"Barbarossa entgleist" - 75 Jahre seit der Smolensk-Schlacht

silesia

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Unter dem Titel "Barbarossa derailed" hat der führende Militärhistoriker für den Krieg zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion, David Glantz, in den letzten Jahren ein insgesamt 4-bändiges Werk vorgelegt. Darin beschreibt er die seines Erachtens prägende Kampagne für das Scheitern von Hitlers Ostfeldzug.

Erstaunlich ist, dass es gerade in den letzten Jahren eine ganze Serie von neuen Publikationen zum Feldzugjahr 1941 und der Operationsgeschichte gegeben hat (u.a. zu Kiew, Leningrad, Wjasma, Moskau, Westukraine, Sewastopol und natürlich zu den Jahren 1942/45) - allerdings ausschließlich von internationalen Historikern. Speziell das MGFA hat sich aus Publikationen zur Operationsgeschichte nahezu völlig herausgehalten, Gegenstand waren dafür Aspekte des Vernichtungsfeldzuges, Wehrmachtsführung, Besatzungsregime etc., soweit gerade der Beginn bzw. die erste Phase des Krieges angesprochen wurde.

Während deutsche Publikationen zT älter als 30 Jahre sind, und wie DRZW Band 4 auch im Wesentlichen nur deutsche Quellen verwenden, sind die internationalen Publikationen durch die inzwischen verfügbaren sowjetischen Archivmaterialen geprägt und schließen insoweit eine Lücke.
 
Schreibt er etwas über die Zahlen zu den Verlusten der Roten Armee?

Gibt es eigentlich Gründe, warum sich so lange keiner oder nur ganz wenige deutsche Historiker für die Operationsgeschichte interessiert haben
 
Schreibt er etwas über die Zahlen zu den Verlusten der Roten Armee?

Natürlich schreibt er dazu was, allerdings ist wohl Krivosheev (Soviet Casualties and combat losses) trotz aller Probleme das umfangreichste Werk zu dem Thema

Ansonsten schreibt Glantz:

"In eighteen days of combat, Bocks Army Group Center advanced 600 km to the approaches to the Western Dvina and Dnepr Rivers, ...., and inflicted 417.797 casualties on the Western Front, including 341.073 soldiers killed, captured, or missing. In addition, the Western Front lost 4799 tanks, many of which simply ran out of fuel, 9427 guns and mortars, and 1777 combat aircraft, most of these destroyed at their airfield on the ground" (vgl. FN 41)

(FN 41: Zolotarev, VOV; 147. During this period 24 divisions of Pavlov`s initial force of 44 divisions perished entirely, and the other 20 lost from 30 to 90 percent of their personel.)(S. 32/33)

https://books.google.de/books?id=SDfInc6Gb40C&printsec=frontcover&dq=barbarossa+derailed&hl=de&sa=X&redir_esc=y#v=onepage&q=barbarossa%20derailed&f=false

wobei auch auf "The initial Period of the War...." von Glantz als Herausgeber hingewiesen werden sollte, in der die Grenzschlachten sehr gut dargestellt werden, die eine wesentliche Hinführung für die weiteren Ereignisse waren. Auch und gerade wegen der Zusammenarbeit mit deutschen Zeitzeugen.

https://books.google.de/books?id=0KzHX2Vt6KgC&printsec=frontcover&dq=the+initial+period+of+the+war+on+the+eastern+front&hl=de&sa=X&redir_esc=y#v=onepage&q=the%20initial%20period%20of%20the%20war%20on%20the%20eastern%20front&f=false
 
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Unter dem Titel "Barbarossa derailed" hat der führende Militärhistoriker für den Krieg zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion, David Glantz, in den letzten Jahren ein insgesamt 4-bändiges Werk vorgelegt...
Mir liegt es fern, die Einschätzung "führend" bezweifeln zu wollen. Mein Eindruck ist freilich, dass das Werk im deutschen Sprachraum eher zögerlich rezipiert wird. Es gibt keine deutsche Übersetzung, obwohl Band 1 schon vor 6 Jahren erschien, und z.B. in H-soz-kult fand ich keine Rezension. Auch im sehr langen Wikipedia-Artikel https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsch-Sowjetischer_Krieg wird sein Hauptwerk nicht erwähnt. Dafür gab es aber hier im Forum schon 188 Erwähnungen, wofür das Verdienst hauptsächlich einem einzelnen Herrn gebührt.:winke:

