Kalkriese als Ort der Varusschlacht zweifelhaft

Also Cassius Dio greift die Stelle mit den angesägten Bäumen in der Silva Litana auf, benutzt diese für die Darstellung der Varusschlacht, um sie dann umzuschreiben, um einen Sturm die Arbeit machen zu lassen?

Ich sage nur, dass ich die literarische Verarbeitung durch Cassius Dio für eine plausiblere These als die taktische Ausnutzung des späten, propagandistischen Berichts des Livius zur Schlacht in der Silva Litana halte. Wie schon gesagt, ich sammele lieber erst einmal die Tatsachen und Hypothesen, bevor ich mir zu diesem Thema eine Meinung bilde. Ich war davon überzeugt, dass die Funde von Kalkriese mit der Varusschlacht zu tun haben. Nicht allerdings davon, dass sich das gesamte Geschehen dort abspielte. Die Propaganda und die heruntergespielten Probleme, sowie die Versicherung, dass es dort keinen 'Germanicus-Horizont' gebe, haben mich vorsichtig gemacht. Gibt es z.B. den Germanicus-Horizont nicht, kann auch die Schlacht nicht an der Stelle gewesen sein. Allerdings bezweifele ich, dass die Aussage zum Germanicus-Horizont so stimmt. Da sammele ich mittlerweile lieber Fakten und Theorien. Und wenn ich davon höre, dass jemand davon überzeugt ist, dass Bäume angesägt wurden, ist es durchaus wichtig, dass ein Zeitgenosse von einem solchen Vorkommnis berichtet, während z.B. Shakespeare mogeln muss, um einen Wald glaubwürdig zu bewegen. Das heißt aber noch nicht, dass ich mich der Theorie anschließe.

Das halte ich für einigermaßen plausibel, wiewohl überhaupt nicht gesagt ist, dass die Germanen wirklich weniger Krieger hatten, als die Römer Soldaten. Heiko Steuer hat in einer Veröffentlichung von 1997 mal anhand der archäologisch nachgewiesenen Siedlungsdichte und durchschnittlichen Hofstellengröße hochgerechnet, wie viele Krieger die Germanen theoretisch hätten aufbringen können. Ich meine, seine errechnete Bevölkerung wäre in die Millionen gegangen und die Anzahl der theoretisch rekrutierbaren Krieger in die Hunderttausende.

Mir ist durchaus bekannt, dass heute von einer größeren Einwohnerzahl ausgegangen wird. Das beseitigt aber nicht die logistischen Probleme. Auch ist Delbrück bei Rechnungen zu seinen 'kleinen Heereszahlen' meist von Wirtschafts- und Organisationsformen des 19. Jahrhunderts ausgegangen. Aber auch das ändert nichts an den organisatorischen Anforderungen eines Heeres. Arminius hat sicher in römischen Diensten einen Einblick erhalten. Allerdings ist es ziemlich unwahrscheinlich, dass er es den Anführern der beteiligten Stämme vermitteln konnte. Aber wir sind ja nicht auf Mutmaßungen angewiesen. Sollen nicht gleichzeitig alle Lager und Posten überfallen worden sein? Auch wenn man auf den Handstreich und nicht auf Sturm oder Belagerung setzte, wurden dabei Truppen gebunden. Es ging ja nicht nur um die vielleicht 20.000 Mann, die Varus höchstens bei sich hatte. Und schon Delbrück hat festgestellt, dass die Germanen bei der Schlacht am Angrivarierwall plötzlich verschwunden waren. Er wollte die Schlacht beim Mythos einordnen. Allerdings stellte er auch dar, dass die Germanen ihre Truppen nur für 3-4 Tage zusammenhalten konnten. Wenn diese Schätzung auch übertrieben sein mag, hat Cäsar dies vor Alesia auch erlebt: Selbst, wenn man nicht wirklich von 250.000 Kelten ausgehen will, musste die zusammengezogene Masse doch nach einigen Tagen unverrichteter Dinge wieder abziehen. Weder wusste man sie einzusetzen, noch konnte man sie länger an einem Punkt verpflegen. War der Weg des Heeres aber bekannt, konnte man die Truppen entlang des Marschweges passend verteilen und sogar später durch andere ersetzen lassen. Letzteres wird bei einer nur 3tägigen Aktion nicht notwendig gewesen sein und wäre auch viel schwieriger zu Koordinieren als mehrere Angriffe zu bestimmter Zeit.

Dann wurde der Nutzen von großen Heeren in der Antike von den Militärschriftstellern bestritten. Auch die Überprüfung an der Wirklichkeit hält dies stand. Selten werden größere Heere zusammengezogen. Germanicus wäre ein Beispiel. Aber auch er hält seine 80.000 Mann nur kurzzeitig zusammen.
 
Hallo Segimerus,

El Quijote wird sich daran stören, dass solche Hypothesen rasch dazu führen, dass Geschichte ausgeschrieben wird, wie es Cassius Dio mit der Varusschlacht getan hat und wie es auch mit der Schlacht von Badajoz geschah.

Delbrück z.B. ging vom Viehbesitz und den Hofgrößen des 19. Jh. aus. Er berücksichtigte nicht, dass die Wirtschaftsweise und die damit zusammenhängenden Hofgrößen im Frühmittelalter ganz andere waren. Vereinfacht gesagt: Es gab mehr Vieh pro Hof als er annahm. Daher ging er davon aus, dass schon ein einfacher Krieger das Vieh eines Dorfes aufwenden musste, um sich auszurüsten. Dann wurden Organisationsweisen des Frühmittelalters, bzw. der Völkerwanderungszeit auf die Zeit um Christi Geburt übertragen. Daraus errechnete man dann die Bevölkerungszahlen. In allen Fällen nimmt man einen Fakt anderer Zeitstellung oder anderen Zusammenhangs und induziert ihn ohne Grund in die Quelle. Oder man unterlegt Begriffe mit Zusatzbedeutungen indem man berichtet, was man für die fraglichen Ereignisse für typisch hält. In der Tat ist dies sogar eine der typischen Erscheinungen bei der Beschreibung von Schlachten: Wenn man vom Ablauf nichts genaueres weis, kann man immer noch vom Klirren der Schwerter und dem Schmettern der Hörner berichten. War da nicht ein Sturm? Der hat unsere Jungs bestimmt behindert und den Feind begünstigt. War da nicht was ähnliches mit den Kelten? Hm, passt nicht, aber im Sturm fallen tatsächlich Bäume um ... (Dio muss das nicht so konstruiert haben, es ist aber möglich und dient hier der Illustration.)

