Karl Kraus - WK1 - die letzten Tage der Menscheit

TomiBreitner

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Ich lese gerade das Buch "Die letzten Tagen der Menschheit" von Karl Kraus.
Meines Erachtens nach handelt es sich dabei um eines der bekanntesten Zeugnisse / Berichte der kuk Monarchie während des WK1.

Allerdings muss ich feststellen, dass die Zeugnisse dieser Zeit aus Deutscher/Preussischer Sicht weitaus umfangreicher sind. Dementsprechend lässt sich auch die Qualität besser einschätzen. Beispielsweise weiß ich was von Ernst Jünger oder Rommel zu halten ist.
Dies ist bei Kraus nicht der Fall.

Ich paraphrasiere:

Es gab einen Streit zwischen Geschäftsleuten/Militär/Finanzminister um ca 2 Millionen Decken für die Karpathenschlacht bereitzustellen. Decken wurden zu spät (nach dem Winter) freigegeben wegen Zollformalitäten. Das hatte verheerende Folgen für das Karpathenkorps.

Galizische Flüchtlinge wurden ohne jeglichen Respekt in Wien behandelt.

Ruthenen wurden als Unterklasse angesehen, und im Militär schikaniert.

Standrechtliche Erschießungen wegen Konservendosen.

Generell wird der Anschein erweckt als ob Willkür an der Front herrschte.

Saddismus im Heer.



Mir stellt sich also die Frage, ob dieses Buch ein realistisches Bild zeichnet, oder ob es hier zu einer starken (satirischen) Übertreibung kommt
 
Natürlich ist das Werk satirisch überspitzt, aber wie jede gute Satire basiert es schon auf realen Zu- bzw. Missständen.
Zu bedenken ist aber auch, dass das Werk kurz nach Kriegsende fertiggestellt und veröffentlicht wurde, als besonders deutlich war, was der Krieg bewirkt hatte.

Übrigens gibt es schon noch mehr interessante literarische Werke über die k.u.k. Armee im 1. WK. Allen voran "Der brave Soldat Schwejk" von Jaroslav Hasek. Von Joseph Roth spielen die Romane "Radetzkymarsch" und "Die Kapuzinergruft" teilweise im Militär im 1. WK (ersterer großteils in den Jahren davor).
 
Natürlich sind Bücher von Roth sowie der "Schwejk" jedem der mit der Materie befasst ist auch bekannt. Allerdings bleibt davon meine Hauptkritik unberührt: das Bild der Zustände im Militär und an der Front lassen sich nicht so einfach nachvollziehen wie auf Deutscher Seite.
Wenn ich 5 min auf youtube suche, habe ich mehrere Dokus über Jünger. Er hat mehrere Bücher über den WK1 sowie seine Erfahrungen. Seine Bücher bauen teilweise aufeinander auf. Mit dieser Quelle alleine kann ich mir schon recht gut denken, wie es an der Westfront gelaufen ist, und wie Deutsche Militärs behandelt wurden.
Zahlreiche Deutsche Tagebücher sind online verfügbar.

Das alles fehlt auf Österreichischer Seite, bzw ist nur schwer zugänglich.

Das Werk von Kraus ist ein klassisches Beispiel für die Problematik: es ist satirisch, es wurde anscheinend sehr viel hineininterpretiert und ausgeschmückt.

Als klassisches Beispiel führe ich die Decken für den Karpathenfeldzug an. Die entsprechende Stelle findet sich relativ am Anfang des Buches:
Ich kann es mir nicht ganz vorstellen, dass ein arroganter Bürokrat (Finanzminister) in Kriegszeiten die Decken für die Karpathenschlacht über den Winter zurückhalten kann, mit der Folge das Tausenden die Beine abfrieren. Wenn das so wäre, würden sich darüber noch andere Berichte im Internet finden lassen, was aber nicht der Fall ist.

Weiteres Beispiel aus dem Buch, müsste ca im 5 oder 6 Abschnitt sein:
eine Kellnerin aus Kastelruth macht Sperrstunde, allerdings wollen die kuk Soldaten weiterbechern. Als es keinen Wein mehr gibt wird die Kellnerin einfach erschossen. Und der Leutnant sagt dazu zum anderen: nein, warum haben Sie das gemacht, jetzt bekommen Sie 3 Wochen Zimmerarrest.

Oder der Soldat den man zur Strafe einfach erfrieren lässt, weil er vermeintlich eine Konserve gestohlen hat.


