König oder Herzog ?

Armer Konrad

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Ich nehme die laufende Diskussion des Threads „Gens, exercitus, Sprache(n)“ zum Anlass, die Frage nach der ursprünglichen Herrschaftsform der germanischen Stämme zu stellen, da mich dieses Thema schon etwas länger beschäftigt und mich etwas ratlos macht. Jedenfalls kann ich sie – für mein Verständnis – nicht befriedigend beantworten. Vielleicht könnt ihr mir hier ja auf die Sprünge helfen – es geht hier letztendlich auch darum, ab welcher Stufe der Ethnogenese man aufgrund derselben Sprachgruppe auf eine gemeinsame Kultur, Religion und Soziologie schliessen darf – wenn überhaupt (auf indoeuropäischer Stufe geht ja dies zum Mindesten noch lange nicht).

Für mich ist die Frage nach den germanischen Herrschaftsstrukturen vor allem deshalb von Interesse, weil diese zu einem grossen Teil für die mittelalterliche Herrschaftspraxis (mein Interesse an Geschichte bezieht sich haupts. auf Mittelalter und frühe Neuzeit resp. Renaissance) bestimmend waren.

Zuerst einmal soweit ein kurzer Überblick, was mir bekannt ist:
Die meisten germanischen Stämme – so etwa Franken, Ostgoten, Westgoten, Langobarden, Vandalen – favorisierten ein Königtum, während andere, wie die Sachsen, Alemannen, Friesen und Thüringer – wenn überhaupt – lediglich einem Herzog gehorchten.
Die germanischen Könige legitimierten ihren Herrschaftsanspruch mit ihrer Abstammung von einem „Spitzenahn“, dessen Taten historisch-soziale Höchstleistungen darstellten. Gelegentlich war es sogar die Abkunft von einem Gott (Odin / Wotan) oder einem Monster, welches die aussergewöhnliche Substanz einer Königsfamilie genetisch verbriefte. Der fränkische König Merowech beispielsweise stammt von einem Seeungeheuer ab. Die angelsächsischen Könige (vorchristlich) leiteten ihre Abstammung von Wodan/Odin ab. Nach germanischer Auffassung war der König Heilsträger für sein Volk – der Garant für eine geordnete Welt und für den Frieden – und musste schon deshalb möglichst von göttlicher Herkunft sein. Das geht schon aus dem germanischen Begriff „künic“ (König) hervor, welches „von edler Herkunft“ bedeutet. Die Könige vermittelten das Heil der Götter, wozu sie durch ihre besondere Nähe zu diesen befähigt waren. Das Königsheil musste sich in Sieg und Erfolg offenbaren und rief, wo diese ausblieben, den Widerstand von Adel und Volk hervor. In der Idee des Gottesgnadentums schimmert dieses Königsheil noch durch – die kirchliche Weihe hatte dabei das germanische Geblütsheil (von Kalr Hauck als Geblütsheiligtum bezeichnet) ersetzt. Die Bedeutung, welcher der Abstammung bei vielen germanischen Sippenverbänden als Legitimation zur Herrschaftsausübung beigemessen wurde, verdeutlicht beispielsweise die Vorrede zum lateinischen Gesetzbuch des Langobardenkönigs Rothari aus dem Jahr 643, welche die Familiengeschichte des Königs beschwört.

Dem germanischen Königtum steht der Herzog, germanisch „herizogo“ („der mit dem Heer auszieht“), gegenüber, welcher ursprünglich nur ein für die Dauer eines Krieges oder Heerzuges gewählter Heerführer war. Für die Wahl war offenbar meist Kriegserfahrung und / oder die Grösse der persönlichen Gefolgschaft massgebend und nicht die Abstammung, welches das „Königsheil“ bedingte.

Aus diesen widersprüchlichen Konzepten habe ich mir folgende Erklärungsvarianten zusammen gebastelt, welche aber alle in mindestens einem Punkt nicht schlüssig sind.

