Etymologisierung von Schweinfurt/Swine(münde) - Schwaben?

El Quijote

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Allerdings nun auf die zurückgenommene Rhein-Donaugrenze und nicht mehr am Main etwas südlich von Schweinfurt (Suebenfurt?).

Schweinfurt hat weder etwas mit Schweinen noch mit Sueben zu tun. Sondern mit dem sumpfigen und morastigen Gewässer dort.

In der Ptolemaiosforschung wird angenommen, daß der Name Swinemünde (Also Mündung der Swine - dänisch Schwein?) auf den Suebus bei Ptolemaios zurückgeht. Deshalb dachte ich, dass es dort einen ähnlichen etymologischen Zusammenhang geben könnte.

Du meinst die Mathematiker aus Berlin, die "Entzerrer" oder eine tatsächlich toponomastische Forschung?

Bei scheinbar sprechenden Ortsnamen sollte man immer ein wenig vorsichtig sein. Sicher ist, dass Ortsnamen immer irgendwann mal sprechend waren. Je weiter sie aber in der Geschichte zurückliegen, desto vorsichtiger sollte man sein. An den Ufern der Swine war es immer sumpfig bzw. marschig, sie war (und ist z.T. bis heute) mit Prilen durchzogen. Warum aber hätte man die Świna/Swine nach Schweinen hätte benennen sollen? Ich kann nicht ausschließen, dass die Swine/Świna nach den Sueben benannt wurde oder dass der von Ptolemaios so benannte Fluss Συήβου ποταμοῦ die Swine ist. Vielleicht ist er das, vielleicht heißt die Swine auch nach den Sueben, vielleicht hat Ptolemaios (oder seine Quelle) hier auch einen Sinnzusammenhang zwischen Flussnamen und Stammesnamen herstellend den Flussnamen falsch wiedergegeben. Ich weiß es nicht. Es gab germanische Stämme/Teilstämme, die nach Flüssen benannt wurde, wir kennen die Am(p)sivarier an der Ems und die Chasu(v)arier an der Hase. Ich würde eine Interpretation der Świna, die weder etwas mit Schweinen noch mit Sueben zu tun hat, bevorzugen, der dokumentarische Beleg den wir haben, spricht dagegen für einen Zusammenhang. Ich kann nur feststellen, dass der Flussname vom germanischen Hinterland bis ins griechische Ägypten der römischen Kaiserzeit einen weiten Weg über vielerlei Stationen hinter sich gebracht hat, so dass wir mit Stille-Post-Effekten und Pseudoetymologien, auch gutmeinenden, aber fehlgehenden Emendationen rechnen müssen. Menschen neigen nun mal dazu, Dingen einen Sinn zu geben (dass erleben wir tagtäglich, wenn wir sogenannte Alltagstheorien bilden).

Mir fällt allerdings auf, dass der Name der Dzwina dem der Świna recht ähnlich ist, so dass wir womöglich auch ein slawisches oder baltisches/pruzzisches Etymon annehmen müssen.
 
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Eine Forderung der Toponomastik ist es immer, die ältesten dokumentarisch belegten Ortsnamenformen anzusteuern, um von diesen aus Sprache, aus der ein Ortsname kommt und seine Bedeutung möglichst getreu zu rekonstruieren.

Nun sind die frühesten Belege von Ortsnamen in Dtld. östlich des Rheins und nördlich der Donau i.d.R. ins 8. und 9. Jhdt. zu datieren, selten früher, häufig später.

Eine extreme Ausnahme bildet Claudios Ptolemaios, der uns eine ganze Menge an innergermanischen Siedlungsnamen(?) liefert, ohne allerdings, dass wir dafür Fortsetzer hätten.

Eine mögliche Ausnahme bildet das Römerlager Hedemünden, das womöglich mit dem Punkt Munition/Munitium auf der Karte des Ptolemaios übereinstimmen könnte. Allerdings sollte man die suggestive Wirkung der phonetischen Ähnlichkeit zwischen Münden und Munitium nicht unterschätzen. Zwar ist die regressive i-Umlautung (-uni- > -ün-) durchaus ein Argument für eine Fortentwicklung von Munitium zu Münden, aber das -t- > -d- spricht eher dagegen. Wir hatten das an anderer Stelle, auch mit der Erkärung Udolphs (-münden von -minni, 'Hang'), schon besprochen.

