Quinotaurus

Im galicischen A Lanzada gibt es ein interessantes Ritual, das Bad der neun Wellen (baño de las nueve olas de A Lanzada). Das Ritual findet am letzten Augustwochenende statt und ist eine Vermischung aus vorchristlichem und christlichem Kult bzw. eigentlich ein lediglich oberflächlich christlich angestrichener heidnischer Kult.
Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch begeben sich nackt ins Meer, um neun (magische) Wellen, deren Schaumkronen mit dem Sperma des Mannes assoziiert werden, über sich ergehen zu lassen, danach finden sie sich an einem Marienkirchlein zusammen, wo sie ein zuvor aufgelesenes Steinchen in Wiegenform hinterlassen.

Was ich mich frage ist, ob Fredegar mit seinem Quinotaurus nicht auch den Reflex eines verwandten Kultes bzw. vielleicht sogar desselben Kultes wiedergibt?

Das erinnert mich an den Aphrodite-Mythos der "Schaumgeborenen", obwohl das Abschneiden von Geschlechtsteilen und Zeugung durch ins Meer werfen, natürlich eine seltsame Grundlage für einen Fruchtbarkeitsritus wäre - ja fast die Umkehrung dieses Mythos. Aber vielleicht ist es ja genau das, die christliche Adaption/Umkehrung eines antiken Kultes?

Beim Quinotaurus denke ich, dass eine Erklärung im zeitgenössischen Umfeld "Fredegars" ziemlich plausibel ist. Wenn ich richtig informiert bin, gab es in karolinigischer Zeit einige Gechichtsschreiber, die die Merowinger nicht so gut wegkommen lassen, um die relativ 'junge' karolingische Herrschaft zu legitimieren. Gut möglich, dass man sich beim händischen Kopieren von einer Schriftart in eine andere mal verschrieben hat - und aus einem M ein Q(u) wurde.
 
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Hat der Quinotaurus-Mythos nicht auch Eingang in die Sagen um Siegfrieds Herkunft gefunden?

Eine Interpretation eines heidnischen Gottes als antikes Ungeheuer wäre m.E. naheliegender als eine bloße Verunglimpfung der Merowinger.
 
Indem man sie mit einem tatsächlichen fränkischen Götzen verunglimpft. Und wenn man sich unter frühmittelalterlichen Herrschergeschlechtern so umschaut, findet man bei sehr vielen tatsächlich heidnische Götter im Stammbaum. Ein Grund für den Minotaurus kann auch gut darin liegen, dass zwar die Geschichte noch kursierte, aber die Person und der Name des 'Ungeheuers' unklar war.

Die offensichtliche Entlehnung des Namens aus der griechischen Sage (ob nun als Minotaurus oder gleich verschleiert als Quinotaurus) sagt also nichts über Entstehung und Alter der Sage.
 
Einen galloromanischen Ursprung der Sage würde ich nicht ausschließen, immerhin fand die Ethnogenese der Salfranken im wesentlichen auf der linken Rheinseite statt.

Die Ursprungssage der fränkischen Merowinger unterscheidet sich erheblich von der anderer germanischer Geschlechter. In den Stammbäumen angelsächsichen Könige tauchten ganz selbstverständlich Woden, Saxneat oder Geat auf, obwohl die Könige Christen waren. Die germanischen Götter wurden zu vorzeitlichen Königen umgedeutet (Euhemerismus). Die Goten und später Dänen u.a. ließen ihre Geschichte auf die gleiche Weise schreiben.

Der fränkisch-merowingischen Geschichtsschreibung war dies fremd. Götter werden nicht namentlich genannt. Wenn Gregor von Tours z.B. die heidnischen Ansichten Chlodwigs beschreibt, legt er ihm die römischen Namen Mars und Merkus in den Mund.
Fränkische Götternamen sind praktisch nicht überliefert. Erst in der Karolingerzeit werden die Namen der alten Götter aufgeschrieben, etwa bei den Wochentagsnamen oder in den sächsischen Taufgelöbnissen.
 
Die unterschiedliche Behandlung der Ursprungssagen kann auch an der unterschiedlichen Zeit der Christianisierung liegen.