Variante 1) Es gab germanische Stämme, welche das Königtum und damit die nach Abstammung legitimierte Herrschaft favorisierten während andere germanische Stämme das Wahl-Herzogtum bevorzugten.

Was hier – bei diesem entweder / oder u.a. stört ist die Einrichtung des Things, welches nicht nur Gerichtstag sondern auch Wahltag (eben etwa bei der Wahl eines Herzogs) war. Die Existenz eines Things verträgt sich aber nicht so recht mit einem Königtum, auch wenn dieses kein absolutes ist. Insofern würde dies bedeuten, dass beispielsweise die Ostgoten mit ihren Königen das Thing nicht kannten resp. nie in Gebrauch hatten, was ich mir aber auch nicht so recht vorstellen kann.

Variante 2) Ursprünglich kannten die germanischen Stämme keine Könige sondern nur gewählte Herzöge und erst im Verlauf der Völkerwanderung hatten die – die gewählten Herzöge – sich durchgesetzt und sich zu Erbkönigen gemacht.

Diese Variante würde beispielsweise auch erklären, weshalb die „zu Hause gebliebenen“ Sachsen nie einen König hatten sondern mit Widukind nur einen Herzog, der nicht die volle Gewalt über das Volk inne hatte (das zeigt schon der Umstand, dass nach seiner Unterwerfung unter Karl den Grossen der sächsische Widerstand teilweise noch weiter ging), während die nach England „ausgewanderten“ Sachsen Kleinkönigreiche (Wessex, Sussex etc.) mit mehr oder weniger erblichem Königtum errichteten.

Hier stört allerdings der Gedanke – abgesehen davon, dass die nicht „sehr weit gewanderten“ Franken ebenfalls das Königtum praktizierten – dass die ganze Ideologie des Königsheils und die damit verbundene göttliche Abstammung von den Anführern erst noch konstruiert werden musste. Die Tradition der göttlich legitimierten Herrschaft war jedoch schon in der Antike verbreitet und ist somit ein Ideenkomplex, der bereits vorhanden war und den man vor allem nicht so rasch „erfinden“ konnte.

Variante 3) Alle germanischen Stämme praktizierten sowohl das Königtum als auch das Wahl-Herzogtum, was man sich wohl so ähnlich vorstellen müsste wie bei den Wikingern resp. den frühmittelalterlichen Skandinaviern. In Skandinavien herrschten eine Reihe von Kleinkönigen und Jarle, die sich auf ihre Abstammung beriefen, während die sogenannten „Seekönige“ gewählte Anführer von zeitlich limitierten Kriegszügen waren (also ähnlich wie die ursprünglichen Herzöge). Das solche „Seekönige“ ebenfalls erbliche Königsdynastien bilden konnten (etwa die Rolloniden) – und dann für ihre Familie ebenfalls göttliche oder zum Mindesten exklusive Stammbäume konstruieren mussten – passt dabei ins Gesamtbild.

Gegen diese Variante spricht aber, dass beispielsweise Alemannen und Friesen nie einen König hatten - für die Alemannen ist mir mit Eticho zudem nur ein einziger Herzog bekannt.

Variante 4) Innerhalb des selben Stammes kam es zu wechselhaften Herrschaftssystemen. So musste mit der Idee von Königsheil und göttlichem Beistand keineswegs zwingend die Herrschaftsform der Monarchie einhergehen. Das zeigen z.B. die Goten. Während sich die Amaler bei den Ostgoten schon früh als allein regierende Könige durchsetzten, wurden die Westgoten von einer Oligarchie zahlreicher Kleinkönige beherrscht. Obwohl erst seit dem 4. Jahrhundert mit Ermanarich bezeugt, der laut Ammianus Marcellinus das gesamte Gotenreich beherrschte, führten die Amaler ihr Geschlecht 17 Generationen bis auf den skandinavischen Kriegsgott Gaut zurück (auch hier die vom Königsheil diktierte Abstammung).