Das Problem hier ist einfach, dass sich nicht nachvollziehen lässt, wo die Grenze zwischen Fakt und Fiktion ist. Für mich klingt Kraus eher wie ein Schwarzmaler und Manipulator des Negativen - nicht so wie Jünger, wo das Bild etwas klarer ist, selbstverständlich fehlen dort auch große Aspekte, aber das Grundbild ist klar.
 
Das Problem hier ist einfach, dass sich nicht nachvollziehen lässt, wo die Grenze zwischen Fakt und Fiktion ist. Für mich klingt Kraus eher wie ein Schwarzmaler und Manipulator des Negativen - nicht so wie Jünger, wo das Bild etwas klarer ist, selbstverständlich fehlen dort auch große Aspekte, aber das Grundbild ist klar.

Du hast die Fakten bisher nicht ausreichend aufbereitet und nicht sortiert und kannst - laut eigener Aussage - Kraus nicht korrekt einschätzen. Vor diesem Hintergrund erfolgt dann dennoch eine subjektive Beurteilung. Eine Beurteilung, bei der Kraus negativ beschrieben wird und Jünger, über den eigentlich gar nichts bisher gesagt wurde, indifferent positiv beurteilt wird. Wobei mir unklar ist, wieso bei Jünger das "Grundbild" klar bleiben soll. Ist das Grundbild eine unkritische Verherrlichung von Gewalt oder was ist mir "Grundbild" gemeint?

Wie man zudem einen Schriftsteller wie Kraus, der beispielsweise in der "Fackel" pointiert kritisch zur "Urkatastrophe" des zwanzigsten Jahrhundert Stellung bezogen hat, als einen "Manipulator des Negativen" zu erkennen glaubt, erschließt sich mir absolut nicht. Zumal der WW1 in seiner Durchführung von Anfang an menschenverachtenden Züge in der Kriegsführung gezeigt hat, die bis dahin ohne gleichen waren.

Die Realität des Krieges war der Erzeuger des Negativen, da hat es der Manipulation kaum gebraucht.

Im Ergebnis: So einfach - wie oben durch TomiBreitner vermutet - ist das Urteil über Kraus sicherlich nicht. Bei einer schnellen Durchsicht von ca. 8 Fundstellen (Büchern), die zu Kraus etwas sagen, trifft die Beurteilung von Ravenik "Natürlich ist das Werk satirisch überspitzt, aber wie jede gute Satire basiert es schon auf realen Zu- bzw. Missständen." weitgehend zu und beschreibt das Verhältnis von Fakten zu "künstlerischer Freiheit" angemessen. (vgl. beispielsweise zur Einschätzung von Kraus "Piper, Nacht über Europa, S. 288)
 
Zuletzt bearbeitet:
thanepower,

du schreibst hier viel, allerdings ist dies an der Thematik vorbei.
Die Problematik meiner Fragestellung scheinst du nicht verstanden zu haben, oder möchtest es nicht verstehen und fügst dem Ganzen eine emotionale Ebene an.

Am besten lässt sich die grundlegende Fragestellung hiermit zusammenfassen:
"Das Problem hier ist einfach, dass sich nicht nachvollziehen lässt, wo die Grenze zwischen Fakt und Fiktion ist."

Man kann das eigentlich recht einfach überprüfen, dazu habe ich ja diverse Beispiele angefügt. Eines davon welches ich bereits gebracht habe:

"Als klassisches Beispiel führe ich die Decken für den Karpathenfeldzug an. Die entsprechende Stelle findet sich relativ am Anfang des Buches:
Ich kann es mir nicht ganz vorstellen, dass ein arroganter Bürokrat (Finanzminister) in Kriegszeiten die Decken für die Karpathenschlacht über den Winter zurückhalten kann, mit der Folge das Tausenden die Beine abfrieren. Wenn das so wäre, würden sich darüber noch andere Berichte im Internet finden lassen, was aber nicht der Fall ist."

Ist das nun so vorgefallen, oder entspringt es den Gedanken des Schriftstellers?

Umso tiefer ich mich in diese Thematik einarbeite, umso mehr entsteht der Eindruck, dass es sich um ein primär fiktives Buch handelt. Kraus beteuert zwar, es handle sich um Darstellungen von tatsächlichen Handlungen, allerdings sind die extremeren Schilderungen zu unglaubwürdig, und können nicht belegt werden.
z.B. 3 Wochen Hausarrest für einen Mord an einer Kellnerin?
z.B. Standrechtliche Erschießung wegen dem Besitz einer weißen Fahne?