Genauso ist es mit den verbundenen Händen. Es kann viele Gründe geben, dass die Knochen nicht durcheinander gerieten. Es muss nicht auf Verbände hinweisen. Daher kann man auch nicht schließen, dass es nicht der erste Tag der Schlacht war. Dies zu behaupten ist lediglich ein Ausschreiben der Geschichte, wie es auch berühmten Historikern hin und wieder passieren kann. Die Annahme, dass Verbände im Spiel waren ist durchaus zulässig. Aber darauf kann man eben keine weiteren Schlüsse, wie den, dass es schon einen Schlachttag gegeben haben muss, gründen. Denn die Annahme ist nicht bewiesen.

Damit entfällt auch das von Dir angenommene Problem.

Vale!
 
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Das den Römern das erscheinen und verschwinden germanischer Krieger "Elbengleich" erschien, ist durchaus möglich. Vergleiche ich die persönliche Ausrüstung, ist auch im direkten Kampf Mann gegen Mann für einen Germanen dann ein flinker Fuß angesagt, wenn der Römer festen Stand hat. Stehen beide auf Ästen etc. bz liegt überall Geäst rum, gut, schade um die Gesundheit des Römers.
DAS ändert aber nun nichts daran, das wettermäßig und vom Untergrund her Cassius Dio unheimlich und Tacitus einwenig "geflunkert "haben müssen. Bzw. das wir das falsch verstehen.
Denn auch Germanen sind normale Menschen und ohne große Not, und die hatten die Germanen nicht, geht bei richtig Sturm kein normaler Mensch in den Wald.

Das der ganze Marsch für die Römer schrecklich war, okay, mit so einem Haufen Menschen durch eine Gegend, in der vom Sturm gefällte Bäume liegen (Windbruch übern Weg, und das auf der Strecke nicht nur einer), tiefer Boden usw. , das will ich gerne glauben.
Und auch , das an jeder von diesen Stelle etliche Germanen auf den Zug warteten bzw die Mitte des Zuges an solchen Stellen angriffen und das beträchtliche Opfer unter den Römern gefordert hat.
Aber ansonsten übetreiben beide bei solchen Beschreibungen. Vielleicht auch schon ihre Quellen, denn bei solchen Aktionen werden aus 3-4 Windbrüchen auch mal "Überall lagen Bäume und Äste und der ganze Weg ein einziger Sumpf"
Für die beteiligten Römer war das immerhin ein Todesmarsch mit der "Gewissheit" ,auch bei Erfahrenen, "hier kommen wir nicht lebend raus"...
 
Faktum ist: Nach Norden hin gibt es Spitzgräben und eine rasierte Fläche, nach Süden hin Drainangegräben von einer Tiefe zwischen 5 und 50 cm.
2 x 3 macht 4
Widdewiddewitt und Drei macht Neune -
...
Es wird, weil er Mathematiker ist, nicht richtiger.


...
Ich mach' mir die Welt,
Widdewidde wie sie mir gefällt...

Die Spitzgräben befinden sich nur an den Wallenden, die zur Seite knicken. Also nicht durchgehend.

Und was sollen diese anderen Äußerungen? Wird sich hier nur über eine andere wissenschaftliche Meinung lustig gemacht?:confused:
 
So, wie Cassius Dio den Marsch der Varuslegionen beschreibt, wären die auch ohne Aufständische nie aus den "finsteren Wäldern Germaniens" wieder aufgetaucht.
Eben, man müsste mit Cassius Dio unterstellen, die Römer wären lebensunfähig gewesen.
Eure subjektiven Empfindungen bei der Dio-Lektüre in allen Ehren, aber wenn Ihr so etwas da herauslest, habt Ihr ihnen zu viel Raum gegeben. Bei Dio steht so ein – entschuldigt – Quatsch nicht.
Es ist richtig, dass Dio eine Art Gewaltmarsch beschreibt. Er spricht von der mühevollen Instandsetzung der Wege und davon, dass unterwegs erhebliches Unwetter herrschte, welches das Vorankommen und die Orientierung ziemlich erschwerte (Matsch, rumliegende und/oder herabstürzende Baumkronen usw.). Bis zu diesem Zeitpunkt, also ehe der germanische Angriff anhob, sagt Dio überhaupt nichts von irgendwelchen Verlusten bei den Römern. Und der Text bietet auch keinen Anlass anzunehmen, dass der Marsch, der Wald, das Unwetter, der Matsch, die umgestürzten Bäume oder sonst was zu irgendeiner Katastrophe für die Römer geführt hätten oder dass hierdurch nennenswerte Todesfälle zu erwarten gewesen wären; kein Wort davon und auch keine Andeutung, dass „lebensunfähige“ römische Legionen im „finsteren Wald Germaniens“ allein wegen solchen Umständen Gefahr liefen unterzugehen. Es war nach Dio einfach nur ein sehr beschwerlicher und wegen dem starken Sturm sicher auch ein nicht ungefährlicher Marsch.
Erst dann, als die Germanen beginnen anzugreifen, gibt es Tote und Verluste, bis nach einigen Tagen Kampf schließlich sogar der Untergang besiegelt ist.
Dass die Römer allein wegen Unwetter und Unwirtlichkeit der Gegend existenzielle Probleme gehabt hätten, sagt Dio weder aus, noch impliziert er es.
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[...] während die Römer gleichzeitig den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen haben, oder auch nicht die Hand vor den Augen (anders lässt sich die Behauptung, dass sie gegen Bäume gelaufen seien, wohl kaum erklären).
Doch, sie lässt sich anders erklären:
Ich lese da bei Dio im Zusammenhang sinngemäß: In den dichten Wäldern (die Dio ausdrücklich im Satz vorher extra nennt, um verständlich zu sein, also in 56, 21, 2) hatten die Römer keinen Platz, sich vernünftig zu formieren. Sie versuchten es dennoch, kamen aber natürlich in Formation nicht gut zwischen den Bäumen durch, ohne dass sie sich kurz 'lockern' oder eben 'durchquetschen' mussten. Warum sollen sie dabei nicht gegeneinander oder auch gegen die Bäume gestoßen sein?
Und ich füge hinzu: Nach Dio 56, 21, 1-2 ging der Marsch der Römer am zweiten Tag (nachdem die „gelockerte Marschform“ am vorherigen, ersten Tag mit zu erheblichen Abwehrproblemen bei den Angriffen beigetragen hatte) „in etwas besserer Ordnung weiter, und sie erreichten, freilich nicht ohne blutige Verluste, sogar freies Gelände“. Es steht für mich außer Frage, dass die Führung die Parole herausgegeben hatte, die Legionen besser als am Vortag beisammen zu halten, klaffende Lücken zu verhindern und bei einem Angriff möglichst in Formation zu kämpfen, was den Soldaten wohl sowieso als logische Konsequenz des Vortages gegolten haben muss und was auf dem „freien Gelände“ auch sogleich praktiziert werden konnte und wurde (Angriffe fanden ja auch dort im freien Gelände statt, denn Dio spricht auch hier von „blutigen Verlusten“ bei den Römern). Dann heißt es weiter: „Von dort aus gerieten sie aber wieder in Wälder“, wo sie nun „die schwersten Verluste“ erlitten. Und da kommt im Text das mit dem Gegeneinander- und Gegen-Bäume-Stoßen. Die Erklärung liegt aufgrund des Textzusammenhangs auf der Hand: Im Wald versuchte man bei den Angriffen immer noch „Schulter an Schulter“ in Formation zu kämpfen. Und jetzt stelle man sich eine Römer-Einheit in Formation vor, die durch einen dt. Wald „den Feinden entgegenstürmen“ will. Da sind die Bäume im Weg. Und Berührungen untereinander und mit den Bäumen sind praktisch unvermeidbar. Dios Schilderung ist in diesem Punkte nachvollziehbar und absolut realitätsnah.
Dio schildert hier nicht eine Szene aus Asterix, wo die Römer zu doof sind, um beim gemütlichen Waldspaziergang nicht gegen einen Baum zu laufen.
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Nehmen wir aber mal an, Cassius Dio hätte sich aus den Senatsakten auf einen Zeit- und v.a. Augenzeugenbericht stützen können, wie das hier von einigen, welche den Bericht von Cassius Dio retten wollen, unterstellt wird [...]
Wovor denn retten? Vor Deinem ungerechten Urteil?


