Ablasshandel - nur protestantische Propaganda?

Rovere

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"Das gängige Vorurteil über den Ablass lautet: Die katholische Kirche hat Kasse gemacht mit dem schlechten Gewissen der Menschen. Sie hat sich ihre Gnadenerweise bezahlen lassen und mit dem Geld protzige Kirchenbauten finanziert. Erst Martin Luther, die Lichtgestalt, hat dem elenden Treiben ein Ende gesetzt. So weit die Legende, die ganze Wahrheit im Jahr 500 nach der Reformation lautet etwas anders."

So beginnt dieser spannende Artikel, erschienen diese Tag in der renommierten "Zeit".

Was haltet Ihr davon?

Ablass: Lasst ab! | ZEIT ONLINE
 
Christiane Laudage in "Die Zeit" schrieb:
Mittlerweile gibt es eine kleine, internationale, nicht mehr von konfessionellen Prinzipien geleitete Gruppe von Historikern, die sich mit dem Ablasswesen im Mittelalter beschäftigt. [...] Ihre Erfahrungen lehren, dass es bis heute fast unmöglich ist, einer breiten Öffentlichkeit ein differenziertes Bild [...] zu vermitteln.

Das gilt doch eigentlich für fast alle Themen, die kirchengeschichtlich brisant sind:
- Kreuzzüge
- Inquisition und Ketzerverfolgung
- Judenverfolgung
- Hexenverfolgung
- Stellvertreterdebatte
- erster und zweiter Kolonialismus
In manchen Punkten steht "die" Kirche echt bescheiden dar, in anderen ist sie eigentlich weitaus besser zu bewerten als ihr schlechter Leumund vermuten lassen mag.
 
Zu Tetzel noch ein Interview mit Hartmut Kühne:

https://www.luther2017.de/de/neuigkeiten/johann-tetzel-bad-guy-oder-organisationstalent/

Und ein Bericht über die Tagung "Tetzel / Ablass / Fegefeuer", die vergangenes Jahr in Jüterbog stattfand:

Geschichte Brandenburgs ? Jüterboger Tagung zeigt einen neuen Tetzel ? MAZ - Märkische Allgemeine

Tetzel selbst müssen die frühen Erfahrungen zu Kopf gestiegen sein. Dass er Ablass selbst für das Schwängern der Gottesmutter erteilen könne, hat er so wohl nicht gesagt, wohl aber reagierte er auf Kritik in Briefen etwa an den Zwickauer Syndikus oder einen Ratsherrn aus Eisleben, indigniert und unangemessen. Tetzels persönliche Schwächen wurden ihm zum Verhängns. Sie machten ihm zum geeigneten Bauernopfer seiner Vorgesetzten und zum „Schuldigen“ an der Reformation, wie Winterhager, einer der großen Reformationskenner, feststellt.
Umkehren müsse man das Tetzelbild zwar nicht, sagt Winterhager der MAZ, eine „Revision im Detail“ sei aber sehr wohl nötig.
 
Ein Aspekt, der mir beim ZEIT-Artikel fehlt, ist die Reaktion der katholischen Kirche auf die Kritik am Ablasshandel.

Bei Wiki lese ich:
"Ablasshandel ist in der römisch-katholischen Kirche seit 1562 verboten und seit 1567 mit der Strafe der Exkommunikation belegt."
https://de.wikipedia.org/wiki/Ablass#Neuzeit

Ob das so stimmt, würde ich gern mal wissen. (Unbelegten Wiki-Behauptungen ist ja grundsätzlich nicht zu trauen.)
 
...mal gänzlich unabhängig von der historischen Realität: dass man gerade heutzutage den Ablasshandel mit kritischen Augen betrachtet, ihn mit einen negativen Beigeschmack versieht, ist inkonsequent (wenn nicht gar heuchlerisch). Als Geschäftsmodell ist der Ablasshandel geradezu vorbildlich: die Produktionskosten des verkauften Produkts (Sündenerlass) sind minimal, infolgedessen ist der Gewinn - wenn auch preisabhängig - durchaus maximal. Die Initiatoren / Erfinder dieses Geschäftsmodells sollten in den Wirtschaftswissenschaften als Vorbilder geehrt werden! :scheinheilig::rofl:
 
Ich besitze einen päpstlichen Ablassbrief aus den 20er Jahren. Der wurde tatsächlich ohne Bezahlung, nach Spende ausgestellt.

Nun, es ist Recht einfach an einen Anlass zu kommen: Wer in der hiesigen Kirche am Tag des hl. Nepomuk betet, bekommt jedesmal einen vollkommenen Ablass. Woanders hat man schnell viele tausend Jahre zeitlichen Ablass zusammen. (Zeitliche Ablässe sind für eine andere Art Sünde als die vollkommenen...) Und echt toll: Auch für das Fernsehen gibt es mitunter Ablässe bei Liveübertragungen, z.B. beim Segen 'urbi er orbi'. Dabei haben sie auch schon mal die Einschränkung mit der Beichte vergessen, denn:

Die Krux an Anlässen, egal ob ernster, erturnt oder gekauft, ist in der Regel, dass sie eine Beichte samt Lossprechung voraussetzen. Ein kleines Detail, dass häufig unterschlagen wird...

