus der Gemeinschaft bei bestimmten Verstößen. Bei einem Essener kann man schon irgendwie von einer echten offiziellen Zugehörigkeit zur bzw. einer Mitgliedschaft in der Gemeinschaft der Essener sprechen (wobei ich mal davon ausgehe, dass es auch hier mehrere Zentren und vielleicht auch Schulen bzw. Zweige gegeben hat). In der Mischna kenne ich da eigentlich kein Pendant, wo quasi die Mitgliedschaft bei den Pharisäern geregelt würde bzw. wo darüber gehandelt würde. Interessanterweise nennt uns Iosephus auch keine Anzahl von Pharisäern, aber eine von Essenern (näml. 4000). Deutet vielleicht auch in diese Richtung.
Ob also Jesus Pharisäer war oder nicht, ist wohl schon damals so ziemlich von Jesu eigener Einschätzung abhängig gewesen (die ich nicht kenne, sondern nur erahnen kann). Ich erlaube mir hingegen zu sagen, dass Jesus gemäß den Evangelien in einigen nicht unbedeutenden Lehrpunkten in pharisäischer Tradition stand. Das ist der kurze Sinn meiner langen Rede.
feif:
Ach, doch noch eines:
Ich denke Du wolltest darauf hinaus, was Zoki oben schon gesagt hat, dass nämlich die Kritik an den Pharisäern in den Evangelien, nicht zwangsläufig so generell von Jesus geübt worden sein muss, sondern auch nur auf Spannungen zwischen den ersten Christengenerationen mit dieser jüdischen Partei hinweisen kann. Ja, kann auch sein.