Noch mal die Frage: Gibt es irgendwo sonst Belege dafür, dass die Germanen den Naturgesetzen nicht gehorchten (und deshalb nicht von niederfallenden Baumkronen erschlagen wurden) oder dass Baumkronen beim Niederstürzen ethnische Unterschiede machen, auf wen sie fallen?
Nein dafür gibt es keine Belege. Und in dieser Hinsicht steht auch nichts bei Dio. Dass auch nur ein Mann von Baumkronen erschlagen wurde, sagt Dio mit keiner Silbe. Warum behauptest Du das eigentlich dauernd? Es mag ja möglich sein, dass herabstürzende Baumkronen an diesem Tag ein paar Römer und Germanen verletzt oder gar getötet haben; aber Dio hat nichts davon berichtet, und erst recht nichts davon, dass die Baumkronen zwischen Römern und Germanen irgendwelche Unterschiede gemacht hätten.


Meine Frage, ob die Germanen elbengleiche Supermänner gewesen seien, die über den Dingen schwebend tollpatschige Slapstick-Römer aus Zucker bekämpften, wurde gestern erst als Polemik abgetan.
Nicht abgetan, sondern erkannt.


Genau damit tippe ich mir seit Jahren die Finger wund: Der Sturm ist eine Rechtfertigung für die Niederlage, er ist nicht historisch.
Die Möglichkeit besteht, genauso wie die Möglichkeit besteht, dass der Sturm historische Tatsache war.


[...] einen unmöglichen Sachverhalt, nämlich den, dass für Römer und Germanen unterschiedliche Naturgesetze (Gravitation, Körpermechanik) gelten müssten, nähme man Cassius Dio ernst [...]
So ein Unfug steht bei Dio nicht und - um einen (ich glaube sogar Deinen) berühmten Spruch sinngemäß zu bringen - der Vorwurf wird auch nicht nur deshalb wahrer, weil Du ihn immer und immer wiederholst. An keiner Stelle sind in Dios Varusschlacht-Schilderung die Naturgesetze ausgehebelt.
Ich bin bisher von einem einzigen Punkt überzeugt worden, dass Dio hier nicht schlüssig schildert. Das ist die "Fernwaffen"-Ungereimtheit, auf die oben so hingewiesen wurde:
Als "Slapstick" würde ich es nicht bezeichnen, aber etwas merkwürdig ist es schon:

Am vierten Tag werden "heftiger Regen und starker Wind" als Begründung dafür genannt, dass die Römer ihre Bogen und Speere nicht einsetzen konnten.

Aber schon am ersten Tag herrschen "starker Regen und Sturm". Das hält die Germanen nicht davon ab, ihren Angriff zu beginnen, indem sie "aus der Ferne schießen".

Über welche wetterunabhängigen Schusswaffen verfügten die Germanen? Das verrät uns Cassius Dio leider nicht.
 
Doch, sie lässt sich anders erklären:
Ich lese da bei Dio im Zusammenhang sinngemäß: In den dichten Wäldern (die Dio ausdrücklich im Satz vorher extra nennt, um verständlich zu sein, also in 56, 21, 2) hatten die Römer keinen Platz, sich vernünftig zu formieren. Sie versuchten es dennoch, kamen aber natürlich in Formation nicht gut zwischen den Bäumen durch, ohne dass sie sich kurz 'lockern' oder eben 'durchquetschen' mussten. Warum sollen sie dabei nicht gegeneinander oder auch gegen die Bäume gestoßen sein?
Dazu habe ich auch schon was geschrieben.
Jetzt schreibst Du es aber selber, nur die Konsequenz ziehst Du nicht:

Im Wald versuchte man bei den Angriffen immer noch „Schulter an Schulter“ in Formation zu kämpfen. Und jetzt stelle man sich eine Römer-Einheit in Formation vor, die durch einen dt. Wald „den Feinden entgegenstürmen“ will. Da sind die Bäume im Weg. Und Berührungen untereinander und mit den Bäumen sind praktisch unvermeidbar.
Dass die Römer es trotzdem "Schulter an Schulter" versuchen, obwohl sie sehen, dass da Bäume stehen, gegen die man zwangsläufig prallen muss, wie findest Du das?
Eher vernünftig oder eher doof?
 
Die Frage ist ja aber auch, warum sich Dio Antigravitations-Germanen hätte ausdenken sollen? Für was für ein Publikum waren seine Werke gedacht? Wer hätte ihm so eine Story glauben sollen? Zu Anfang des 3. Jahrhunderts waren Germanen längst nicht mehr irgend ein unheimlicher Stamm nördlich der Alpen, die Römer kannten ihre Nachbarn von der anderen Seite des Limes auf Grund von Beutezügen ins Imperium als sehr gefährliche Raubmörder, aber dass für Germanen keine gesonderten Naturgesetze galten wussten die Römer auch. Warum also hätte sich Dio, dessen Anspruch ja wohl eine möglichst exakte Chronologie der römische Geschichte war, sich Science Fiction Stories ausdenken sollen? Hätte er einen Grund gehabt, eine Niederlage zu rechtfertigen, die 2 Jahrhunderte zurück lag? Gibt es andere Stellen in Dios umfangreichen Werk, in die man bewusste Übertreibungen hineininterpretieren könnte?

