Wahrheitsfindung im "Gottesurteil"

Matze007

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Ein Thread über die Problematiken bei der Wahrheitsfindung erinnerte mich an etwas, das es wohl mal gegeben hat (ja, da erschöpft sich meine Sachkenntnis bereits):
Ein Rechtsstreit wird entschieden durch ein Duell zwischen den Kontrahenten, mit dem Hintergrund, dass Gott ja wohl dem Recht zum Sieg verhelfen müsse indem er den Kampfausgang bestimmt.

War das eine originär christliche Angelegenheit ? Mir scheint die Idee dahinter recht universell zu sein.

Welche Bedeutung hatte sie, abgesehen davon dass sie heute in Fernsehproduktionen auftaucht, sprich, war sie in relevanten Zeiträumen und Ausdehnungen Teil der Rechtspflege ?
 
War das eine originär christliche Angelegenheit?
Nein. Entsprechende Rituale/Verfahren soll es schon im Judentum, in Persien, in Afrika, bei den Germanen, möglicherweise überall dort gegeben haben, wo an "höhere Wesen" geglaubt wurde. Siehe das Feuerprobe-Angebot in Sophokles' Antigone:
Erbötig waren wir, in glühend Eisen
Zu greifen und den Feuersprung zu tun
Und bei den Göttern hoch uns zu verschwören,
Der Täter nicht, noch eingeweiht zu sein.
 
In einer Zeit, in der man bei Aussage gegen Aussage keine andere Form der Wahrheitsfindung kannte als einen Schiedspruch Gottes, war das Gottesurteil die einzige Möglichkeit, die "Wahrheit" zu ermitteln. Man ging einfach davon aus, dass Gott zu Gunsten des im Recht Stehenden eingreifen würde. Dabei gab es verschiedene Formen des Gottesurteils. Von diversen Proben bis hin zu Zweikämpfen. Mit dem Inquisitionsverfahren* (ca. 1200) wurde das Gottesurteil eigentlich aufgehoben, aber wie das immer so ist, gibt es auch retardierende Strömungen weshalb das Gottesurteil auch noch neben dem Inquisitionsverfahren existierte.
So finden wir auch noch im 14. Jhdt. Gottesurteile. Auch ein Absinken der Würdigkeit. Während in der Frühzeit das Gottesurteil als Form des Kampfes dem Adel vorbehalten ist (wobei der ganz hohe Adel als Funktionelite wiederum ausgeschlossen wurde), wird es im späteren Mittelalter auch von Bürgern ausgefochten, teilweise gibt es auch regelrechte Mietkämpfer, um nichtwaffenfähige Bürger zu vertreten. Die Art der Austragung scheint immer regelloser geworden zu sein. Eigentlich gab es einen eng umgrenzten Kampfplatz und wer aus dem Kampfplatz getrieben wurde, der hatte das Gottesurteil verloren, auch wenn wer unverletzt blieb. In der späteren Zeit wurden das offenbar immer brutalere Spektakel, wobei man auch berücksichtigen muss, dass wir die Gottesurteile v.a. aus Sicht ihrer Kritiker überliefert haben, die womöglich auch dramatisierten, weil ihnen nicht passte, dass die nun das Urteil Austragenden bürgerlich waren.




*Mit Inquisition ist eine Verhör- und Ermittlungstechnik gemeint, keine Häretikerverfolgung, wobei beides zusammmenhängt.
 
Zuletzt bearbeitet:

Ups - unter "Sonstiges im Mittelalter" hätt ich freilich mal schauen können. So ist das, wenn man nicht mal richtig weiß in welche Epoche bzw Thematik etwas gehört.

Vielen Dank für die Antworten !


PS: Ich muss immer noch an die Szene aus "Königreich der Himmel" denken, in welcher ein muskebepackter Hüne in gerechter Empörung ein Gottesurteil durch Zweikampf fordert, und einer seiner Mitreisenen kommentiert "nehmt euch in Acht, unser Freund ist ein eifriger Student der Rechte".
 
Nun, in Texten aus dem Mittelalter findet sich immer wieder auch der Fall, dass Gottesurteile "gelinkt" sind, Beispiel: Isoldes Reinigungseid. Das deutet zumindest daraufhin, dass es damals bereits Skepsis gegeben haben dürfte.
 
Nun, in Texten aus dem Mittelalter findet sich immer wieder auch der Fall, dass Gottesurteile "gelinkt" sind, Beispiel: Isoldes Reinigungseid. Das deutet zumindest daraufhin, dass es damals bereits Skepsis gegeben haben dürfte.
Wobei der Glaube an Manipulationen den Glauben an das grundsätzliche Funktionieren nicht ausschließen muss. Zum Vergleich: In der Antike wurde auch gemutmaßt (mitunter auch als sicher angenommen), dass einzelne Orakelsprüche in Delphi gekauft waren, ohne dass deswegen gleich das Orakel als solches in Zweifel gezogen worden wäre.

Skepsis gegenüber Gottesurteilen gab es u. a. von Theologen, allerdings eher aus theologischen Erwägungen, weil sie darin ein unzulässiges Gott auf die Probe stellen sahen.
 
Skepsis gegenüber Gottesurteilen gab es u. a. von Theologen, allerdings eher aus theologischen Erwägungen, weil sie darin ein unzulässiges Gott auf die Probe stellen sahen.
Zunächst haben die Theologen geschwiegen: "Eindeutig Stellung zu beziehen, wurde [ihnen] auch dadurch erschwert, dass zwischen dem geförderten Wunderglauben ... und dem festen Vertrauen auf den Spruch des gerechten Richters im Ordal des weltlichen Rechtsgangs allenfalls graduelle Unterschiede auszumachen sind." [1]

An die Stelle des Schweigens trat eine recht intensive Förderung, nicht nur im Grundsätzlichen [2], sondern auch indem Kleriker "neue Formen von Gottesurteilen" entwickelten und "umfangreiche liturgische Anweisungen für die Durchführung der Ordale" entwickelten, "so dass sie durchaus als christliche Institution erscheinen." [2]

Nach der Verurteilung der Gottesurteile auf dem Laterankonzil 1215 wurde die Institution in der Rechtspraxis nach und nach durch das Inquisitionsverfahren abgelöst, das freilich auf Engste mit der Folter amalgamiert war. Ob hierbei wiederum "theologische Erwägungen" angestellt wurden? Welche mögen das gewesen sein?

Letztere Frage ist sicher auch für die weitere Entwicklung relevant:
Erst im 16. Jh. lebten sie [die Gottesurteile] wieder im Zuge der Hexenverfolgung auf.
Anders ausgedrückt: "Ähnliche Praktiken kamen ... mit kirchlicher Billigung wieder in Übung." [4] Sicher gab es gute Gründe dafür.


[1] TRE Bd. 14 S. 102; Ordal = Gottesurteil
[2] Von verschiedenen Synoden (Mainz 847, Worms 868, Seligenstadt 1023 usw.) wurden Gottesurteile vorgeschrieben.
[3] ebd.
[4] ebd., S. 103
 
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