Man kann wohl sagen, dass Glantz seine wissenschaftliche Tätigkeit der Aufgabe gewidmet hat, hat die Geschichte der Roten Armee 1941-45 neu und besser zu schreiben; dafür wurde er ja auch russischerseits ausgezeichnet. Ausgangspunkt war wohl sein Aufsatz über "Failures in Historiography", den er noch während seiner aktiven Zeit als Oberst in der US-Armee schrieb. Er hat danach auch zwei Bücher im Selbstverlag herausgegeben – vielleicht, weil nicht sofort ein Verlag darauf sprang. Dann kam mit der Stalingrad-Trilogie und einigen anderen Büchern der Durchbruch.

Der Hinweis auf "4 Bände" sollte niemanden abschrecken: Die "Erzählung" selbst umfasst die Bände 1 und 2; Band 3 ist der Dokumentenband, Band 4 der Kartenband. Wie bei operationsgeschichtlichen Werken üblich (siehe auch die Weltkrieg-I-Reihe des Reichsarchivs), geht es zwangsläufig ins Detail: Die Woche vom 31.7. bis 6.8.1941 etwa nimmt 69 Seiten (I, 298-366) in Anspruch, und der 1.9. immerhin 44 Seiten (II, 234-277).

Während deutsche Publikationen zT älter als 30 Jahre sind, und wie DRZW Band 4 auch im Wesentlichen nur deutsche Quellen verwenden, sind die internationalen Publikationen durch die inzwischen verfügbaren sowjetischen Archivmaterialen geprägt und schließen insoweit eine Lücke.
Gibt es eigentlich Gründe, warum sich so lange keiner oder nur ganz wenige deutsche Historiker für die Operationsgeschichte interessiert haben
In der frühen deutschen Nachkriegsliteratur dominierte ja eigentlich die Operationsgeschichte, häufig geschrieben von Fachleuten (wie Manstein), die alles "Drumherum", etwa die Rolle der Wehrmacht bei Vernichtungskrieg und Völkermord, säuberlich ausblendeten. Kann man sagen, dass diese Art der Militärgeschichtsschreibung ob ihrer offensichtlichen Mängel irgendwann in Verruf kam?

Was das MGFA betrifft: Dass die erste Hälfte der DRZW-Reihe einer durchgreifenden Neuarbeitung bedarf, hat mir Manfred Messerschmidt vor ein paar Jahren erzählt, und ich gehe davon aus, dass hier schon einiges im Gange ist - hoffentlich unter Nutzung aller erreichbaren Quellen. (Diese Chance bestand, Russland betreffend, vor 30 Jahren nicht.)

PS: lies in Absatz 1: "zwei einzelnen Herren"
 
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Natürlich schreibt er dazu was, allerdings ist wohl Krivosheev (Soviet Casualties and combat losses) trotz aller Probleme das umfangreichste Werk zu dem Thema
Ich meinte die Gesamtverluste der RA im 2. Weltkrieg, hatte mich da nicht klar genug ausgedrückt.

Krivo ist sicher sehr umfangreich, aber es stellt wohl eher das absolute Minimum an Verlustzahlen dar, also das, um das man nicht herumkommt es zuzugeben.
 
Schreibt er etwas über die Zahlen zu den Verlusten der Roten Armee?

Thanepower hat es schon erläutert:

Die Darstellung der Operationsgeschichte (der Raum betrifft iW HG Mitte Juli/September 1941, mit der bekannten Splittung der Flügel Richtung HG Nord und Süd) ist insofern umfassend.

Da (auch) auf die sowjetischen Quellen zugegriffen, wird diese Darstellung überhaupt erst durch die Vielzahl von Statistiken und Angaben zu Kräfteverhältnisse an unterschiedlichen Stichtagen, Zuführungen und Dispositionen des Stavka abgerundet und plausibel. Die beteiligten sowjetischen Fronten sind insoweit komplett abgehandelt, und auch im Text auf Divisionsebene heruntergebrochen. Nimmt man die Ausgangsstärken als Basis, so brachte diese Phase Verluste von rd. 60%.
 