Eine südeuropäisch ausgerüstete (für trockenes Klima optimierte Waffen) und mit südeuropäischer Taktik (Formation) kämpfende Armee hatte Probleme im mitteleuropäischen Urwald. Traurig aber wahr. Eine Comitatenses Armee hätte den Germanen salopp gesagt in den Hintern getreten. Die Anpassung der römischen Armee an den mitteleuropäischen Naturraum war aber zu Beginn des 1. Jahrhunderts noch nicht erfolgt.
 
Nein dafür gibt es keine Belege. Und in dieser Hinsicht steht auch nichts bei Dio. Dass auch nur ein Mann von Baumkronen erschlagen wurde, sagt Dio mit keiner Silbe. Warum behauptest Du das eigentlich dauernd? Es mag ja möglich sein, dass herabstürzende Baumkronen an diesem Tag ein paar Römer und Germanen verletzt oder gar getötet haben; aber Dio hat nichts davon berichtet, und erst recht nichts davon, dass die Baumkronen zwischen Römern und Germanen irgendwelche Unterschiede gemacht hätten.

Ich glaube, El Quijote wollte Cassius Dio nicht unterstellen, dass die herabstürzenden Baumkronen nur Römer, aber keine Germanen erschlagen hätten.
Die Sache ist die: Ein Aufenthalt im Wald während eines Orkans ist lebensgefährlich. Wer in so eine missliche Situation gerät, muss auf die Baumkronen aufpassen. Ich kann nun nicht gut auf einen Gegner zielen, wenn ich gleichzeitig auf die tödliche Bedrohung von oben aufpassen muss.
Cassius schreibt nun, dass die Römer das Problem mit den Baumkronen hatten, während die Germanen - offensichtlich ungehindert - planmäßig gegen die Römer vorrücken und auf sie schießen.
Wenn El Quijote darauf hinauswill, dass die Gefahr durch herabstürzende Baumkronen nur die Römer verwirrt, die Germanen aber nicht, kann ich das gut nachvollziehen.
 
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Warum also hätte sich Dio, dessen Anspruch ja wohl eine möglichst exakte Chronologie der römische Geschichte war, sich Science Fiction Stories ausdenken sollen? Hätte er einen Grund gehabt, eine Niederlage zu rechtfertigen, die 2 Jahrhunderte zurück lag? Gibt es andere Stellen in Dios umfangreichen Werk, in die man bewusste Übertreibungen hineininterpretieren könnte?

Ich halte beides für eher unwahrscheinlich. Sicherlich hat sein Bericht nichts mit Science Fiction zu tun. Aber andererseits würde ich mit einer "möglichst exakten Chronologie" ebenfalls vorsichtig sein. Dio war Geschichtsschreiber, Schritsteller, der ein Publikum hatte, welches auch unterhalten werden wollte. Ich denke, daß all diese historischen Texte Übertreibungen, Ungenauigkeiten u.ä. enthalten. So ist z.B. bekannt, daß Patercullus den Tiberius nahezu als göttliches Wesen und somit ziemlich übertrieben dargestellt hat - um nur ein Beispiel zu nennen. Wir neigen heute eher dazu diese Quellentexte zu genau zu nehmen und sie somit auch tw. zu überdehnen oder auch zu verbiegen - gerade wohl auch im Hinblick auf die Varusschlacht.

Quintilian (inst. 10,1,31) weist auf eine Nähe der Geschichtsschreibung zur Poesie hin.
Und Wiegels erklärt zurecht, daß es sich bei diesen Quellen um Literatur statt Reportage handelt.

In den verschiedenen Quellentexten zur Varusschlacht gibt es Stellen, die man sicherlich mit Kalkriese in Einklang bringen kann. Andere Stellen wiederum auch nicht. Auf der anderen Seite gibt es aber den archäologischen Befund. Und der wiederum lässt sich eigentlich durchaus mit den Quellen in Verbindung bringen.:winke:
 
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und ich habe eben genau diesen Sturm auch infrage gestellt! Warum hast du damit dann ein solches Problem?

Bis dahin habe ich gar kein Problem. Es fängt erst da an. Und das habe ich dir auch schon auf deinen ersten Beitrag hin geschrieben. Du versuchst unrettbare Passagen bei Cassius Dio zu retten, indem du den historischen Narrativ ignorierst (Wilfried hat das schön zusammengefasst, auch wenn ich mit ihm nicht in allem einer Meinung bin: Man hätte sich bei dieser Schilderung schon wundern müssen, dass die Römer auch ganz ohne germanische Angriffe überhaupt aus Germanien herausgefunden hätten) und versuchst andere, durch die Quelle nicht gedeckte Gründe für das Niederstürzen der Baumkronen zu finden, welche die textinterne Diskrepanz, dass die Germanen unbehelligt durch den dichtesten Wald laufen können, während die Römer am gleichen Ort von Baumkronen erschlagen werden, auflösen.
Das ist Kritikpunkt Nr. 1.
Kritikpunkt Nr. 2 ist, dass du willkürliche Teile des Textes nimmst und für wahr erklärst und andere ignorierst, je nachdem, wie es dir gerade für deine Hypothese in den Kram passt und sie geeignet sind, deine Hypothese zu stützen oder eben gerade nicht.

Um aber das glaubwürdig infrage stellen zu können muß man Alternativen anbieten.
Wo steht das geschrieben, dass man textinterne Widersprüche mit phantasievollen Geschichten ausfüllen muss?
Das Herabstürzen der Bäume ist an den Sturm gebunden. Kein Sturm, kein Herabstürzen der Bäume. Alles andere: Willkür.


OK, dann nennen wir das eben Hypothese, da ist für mich jetzt außer dem Wort nicht wirklich ein Unterschied.
Der Unterschied ist riesig. Eine Hypothese ist eine Annahme, eine Theorie ein Lehrgebäude.

Warum nicht? Hypothesen kann ich soviele aufstellen wie ich lustig bin und ich kann von diesen Hypothesen dann auch ableiten was will.
Es gibt natürlich im Bürgerlichen Gesetzbuch nichts was dagegen spricht.
Wissenschafts- und erkenntnistheoretisch ist das jedoch bereits seit Kant, erst recht aber mit Popper ein No-Go! Man spricht hier auch von ad-hoc-Hypothesen oder Hilfshypothesen. Manche Wissenschafttheoretiker unterscheiden auch zwischen Hilfs- und ad-hoc-Hypothesen, bei ihnen sind ad-hoc-Hypothesen Hilfshypothesen, deren Ziel es ist, eine Hypothese gegen Kritik zu immunisieren.