Zusätzliche Schwierigkeiten bereitet mir der Umstand, dass der Widerspruch zwischen den Herrschaftsformen Königtum/Herzogtum offenbar nicht nur bei den germanischen sondern auch bei slawischen Stämmen zu finden ist (die ersten Piasten scheinen gewählte Herzöge gewesen zu sein). Dies würde dann immerhin widerlegen, dass gleiche Sprachgruppe = gleiche Kultur und gleiche Kultur bedeuten muss.

Das sind, verkürzt, meine Überlegungen zum Versuch, die mir widersprüchlich erscheinende germanische „Herrschaftsideologie“ einen Hut zu bringen. Befriedigen tun mich die Ergebnisse nicht – und die Thematik überfordert mich auch etwas – deshalb auch die wirre Darstellung. Gibt es eine Variante 5, die stimmiger ist ?
:confused:
 
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Ich sehe es als grundlegendes Problem an, dass du versuchst, alle "germanischen" Gruppen in ein Kulturschema zu pressen. Viel mehr als eine sprachliche Verwandschaft können wir bei vielen dieser Gruppen aber kaum belegen.
Gruppierungen wie Franken, Alemannen oder Bayern etwa sind Produkte der römischen Besatzung und entwickelten sich in der Grenzregion. Ihre Strukturen orientieren sich stark an römischen Vorbildern und Militärstrukturen.
Bei den verschiedenen Gotengruppen sind neben der Prägung durch das römische Vorbild auch die Einflüsse der Sarmaten/Alanen/Skythen nicht zu unterschätzen, während die Entwicklung in Skandinavien wieder völlig anders ausschaut.
 
Und die Benennung erfolgte von Römischer Seite. Manch ein 'rex' mag sich eher als Herzog bezeichnet haben.

Und die Beschreibung des Tacitus ist auch nicht so simpel, wie es zunächst scheinen mag, denn, wenn man genau hinschaut, erkennt man schnell, dass er sehr wohl Ethnien beschreibt, deren König so stark ist, dass vom Schema Herzog/König/Thing nicht mehr die Rede sein kann, während es bei den Cheruskern zunächst offensichtlich keinen König gab, sondern nur 2 Adelssippen, die sich dann zu nur noch einer 'stirps regia' verbanden, um sich dann in Intrigen auszulöschen. Irgendwann gelang es den Römern, einen König bei den Cheruskern zu installieren.

Es ist auch sehr umstritten, welche Organisationsform man bei den einzelnen Stämmen zur Zeit des Augustus annimmt. In der Festschrift 2000 Jahre Varusschlacht, gingen viele Autoren von Sippen aus, nicht von Stämmen. Das Hauptargument war wohl die Gleichsetzung von lateinisch 'gens' mit dem Terminus 'Sippe' aus der Ethnologie. Das ist natürlich nicht nur anachronistisch, sondern auch dumm, da alle Quellen über die Sippe hinausreichende Organisationsformen beschreiben. Sippen kommen z.B. ohne Adel aus. Eine völlig andere Frage ist, welche Organisationsformen ein oder zwei Generationen früher herrschte.

Heute ist man damit vorsichtiger als früher, aber man kann durchaus innergermanische Abgrenzungen erkennen, die sich nach materiellen Überresten, Sprache und antiken Berichten unterscheiden. Ja man wird sogar sagen können, dass sich die Ethnien, die später Germanisch genannt wurden, erst mit der Römischen Nachbarschaft in Gallien aus mehreren Kulturen (z.B. Nordische Eisenzeit, Jastorf-Kultur, Kontaktgruppe, Kelten) bildeten. Tacitus Germania belegt durch den Mannus-Mythos, dass sich zumindest ein bedeutender Teil jener Ethnien schließlich als eine Menschengruppe verstanden hat. Auch nennt er Beispiele von Gruppen, die sich als Germanen sahen. Aber das bedeutet nicht, dass sie sich als ein 'Volk' sahen. Man sah die eigene Ethnie als Teil einer größeren Gruppe von Völkern und fühlte sich vielleicht sogar am stärksten einer Untergruppe zugehörig, wie ein Bayer, der Deutscher ist, sich aber von den 'Saupreißen' abheben will, und sich gleichzeitig als Europäer sieht.