Also sollten wir doch eigentlich froh sein, wenn wir mit Claudios Ptolemaios eine wirklich alte toponomastische Form vorliegen haben. Da ergibt sich aber die bereits oben beschriebene Problematik, der Stille-Post-Effekt des Weges von der Ostsee vermutlich über die Rheingrenze und über Rom dann bis zum griechischsprachigen Autor Claudios Ptolemaios. Wir wissen nicht, wie viele Glieder die Überlieferungskette von da nach dort hatte.

Das nächstfolgende Problem ist, dass wir vom 2. Jhdt., in dem Claudios Ptolemaios seine Geōgraphikḕ Hyphḗgēsis schrieb, bis ins 13. Jhdt. keinerlei Textzeugen haben. Wie viele Textzeugen wir haben, konnte ich jetzt leider nicht herausfinden, auch nicht, ob sie einem Zweig im Stemma angehören oder verschiedenen Zweigen, sprich, ob es mehrere Traditionen gibt. Wenn nun ein hypothetischer Schreiber beispielsweise des 10. Jhdts. eine verderbte Stelle (verwischte Tinte, Wurmfraß o.ä.) emendierte und alle überlieferten Textzeugen von diesem hypothetischen Text des 10. Jahrhunderts abstammten, dann hätten wir ein Problem.

Im Grunde genommen können wir die Forderung der Toponomastik, den ältesten Textzeugen für eine Benennung vorzulegen mit Ptolemaios nicht mit letzter Sicherheit erbringen. Und so müssten wir ins Mittelalter schauen (Adam von Bremen, Helmold von Bosau), ob diese die Świna benamsen und wie.
 
Es gab germanische Stämme/Teilstämme, die nach Flüssen benannt wurde, wir kennen die Am(p)sivarier an der Ems und die Chasu(v)arier an der Hase.

Ist das nicht ein schönes Beispiel für die Frage, wie gebräuchlich und wie dauerhaft solche Namen immer schon waren? Dass man Leute, die aus der Gegend an der Ems kamen, als Emsländer bezeichnet, verwundert nicht. Wie homogen diese Truppe war, wer dort dazu gehörte, ob sie sich selber als solche sah - wir wissen nichts weiter. Eine Betitelung als "Stamm" ist also schon mit größter Vorsicht zu genießen. Tacitus hat seine "Germanen" sehr schön in Kästchen einsortiert, ohne dass die Betroffenen es auch nur ahnten.
 
Du meinst die Mathematiker aus Berlin, die "Entzerrer" oder eine tatsächlich toponomastische Forschung?

Ich meine die Berliner "Entzerrer" ebenso wie die Verfasser der aktuellen Neuauflage der Geographie aus Bern.
Bei den Berlinern ist es glaube ich sogar so, daß sie den Punkt "Suebus Mündung" als mit Swinemünde identifizierten Punkt fest angenommen haben. Die Gleichsetzung/Identifikation stammt in diesem Fall also nicht aus der Entzerrung, sondern floss als Parameter in die Berechnung ein.
Die Identifikationen aus der Berner Neuauflage stammen zum überwiegenden Teil aus dem Barrington Atlas. Inwieweit dort eine toponomastische Einschätzung dieses Ortes vorliegt kann ich nicht beantworten.