Es konnte hier noch keiner eine definitive Antwort geben. Ravenik bestätigt die Satire. Wobei die Grenze zwischen Satire und Lüge fließend ist. Mit Übertreibungen und Verfäschungen haben sich ja schon immer Geld machen lassen.
Die Antwort von thanepower interpretiere ich als ein gut gemeintes Blendwerk, welches am Thema vorbei geht. Darüber hinaus interpretierst du fälschlichst etwas in meinen Beitrag hinein (Stichwort: Jünger).
 
Zunächst einmal eines - wenn Karl Kraus behauptet, dass er die Wirklichkeit abbildet, muss das gar nicht stimmen. Er war immerhin nicht nur Journalist und Kriegsberichtserstatter, sondern in erster Linie doch auch ein Schriftsteller, und Sprachkünstler, und desto mehr jemand etwas "künstlerisch" gestaltet, desto mehr besteht die Gefahr, dass (vielleicht sogar nur unabsichtlich) die Fakten verändert werden.

Hinzu kommt noch, dass selbst eine objektive Darstellung keineswegs sachlich sein muss oder ihre Fakten unverändert lässt.

Auch als Kriegsbericht-Erstatter kann selbst ein Karl Kraus wohl kaum an jedem einzelnen Kriegsschauplatz persönlich gewesen sein, er wird für vieles wohl nur Berichte anderer als Quelle gehabt haben, und selbst, wenn diese zuverlässig waren, sind es noch immer Berichte aus zweiter Hand.

Hinzu kommt noch das Repertoire der Klischees, Stereotypen etc., das gewöhnlich auch von seriösen, qualitativen Schreibenden eingesetzt wird, um bestimmte Inhalte zu transferieren und auf den Punkt zu bringen.
Nur ein Beispiel: Alexander hat das Perserreich nicht alleine erobert, und ebenso hat Napoleon I. seine Schlachten auch nicht als Einzelner gewonnen oder ein Friedrich II. seinen Siebenjährigen Krieg.

Andererseits ist diese Vereinfachung insofern nützlich, als die Botschaft verständlich ist. Alexander erobert das Perserreich bedeutet eigentlich nur kurz und bündig: Das Perserreich wurde von Alexander und seiner Armee etc. erobert + Aufstellung, wer aller daran beteiligt war, welchen Anteil die dabei gehabt haben werden und Ähnliches.

Bei Karl Kraus dürfte die Lage ähnlich sein. Ich halte es schon für glaubwürdig, dass Decken z. B. wirklich nicht zeitgerecht geliefert wurden. Immerhin umfasst eine solche Lieferung aber auch eine ganze Menge Zwischenschritte: Bestellung, Herstellung, Bezahlung, Lieferung, Organisation des Transports etc. Damit sind die unterschiedlichsten Personen beauftragt, und wenn da jemand einen Fehler macht oder sich tatsächlich ein wenig bereichern will, ist vorstellbar, dass das unter bestimmten Umständen eine Katastrophe sein kann, leider. (Zudem wird hier der Eindruck vermittelt, dass die im Ministerium gar keine Ahnung haben, wie ernst die Lage wirklich an der Front da draußen ist.)

Wenn Kraus daraus allerdings eine von oben gelenkte Aktion macht, so ist natürlich entscheidend, ob es dazu Indizien oder gar Beweise gibt. Hat sich der Befehl des Ministers erhalten oder irgendeine Kopie? Oder gibt es zumindest schriftliche Belege dafür, dass es so einen Befehl tatsächlich gegeben haben könnte.

Doch selbst wenn das nur erfunden ist, könnte es vielleicht Gerüchte diesbezüglich gegeben haben, die Kraus vielleicht tatsächlich geglaubt haben könnte.

Oder er hat sie nicht geglaubt, könnte sie aber aufgegriffen haben, weil sie sich gut in seine eigene Idee gefügt haben, die er darstellen wollte.

Solange Kraus der einzige ist, der davon gewusst hat, ist jedenfalls schon Skepsis am wahren Sachverhalt angebracht. Aber auch wenn andere darüber berichten, muss das nicht heißen, dass es stimmt, sondern sie können von einander abgeschrieben oder demselben Gerücht geglaubt haben.

Welche Botschaft vermittelt die Stelle von Kraus, die hier als Beispiel angeführt ist. Fakt ist, dass hier eine schreckliche Geschichte erzählt wird und dass Kraus hier eine klare Schuldzuweisung vornimmt.

