Waren Bismarck und der Preußische König Hochverräter?

Tassilo III

Neues Mitglied
Haben Bismarck (und der König von Preußen) 1866 mit ihrem vorsätzlichen Bruch der Bundesakte '''(1)''' durch das Angriffsbündnis mit Italien '''(2)''' gegen den Bundesstaat Österreich und den anschließenden Krieg gegen den Deutschen Bund (und seine Bundesarmee) '''Hochverrat''' am Deutschen Bund begangen ''(um eine von Berlin aus gesteuerte europäische Großmacht mit Preußen als Hegemonialmacht Unter dem Deckmäntekchen "Deutschland" zuschaffen)'', oder scheitert diese Annahme daran dass der Deutsche Bund ein Staatenbund und kein Bundesstaat war und somit die Bundesakte keine Verfassung, sondern nur ein völkerrechtlicher Vertrag?

(1)Art. XI. ''(der Deutschen Bundesakte entspr. Art. 63 der Wiener Kongreß-Acte)''.

'''Schutz, Krieg, Bündnisse und Streitigkeiten des Bundes.

Alle Mitglieder des Bundes versprechen sowohl ganz Deutschland als jeden einzelnen Bundesstaat gegen jeden Angriff in Schutz zu nehmen und garantiren sich gegenseitig ihre sämmtlichen unter dem Bunde begriffenen Besitzungen.


Bei einmal erklärtem Bundeskrieg darf kein Mitglied einseitige

Unterhandlungen mit dem Feinde eingehen, noch einseitig Waffenstillstand oder Frieden schließen.

Die Bundesglieder behalten zwar das Recht der Bündnisse aller Art;

verpflichten sich jedoch in keine Verbindungen einzugehen, welche gegen die Sicherheit des Bundes oder einzelner Bundesstaaten gerichtet wären.

Die Bundesglieder machen sich ebenfalls verbindlich, einander unter keinerlei Vorwand zu bekriegen, noch ihre Streitigkeiten mit Gewalt zu verfolgen, sondern sie bei der Bundesversammlung anzubringen. Dieser liegt alsdann ob, die Vermittlung durch einen Ausschuß zu versuchen; falls dieserVersuch fehlschlagen sollte, und demnach eine richterliche Entscheidung nothwendig würde, solche durch eine wohlgeordnete Austrägal-Instanz zu bewirken, deren Ausspruch die streitenden Theile sich sofort zu unterwerfen
haben.


(2) „Ihre Majestäten der König von Preußen und der König von Italien, beseelt von dem Wunsche, die Garantien des allgemeinen Friedens zu befestigen, und in Rücksicht auf die Bedürfnisse und berechtigten Bestrebungen ihrer Nationen, haben, um die Artikel einer Offensiv- und Defensiv-Allianz zu regeln, zu Ihren mit Instruktionen versehenen Bevollmächtigten ernannt.“

Artikel 1 „Es wird Freundschaft und Bündniß zwischen Seiner

Majestät dem König von Preußen und Seiner Majestät dem König von Italien bestehen.“


Artikel 2 „Wenn die Unterhandlungen, welche Seine Majestät dem

König von Preußen mit den anderen deutschen Regierungen in Absicht auf eine den Bedürfnissen der deutschen Nation entsprechende Reform der Bundesverfassung eröffnet hat, scheitern sollte, und in Folge dessen Seine Majestät in die Lage

kämen, die Waffen zu ergreifen, um seine Vorschläge zur Geltung zu bringen, so wird Seine italienische Majestät, nach der von Preußen ergriffenen Initiative, sobald sie davon benachrichtigt sein wird, in Kraft des jetzigen Vertrages den Krieg gegen Österreich erklären.“


Artikel 3 „Von diesem Augenblick an wird der Krieg von Ihren Majestäten mit allen Kräften geführt werden, welche die Vorsehung zu ihrer Verfügung gestellt hat, und weder Italien noch Preußen werden Frieden oder Waffenstillstand ohne gegenseitige Zustimmung schließen.“


Artikel 4 „Diese Zustimmung kann nicht verweigert werden, wenn
Österreich eingewilligt hat, an Italien das lombardisch-venetianische
Königreich und an Preußen österreichische Landstriche, die an Bevölkerung diesem Königreich gleichwertig sind, abzutreten.“

Artikel 5 „Dieser Vertrag erlischt drei Monate nach seiner Unterzeichnung, wenn in diesen drei Monaten der in Artikel 2 vorgesehen Fall nicht eingetreten ist, nämlich, daß Preußen nicht den Krieg an Österreich erklärt hat.“


Artikel 6 „Wenn die österreichische Flotte, deren Rüstung jetzt sich vollzieht, vor der Kriegserklärung das Adriatische Meer verläßt, wird Seine italienische Majestät eine hinlängliche Zahl von Schiffen in die Ostsee senden, die dort Station nehmen wird, um zur Vereinigung mit der preußischen Flotte beim Ausbruch derFeindseligkeiten bereit zu sein..

