Neandertaler im heutigen Spanien waren Vegetarier

Die Schlagzeile ist genauso spektakulär wie falsch.

Unter einem Vegetarier versteht man, jemanden der kein Fleisch isst. Das ist so an keiner Stelle für einen Neanderthaler nachgewiesen. Wer manchmal Fleisch isst, ist kein Vegetarier. Wer sich hauptsächlich von Fisch und Muscheln ernährt, ist nach der gängigen Definition auch kein Vegetarier.
Und wer aus der Not heraus vegetarisch lebt, ist auch kein Vegetarier, sondern schlicht ein Hungerleider.

Zu den angeblichen Vegetarien aus der El-Sidron-Höhle kann man Wikipedia noch folgende Information entnehmen:
"Die Überreste stammen von mindestens 12 Neandertalern: drei männlichen und drei weiblichen Erwachsenen sowie von drei Jugendlichen und drei Kindern im Alter von ca. zwei, fünf und acht Jahren. Bei allen zeigen die Zähne deutliche Zeichen von Nahrungsmangel."

Vielsagend ist natürlich auch, dass für die El-Sidron-Höhle zusätzlich zum Vegetarismus auch der Kannibalismus vermutet werden kann. So kann sich jeder die Neanderthaler ausmalen, wie es ihm gerade gefällt. :pfeif:
 
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Die Schlagzeile ist genauso spektakulär wie falsch.
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So kann sich jeder die Neanderthaler ausmalen, wie es ihm gerade gefällt. :pfeif:

Wer weiß, vielleicht dient der “brilliante“ Spiegelartikel ja noch als Vorlage für eine nette Parodie...
Ein verächtlich jegliches Mammutsteak schmähender und all seine Muskelkraft ausschließlich dem lieblichen Zupfen von Heidelbeerchen und Steinpilzchen widmender Neanderthaler würde sich doch ganz prima einreihen zwischen Haifisch “Bruce“ und “Count Duckula“.
:zunge:
 
So ein friedlich grasender Neandertaler ist doch eine nette Vorstellung. Es wäre aber auch möglich, dass ihn die Nahrungskonkurenz zum Jäger machte.:grübel:
 

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Die eigentlich spannende Frage ist meiner Meinung die nach der Kultur. Mit Kultur meine ich jetzt nicht die Mundflora.:pfeif:
Zum Nachweis der Ernährung ist die Naturwissenschaft natürlich gefragt, aber sie kann nicht das Verhalten der Menschen erklären.

Die Wissenschaftler und Journalisten scheinen dem Neandertaler durch und durch rationale begründete Ernährungsgewohnheiten zu unterstellen. Sie ernähren sich, von dem, was ihre Umwelt hergibt und essen - anders als moderne Menschen - genau das, was für sie gesund ist.
Von der Salizylsäure und dem Penicilin wusste der Neandertaler sicherlich nichts. Dass er sich der Wirkung von Heilpflanzen überhaupt bewusst war, ist bereits eine Unterstellung. Genauso gut könnte man behaupten, die Neandertaler von El Sidrón hätten versucht sich durch ihre Pinienkerndiät zu entschlacken.

Was sich der Neandertaler dabei gedacht hat, werden wir nie herausfinden. So ergibt sich ein weites Spielfeld aktuelle Deutungsmuster in diese Vorgeschichte zu übertragen. Vielleicht wollten alle Neandertaler auch einfach nur gluten- und laktosefrei leben, denn das ist der kleinste gemeinsame Nenner zwischen Fleisch-, Fisch- und Pinienkerndiät.:rofl:

Von homo sapiens wissen wir aber ganz genau, dass seine Ernährungsgewohnheiten völlig irrational begründet sind, häufig sogar esoterisch begründet. Totem und Tabu bestimmen die Speisekarte der Menschen. Warum sollte das bei Neandertalern anders gewesen sein. Vielleicht war das Nashorn für die Neandertaler in Spanien einfach ein Tabu - ähnlich wie Hundefleisch bei rezenten Deutschen.

Ebenso kann die Fixierung auf Großwildjagd bei anderen Neandertalergruppen kulturelle Gründe. Bei homo sapiens ist die Jagd auf möglichst große und gefährliche Tiere das ideale Spielfeld die eigene Männlichkeit zu profilieren. Wahrscheinlich jagten die Neandertaler die Wollnashörner auch nur wegen der potenzfördernden Hornsubstanz und der Nashornbraten war nur ein willkommenes Nebenprodukt. Der ethnologische Vergleich mit rezenten Nashornjägern spricht jedenfalls dafür.:fs:
 
Kulturelle Nahrungsmittelgewohnheiten gibt es ja sogar im Tierreich, z.B. bei Affen. Und diese können durchaus mit Besonderheiten der Umgebung zusammenhängen, z.B. indem einige seltene Tiere nur zu bestimmten Anlässen gejagt werden.