Mir liegt es fern, die Einschätzung "führend" bezweifeln zu wollen. Mein Eindruck ist freilich, dass das Werk im deutschen Sprachraum eher zögerlich rezipiert wird. Es gibt keine deutsche Übersetzung, obwohl Band 1 schon vor 6 Jahren erschien, und z.B. in H-soz-kult fand ich keine Rezension. Auch im sehr langen Wikipedia-Artikel https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsch-Sowjetischer_Krieg wird sein Hauptwerk nicht erwähnt.
Zunächst einmal ist die geringe Rezeption in deutscher Literatur darauf zurückzuführen, dass es für die Phase 1941 operationsgeschichtlich nichts Neues seit Jahren gibt.

Der "Markt" für solche Publikationen trägt überdies nur im internationalen Rahmen, was die fehlende Übersetzung erklärt.

Beide Text-Bände Smolensk sind zB in der JoMH rezensiert (darunter Band 2 von Stahel, der selber einige Publikationen zu dem Zeitraum vorgelegt hat). Daneben sind die wesentlichen weiteren rezensiert (zB von Axworthy, Hayward, Dunn, Erickson) Noch nicht zu Smolensk, aber zur Stalingrad-Reihe ist in der MGZ (2010) eine Rezension erschienen. Alle Rezensenten weisen übrigens darauf hin, dass dem Leser "einiges abverlangt" (wie Moll schreibt: formidabel und detailreich) wird.

Dann kam mit der Stalingrad-Trilogie und einigen anderen Büchern der Durchbruch.
In Fachkreisen und anhand der Zitate in entsprechender Literatur ist das viel zu spät angesetzt.

Stumbling Colossus: The Red Army on the Eve of World War sowie Soviet Military Deception in the Second World War waren die ersten, die umfassend Resonanz fanden und in der internationalen Forschung "Standardzitate" wurden. Daneben das von thanepower erwähnte "Initial period on the eastern front, 22. Juni – August 1941, Proceedings of the 4. Art of War Symposium". Mit "From the Don to the Dnepr: Soviet Offensive Operations, December 1942-August 1943" wurden außerdem 4 "post-Stalingrad"-Studien vorgelegt.

[Die beiden Grossstudien zu Stalingrad und Smolensk stehen nur am Ende, vorher sehr beachtlich und Standardwerke Kharkov 1942, Operation Mars 1942, Leningrad 41/44, Südukraine 1944, Kursk 1943.]

Der Hinweis auf "4 Bände" sollte niemanden abschrecken: Die "Erzählung" selbst umfasst die Bände 1 und 2; Band 3 ist der Dokumentenband, Band 4 der Kartenband. Wie bei operationsgeschichtlichen Werken üblich (siehe auch die Weltkrieg-I-Reihe des Reichsarchivs), geht es zwangsläufig ins Detail: Die Woche vom 31.7. bis 6.8.1941 etwa nimmt 69 Seiten (I, 298-366) in Anspruch, und der 1.9. immerhin 44 Seiten (II, 234-277).
Das ist, was oben von Rezensenten als abschreckend und schwer verdaulich beschrieben wird, zugleich als Detailgrad gelobt wird (die Seitenangabe 1.9. ist nicht zutreffend, obwohl ich nicht nachgezählt habe, weil dessen Beschreibung (1.9.) über die drei Gegenoffensiven der West-, Reserve- und Brjansk-Front verteilt ist).

In der frühen deutschen Nachkriegsliteratur dominierte ja eigentlich die Operationsgeschichte, häufig geschrieben von Fachleuten (wie Manstein), die alles "Drumherum", etwa die Rolle der Wehrmacht bei Vernichtungskrieg und Völkermord, säuberlich ausblendeten. Kann man sagen, dass diese Art der Militärgeschichtsschreibung ob ihrer offensichtlichen Mängel irgendwann in Verruf kam?
Glantz bringt reine (militärische) Operationsgeschichte aus beider Sicht, und insofern behandelt er nur den Kontext des Feldzugverlaufes dieses Krieges.