Wenn man dann noch die lange Zeit, die zwischen Augustus, der Völkerwanderung und der Wikingerzeit liegt, betrachtet dürfte klar werden, dass man nicht von gleichen oder ähnlichen politischen Strukturen ausgehen sollte.
 
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Merci für die Antworten.

Aufgrund eurer Antworten scheint es mir, dass man also auch bei den Germanen (wie bei Indoeuropäern, Kelten und Slawen) nicht von einer Sprachgruppe auf eine einheitliche Kultur und Herrschaftsorganisation schliessen sollte.

Dass die Titelbezeichnungen der germanischen Anführer vor der Völkerwanderungszeit beinahe ausschliesslich von Römern stammen, war mir schon bewusst. Gelegentlich haben die Römer ja sogar - abhängig vom Siedlungsgebiet - keltische Stämme zu Germanen gemacht und umgekehrt. Meine hier gemachten Überlegungen zur germanischen Herrschaftsorganisation beziehen sich auf die Völkerwanderungszeit, als die germanischen Begriffe "künig" und "herizogo" bereits fassbar sind.

Ich war dabei allerdings davon ausgegangen, dass die Alemannen kein Königtum praktizierten, musste aber im benachbarten Thread "Gens, exercitus, Sprache(n) ?" erfahren, dass die Alemannen sehr wohl unter der Befehlsgewalt von Königen (den
sogeannten Gaukönigen) standen. Dass es sich dabei um Kleinkönige gehandelt hat, ändert nichts an der grundlegenden Herrschaftsform.

Wenn jetzt auch noch bei Sachsen (nicht bei jenen in England) und Friesen Kleinkönige auftauchen sollten, hat sich das Ganze erledigt. Auch wenn nicht, hatten die Herzöge Widukind (Sachsen) und Poppo (Friesen) vermutlich doch eher eine königsähnliche Stellung (Abstammungs-Legitimation) inne.

In diesem Zusammenhang stellt sich mir die Frage, ob der durch das Thing gewählte Herzog nicht doch lediglich ein Mythos ist. Oder gibt es eine konkrete Überlieferung, dass ein bestimmter Herzog tatsächlich gewählt wurde ? (Diviko bei den Helvetieren resp. Tigurinern zählt nicht, der war Kelte). Von der Idee "germanische Monacharie" versus "germanische Demokratie" (auch wenn nur ansatzweise) kann man sich jedenfalls verabschieden.
 
Wenn man die Steine eines äußerst schwierigen Puzzles so sorgfältig zusammengetragen hat, besteht die Gefahr, dass die Bilder auf den Teilchen deutlicher erscheinen, als sie tatsächlich sind. Die Frage ist also, inwieweit man die Bezeichnungen »König« und »Herzog« in den lateinischen Texten wörtlich nehmen kann, oder ob man sie vorsichtig nur als Anführer sehen soll. Kann man tatsächlich von frei gewählten Anführern sprechen, wenn sich die Wahl auf eine Sippe/Familie beschränkt, oder sollte man auch hier eher von Blutrecht sprechen?

Da die »germanischen Stämme« in meinem Wissen nur irgendwo am Rande herumschwirren, während Du Dich ausführlich mit dem Thema befasst hast, sind diese Fragen auch als solche gemeint.
 
Kann man tatsächlich von frei gewählten Anführern sprechen, wenn sich die Wahl auf eine Sippe/Familie beschränkt, oder sollte man auch hier eher von Blutrecht sprechen?

Ich denke, Du bringst es damit auf den Punkt. Ich verabschiede mich jedenfalls schon mal von der romantischen Vorstellung, dass so ein Herzog zum Mindesten von jedem Freien des Verbandes gleichberechtigt gewählt worden ist.
 
Gerade bei den Stämmen der Völkerwanderung dürfte der Unterschied zwischen König und Herzog ziemlich willkürlich sein. Wenn das Heer mit Frauen und Kindern unterwegs ist und der Heerzug über Jahre hinweg praktisch keine Unterbrechung hat, wer will da trennen?
 