Velleius hat sich auf kein anderes Werk bezogen, er hat gesagt dass andere (Mehrzahl) das auch bereits geschrieben haben. Wen er mit diesen anderen gemeint hat ist zumindest mir unbekannt.
Auf die Gefahr hin, dass du mir Wiederholung vorwirfst. So klar, wie in der ÜS von Marion Giebel, ist die lateinische Stelle nicht. Velleius muss sich gar nicht auf Werke beziehen, welche die Varusschlacht behandeln.
"Traduttore tradittore" sagen die Italiener: Der Übersetzer übt Verrat am Originaltext. Wie man etwas übersetzt, ist immer eine Frage der Interpretation. Deshalb müssen Geschichtsstudenten auch spätestens zum Ende des Grundstudiums das Latinum nachweisen, damit sie nämlich zumindest auf dem Papier in der Lage sind, sich unabhängig von Quellenübersetzungen zu machen. Wenn man seine Argumentation auf eine Stelle aus einem Text stützt, dann sollte man auch sicher sein, dass die Stelle korrekt übersetzt ist bzw. dass die Stelle keine andere Interpretation als die des Übersetzers zulässt.

Tacitus hat meines Wissens nicht über die Varusschlacht geschrieben sondern über die Germanicusfeldzüge.
Das ist korrekt. Es wird aber mehrfach auf die Varusschalcht Bezug genommen, bei der Begehung des Schlachtfeldes, die garniert wird von Schilderungen Überlebender sowie bei der Schlacht an den pontes longi, bei der Taictus Caecina einen Traum andichtet, dass Varus ihn habe in den Sumpf ziehen wollen (Tac. ann. I, 65, 2) und bei der Arminius in den Mund gelegten Rede vom Untergang der Varuslegion, welche man nun wiederholen könne (Tac. ann. I, 65, 4)

Ich kann verstehen dass du hier versuchst entsprechende Parallelen aufzubauen aber
1. ist mir das völlig egal was wann in Spanien war
2. habe ich von spanischer Geschichte überhaupt keine Ahnung
3. hat das überhaupt nichts damit zu tun ob meine Hypothese möglich ist
Der erste Punkt ist schade, der zweite ist nicht weiter schlimm. Aber vielleicht ist dir ja trotz deines Sträubens die Parallele zwischen der Cassionischen Entwicklung der Geschichte von der Varusschlacht und der maghribinischen Entwicklung von der Geschichte der Schlacht von Sagrajas/Sacralias/az-Zallaqa aufgefallen: Je weiter man sich zeitlich von der Schlacht entfernt, desto mehr schießen die Behauptungen und Ausschmückungen ins Kraut. Eben genau wie bei Cassius Dio und der Varusschlacht.


Die Spitzgräben befinden sich nur an den Wallenden, die zur Seite knicken. Also nicht durchgehend.
Wer hat das behauptet?
Behauptet wurde doch vielmehr, dass die Drainagegräben auf der Südseite des Walls, die kaum einen halben Meter breit und vielfach gerade mal 5 – 10 cm tief, an einzelnen Sammelpunkten bis zu 50 cm tief in den Boden reichen, ernstzunehmende Annäherungshindernisse seien.


Wovor denn retten? Vor Deinem ungerechten Urteil?

Wieso ist mein Urteil ungerecht, wenn ich feststelle, das Cassius Dio offensichtlich die Naturgesetze für die Römer gelten lässt, für die Germanen aber nicht?

Nein dafür gibt es keine Belege. Und in dieser Hinsicht steht auch nichts bei Dio. Dass auch nur ein Mann von Baumkronen erschlagen wurde, sagt Dio mit keiner Silbe. Warum behauptest Du das eigentlich dauernd? Es mag ja möglich sein, dass herabstürzende Baumkronen an diesem Tag ein paar Römer und Germanen verletzt oder gar getötet haben; aber Dio hat nichts davon berichtet, und erst recht nichts davon, dass die Baumkronen zwischen Römern und Germanen irgendwelche Unterschiede gemacht hätten.

Komisch, Xander und Sepiola verstehen mich:


Ich glaube, El Quijote wollte Cassius Dio nicht unterstellen, dass die herabstürzenden Baumkronen nur Römer, aber keine Germanen erschlagen hätten.
Die Sache ist die: Ein Aufenthalt im Wald während eines Orkans ist lebensgefährlich. Wer in so eine missliche Situation gerät, muss auf die Baumkronen aufpassen. Ich kann nun nicht gut auf einen Gegner zielen, wenn ich gleichzeitig auf die tödliche Bedrohung von oben aufpassen muss.
Cassius schreibt nun, dass die Römer das Problem mit den Baumkronen hatten, während die Germanen - offensichtlich ungehindert - planmäßig gegen die Römer vorrücken und auf sie schießen.
Wenn El Quijote darauf hinauswill, dass die Gefahr durch herabstürzende Baumkronen nur die Römer verwirrt, die Germanen aber nicht, kann ich das gut nachvollziehen.

Dass die Römer es trotzdem "Schulter an Schulter" versuchen, obwohl sie sehen, dass da Bäume stehen, gegen die man zwangsläufig prallen muss, wie findest Du das?
Eher vernünftig oder eher doof?

Wenn man sich einen Kampf mit den Römern liefern will, ist ein Sturm im Wald wohl weniger gefährlich! :rolleyes:


Kann ja nicht ganz so abwegig sein, was ich schreibe.


So ein Unfug steht bei Dio nicht […] An keiner Stelle sind in Dios Varusschlacht-Schilderung die Naturgesetze ausgehebelt.

Natürlich schreibt Dio das nicht wortwörtlich, hat ja auch niemand behauptet. Wenn man den cassionischen Text aber ernst nimmt, dann steht genau das da. Der Sturm behindert die Römer, die bewegungsunfähig und blind werden, ihre Waffen nicht mehr gebrauchen können, während die Germanen in demselben Wetter an demselben Ort sich frei bewegen können. Natürlich mildert Cassius Dio das ein klein wenig ab, aber letztendlich ist das der Kern seiner Schilderung. Der Sturm hat einen niederschmetternden Effekt auf die Römer, gar keinen auf die Germanen.
Nehmen wir einen Buchenwald an. Buchenwälder werden auch als Kathedralwälder bezeichnet, sie sind sortenarm und die Buchen neigen dazu, hoch aufzuschießen, also wie Säulen und Fenster in einer gotischen Kathedrale: In einem Buchenwald würden Römer in ihrer gewohnten Form agieren können.
Anders sieht es in einem Fichtenwald aus. Hier wäre ein Kampf Mann gegen Mann wohl die einzige Möglichkeit. Die Chancen wären hierbei aber gleichermaßen verteilt, der ungerüstete Germane, der nur Textilien am Körper hat, wäre sogar im Nachteil gegen den Römer in seiner Rüstung. Durch das Buschwerk würden beide gleichermaßen behindert. Das römische Kurzschwert zum zustoßen wäre wahrscheinlich im dichten Gebüsch sogar besser geeignet, als das germanische Hiebschwert.
Wenn man sich mal von der Vorstellung Germaniens als Barabaricum mit Urwäldern löst, wie es uns die antiken Historiographen überliefern, und zu dem kommt, was die Pollenanalyse seit den 1920er Jahren nahelegt, nämlich, dass die Gegend kultiviert war, die meisten Wälder Hudewälder (also Laubwälder ohne dichtes Unterholz, Kathedralwälder) waren, dann muss man auch hier Cassius Dio in Frage stellen.