Da wäre also bei den uns viel näherstehenden Neandertalern und deren weiträumiger Verbreitung in unterschiedlichen Lebensräumen und zu unterschiedlichen klimatischen Perioden dies tatsächlich nicht gerade überraschend.

Aber irgendwie geht das auch an der Aussage des Artikels vorbei - diese ist ja nicht "Neandertaler aßen immer nur dies und jenes, abhängig von der Region" sondern eher: Die Ernährung der Neandertaler war vielfältiger als noch vor ein paar Jahren gedacht.
 
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Die Wissenschaftler und Journalisten scheinen dem Neandertaler durch und durch rationale begründete Ernährungsgewohnheiten zu unterstellen. Sie ernähren sich, von dem, was ihre Umwelt hergibt und essen - anders als moderne Menschen - genau das, was für sie gesund ist....

Es gibt ja durchaus Signale die man spürt. Nach einem Tag Holzhacken im Winter ist man mit einem italienischen Salat schwer zu ködern, während einem allein der Gedanke an heißes Wellfleisch an Sommertagen am Strand den Magen umdrehen kann. Da entspricht einfach der Appetit auch den Bedürfnissen.
 
Einfach mal hier ergänzt, weil es völlig konträr ist und schon wieder deswegen gut als Ergänzung "passt":

Eine neue Studie will nun Kannibalismus nachgewiesen haben, wegen "periodic food stress". Das Problem ist bekanntlich immer, die Spuren auf Knochenfunden entweder Kannibalismus oder rituellen Bestattungspraktiken zuzuordnen. Hier meint man sich, sicher über Kannibalismus zu sein.

Morales-Perez: Funerary practices or food delicatessen? Human remains with anthropic marks from the Western Mediterranean Mesolithic
Journal of Anthropological Archaeology | Vol 45, Pgs 1-170, (March 2017) | ScienceDirect.com

Der Aufsatz ist zur Zeit noch digital frei verfügbar.

Abstract:

The identification of unarticulated human remains with anthropic marks in archaeological contexts normally involves solving two issues: a general one associated with the analysis and description of the anthropic manipulation marks, and another with regard to the interpretation of their purpose. In this paper we present new evidence of anthropophagic behaviour amongst hunter-gatherer groups of the Mediterranean Mesolithic. A total of 30 human remains with anthropic manipulation marks have been found in the Mesolithic layers of Coves de Santa Maira (Castell de Castells, Alicante, Spain), dating from ca. 10.2–9 cal ky BP. We describe the different marks identified on both human and faunal remains at the site (lithic, tooth, percussion and fire marks on bone cortex). As well as describing these marks, and considering that both human and faunal remains at the site present similar depositional and taphonomic features, this paper also contextualizes them within the archaeological context and subsistence patterns described for Mesolithic groups in the region. We cannot entirely rule out the possibility that these practices may be the result of periodic food stress suffered by the human populations. These anthropophagic events at the site coincide with a cultural change at the regional Epipalaeolithic-Mesolithic transition.
 
@silesia,

ich hab mich echt gefragt wie sowas geht.
Wie man denn feststellen will ob vor 10.000 Jahren ein Mensch einen Menschen gefressen hat (hier Homo Sapiens).
Der schlagendste Beweis ist menschliche Scheiße in der sich Menschenknochen finden:
"Direct proof: the presence of human bones within human coprolites or the identification of human bites on human bones." (Ich mein , das hätten sie auch gleich sagen können, was hab ich gerätselt.........)
(Seite 124)
Vielen Dank für den Link.

Rituelles Fressen des Mitmenschen als Option der Deutung wäre wohl dann sinnvoll, wenn dieses sich vom Vorteil des Energieerwerbs trennen liese.

.. Die Ernährung der Neandertaler war vielfältiger als noch vor ein paar Jahren gedacht.
Die des Homo Sapiens wohl auch. :grübel:
 

Was den gruseligen Schluss zulässt, dass es nicht um Kalorienzufuhr (nutritional cannibalism), sondern frühzeitig bereits um Rituale (culturally complex) ging.

Our ancestors were cannibals ? and probably not because they needed the calories – HeritageDaily – Heritage & Archaeology News
 
Surfen - haben die nicht das Brett erfunden?
Ne aber im Ernst,da die südspanischen Neandertaler wohl die letzten ihrer Art waren könnte es sich um degenerative Veränderungen handeln, die nix mit Umwelteinflüssen zu tun haben
 
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