Gruss
jchatt
 
Es gibt ja nun genügend Veröffentlichungen aus jüngerer Zeit zum Thema Ethnogenese, zu Themen wie Völkerwanderung, Entstehung der spätantiken Welt usw.. Ob Wenskus, Pohl, Heather, Kulikowski, Greary und wie sie alle heißen.
Viel bleibt da nicht mehr übrig von der im 19./ frühen 20. Jahrhundert gepflegten Vorstellung über die Bewohner Mitteleuropas kurz nach der Zeitenwende.
Die Vorstellung einer festen Einteilung im "Stämme" und "Völker" ist doch eigentlich über Bord geworfen. Ethnizität untersteht ständigem Wandel, "Blut-und-Boden"-Abstammungstheorien sind zu recht auf dem Müllhaufen der Geschichtforschung gelandet. "Urvölker" suchen heute auch nur noch wenige Nationalisten und Spinner.
Für die Zeit der Völkerwanderung wird dies auch so allmählich akzeptiert - von einigen Unbelehrbaren auch hier abgesehen. Für die Zeit einige Jahrzehnte zuvor ist dieses Umdenken doch dann auch einmal dringend erforderlich. Da wird immer noch der Tacitus - neben einigen seiner Kollegen - rauf und runter dekliniert und anhand von noch so kleinen Namensfitzelchen gesucht, wo man mal wieder eines seiner zahlreichen Germanenvölkchen "nachweisen" kann. Es gibt zwar längst Stimmen, die Zweifel sowohl an Intention, als auch an Informationsgehalt von Tacitus' Schriften äußern, dennoch wird er immer wieder herangezogen.
Die Archäologie liefert für die besagte Zeit eher ein verworrenes Bild gemischter Kulturen, aber wir bleiben bei der Kästcheneinteilung. Aber genau genommen haben wir doch keine wirklich stichhaltigen Informationen über die Bewohner jenseits der römischen Rheingrenze. Da können wir lange in Orts- oder Flußnamen nach zufälligen Ähnlichkeiten suchen.
 
Es gibt ja nun genügend Veröffentlichungen aus jüngerer Zeit zum Thema Ethnogenese, zu Themen wie Völkerwanderung, Entstehung der spätantiken Welt usw.. Ob Wenskus, Pohl, Heather, Kulikowski, Greary und wie sie alle heißen.
Viel bleibt da nicht mehr übrig von der im 19./ frühen 20. Jahrhundert gepflegten Vorstellung über die Bewohner Mitteleuropas kurz nach der Zeitenwende.
Die Vorstellung einer festen Einteilung im "Stämme" und "Völker" ist doch eigentlich über Bord geworfen. Ethnizität untersteht ständigem Wandel, "Blut-und-Boden"-Abstammungstheorien sind zu recht auf dem Müllhaufen der Geschichtforschung gelandet. "Urvölker" suchen heute auch nur noch wenige Nationalisten und Spinner.

Das ist mir alles bekannt und da stehe ich auch hinter. Dennoch hatten die Menschen untereinander Bindungen und Identitäten. Sie lebten eben nicht in einer Entropie. Wenn Tacitus Stämme benennen kann (zumal mit germanischen Namen), dann haben sie auch existiert. Dass diese Gebilde nicht stabil waren, steht auf einem anderen Blatt.
 
Die Ideologie des frühen 20. Jarhunderts ist eine schwere Last. ;)
Max Weber schrieb:
Wir wollen solche Menschengruppen, weche auf Grund von Ähnlichkeiten des äußeren Habitus oder der Sitten oder beider oder von Erinnerungen an Kolonisation und Wanderung einen subjektiven Glauben an eine Abstammungsgemeinschaft hegen, derart, dass dieser für die Propagierung von Vergemeinschaftungen wichtig wird, dann, wenn sie nicht ‚Sippen‘ darstellen, ‚ethnische‘ Gruppen nennen, ganz einerlei, ob eine Blutsgemeinschaft objektiv vorliegt oder nicht.

Ich halte Max Webers Definition für sehr nützlich. Er betont die Subjektivität des Begriffs. Es spielt gar keine Rolle, ob die Gebiete aus archäologischer Sicht hetereogen sind oder homogen, ob eine Gruppe eingewandert ist oder nicht.
Die Existenz von Ethnogeneseprozess negiert nicht die Existenz von Ethnien. Es gibt doch vielfältige Hinweise darauf, dass die nach Auswertung der Archäologie stark vermischte Bevölkerung der Germania an die Existenz der Ethnien und sogar an Abstammungs- und Einwanderungsmythen glaubte.

Tacitus hat seine "Germanen" sehr schön in Kästchen einsortiert, ohne dass die Betroffenen es auch nur ahnten.
Warum werden dann die Kästchen von den Betroffenen selbst verwendet?
Sicher gibt es ein Überlieferungsproblem, aber es gibt eben doch die Überlieferung der Germanen. Eines der anschaulichsten Beispiele ist der Grabstein des Atteius Vitalis. Auf dem steht klar und eindeutig, dass Atteius Vitalis zur "nat(ione) Suebus Ne/cre(n)sis" gehörte.