Ich weiß eine kätzerische Frage
 
Geht es Dir um den Begriff des Hochverrats?
Der Bruch der Bundesakte hat die innere Ordnung Preußens und die preußische Verfassung nicht berührt.
Die Bundesakte war ein völkerrechtlicher Vertrag und hatte nicht den Status einer Verfassung. Der Unterschied zeigt sich in den Gesetzen und Verträgen fünf Jahre später.

Ich weiß eine kätzerische Frage
Was für eine Katze? ;)
 
Geht es Dir um den Begriff des Hochverrats?

Hochverrat ist eine Frage des Datums (Talleyrand).
Es gibt zwei Klassen von Menschen: Die Gerechten und die Ungerechten. Die Einteilung wird von den Gerechten vorgenommen (Oskar Wilde).
Ich betreibe Hochverrat mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln (Tom Cruise als Stauffenberg).
Der Krieg zwischen zwei gebildeten Völkern ist ein Hochverrat an der Zivilisation (Sylva).
Man kann den Hochverrat nicht schrecklich genug bestrafen (Goethe).
 
Die Interpretation von völkerrechtlichen Verträgen hat sich seit dem 19. Jahrhundert deutlich verändert.

Die Großmächte haben sich in der Folge des "Wiener Kongresses" an Verträge gehalten, nicht weil sie kodifiziert waren, sondern weil ein einseitiger Rechtsbruch, den Rechtsbruch durch andere als Reaktion nach sich gezogen hätte. Das entspricht der hobbesianischen Sicht von der "Anarchie" von Gesellschaften und der Beziehung von Staaten zueinander. Und dieses haben die Großmächte zunächst versucht, durch "Geheimdiplomatie" in den Griff zu bekommen.

Ein Rechtsbruch durch einen Staat ist aus dieser Sicht - im machiavellistischen Sinne - durch die Interessen des nationalen Staates jederzeit gerechtfertigt. Da die Interessen des Staates das höchste Gut waren, an dem sich Staatsmänner wie Bismarck orientiert haben. Der Staat stand über völkerrechtlichen Verbindlichkeiten und Bismarck hat sich als Wahrer der Interessen Preußens interpretiert.

Insofern hätte er bei der Frage, ob er "Hochverrat" begangen hätte, wohl nur verständnislos den Kopf geschüttelt.

Diese Sicht auf das Völkerrecht als "willkürliche" Größe kann man für das Deutsche Reich bis in den WW1 erkennen. Allerdings ergibt sich da bereits ein Unterschied in der Sichtweise zur angloamerikanischen Interpretation, die die bindende Verbindlichkeit von Rechtsnormen für Staaten betont. So sehr deutlich bei W. Wilson im Jahr 1918 (vgl. dazu beispielsweise Hull)

https://books.google.de/books?id=67xfAwAAQBAJ&pg=PA42&dq=a+scrap+of+paper&hl=de&sa=X&redir_esc=y#v=onepage&q=a%20scrap%20of%20paper&f=false
 
Zuletzt bearbeitet:
Und das unterstreicht die bereits von Solwac vertretene Richtung, dass hier kein Hochverrat, weder als Bestandsverrat noch Verfassungsverrat vorliegen kann. Dazu "fehlen" die Nation und die Konstitution, weswegen auch die strafrechtliche Betrachtung ("Hochverrat") verfehlt ist.

Ob ein Vertragsbruch des völkerrechtlich vereinbarten Bundes vorliegt, ist eine andere Frage, über die man diskutieren kann.

Dann müsste man das Schicksal dieses Bundesvertrages nach 1815 betrachten, und auch die Folgen von 1848 oder die Frage, wie man den Vertrag von Olmütz 1850 und die separate preußisch-österreichische Ordnung dort einsortiert. Oder sogar die Frage des Krimkrieges, und dessen Einfluss auf die völkerrechtliche Lage nach 1815.