Die Publikationen der Akteure (Manstein, Rendulic, Hoth, de Beaulieu usw.) würde ich außen vor lassen. Wenn man vergleicht, dann mit der älteren MGFA-Paperback-Reihe, den Bänden zur Kriegsgeschichte (etwa Reinhardt, Die Wende vor Moskau, Kehrig, Stalingrad oder Schwarz, Die Stabilisierung der Ostfront nach Stalingrad), oder die DRZW-Reihe (etwa Band 8, in dem Frieser auch nicht ohne Glantz/House zu Kursk auskommt). Wie oben beschrieben, lagen den älteren Publikationen nur wenig Quellen zur sowjetischen Seite vor, zT (etwa Reinhardt, Kehrig, Schwarz) nutzten sie deutsches Aktenmaterial zur "Feindlage".

Was das MGFA betrifft: Dass die erste Hälfte der DRZW-Reihe einer durchgreifenden Neuarbeitung bedarf, hat mir Manfred Messerschmidt vor ein paar Jahren erzählt, und ich gehe davon aus, dass hier schon einiges im Gange ist - hoffentlich unter Nutzung aller erreichbaren Quellen. (Diese Chance bestand, Russland betreffend, vor 30 Jahren nicht.)
Das kursiert, etwa im Kontext der Kritik an Band 4, seit Jahren.
Mein Eindruck ist, auch wegen der englischen Ausgaben und der Preise https://global.oup.com/academic/con...and-the-second-world-war-gsww/?cc=de&lang=en& , dass eine solche Neuauflage vermutlich nur als englische Ausgabe eine Marktchance hätte.

Vorangekündigt für November ist übrigens ein weiteres, bisher dürftig behandeltes "Kapitel", Glantz: Battle for Belorussia/Weißrussland Okt. 1943/April1944. Vielleicht nimmt er sich auch noch irgendwann des Zeitraumes Ende 1944/45 an.
 
Eine Bemerkung noch abschließend:

Wenn man zB die von Hürter gerade wieder herausgegebenen "Notizen aus dem Vernichtungskrieg" nimmt (Ostfront 1941/42 in den Aufzeichnungen des Generals Heinrici), gibt Glantz - leider nicht zitiert - hier den Kontext etwa für das Verständnis einiger Ausführungen ab. Ad hoc nachgesehen habe ich etwa Heinricis Ausführungen zu Gomel August 1941 und dem deutscherseits unverständlichen "Stehenlassen" sowjetischer Korps auf der Westseite des Dnjepr, die dann vernichtet wurden. Heinricis Äußerungen rutschen dann in die Nähe von "military porn", abgesehen von heroischen Bemerkungen zur eigenen Seite, gepaart mit Abfälligkeiten zur sowjetischen. Für das Verständnis des Denkens deutscher Generalität ist das sicher wesentlich bzw. aufschlussreich, aber solche Schilderungen zogen sich dann in die frühe "Geschichtsschreibung" der 50er - 70er durch. Nur schemenhaft dringt dann durch, warum und weshalb dieser Feldzugabschnitt Anfang Aug 41 bei Heinrici die Erkenntnis brachte, dass dieser Krieg trotz der "monströsen Schlachtenerfolge" in der Anfangsphase sich nicht schnell beenden lassen würde.
 
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... Beide Text-Bände Smolensk sind zB in der JoMH rezensiert ... Noch nicht zu Smolensk, aber...
Das bestätigt meine Vermutung, dass "Smolensk" im deutschen Sprachraum bisher eher zögerlich - bzw. gar nicht - rezipiert wird, warum auch immer.

Kein Zweifel, dass Glantz beim Thema Rote Armee der produktivste Autor überhaupt ist: Bei WorldCat zähle ich mehr als 120 gedruckte Ausgaben; dazu kommt noch die von ihm gegründete Zeitschrift.