Unabhängig davon, dass eine Ethnie der Sueben real existiert hat, haben die antiken Geografen und Geschichtsschreiben mit genau diesem Namen eine Menge angerichtet. So kennen sie auch noch ein suebischen Meer, ein Gebiet innerhalb der Germania namens Suebia und eben den Fluss Suebos. Alle drei Namen wurde nach der Antike nicht mehr genutzt. Meiner Meinung nach ist das kein Zufall. Sie beziehen sich auf Gebiete tief im Inneren Germaniens mit ziemlich geringer Siedlungskontinuität.
 
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Es streitet ja niemand ab, dass die Menschen damals Eigenbezeichnungen führten. Nur haben wir wenig bis gar keine Kenntnis darüber, welche Semantik diesen Eigenbezeichnungen innewohnte, was der Träger damit zum Ausdruck bringen wollte.

Für mich selbst fallen mir auf Anhieb mindestens ein Dutzend zutreffender Eigenbezeichnungen ein. Einige aus dem Freundeskreis, andere aus Familie, Beruf, Herkunft, Wohnung usw..

Wäre ich nun Tacitus begegnet, hätte er in Mittelhessen gleich ebenso viele einheimische Stämme postuliert.
 
Deshalb sprach ich auch von Teilstämmen. Ich halte beispielsweise die Chasuarier beispielsweise für einen Teilstamm der Brukterer(?) oder einer anderen im heutigen Westniedersachsen befindlichen Konföderation (falls dir dieser Begriff, der mehr auf die Auflöslichkeit der Gruppen Rücksicht nimmt als Stamm oder Ethnie).
 
Für ganz so dumm halte ich Tacitus denn doch nicht. Insbesondere lässt er erkennen, in welchen Gegenden ihm bessere und in welchen Gegenden ihm kaum Informationen vorlagen.

Die Cherusker kann er sehr wohl von den Fosern/Fosen scheiden und weiß um ihr Verhältnis. Bei anderen Stämmen gibt er zu, kaum etwas über sie zu wissen.

Damit können wir ihm nicht unterstellen, dass er wie ein hochnäsiger Europäer des 19. Jh. über die Primitiven in den Kolonien schrieb. Er schrieb wie ein hochnäsiger Römer aus der Führungsschicht seiner Zeit. Und die wussten neben allen Vorurteilen dann doch eine Menge über die Organisation der Gruppen jenseits der Grenze. Schließlich wurden diese Informationen seitens der Römer für ihre Zwecke genutzt.

Das in den Augen des Tacitus nicht alles für eine Veröffentlichung taugte wird man natürlich in Betracht ziehen müssen, die Germania sollte ja so etwas sein wie ein erbauliches Büchlein.

Ich will auch nicht ausschließen, dass es darin Missverständnisse gibt. Aber eine so primitive Ethnologie wie Cäsar, der in seinen Kapiteln über die Germanen lediglich die Vorurteile seiner Zeit beschrieb, ohne dass er die Realität streifen musste, wo sie dem widersprach, betrieb Tacitus dann doch nicht.

Und selbst klein Marcus in Rom hätte doch nicht Fischer oder Sohn des Segiwer als Name einer Ethnie erfragt. Kurz gesagt: Auf die Frage 'Wie wird euer Volk genannt?' wird man schon damals nicht mit 'Müller' oder 'Meyer' geantwortet haben.

An Missverständnissen wären soziale Schichten als eigene Stämme zu verstehen, wie es im Sachsenspiegel mit den Unfreien des eigenen Volkes geschieht. Das Beispiel mit den Fosern/Fosen zeigt, dass Tacitus um solche Unterschiede wusste.

Und die Sueben sind das beste Beispiel, dass er um die Möglichkeit von Großethnien, resp. Konföderationen wusste.
 
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Ich will auch nicht ausschließen, dass es darin Missverständnisse gibt. Aber eine so primitive Ethnologie wie Cäsar, der in seinen Kapiteln über die Germanen lediglich die Vorurteile seiner Zeit beschrieb, ohne dass er die Realität streifen musste, wo sie dem widersprach, betrieb Tacitus dann doch nicht.
Dieses Urteil über Caesar finde ich schon recht hart. Vieles, wie etwa die Flurverfassung, das Gefolgschaftswesen, die Bestellung von Anführern, der Wert der Gastfreundschaft oder die Bevorzugung von Viehzuchterzeugnissen gegenüber Feldprodukten findet sich auch bei Tacitus.
 
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