In seiner Darstellung ergibt sich jedenfalls folgender Sachverhalt:
- Eine für Soldaten an der Front schreckliche Sache wird in seiner Darstellung zu einem Kriminalfall, in dem Menschen eiskalt einem niedrigen Beweggrund geopfert werden.
- Die Schuld wird eindeutig einem Regierungsorgan zugeschoben und dieser (und wohl auch stellvertretend mit ihm die Regierung) in die Verantwortung genommen. Wichtig hier auch die Botschaft: Es gibt einen Schuldigen.
- Eine weitere Botschaft: Diese Katastrophe hätte leicht verhindert werden können.

Ob diese Vorgehensweise nun gut oder schlecht zu bewerten ist, einen Zweck erfüllt sie jedenfalls: Die "Letzten Tage" der Menscheit, bekommen, ob zu Recht oder Unrecht, ein Gesicht, Akteure, Motivationen. Sie werden personalisiert, greifbar, auf ein vorstellbares Maß reduziert, und mit Schuldigen, Verbrechen etc. lässt sich das Geschehene doch irgendwie besser bewältigen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Bei Karl Kraus dürfte die Lage ähnlich sein. Ich halte es schon für glaubwürdig, dass Decken z. B. wirklich nicht zeitgerecht geliefert wurden. Immerhin umfasst eine solche Lieferung aber auch eine ganze Menge Zwischenschritte: Bestellung, Herstellung, Bezahlung, Lieferung, Organisation des Transports etc. Damit sind die unterschiedlichsten Personen beauftragt, und wenn da jemand einen Fehler macht oder sich tatsächlich ein wenig bereichern will, ist vorstellbar, dass das unter bestimmten Umständen eine Katastrophe sein kann, leider. (Zudem wird hier der Eindruck vermittelt, dass die im Ministerium gar keine Ahnung haben, wie ernst die Lage wirklich an der Front da draußen ist.)
Nach Tomis Darstellung war es nach Kraus' Darstellung ja wohl in erster Linie die Bürokratie, nicht das Vorhandensein der Decken, welche die rechtzeitige Lieferung der Decken verhinderte. Das kann ich mir durchaus vorstellen. Im Raum Osnabrück wurde letztes Jahr ein Bahnübergang mit neuen Verkehrszeichen versehen, die Autofahrer vor dem Zugverkehr warnen sollten. Nur... die Bahnlinie wird seit Jahren nicht mehr betrieben, was man auch deutlich daran sieht, dass zwischen den Gleisen Bäume wachsen.
Da kann man wirklich von Amtsschimmel reden...
Wenn Kraus daraus allerdings eine von oben gelenkte Aktion macht, so ist natürlich entscheidend, ob es dazu Indizien oder gar Beweise gibt. Hat sich der Befehl des Ministers erhalten oder irgendeine Kopie? Oder gibt es zumindest schriftliche Belege dafür, dass es so einen Befehl tatsächlich gegeben haben könnte.
Angeblich soll Kraus ja vielfach einfach Schlagzeilen der Kriegsjahre zu Dialogen montiert haben.

Aber wir kennen ja auch alle die Legende vom toten Soldaten, oder?

Und als der Krieg im vierten Lenz
Keinen Ausblick auf Frieden bot
Da zog der Soldat seine Konsequenz
Und starb den Heldentod.

Der Krieg war aber noch nicht gar
Drum tat es dem Kaiser leid
Daß sein Soldat gestorben war:
Es schien ihm noch vor der Zeit.

Der Sommer zog über die Gräber her
Und der Soldat schlief schon
Da kam eines Nachts eine militär-
ische ärztliche Kommission.

Es zog die ärztliche Kommission
Zum Gottesacker hinaus
Und grub mit geweihtem Spaten den
Gefallnen Soldaten aus.

Der Doktor besah den Soldaten genau
Oder was von ihm noch da war
Und der Doktor fand, der Soldat war k. v.
Und er drückte sich vor der Gefahr.

[Die Ballade geht noch weiter, aber das ist hier und jetzt obsolet.]

Was ich durchaus für plausibel halte, was Tomi ja auch als eine der Unglaubwürdigkeiten identifizieren wollte, ist die Geschichte mit den drei Wochen Arrest für den Mord. Im Krieg passieren skurrile Dinge. Und je nachdem, wer Opfer und Täter war... Es wird doch sicherlich eine historisch-kritische Ausgabe zu Kraus geben, oder?
 
Ich stelle die entsprechende Passage aus dem Buch einfach hier ein.