Die Ethnogenese der Salfranken fand allerdings in weitgehend 'geräumten' Gebieten statt. Allerdings bleibt die Frage dennoch interessant. Blind und Taub waren sie ja nicht und die Tendenz des Heidentums, die Systeme zu verbinden, ist ja nicht zu leugnen. Gregor von Tours z.B. mögen die römischen Götter einfach als Übersetzung in die Feder gekommen sein, wenn natürlich der Gedanke, dass er die fränkischen Namen nicht verbreiten wollte, auch etwas für sich hat.
 
Beim Quinotaurus denke ich, dass eine Erklärung im zeitgenössischen Umfeld "Fredegars" ziemlich plausibel ist. Wenn ich richtig informiert bin, gab es in karolinigischer Zeit einige Gechichtsschreiber, die die Merowinger nicht so gut wegkommen lassen, um die relativ 'junge' karolingische Herrschaft zu legitimieren.
"Fredegar" selbst (nicht seine Fortsetzer) fällt doch aber ins 7. Jhdt., in die Zeit der Merowinger, eine Zeit, als sich die Karolinger noch nicht einmal in Austrasien endgültig als Hausmeier durchgesetzt hatten, geschweige denn im Restreich.
 
O-Ton Fredegar: "bistea Neptuni Quinotauri similis"

Quinotaurs ist wahrscheinlich ein Schreib- oder Lesefehler für Minotaurus und wenn überhaupt nur ein beschreibender Vergleich für die namenlose Bestie Neptuns.

Interpretation romana bedeutet die Gleichsetzung römischer und germanischer Götter. Man müsste daher nach einem germanischen Neptun suchen.

Euhemerismus bedeutet die Umdeutung der Götter zu sagenhaften Menschen und kommt in den Mythologien scheinbar verwandter Völker wie Angelsachsen, Goten und Dänen vor.

Die Geschichte von der Bestie Neptuns, die die Königin schwängert, ist aber etwas ganz anderes. Fredegar beschreibt weder einen römischen Gott noch einen germanischen Sagenkönig, sondern ein Monster, obwohl das vielleicht die Dämonisierung eines ursprünglich anders gedachten Abstammungsmythos sein kann.

Eine denkwürdige Parallele findet sich in der britischen Mythologie.
Der Zauberer Merlin ist der Sohn eines Teufels oder Dämons und das erklärt auch seine Superkräfte.
Erstmals ist die Geschichte von Merlin in der Historia Brittonum aus dem 9. Jahrhundert überliefert. An gleicher Stelle ist auch der trojanische Ursprung der Briten überliefert. Die Briten wurde nach dem Trojaner Brutus benannt. Das entspricht ganz der Gedankenwelt der Fredegarchronik, der mit der gleichen pseudoetymologischen Klarheit, der die Franken oder Phrygier von den Königen Friga und Francio von Troja an den Rhein geführt wissen will.

Die Dämonisierung ist jedoch immer christlich gemeint. In den überlieferten sächsischen Taufgelöbnissen werden germanische Götter mit Teufeln gleichgesetzt. Merlins Vater als Teufel oder Incubus ist vor dem Hintergrund christlicher Mythologie gedacht. Ein derartige Lesart lässt die Geschichte von der Bestie Neptuns jedoch nicht zu bzw. wäre eine Überinterpretation. Trotz seiner mutmaßlichen Hörner (das einzige was Quinotauri similis neben Menschenfresserei wirklich hergibt) lässt sich aufgrund des griechisch-römischen Kontexts keine Deutung des Monstrums als christlicher Teufel herauslesen.
 
"Fredegar" selbst (nicht seine Fortsetzer) fällt doch aber ins 7. Jhdt., in die Zeit der Merowinger, eine Zeit, als sich die Karolinger noch nicht einmal in Austrasien endgültig als Hausmeier durchgesetzt hatten, geschweige denn im Restreich.

Das hatte ich übersehen. Damit ist die These eines karolinigischen Merowingerbashing widerlegt.
 
Einen harten Dämpfer erhält die These, dass die Quinotaurus-Legende ein Schmähung der Merowinger darstellte auch durch das Schertgehänge ausvdem Childerichgrab bei Tournai. Die Schnalle ist ein Stierkopf und wird zumindest von einigen als Reminiszenz an die mythischen Vorfahren gewertet.
 
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