Lateinische Texte benutzen in der Regel die Bezeichnung "Dux". Hier dürfte es sich in vielen Fällen um Anführer gehandelt haben, die wir heute als "Warlord" bezeichnen würden, über ihre Legitimation wird normalerweise nichts weiter ausgesagt.
Einigen verbündeten Anführern gestanden die Römer dann die Bezeichnung "Rex" zu - oder diese gestanden sie sich selbst zu - , ohne dass dies etwas über den genauen Status in ihrer Gruppe ausgesagt hätte.
Von daher sind alle diese Titel mit größter Vorsicht zu genießen.
 
Was mir nicht ganz klar ist, wo siehst du den Unterschied zwischen König und Herzog?

Der Unterschied hätte darin bestanden, dass ein König aufgrund von Erbnachfolge und damit verbunden, aufgrund seiner göttl. Herkunft, Herrscher war, während ein Herzog gewählt wurde (wenigstens in den Anfangszeiten) und zwar nur für einen beschränkten Zeitraum (etwa für die Dauer eines Kriegszuges). Aber dass der Hezog gewählt wurde scheint ein Mythos zu sein.

Die Germanen kannten allerdings schonen einen Unterschied zwischen "künig" und "herizogo" - das in lat. Berichten od. Verträgen halt zu "rex" und "dux".
 
Ab wann ist das belegt? Vor dem 9. Jahrhundert?

Der Begriff "herizogo" ist ab dem 8. Jahrhundert belegt. Einer dieser Herzöge war der alemannische Herzog im Elsass, Eticho. Allerdings wurden zu diesem Zeitpunkt Herzöge nicht mehr gewählt.

Wobei ich, wie gesagt, langsam zweifle, ob sie überhaupt jemals gewählt worden waren.
 
Wir dürfen uns eine Wahl oder eine politische Entscheidung auf dem Thing nicht so vorstellen wie eine heutige Wahl. Es ging eher darum, einen Konsens zu schaffen. So folgten die Cherusker einmal Arminius, ein anderes Mal seinem Onkel Inguiomer. Und Tacitus überliefert, dass sich die Cherusker bei einer Versammlung darüber klar werden wollten, ob sie die Heimat verlassen. Die Westfalen machten den Engern Widukind zum Herzog. Die oft bezweifelte zentrale Versammlung der Sachsen war eine Notwendigkeit für jeden Stamm -egal, ob sich die Sachsen erst in den Sachsenkriegen oder schon früher als Einheit sahen- und fand in verschiedenen Formen bei verschiedenen Ethnien statt. Bei den Franken kann man die Entmachtung der Freien bei der Versammlung im Bericht Gregor von Tours verfolgen. Damit dienten Versammlungen zu weit auseinander liegenden Zeiten der Entscheidungsfindung.

Aber das sind einzelne Beispiele. Wir können nicht sagen, dass war bei den Franken so, dass muss auch für die Goten ein Jahrhundert früher oder später gelten. Bei den Franken bildeten die freien Krieger die Versammlung, bei den Sachsen waren, auch wenn wir den Bericht der Vita Lebuini nicht gelten lassen, geht es doch aus späteren Rechten hervor, auch Unfreie zugelassen.

Bei den Alemannen gab es zahlreiche, König genannte, Gaufürsten, die bei Kriegszügen einen Führer aus ihren Reihen bestimmten. Bei den Franken werden mitunter mehrere Personen, wohl jeder ein solcher Kleinkönig, als Anführer eines Feldzugs genannt. Noch Chlodwig tat sich bekanntlich mit anderen Königen zusammen.

Damit will ich sagen, dass unsere Vorstellungen Monarchie, Wahl und Demokratie nicht auf die Verhältnisse der Völkerwanderungszeit übertragen werden können. Schon in Großbritannien steht die Monarchie schließlich nicht im Gegensatz zur Demokratie. Beides ergänzt sich zu einer Verfassung, wobei man natürlich den Vorteil hat, dass diese nicht aufgeschrieben werden musste.
 