Eine südeuropäisch ausgerüstete (für trockenes Klima optimierte Waffen) und mit südeuropäischer Taktik (Formation) kämpfende Armee hatte Probleme im mitteleuropäischen Urwald. Traurig aber wahr. Eine Comitatenses Armee hätte den Germanen salopp gesagt in den Hintern getreten. Die Anpassung der römischen Armee an den mitteleuropäischen Naturraum war aber zu Beginn des 1. Jahrhunderts noch nicht erfolgt.


Diese südeuropäisch ausgerüstete Armee mit für trockenes Klima optimierten Waffen (ich hab in Italien (Toskana) und Spanien (Andalusien) schon Regenfälle erlebt – wobei die Regenfälle in Andalusien, das war von November bis März, also nicht zur Zeit des Kriegszuges vormoderner Zeiten – in meinem Gefühl allerdings von November bis März durchgängig) konnte auf Erfahrungen und Erfolge in der entsprechenden Klimazone von gut siebzig Jahren zurückblicken und zum Urwald habe ich oben schon das Notwendige geschrieben.


Die Frage ist ja aber auch, warum sich Dio Antigravitations-Germanen hätte ausdenken sollen?
Eine sehr schöne Formulierung.


Quintilian (inst. 10,1,31) weist auf eine Nähe der Geschichtsschreibung zur Poesie hin.
Und Wiegels erklärt zurecht, daß es sich bei diesen Quellen um Literatur statt Reportage handelt.
Und vor allem waren die antiken Historiographen keine modernen Geschichtswissenschaftler.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wer hat das behauptet?
Behauptet wurde doch vielmehr, dass die Drainagegräben auf der Südseite des Walls, die kaum einen halben Meter breit und vielfach gerade mal 5 – 10 cm tief, an einzelnen Sammelpunkten bis zu 50 cm tief in den Boden reichen, ernstzunehmende Annäherungshindernisse seien.

Somit kann man anhand der Spitzgräben keine eindeutige Ausrichtung des Walls festlegen. Und ein Drainagegraben muß erstmal passiert werden, um auf den Wall zu gelangen. Du kannst es drehen und wenden, es bleibt dabei, wie Dräger es gesagt hat, es gibt keine eindeutige Ausrichtung des Walls. Man kann ihn somit als römisch, wie jetzt Schlüter, oder als germanisch, wie Wilbers-Rost ansehen. Den wissenschaftlichen Beweis gibt es nicht, der die einzig wahre Meinung belegen kann. :grübel:

Ich halte es nur für erstaunlich, daß ein langjähriger Kalkriese-Forscher den Wall plötzlich anders deutet und seinen bisherigen Behauptung als Irrtum herausstellt. Dazu gehört auch eine ordentliche Portion Mut.
 
Ich halte es nur für erstaunlich, daß ein langjähriger Kalkriese-Forscher den Wall plötzlich anders deutet und seinen bisherigen Behauptung als Irrtum herausstellt. Dazu gehört auch eine ordentliche Portion Mut.

Der Begriff "Irrtum" ist m. E. nicht angebracht. Schlüter (der Archäologe, nicht der Rechtsanwalt ;)) wird in dem von Neddy verlinkten Artikel (s. http://www.geschichtsforum.de/709433-post3335.html) so zusammengefaßt, dass es sich um eine neue Theorie handelt.

Das Problem ist, dass dieser Wall weder so richtig germanisch noch so richtig römisch zu sein scheint. Da wohl römisch beeinflußte Hilfstruppen der Germanen auf Seiten der Aufständischen gekämpft haben, haben diese vielleicht auch römische Wallbaumethoden übernommen bzw. modifiziert. Vielleicht wurde der Wall auch von Germanen in der römischen Legion, die loyal geblieben sind, gebaut. Vielleicht wurde der Wall auch in einer Gefechtssituation unter Vernachlässigung der römischen Praxis ad-hoc errichtet. Vielleicht, vielleicht, vielleicht...

:fs:
 
Festzuhalten ist, daß der Wall in kurzfristiger Zeit aus den direkt vor Ort gegebenen Mitteln erbaut wurde. Dabei kann es unter bestimmten Bedingungen zu diversen Notlösungen gekommen sein. Das Material im Wall war somit auch nicht immer einheitlich, sondern es wurde auch "auf Sand gebaut". Das wurde einmal bei einem Vortrag, ich glaube das war in Detmold, so dargestellt.
 
Hätte er einen Grund gehabt, eine Niederlage zu rechtfertigen, die 2 Jahrhunderte zurück lag?
Drei Legionen gehen ja nicht - upps! - eben mal verloren. Alle antiken Schriftsteller, die über die Schlacht schreiben, bemühen sich, Gründe für die Niederlage zu nennen: Wie konnte es passieren, dass die "die tapferste Armee von allen, führend unter den römischen Truppen, was Disziplin, Tapferkeit und Kriegserfahrung angeht" (Velleius Paterculus) so in die Pfanne gehauen wurde? Drei Gründe nennt Velleius Paterculus: Die Gleichgültigkeit des Führers, die betrügerische List des Feindes und die Ungunst des Schicksals.
Die Zeitgenossen betonen vor allem die Hinterhältigkeit des Feindes, 100 Jahre später erscheint im Rückblick eher Varus mit seinem sträflichen Leichtsinn als Buhmann.
Nochmal 100 Jahre später macht sich Cassius Dio daran, die "Ungunst des Schicksals" auszumalen.
Was bietet sich an? Das Wetter.
Die römische Geschichte kennt kaum einen Sieg ohne Beteiligung der Meteorologie. Sie kam Hannibal an der Trebia und bei Cannae zugute, den Römern am Collinischen Tor. Der Himmel half beim Kampf gegen Antiochos wie gegen Perseus, er unterstützte zunächst die siegreichen Teutonen, dann Marius. Das Wetter war auf Seiten Caesars bei Pharsalos, auf Seiten Octavians bei Actium. Quinctilius Varus ist eigentlich nicht von Arminius, sondern vom germanischen Regen besiegt worden. Josephus führt die Eroberung von Gamala und von Jerusalem, Cassius Dio den Sieg von Domitians Legaten über Antonius Saturninus auf Unwetter zurück. Gott war mit Rom. Trajan vor Hatra, Marc Aurel im Quadenlande, Septimius Severus im Taurus - immer stehen die Wettermächte mit den Siegern im Bunde, mit Constantin im Kampf bei Crysopolis gegen Licinius, mit Constantius II bei der Schlacht um Singara gegen Sapor II, mit diesem, laut Sozomenos (VI 1,13) gegen den Apostaten Julian und mit Anastasius gemäß Priscian (paneg. 38 f) gegen die Isaurier.