Wikipedia schreibt lapidar vom Vertragsbruch. Das kann man so sehen, aber dann greifen die Hinweise von thanepower zur Frage der Aufhebbarkeit oder Außerkraftsetzung von völkerrechtlichen Bündnissen und die zeitgenössische Anschauung.
 
Für mich ist es ein Vertragsbruch, da eine Aktion durchgeführt wurde ohne den Vertrag vorher zu kündigen. Auch wurde keine Begründung geliefert, warum der Vertrag nicht gegen die Handlung stehen würde.

Allerdings wurde auch von der Gegenseite nicht groß argumentiert. Die Befolgung der Bündnispflichten auch durch Bayern (die lieber neutral geblieben wären) zeigt aber, dass zumindest weite Teile der (diplomatischen) Öffentlichkeit das Vorgehen Preußens als vertragswidrig einstuften.

Nach der militärischen Entscheidung wurde kaum nachgekartet. Die Bildung des Norddeutschen Bunds und die milden Siegbedingungen ließen viele Deutsche die Entwicklung gutheißen. Juristisch ist das natürlich kein Argument...
 
Ich würde sagen, Vertragsbruch ja, aber Hochverrat nein.
Das scheitert einfach an der komplexen Definiton von Hochverrat. Hochverrat geht eigentlich ja nur an seinem eigenen Staat und ein solcher lag nicht vor
 
Für mich ist es ein Vertragsbruch, da eine Aktion durchgeführt wurde ohne den Vertrag vorher zu kündigen. Auch wurde keine Begründung geliefert, warum der Vertrag nicht gegen die Handlung stehen würde.

Warum aber Vertragsbruch und nicht ipso jure Erlöschen des Vertrages, wie es der Interpretation des Völkervertragsrechts dieser Zeit entspricht?
 
Warum aber Vertragsbruch und nicht ipso jure Erlöschen des Vertrages, wie es der Interpretation des Völkervertragsrechts dieser Zeit entspricht?
Andere Verträge wurden gekündigt oder nicht verlängert und waren damit nicht mehr bindend.

Ein Erlöschen eines Vertrages bei Zuwiderhandlung entspricht ja einer Kündigungsfrist von Null - nicht sehr vertrauensbildend. Dieses Vorgehen kann ich mir nicht als erwünscht vorstellen.

In der Beurteilung durch Zeitgenossen dürfte neben der juristischen Frage auch die öffentliche Meinung eine Rolle gespielt haben. Preußens Einmarsch wurde ja mit dem Bruch der Gasteiner Konvention begründet (die ihrerseits nicht konform mit der Bundesakte ging). Einerseits hatte Österreich die Nebenregierung des Herzogs Friedrich VIII. von Schleswig-Holstein geduldet, andererseits hat Österreich einseitig die Bundesversammlung als Schiedsrichter über Schleswig-Holstein angerufen. Dem gegenüber steht die "verbotene Selbsthilfe" Preußens durch den Marschbefehl der Truppen.
Die Begeisterung des Volkes nach dem Ende des Krieges und die Schuldzuweisung der Bevölkerung der unterlegenen Staaten an ihre Regierungen (und nicht an Preußen) dürften den formaljuristischen Aspekt überstrahlen.
 
Andere Verträge wurden gekündigt oder nicht verlängert und waren damit nicht mehr bindend.

Ein Erlöschen eines Vertrages bei Zuwiderhandlung entspricht ja einer Kündigungsfrist von Null - nicht sehr vertrauensbildend. Dieses Vorgehen kann ich mir nicht als erwünscht vorstellen.

Da liegt eine heutige Vorstellung zu Grunde, und vermutlich außerdem eine Analogie zum Zivilrecht, die seinerzeit so nicht gezogen wurde.
 
Da liegt eine heutige Vorstellung zu Grunde, und vermutlich außerdem eine Analogie zum Zivilrecht, die seinerzeit so nicht gezogen wurde.
Eine ähnliche Denke war doch aber in der Diskussion um den Kriegseintritt Italiens 1915 zu sehen.
Sollte sich das Verständnis in den 50 vorher so stark verändert haben?
 
Zur Frage des italienischen Kriegseintritts 1915 wurde alles Mögliche argumentiert, politisch motiviert.

Bei solchen Fragen würde ich zunächst einmal ganz herrschende, und zwar nicht fallbezogene, zeitlich kongruente Darstellungen heranziehen. Völkerrechtliche Darstellungen gibt es ja reichlich.
 
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