Nitze vertritt in einem
Interview 1986 die Ansicht, dass die Atombombe den Japanern eine Entschuldigung für ihre Kapitulation gab. Dass sie nach einem Ausweg gesucht hätten um den Krieg halbwegs ohne Gesichtsverlust zu beenden. usw..
Die These hat zwei Seiten. Zum einen war Admiral Yamamoto von Beginn an deutlich, dass es sich nicht um einen Krieg handeln würde, der mit einem "Siegfrieden" beendet wird, sondern als "Abnutzungskrieg" die Bereitschaft Amerikas zum Friedensschluss herbeiführen soll.
Insofern war aus der Sicht der Marine ein Kompromissfrieden bereits eingeplant.
Diese Sicht repräsentierte einen Teil der Meinung der politischen, militärischen Entscheider in Tokyo.
Die andere Sicht wurde durch die primär kontinental ausgerichtete Vorstellung durch die Armee verkörpert. In dieser Vorstellung war die Idee des "Totalen Kriegs", beispielsweise bei Oberst Ishiwara und anderen sehr ausgeprägt. Und hatte seinen Niederschlag im japanischen Imerialismus in der Mandschurei gefunden.
Vor diesem Hintergrund sind zwei Aspekte zu betrachten, die für die Frage des "Gesichtsverlustes" relevant sind.
1. Für Japan ist erstaunlich, dass in den zwanziger und dreißiger Jahren ein dramatischer Verfall der abstrakten, nicht personenzentrierten Autorität im Militär zu erkennen ist (vgl. K. Singer: Spiegel, Schwert und Edelstein. Strukturen des japanischen Lebens. 1991). Diese Beobachtungen hatte Singer in Japan zwischen 1931 und 1939 gemacht (vgl. ebd. S. 164ff)
Die Streitkräfte zerfielen in kleine Gruppen rivalisierender Netzwerke, die durch
persönliche Loyalität aufgrund historisch gewachsener Beziehungen sich verbunden fühlten.
Das trennte sowohl die Armee von der Marine, aber fragmentierte auch beispielsweise die Armee intern, die zudem durch einen starken Generationsgegensatz geprägt war, aus dem sich der Grad der Radikalisierung in Bezug auf den "Totalen Krieg" speiste.
In dieser Situation kam dem "Teno" die zentrale integrierende Funktion zu, die alleine als höchste Autorität in der Lage war, diese antagonistischen Positionen in Japan im Jahre 1945 zu integrieren.
2. Der zweite Aspekt betrifft die kulturelle Dimension und die Frage, was als "
Schande" für sich und im Verhalten von anderen wahrgenommen wird.
So schreibt beispielsweise Ruth Benedict (Chrysantheme und Schwer. Formen der japanischen Kultur. 2006) bereits in der Erstveröffentlichung im Jahr 1946, dass es ein ausgeprägtes Schamgefühl in Bezug auf eine Kapitulation bei den Japanern gab.
In diesem Sinne wurde die Kapitulation von Amerikanern mit Verständnislosigkeit und Verachtung betrachtet, da es diametral den japanischen Werten entgegengesetzt war. Die Japaner hatten von den Amerikanern ein Kampf bis zu letzten Mann erwartet, damit es ein ehrenvoller Kampf gewesen wäre (vgl. ebd. S. 43).
Diese Sicht auf eine Schande, die mit der Kapitulation zusammenhing betraf dabei vor allem das Symbol für die Einheit der Nation und fand in der "konstruierten" Identität von "Tenno und der Nation" seinen Ausdruck.
Bei den Verhandlungen zwischen den Amerikanern und den Japanern ging es bei der Frage der "Gesichtswahrung" somit im wesentlichen um die Frage der zukünftigen Rolle des Tenno.
Der ursprüngliche Text, den die Japaner den Amerikanern zugeschickt hatten als "Kapitulation" ging - sehr verklausuliert - von einer weiterhin bestehenden legal abgesicherten Position bzw. Funktion des Tenno als Staatsoberhaupt aus.
Dieses wurd vom State Department erkannt und man bestand darauf, dass im Falle der Kapitulation, die staatliche Autorität auf die Besatzungsbehörden (MacArthur) übergehen würden.
An diesem Punkt mußten die Japaner über ihren "kulturellen" Schatten springen. Ob die Atomwaffen die Bereitschaft bei den "Hardlinern" erhöht haben, halte ich für unwahrscheinlich. Allerdings hat der Abwurf wohl auf den Tenno deutlichen Eindruck gemacht und er hat sich - auch unter Gesichtsverlust - für die Kapitulation entschieden.
Möglichweise war der Abwurf der A-Bombe in seiner Wirkung auf die Japaner an der entscheidensten Stelle am wirksamsten, beim Tenno.