Es fehlt nicht an Beispielen aus späterer Zeit für diesen Topos. Wenn Napoleon am 3. März, am 20. Juli und am 24. August 1816 gegenüber Las Cases klagte, er sei von den Naturgewalten besiegt worden, wenn Hitlers Rußlandfeldzug nur an "General Winter" scheiterte, so zeigt dies, daß auch der Unterlegene die Vorstellung schätzt. Das Eingreifen der Naturgewalten erweist die schicksalhafte Entscheidung, die den Sieger verklärt und den Besiegten entlastet.
Alexander Demandt, Römische Entscheidungsschlachten. Gedanken zum Sieg am Frigidus (1996)
 
Dazu habe ich auch schon was geschrieben.
Jetzt schreibst Du es aber selber [...]

Richtig, ich hatte mir Deinen Hinweis durch den Kopf gehen lassen und den Gedanken mit berücksichtigt.

[...] nur die Konsequenz ziehst Du nicht:

Dass die Römer es trotzdem "Schulter an Schulter" versuchen, obwohl sie sehen, dass da Bäume stehen, gegen die man zwangsläufig prallen muss, wie findest Du das?
Eher vernünftig oder eher doof?

Finde ich genau wie Du "eher doof" bzw. ziemlich unpassend als vernünftig. Und auch Dio oder seine Quelle wird das wohl in diese Richtung beurteilt haben. Immerhin steht da, dass diese Taktik im Wald nicht funktionierte und mitverantwortlich für die "schwersten Verluste" war (zumindest Vehs Übersetzung stellt einen kausalen Zusammenhang her; müsste man mal im griech. Text nachschauen).

Ich kann mir schlecht vorstellen, dass der einzelne Legionär sich in der Angriffssituation selbst entscheiden konnte/ durfte, welche Taktik er in diesem Fall für sich selbst als angemessen betrachtet und anwenden möchte. Ich denke die Legionäre handelten gemäß den Befehlen ihrer Befehlshaber, die wiederum gemäß den Befehlen der Legionslegaten, welche wiederum mit dem Heerführer im Nachtlager die Taktik, beim Weitermarsch die Truppen so nahe wie möglich beisammen zu halten und sich bei Angriffen konsequent zu formieren, abgesprochen haben werden, angesichts des Desasters am Vortag, als man sich eben nicht formiert hatte (und aufgrund der Länge des Zugs wohl auch nicht konnte) und es zu der ungünstigen Situation kam, dass die Germanen am jeweiligen Streckenabschnitt in der Überzahl waren. Auf jenem "freien Gelände", über das man am 2. Tag marschierte, zahlte sich die Formations-Kampfweise sicherlich auch aus. Als man dann aber irgendwann wieder in den Wald kam, war sie ungünstig. Aber der einzelne Legionär konnte jetzt kaum ad hoc entscheiden, sich halt mal aus der Formation zu lösen und mal ne ganz andere Taktik auszuprobieren. Ich will damit sagen: Es wird sich nicht um tausende Fehlentscheidungen handeln, die in der akuten Situation getroffen wurden (was tatsächlich ziemlich unglaublich wäre), sondern eher um eine Fehlentscheidung, nämlich die der Heerführung. Das diese eine solche Order herausgegeben hatte, ließe sich angesichts des Verlaufs der Kampfhandlungen am Vortag in meinen Augen schon einigermaßen erklären.
Ich vermag nicht zu beurteilen, ob das Formieren im Wald (im Gegensatz zu "Mann gegen Mann" oder so) eine echte Fehlentscheidung der Heerführung war oder ob hiermit bloß eines von verschiedenen Übel gewählt wurde, in der Hoffnung es sei das kleinere. Denn dass die Formations-Kampfweise für einen dichten Wald nicht wie geschaffen war, muss der Führung ohne Frage klar gewesen sein. Nur, vielleicht versprach man sich von anderen potentiellen Taktiken noch weniger Erfolg - ob zurecht oder zu unrecht, kann ich nicht beurteilen.

In der Konsequenz heißt das für mich:
Es besteht in der Tat eine Merkwürdigkeit. Diese Merkwürdigkeit ist aber nun nicht die, dass es irgendwie unrealistisch oder albern wäre, dass die Soldaten am 2. Tag im Wald gegeneinander und gegen Bäume stießen, sondern dass man die Formations-Kampfweise als Mittel, um am besten in den Gefechten bestehen zu können, wählte. Es kann sich hierbei um eine Fehleinschätzung der Heerführung handeln (wie gesagt, kann ich letztlich nicht beurteilen). Die Tatsache jedenfalls, dass diese Merkwürdigkeit besteht, führt logisch betrachtet beileibe nicht zwingend zu dem Schluss, dass Dio an diesem Punkte Unwahres zusammengereimt hat; und dann will ich ihm das auch nicht ohne weiteres vorwerfen.
 
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Komisch, Xander und Sepiola verstehen mich:
Wobei es dann schon eine ziemliche Leistung von Sepiola war, Dich richtig zu verstehen;):
Gibt es irgendwo sonst Belege dafür, dass die Germanen den Naturgesetzen nicht gehorchten (und deshalb nicht von niederfallenden Baumkronen erschlagen wurden) oder dass Baumkronen beim Niederstürzen ethnische Unterschiede machen, auf wen sie fallen?
Ich glaube, El Quijote wollte Cassius Dio nicht unterstellen, dass die herabstürzenden Baumkronen nur Römer, aber keine Germanen erschlagen hätten.

Aber mein erhitztes Gemüt hat sich mittlerweile wieder abgekühlt und ich muss mir wohl eingestehen, dass ich mehrere Deiner Formulierungen zu ernst genommen habe. Ich hoffe ich liege nicht falsch, wenn ich das jetzt so auffasse, dass Du um der Verdeutlichung willen solche Dinge deutlich übertrieben formuliert hast.

Wenn dem so sein sollte, entschuldige ich mich für meinen gereizten Ton in Beitrag #3415 - natürlich auch bei @Wilfried – der Carolus' Worten so gar nicht würdig war:
Beim Lesen der letzten Postings habe ich den Eindruck gewonnen, dass wohl das Thema ein wenig "abfärbt" und der Ton etwas aggressiver wird.:motz:

Vielleicht sollte man da ein wenig emotionsloser diskutieren. Wir wollen ja schließlich nicht die Schlacht fortsetzen.:winke:
 
Warum weiß Cassius Dio so viel mehr über die Schlacht, als alle anderen Autoren und warum finden wir nichts von dem Sondergut auch nur angedeutet in zeitnäheren Quellen?