Übrigens, das ganze Buch ist public domain und in Gutenberg:
Die letzten Tage der Menschheit von Karl Kraus - Text im Projekt Gutenberg

Ein Zitat aus dem Vorwort, welches Authentizität für sich beansprucht:

Die unwahrscheinlichsten Taten, die hier gemeldet werden, sind wirklich geschehen; ich habe gemalt, was sie nur taten. Die unwahrscheinlichsten Gespräche, die hier geführt werden, sind wörtlich gesprochen worden; die grellsten Erfindungen sind Zitate. Sätze, deren Wahnwitz unverlierbar dem Ohr eingeschrieben ist, wachsen zur Lebensmusik.
Der Wolldeckendialog:

Der Patriot: Natürlich, das sind die schönsten Jahre! Wissen Sie, worin auch der Unterschied liegt? In der Ausrüstung. Die is nämlich das Wichtigste. Aber bei uns versteht sich das einfach von selbst, da wird gar kein Aufhebens gemacht. Haben Sie gelesen heute: Italienische Sorgen wegen warmer Gebirgskleidung für die Soldaten?

Der Abonnent: Sorgen was sie haben!

Der Patriot: Bei uns kümmert man sich um so was gar nicht. Bagatell! Man vergibt die Lieferungen und fertig. Sie kennen doch die Geschichte mit den Wolldecken? Oder nicht?

Der Abonnent: Nein.

Der Patriot: Da haben Sie ein großartiges Beispiel, wie das alles bei uns von selbst geht. Feiner & Co. machen einen Schluß auf anderhalb Millionen Wolldecken aus Deutschland, unser Kriegsministerium war der Ansicht, so viel beiläufig wird nötig sein für die Karpathen im Winter. Man hat aber die Sache nicht tragisch genommen, weil man ja schon vorher mit dem Endsieg gerechnet hat. Also wie es dann doch ernst wird, heißt es plötzlich, schön, aber zuerst müssen die Zollformalitäten erledigt wern. Der Finanzminister is um keinen Preis zu bewegen, die Ware früher herauszugeben, und der Kriegsminister hat wieder gesagt, man braucht sie. Was soll ich Ihnen sagen, das is so sechs Monate gegangen, hin und her zwischen Kriegsministerium und Finanzministerium. Durch der ganzen Karpathenschlacht hindurch. Da entschließt sich die Firma, und Katzenellenbogen aus Berlin, Sie wissen doch, der bei uns die rechte Hand is speziell im Kriegsministerium, interveniert persönlich. Er is hinaufgegangen zum Finanzminister und sagt ihm direkt ins Gesicht, das geht nicht! Der Finanzminister sagt, er kann das nicht kurzerhand erledigen. Sagt ihm Katzenellenbogen, energisch wie er is Sie wissen doch, seine Gewure, sagt ihm also Katzenellenbogen, erstens geht die Firma in Konkurs, zweitens gehn die Wolldecken zugrund, sie liegen im Freien bei der Nässe und Kälte, sie sind schon fast alle hin –

Der Abonnent: Wer?

Der Patriot: No, die Wolldecken! Sie sind nämlich im Freien gelagert.

Der Abonnent: Wer?

Der Patriot: No, die Wolldecken! Was fragen Sie? Also, sagt er kategorisch, erstens geht die Firma in Konkurs, zweitens gehn die Wolldecken zugrund und drittens brauchen sie schließlich auch die Soldaten. Zuckt der Finanzminister mit die Achseln und antwortet ihm, er kann nicht, der Akt muß erledigt wern. Erst der Zoll, dann die Decken –

Der Abonnent: No warum hat aber das Kriegsministerium nicht gezahlt?

Der Patriot: Frag! Der Kriegsminister hat sich auf den Standpunkt gestellt, er kann nicht, erst muß der Akt erledigt wern.

Der Abonnent: Der Akt für den Zoll? Das erklärt doch der Finanzminister?

Der Patriot: Konträr, der Akt über die Flüssigmachung für den Zoll!

Der Abonnent: Ah so, no und was is da geschehn? ich bin schon gespannt –

Der Patriot: Was geschehen is? Katzenellenbogen geht wieder hinauf und sagt ihm ins Gesicht: Exzellenz, sagt er, das Kriegsministerium gibt nicht nach. Sagt er, ich will Ihnen was sagen. Im kaufmännischen Verkehr is es üblich, wenn eine Kunde momentan nicht zahlen kann, man erkundigt sich aber und hört, die Kunde is gut, so is es üblich, man stundet ihr. Exzellenz, ich wer Ihnen was sagen, erkundigen Sie sich über das Kriegsministerium, Sie wern hörn, es is gut – was ham Sie davon, stunden Sie ihm! No, das hat ihm eingeleuchtet. Man hat gestundet und die Wolldecken sind ausgeliefert worn.