Der arme Konrad ist auf die alte Forschungs- und Übersetzungstradition hereingefallen.:winke:

Der Vorstellung eines Gegensatzes von Herzog und König ergibt sich aus der Germania (Kapitel 7) des Tacitus. Da steht schwarz auf weiß, dass der dux gewählt wird, während der rex durch Abstammung bestimmt wird. Ganz selbstverständlich hat man diese Titel in der Tradition des Mittelalters als Herzog und König übersetzt - theoretisch weitervergearbeitet als Heerkönig und Sakralkönig.

Tatsächlich ist die Sache aber nicht so einfach. Die deutschen Begriffe stammen aus späterer Zeit. Tatsächlich waren in der Völkerwanderungszeit zum Teil ganz andere, unverwandte Herrschertitel bekannt, z. B. gotisch reiks.

Ein anderes Problem ist die fehlende Kontinuität zwischen den germanischen Herrschern zu Zeiten Tacitus und den Herrschaftsformen des frühen Mittelalters. Der dux bei Tacitus hat gewiss nichts mit den Herzögen der Merowinger- und Karolingerzeit zu tun. Zur Zeit des Tacitus war "dux" noch kein näher bestimmter Titel, sondern bezeichnete einfach nur den Anführer. In der Spätantike wurde dux ein militärischer Ehrentitel. Der dux war für die Verteidigung der Grenzprovinz als Heerführer zuständig - nichts anderes war der dux bei Merowingern und Karolingern. Für ihn wurde dann auch die althochdeutsche Bezeichnung herizogo genutzt. Die Franken übernahmen die Verwaltungsstruktur der Römer und die spätantiken Ämter erhielten deutsche Bezeichnungen eben Herzog und Graf. Die Herzogtümer waren nie mit den Siedlungsgebiete der Stämme identisch. Etliche Herzöge waren ohne jeden tribalen Bezug, z.B. Aquitanien.
Das Grundproblem ist, dass Tacitus den spätantiken dux-Begriff einfach noch nicht kannte, weil er seinerzeit nicht existierte. Über einen Zusammenhang des dux bei Tacitus und dem dux im Mittelalter kann nur spekuliert werden.

Ein mittelalterliche Herzog steht immer unterhalb des Königs und es gibtauch nicht den geringsten Hinweis auf Herzöge, die nicht edler Abstimmung sind, sondern aufgrund ihrer Tüchtigkeit gewählt wurden, wie es Tacitus vom dux der Germanen berichtet. Im Verlauf des Mittelalters wird es ja auch noch umgekehrt und die Könige werden gewählt, während Herzöge nur durch Geburt bestimmt werden, aber weitere Details zum Mittelalter sprengen hier sicherlich den Rahmen.

Beim rex ist es ähnlich. Man hat ein mittelalterliches Bild im Kopf. Ein Reich bzw. ein Volk hat nur einen König und jeder andere König ist Thronräuber oder Konkurent. Getrennte Königreiche bedeuten getrennte Völker. So sieht die Sache frühestenes erst seit Karl dem Kahlen und Ludwig dem Deutschen aus. Davor war alles anders und es wurde wahrscheinlich gar nicht als seltsam empfunden, dass ein Reich von mehreren Königen gleichzeitig regiert wurde oder das ein Volksstamm auf mehrere Königreiche verteilt war.

Kurz und knapp: Mittelalterliche Titel sollten eigentlich in einer Tacitus-Übersetzung nichts zu suchen haben, sind aber leider immer noch die Regel.
 
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Wobei die principes den Titel des rex nicht annahmen, nicht weil sie ihn nicht kannten, sondern weil sie ihn mit der Tyrannei verbanden, welche die Republik abgeschafft hatte. Die Vertreibung von Tarquinius Superbus aus Rom war in der römischen Erinnerung ein Selbstverständnis. Das Eingeständnis, dass man seit Augustus/Tiberius wieder eine Monarchie hatte, wurde nicht gemacht.

Im frühen Mittelalter ist es, etwas vereinfacht, so: Herzog/Dux waren die höchsten Adeligen. Aus ihren Reihen rekrutierten sich die Könige.
 