Die Zahl der Publikationen hängt auch damit zusammen, dass es zu vielen Einzelfragen ständige Neubearbeitungen gegeben hat. Der Zeitraum von "Smolensk" etwa wird behandelt in
- The Initial period... (1993)
- When Titans clashed (1995)
- Stumbling colossus (1998), Neuausgabe 2011
- Barbarossa (2001), Neuausgabe 2011
- The Battle for Smolensk (2001)
- Atlas of the Battle for Smolensk (2001)
- Before Stalingrad: Barbarossa (2003)
- Colossus Reborn (2005)
- Companion to Colossus Reborn (2005, Dokumente)

Welche Auflagenhöhe mögen diese Publikationen haben? Die Vielzahl an Veröffentlichungen lässt jedenfalls die Tatsache, dass bisher keine (!?) deutschen Übersetzungen erschienen sind, umso seltsamer erscheinen. Liegt das allein am "Markt" oder an mangelndem Interesse für die "andere Seite"?

Vorangekündigt für November ist übrigens ein weiteres, bisher dürftig behandeltes "Kapitel", Glantz: Battle for Belorussia/Weißrussland Okt. 1943/April1944.
Das angekündigte Buch ist vermutlich eine Erweiterung der ersten Teile des Tagungsbandes "From Dnjepr to Vistula" (1985). Über diesen Zeitraum schreibt Frieser (DRZG 8, 277), dass die Verluste der Roten Armee "zumeist das fünf- bis zehnfache der deutschen (betrugen)" - Bin gespannt, ob Glantz das bestätigen kann oder zu anderen Ergebnissen kommt.

Vielleicht nimmt er sich auch noch irgendwann des Zeitraumes Ende 1944/45 an.
Als Erweiterung des Tagungsbandes von 1986 sozusagen.
 
Welche Auflagenhöhe mögen diese Publikationen haben? Die Vielzahl an Veröffentlichungen lässt jedenfalls die Tatsache, dass bisher keine (!?) deutschen Übersetzungen erschienen sind, umso seltsamer erscheinen. Liegt das allein am "Markt" oder an mangelndem Interesse für die "andere Seite"?

Ein paar Anmerkungen dazu. Mit der Öffnung der Archive ist insgesamt ein Boom bzw. Run auf bisher geheime sowjetische Archive ausgelöst worden und wir haben einen sehr qualifizierten Einblick in die stalinistische und post-stalinistische Periode erhalten durch eine Fülle von Publikationen.

Die Veröffentlichungen sind fast alle in englisch, Das betrifft zum einen die engere Militärhistoriographie und andererseits eine Vielzahl von Publikationen zu anderen Themen , wie beispielsweise aus dem Umfeld von P.R. Gregory (The Lost Politbüro Transcripts), Arch Getty (Practicing Stalinism) oder von S. Fitzpatrick (On Stalin`s Team). Diese westlichen "Sovietologen", um nur ein paar zu nennen, haben sehr tiefe Einblicke in die Archive erhalten und die Qualität seit 1990 der Arbeiten dramatisch verbessert, so mein oberflächliches Urteil.

Und haben teilweise auch hervorragende Bücher über die Nutzung der post-sowjetischen Archive geschrieben bzw. umfangreiche Bestände gesammelt wie das Hoover-Institut.

Das beschreibt aus meiner Sicht die Tiefenwirkung dieser generellen Entwicklung.

Daneben gibt es eine reine militärische Dimension, die ebenfalls die Rezeption der RKKA und ihrer zentralen theoretischen Denker erklärt und damit auch die Arbeiten von Glantz und anderen.

Die generelle militärische Strategie der US-Army lief bis zum Ende des des Kalten Krieges auf eine "Ermattungsstrategie" bei der Kriegsführung hinaus. Diese Sicht war kosten- und materialintensiv und und entsprach der Nutzung der ökonomischen Überlegenheit für die Kriegsführung. Zumal sie die eigenen Soldaten dabei - versuchte - zu schonen.

Aus einer Reihe von Gründen suchte die US-Armee nach einer alternativen Ausrichtung und beschäftigte sich sehr intensiv mit den frühen russischen Theoretikern, die sich intensiv mit der "Deep-Battle" beschäftigt haben und sind dabei auf Tukhachevskii und Isserson unter anderem gestoßen. In diesem Kontext wurde auch Svechin rezipiert (vgl. einige wichtige Publikationen zu dem Thema). Das Ziel war, eine schnelle Niederwerfungsstrategie - auch im Rahmen asymmetrischer Kriege - zu formulieren und somit konventionelle Kriegsführung wieder "führbar" zu machen.