Der Abonnent: No also, war doch alles in schönster Ordnung?

Der Patriot: So weit ja. Da war aber schon März. Was soll ich Ihnen sagen, wie man die Decken herauszieht, sind sie total verdorben. Jetzt hat man Flüchtlinge genommen, immer zwei zusammstoppen lassen, und wie schließlich April wird und alles war so weit in Ordnung, leider doppelt so teuer wie bei der Bestellung, no so eine Arbeit will doch bezahlt sein, Kleinigkeit anderhalb Millionen Wolldecken zammstoppen – also wie alles fertig war, was glauben Sie daß sich da herausstellt?

Der Abonnent: Noo –?

Der Patriot: Stellt sich heraus, die Soldaten haben die Wolldecken gar nicht mehr gebraucht. Denn erstens war schon nicht mehr so kalt in den Karpathen, und dann waren den meisten sowieso schon die Füß abgefroren. – No, jetzt frag ich einen Menschen: machen wir uns Sorgen wegen Wolldecken?

Der Abonnent: Die Italiener ja! Das ham sie jetzt davon! Was sagen Sie zu Lebensmittelteuerung in Italien?

Der Patriot: Davon hab ich nichts gelesen, ich hab nur gelesen von schlechter Ernte in Italien.

Der Abonnent: Verwechseln Sie das nicht mit Mißernte in England?

Der Patriot: Das is wieder ein anderes Kapitel, genau so wie man wieder Lebensmittelknappheit in Rußland unterscheiden muß.

Der Abonnent: Ich bitt Sie, es is überall dasselbe. Und Verlustlisten zum Beispiel haben sie auch schon überall eingeführt.

Wenn dieses Ding auch nur halb wahr ist, gibt es dafür auf Jahrzehnte bürokratische Spuren!
 
Zuletzt bearbeitet:
Das Buch muss ich mir mal zu Gemüte führen.

Klinkt alles interessant was dazu hier steht.
 
Was ich durchaus für plausibel halte, was Tomi ja auch als eine der Unglaubwürdigkeiten identifizieren wollte, ist die Geschichte mit den drei Wochen Arrest für den Mord. Im Krieg passieren skurrile Dinge. Und je nachdem, wer Opfer und Täter war...
Tirol war nicht Galizien. Dass der Mord an einer Tiroler Kellnerin faktisch straflos geblieben wäre, kann ich mir eigentlich nicht vorstellen.

Allerdings muss ich feststellen, dass die Zeugnisse dieser Zeit aus Deutscher/Preussischer Sicht weitaus umfangreicher sind.
Allerdings bleibt davon meine Hauptkritik unberührt: das Bild der Zustände im Militär und an der Front lassen sich nicht so einfach nachvollziehen wie auf Deutscher Seite.
Wenn ich 5 min auf youtube suche, habe ich mehrere Dokus über Jünger. Er hat mehrere Bücher über den WK1 sowie seine Erfahrungen. Seine Bücher bauen teilweise aufeinander auf. Mit dieser Quelle alleine kann ich mir schon recht gut denken, wie es an der Westfront gelaufen ist, und wie Deutsche Militärs behandelt wurden.
Zahlreiche Deutsche Tagebücher sind online verfügbar.

Das alles fehlt auf Österreichischer Seite, bzw ist nur schwer zugänglich.
Zum einen gab es wesentlich mehr reichsdeutsche als (deutsch-)österreichische Kriegsveteranen. Somit ist schon einmal naheliegend, dass es in Deutschland auch mehr Veröffentlichungen gab.
Zum anderen scheinen sich mir die Erinnerungskultur und der Zugang zum 1. WK in der Zwischenkriegszeit in Deutschland und in Österreich unterschieden zu haben. (Der 1. WK hatte für Österreich auch deutlich desaströser geendet als für Deutschland.) In Österreich fehlte die Dolchstoßlegende, die paramilitärischen Verbände waren nicht so sehr im gemeinsamen Kriegserlebnis verhaftet wie etwa der "Stahlhelm" und der Bruch mit der Vergangenheit in Österreich-Ungarn war viel schärfer.
 
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