Der Satz lautet:

"Reges ex nobilitate, duces ex virtute sumunt."

Zu deutsch:

" 'Reges/Könige' nehmen sie wegen des Adels, 'Duces/Führer' wegen der Mannhaftigkeit an."

oder

" 'Reges/Könige' wählen sie wegen des Adels, 'Duces/Führer' wegen der Mannhaftigkeit aus."

Somit werden beiden 'ausgewählt', nicht 'gewählt', sondern nach der genannten Qualifikation konsensual bestimmt.

Auch die 'Gaufürsten' sind eine eher abenteuerliche Übersetzung. Bei Tacitus steht 'principes', 'die ersten'. Und 'omnes', 'alle' ist schon mit 'alle Gemeinfreien' übersetzt worden. Natürlich nur an ausgewählten Stellen.

Während er uns über die Funktionen seiner 'reges' und 'duces', sowie ihr gemeinsames oder einzelnes Vorkommen im Dunkeln lässt, informiert er uns wenigstens über die 'principes':

"Eliguntur in iisdem conciliis et principes, qui iura per pagos vicosque reddunt; ..."

"In den gleichen Versammlungen werden auch die 'Principes/Ersten' gewählt, die in 'Gauen/Dörfern' und 'Gehöften/Dörfern' Recht sprechen."

Die ihnen beigegebenen 100 'comitis/Begleiter' werden dann aber mit 'Beisitzer' oder 'Schöffe' und nicht mit dem 'Grafen' oder 'Jünger', weiteren mittelalterlichen Bedeutungen von 'comes', übersetzt.

Natürlich muss man die 'Gefolgschaftsherren' von den Richtern unterscheiden: Sie nennt Tacitus ebenfalls 'principes'. Diesmal geht die traditionelle Übersetzung von der Beschreibung aus. Allerdings wird erwähnt, dass den 'principes' allgemeine Abgaben und Geschenke von Nachbarstämmen zustehen. Das lässt eher ein Amt oder Adel vermuten.

Dummerweise wissen wir nicht, wie sehr Tacitus hier alles zusammenmischt. Sind mit den 'principes/Gefolgschaftsführern' die 'duces' gemeint? Sind es die 'reges', die dann eine eigene Gefolgschaft hätten, während die 'duces' das Stammesaufgebot anführen? Hat er bei den Abgaben vielleicht sogar die 'principes/Gefolgschaftsführer' mit den 'principes/Richtern' verwechselt?
 
und es gibt auch nicht den geringsten Hinweis auf Herzöge, die nicht edler Abstammung sind, sondern aufgrund ihrer Tüchtigkeit gewählt wurden, wie es Tacitus vom dux der Germanen berichtet.

Merci für diese Richtigstellung. Die obige Aussage macht mir mein mittelalterliches Weltbild wieder etwas klarer (bei dem Gegensatz König/Herzog ging es mir ums Frühmittelalter und nicht um die Römische Kaiserzeit). So passen sogar auch die slawischen "Herzöge" (Piasten, Premylsiden), die ja auch edler (göttlicher) Abkunft waren und sich zum Königtum "hocharbeiteten" wieder ins Bild.

Das "Wahlkönigtum" würde ich nicht überbewerten, auch das Deutsche/Ostfränksiche Reich hat den König erst gewählt, als im Osten kein Karolinger - nicht einmal mehr ein illegitimier (Arnulf von Kärnten) - zur Verfügung stand. Und dann fiel die Wahl schliesslich auch wieder auf einen Herzog (edler Abkunft !) - und möglichst auf einen, der um irgendwelche Ecken herum doch noch eine Verwandtschaft mit den Karolingern für sich reklamieren konnte.
 
Ganz richtig ist es aber auch nicht: Der fränkische Adel bildete sich unter den Merowingern ja erst aus den Amtsträgern und 'importiertem' nicht-fränkischem Adel. Aber das ist wohl die Ausnahme, die die Regel bestätigt.
 
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