Das militärische Interesse stand somit auch Pate, um diese Publikationen von Glantz und anderen duch die US -Armee zu fordern und auch zu fördern.

Unabhängig von diesem Interesse ist die Diskussion dieser Themen doch auf kleine Zielgruppen beschränkt, die ohnehin englisch als "Verkehrssprache" als fast selbstverständlich akzeptieren.

Es gibt somit fast keinen Druck von Seiten des Marktes, die hohen Übersetzungskosten zu rechtfertigen für diese "Specialinterest" Publikationen.

Glantz, David M. (2001): The Military Strategy of the Soviet Union: A History. London: Frank Cass.
Glantz, David. M. (1990): Soviet Military Operational Art. In Pursuit of Deep Battle. London: Frank Cass.
Harrison, Richard. W. (2010): Architect of Soviet Victory in World War II. The Life and Theories of G.S. Isserson: McFarland, Incorporated, Publishers.
Harrison, Richard W. (2001): The Russian way of war. Operational art, 1904-1940. Lawrence, Kan.: University Press of Kansas
Kokoshin, A. A. (1998): Soviet strategic thought, 1917-91. Cambridge, Mass.: The MIT Press (CSIA studies in international security).
Naveh, Shimon (1997): In pursuit of military excellence. The evolution of operational theory. London, Portland, OR: Frank Cass
Orenstein, Harold S.; Glantz, David M. (1995): The evolution of Soviet operational art, 1927-1991. The documentary basis. Volume I, Operational Art, 1927-1964. 2 Bände. London: Frank Cass
Orenstein, Harold S.; Glantz, David M. (1995): The evolution of Soviet operational art, 1927-1991. The documentary basis. Volume II, Operational art, 1965-1991. New York: Routledge
Simpkin, Richard E.; Erickson, John (1987): Deep battle. The brainchild of Marshal Tukhachevskii. 1st ed. London, Washington: Brassey's Defence.
Svečin, Aleksandr A. (1992): Strategy. 2. ed., 1. publ. Minneapolis, Minn.: East View Publ.
 
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Krivo ist sicher sehr umfangreich, aber es stellt wohl eher das absolute Minimum an Verlustzahlen dar, also das, um das man nicht herumkommt es zuzugeben.

Das hat mit "zugeben" nur insoweit zu tun, als vor Öffnung der Archive die Zensur einschritt.

Wenn Du Dir mal die detaillierten Begründungen für solche Differenzen anschaust, etwa seitenlang in Lev Lopukhovsky: The Viaz'ma Catastrophe, 1941: The Red Army's Disastrous Stand against Operation Typhoon, 2013 [einem scharfen Kritiker der Stavka/Stalin-Dispositionen 1941: die programmierte Niederlage]*,

dann ist es weniger Zweifel an dem Quellenmaterial der russischen Archiv in formeller Hinsicht (oder der Vorwurf, dass hier "frisiert" wurde), als vielmehr für 1941 eine quellenkritische Betrachtung mit dem Ergebnis, dass in dem Rückzugschaos 1941 schlichte Falsch- und Fehlmeldungen bestanden, was eine Korrektur in qualitativer Hinsicht bedeutet.

Lopukhovsky bemängelt hier allein über 80 fehlende Zustandsmeldungen sowjetischer Divisionen (allerdings für die gesamte Front bzw. frontliegende RKKA-Verbände) im Zeitraum der Wjasma-Schlacht. Außerdem verprobt er die Zahlen mit Waffenverlusten etc., geht also quellenkritisch mit den Zustandsberichten um.

Orientiert man sich hier nur auf Basis der absortierten Meldungen, sozusagen nur an der formal richtigen "Addition", wird das Ergebnis falsch sein. Den Fehler kann man nur lageabhängig schätzen, und Zuschätzungen nicht wochen- oder monatsweise oder kampagnenweise übertragen, vor allem nicht pauschal über 4 Jahre.