Alle anderen Quellen schreiben von Wäldern und Sümpfen.
Cassius Dio schreibt von engen Tälern und Schluchten (und Wäldern und Sümpfen)
Niemand weiß etwas vom Wetter, Cassius Dio schreibt von Regen und Sturm (der die Römer verwirrt, aber den (elbengleichen :still:) Germanen nichts anhaben kann).
Die verbrannten Wagen - Sondergut von Cassius Dio.
Varus befand sich an der Weser - Sondergut von Cassius Dio.
Varus sollte auf Bitten der Germanen einen weit entfernten Aufstand niederschlagen - Sondergut von Cassius Dio.

Edit, zum Beitrag 13:30:
Ich fasse Cassius Dio tatsächlich so auf, dass er sagen will, dass Römer durch die herabstürzenden Baumkronen zumindest mehr Leid erfuhren, als dass sie nur "verwirrt" wurden, während die Germanen davon unbehelligt durch den Wald laufen können. Der Rest ist natürlich Übertreibung, aber nicht aus sich selbst heraus, sondern um die Diskrepanzen bei Cassius Dio, die texinternen Widersprüche, deutlich zu machen. Er bemüht sich immerhin um Realismus, indem er versucht plausibel zu machen, warum die Germanen durch den Regen weniger behindert wurden, als die Römer. Aber letztlich hätte das doch - technologisch gesehen - erst die Fairness zwischen den Kriegsparteien hergestellt, während das bei Cassius Dio als Nachteil für die Römer ausgedeutet wird.

Gegen die Möglichkeit, dass es geregnet hat - oder auch gegen einen Herbststurm - es ist damit zu rechnen, dass die Schlacht im September stattfand - habe ich gar nichts einzuwenden. Nur gegen die Ungleichbehandlung von Römern/Germanen durch das Wetter.
 
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Naj, irgendwie überzeugt mich dies alles nicht vom "Wahrheitsgehalt" der Quellen Tacitus und Cassius Dio.
Einmal ist kaum zeitliche Nähe vorhanden, zum anderen sind die Schilderungen zu "realistisch/dramatisch".

Überzeugt bin ich, das 9.n.Chr 3 Legionen in Germanien von Cheruskern und anderen "vernichtet" wurden. Das Varus dabei ums Leben kam, gilt für mich als ganz sicher.
Auch ziemlich sicher bin ich mir, das die Schlacht von Kalkriese zu den Schlachten gehört, die zum Abzug der Römer aus Germanien führten.

Absolut nicht sicher bin ich , das diese Schlacht bei Kalkriese auch in den antiken Quellen erwähnt wird.
 
Warum weiß Cassius Dio so viel mehr über die Schlacht, als alle anderen Autoren und warum finden wir nichts von dem Sondergut auch nur angedeutet in zeitnäheren Quellen?

Alle anderen Quellen schreiben von Wäldern und Sümpfen.
Cassius Dio schreibt von engen Tälern und Schluchten (und Wäldern und Sümpfen)
Niemand weiß etwas vom Wetter, Cassius Dio schreibt von Regen und Sturm (der die Römer verwirrt, aber den (elbengleichen :still:) Germanen nichts anhaben kann).
Die verbrannten Wagen - Sondergut von Cassius Dio.
Varus befand sich an der Weser - Sondergut von Cassius Dio.
Varus sollte auf Bitten der Germanen einen weit entfernten Aufstand niederschlagen - Sondergut von Cassius Dio.

Ich hatte mir ja damals den Umstand, dass Dio viel mehr über die Schlacht berichtet als seine uns heute noch erhaltenen "Vorgänger", in diesem Beitrag erklärt: http://www.geschichtsforum.de/669058-post16.html. Und ich kann ihn mir noch immer derart erklären.

Ich akzeptiere, dass Dich Deine eben gestellten, ernst zu nehmenden Fragen berechtigen, die historische Glaubwürdigkeit der Schlacht-Schilderung bei Dio anzuzweifeln, und bin gleichzeitig der Meinung, dass mich meine Erklärungen dazu berechtigen, Dios Schilderung nicht als unhistorisch verwerfen zu müssen.

Edit, zum Beitrag 13:30:
Ich fasse Cassius Dio tatsächlich so auf, dass er sagen will, dass Römer durch die herabstürzenden Baumkronen zumindest mehr Leid erfuhren, als dass sie nur "verwirrt" wurden, während die Germanen davon unbehelligt durch den Wald laufen können. Der Rest ist natürlich Übertreibung, aber nicht aus sich selbst heraus, sondern um die Diskrepanzen bei Cassius Dio, die texinternen Widersprüche, deutlich zu machen. Er bemüht sich immerhin um Realismus, indem er versucht plausibel zu machen, warum die Germanen durch den Regen weniger behindert wurden, als die Römer. Aber letztlich hätte das doch - technologisch gesehen - erst die Fairness zwischen den Kriegsparteien hergestellt, während das bei Cassius Dio als Nachteil für die Römer ausgedeutet wird.

Gegen die Möglichkeit, dass es geregnet hat - oder auch gegen einen Herbststurm - es ist damit zu rechnen, dass die Schlacht im September stattfand - habe ich gar nichts einzuwenden. Nur gegen die Ungleichbehandlung von Römern/Germanen durch das Wetter.

Damit kann ich mich schon viel besser anfreunden und will nur noch folgendes dazu anmerken:
Falls Dios Schilderung der Schlacht auf historischen Tatsachen basiert (was ich nicht weiß), dann müsste man, wenn man Fehldeutungen dieser Tatsachen bei Dio erblickt (welche ich nicht so krass erblicken kann wie Du), berücksichtigen, dass uns bei Dio (der vermutlich genauso wenig wie wir sagen konnte, was letztlich die wirklich entscheidenden Gründe der röm. Niederlage waren) eher falsche Deutungen des Geschehens als Tatsachen verfälschende Behauptungen begegnen, mit denen er sich und seinen Lesern die Niederlage erklärte.
Allerdings hast Du recht - und das begreife ich jetzt auch -, dass man im Zuge der Quellenkritik gucken muss, ob und wo man im Text zwischen der Schilderung des womöglich historischen Geschehens und Dios Deutungen dieses Geschehens unterscheiden kann und muss.
Edit: Vielleicht sollte ich noch dazu schreiben, was ich damit überhaupt meinte. Ich meinte, dass eventuelle Fehldeutungen des Dio nicht zwangsläufig die Glaubwürdigkeit der von ihm geschilderten Schlachtsverlauf-Ereignisse infrage stellen.
 
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