So approximiert auch Glantz (für die der HG Mitte ggü. liegenden Verbände), indem er (Tabelle 22) zB den Bestand der West-/Zentral-/Reserve-/Brjansk-Fronten vom 10.7. (868.400 "on hand" aufgrund unterstellter Verbände) und Zwischenrechnung 31.7. (638.000) mit den angeordneten und prüfbaren Soll-Zugängen Juli/Sep auffüllt (weitere 310.000), mit dem Sollstand 30.9. vergleicht (558.000), rechnerische Verluste von 621.000 erhält, die aufgrund von endgültigen Meldungen auf 760.000** "aufgestockt" (also um rd. ein Viertel *** korrigiert) wurden. Eine ähnliche Approximation folgt für die deutsche HG Mitte, im ähnlichen %-Verhältnis auf rd. 110.- 140.000.

* das Manuskript unterlag zwar 1980 der Zensur, wurde 2008 dann erstmals auf russisch publiziert

** Krivosheev lt. Quellenmaterial und abschließenden Statistiken.

*** der entsprechende Faktor speziell für Wjasma lt. Lupokhovsky liegt bei 40-50%.
 
Das bestätigt meine Vermutung, dass "Smolensk" im deutschen Sprachraum bisher eher zögerlich - bzw. gar nicht - rezipiert wird, warum auch immer.

Die Vielzahl an Veröffentlichungen lässt jedenfalls die Tatsache, dass bisher keine (!?) deutschen Übersetzungen erschienen sind, umso seltsamer erscheinen. Liegt das allein am "Markt" oder an mangelndem Interesse für die "andere Seite"?

Das hat weniger mit Glantz zu tun, als dass es vielmehr ein Sachverhalt für die ganz überwiegende Anzahl englischer Erstveröffentlichungen ist.

Man könnte hier mal die deutschen Publikationen (neben DRZW Band 4) sortieren, die überhaupt zur HG Mitte 1941 erschienen sind. Außerhalb des DRZW ist das Wehrmachts-Geschichtsschreibung aus den 50ern bis 80ern.* ich liste mal bei Gelegenheit ein paar auf.

* Edit: abseits von Publikationen etwa zum Kommissarbefehl, sowjetischen Kriegsgefangenen etc., die die Entwicklung randweise streifen.
 
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...Wehrmachts-Geschichtsschreibung aus den 50ern bis 80ern.* ich liste mal bei Gelegenheit ein paar auf.

Hier die Beispiele in Auswahl, zT sicher abschreckend:

Heydorn, Der Sowjetische Aufmarsch Im Bialystocker Balkon bis zum 22. Juni 1941 und der Kessel von Wolkowysk
Haupt, Werner, Sturm auf Moskau 1941 sowie Die Schlachten der Heeresgruppe Mitte 1941-1944 - aus der Sicht der Divisionen und einige andere
Klapdor, Ewald, Der Ostfeldzug 1941 - eine vorprogrammierte Niederlage
Phillipi/Heim, Der Feldzug gegen Sowjetrußland
Manstein, Guderians Memoiren.

Dann gibt es die Reihe "Wehrmacht im Kampf", darunter zB
Hoth, Panzer-Operationen - Die Panzergruppe 3 und der operative Gedanke der deutschen Führung Sommer 1941
Munzel, Panzer-Taktik. - Raids gepanzerter Verbände im Ostfeldzug 1941/42
Chales de Beaulieu, Der Vorstoß der Panzergruppe 4 auf Leningrad - 1941 sowie Generaloberst Erich Hoepner - Porträt
von Mackensen, Vom Bug zum Kaukasus - Das III. Panzerkorps im Feldzug gegen Sowjetrußland 1941/42
Geyer, Das IX.Armeekorps im Ostfeldzug 1941

dann die Tagebücher
Halder, Bock, von Leeb

sowie vom MGFA
Reinhardt, Die Wende vor Moskau
Forstmeier, Odessa 1941
 
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Die Smolensk-Operation steht hier stellvertretend für die verschiedenen historischen Revisionen, die inzwischen für die Bewertung der Operationen 1941 mit dem Angriff auf die Sowjetunion bis zum Scheitern vor Moskau, Tikhvin und Rostov zu beobachten sind.

Hierzu eine neue Untersuchung, die sich mit dem scharfen Wandel der Geschichtsschreibung vom Kalten Krieg bis heute befasst:
German Defeat/Red Victory: Change and Continuity in Western and Russian Accounts of June-December 1941

(freier download)
 
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