Echt fies für jeden Ablasshändler: Der Katholik darf sich auch direkt an Gott wenden und die Heiligen bitten, die Eingabe zu unterstützen. Statt Formular haben wir Kerzen. Gibt es von 10 Cent an aufwärts. Selbstkostenpreis.(Sic!) (Das Kleingedruckte ist aber zu beachten.)

Um es mit Dogma zu sagen: Wenn er/sie tatsächlich Engel auf ewig verbannt hat, hat er tatsächlich die Rechnung ohne die Katholische Kirche gemacht. (Allerdings ist das Kleingedruckte zu beachten.)
 
Nun, da muss ich leider konstatieren, dass die Haltung der Kirche in dem Punkt nicht wirklich einheitlich ist, was schon im Katechismus durch die Formulierung "das einzige ordentliche Mittel" für die Absolution verschleiert wird. Daher auch einige Indifferenzen in meinem vorigen Post. Die Rechtfertigungslehre ist innerhalb der katholischen Kirche umstritten. Die angebliche Einigung mit den Protestanten ist ein Dokument, dass der katholischen Lehre in den Augen vieler kontradiktorisch entgegensteht. Z.B. verneint es die Möglichkeit sich betend an Gott zu wenden. Es steht gegen so ziemlich alles, was man mir in Messdiener-, Kommunions-, Firm- und Religionsunterricht beigebracht hat. Ich habe alte Leute gekannt, die, nachdem sie von neueren Ideen der Theologen gehört haben, geradezu verzweifelt sind. Mithilfe des Katechismus ließ sich das zwar einfach beheben, weil die alten Formen eben doch zulässig sind, aber es zeigt, dass die Frage nicht so einfach ist.

Um nicht zu sehr auszuschweifen und feine theologische Fragen zu diskutieren, sei darauf hingewiesen, dass in der Katholischen Kirche bis heute (trotz Ratzinger und einiver engagierter Bischöfe) ein Unterschied zwischen der Lehre und der dem Volk mitgeteilten Lehre gemacht wird, weil die Lehre als zu schwer gilt. (Es ist z.B. recht lehrreich unterschiedliche Darstellungen der Lehre von der Dreifaltigkeit zu lesen.) Historisch muss da also differenziert, ja sogar danach gefragt werden, wieviele Ebenen es gibt. (Wieder Ratzinger: Bei seiner 'Einführung in das Christentum' bedient er mehrere Ebenen des Verstehens, obwohl es schon für die gymnasiale Oberstufe Recht schwer zu lesen ist. Da gibt oder gab (?) es sogar Diskussionen, wieviele Ebenen unterscheidbar sind, ohne dass der Autor sich äußerte. Ich habe den Eindruck, dass er so in der Materie steht, dass es für ihn aus einem Guß ist und nicht zerlegt werden kann. Für den Leser bleibt nur die Möglichkeit sich durch mehrmaliges Lesen in die Ebenen einzulesen, wenn er keine Anleitung hat.

Und in historischen Darstellungen wird oft Rosinenpickerei betrieben, wenn ein Brosamen vom Tisch des Akademikern und ein weiterer aus Predigten für das Volk genommen wird. (Ich sehe das noch als einen anderen Faktor als die so oft beschworene Vielfalt der katholischen Kirche. Hier geht es ja nicht um unterschiedliche Ausprägungen, sondern um zentrale Lehren.)

Der verlinkte Text versäumt denn auch ganz offensichtlich jede Differenzierung. (Ich habe nur einen Teil gelesen, muss mich hier also vielleicht eines besseren belehren lassen.)

Autokorrektur sucks! (Was heißt eigentlich Autokorrektur auf Latein?)
 
@ dekumatland: Ja, das kostet nichts. In Paderborn kann man sich zum Beispiel dem Dom durch die Fußgängerzone nähern, indem man sich alle paar Schritte auf den Boden legt. Paderborner wissen allerdings: Es reicht betenderweise durch die Krypta des Doms zu gehen. Kostet nichts, bringt aber Ablässe. Gegenleistung ist die verdienstvolle Tat.

Fernsehen kann auch Ablässe bringen: Es wurde beschlossen, dass die Teilnahme an Liturgien durch das Hören und/oder Sehen (Sic! Sonst sind das Hören oder die körperliche Abwesenheit Voraussetzung. Die Gedanken müssen sich nur mit einem angemessenen Gegenstand beschäftigen. ) über Radio und Fernseher volle Gültigkeit hat. Der bequemste Weg ist also wohl sich zu Ostern, Weihnachten und nach Papstwahlen den Segen Urbi er Orbi anzuhören. Zu den Bedingungen gehört allerdings innerhalb von 2 Wochen zu beichten. Es soll schon vorgekommen sein, dass sie die Bedingungen vergessen haben, z.B. bei der Wahl Benedikts, was aber nachzuprüfen bleibt. Wie gesagt: nur Liveübertragung en.

Da sag noch einer, die Kirche sei nicht gemütlich und gleichzeitig auf Fitness bedacht.
 
Aber auto(s) kommt doch aus dem Griechischen...
Macht nichts:
Krankenwagen: árcera automatária
Motel: deversórium autocinéticum
Rallye: autocinetorum certamen

http://www.vatican.va/roman_curia/institutions_connected/latinitas/documents/rc_latinitas_20040601_lexicon_it.html

Da gibt es noch mehr schöne Wörter:
Wodka: válida pótio Slávica
Walzer: chorēa Vindobonensis

Aber autocorrectio ist tatsächlich nicht so schön.
Wie wäre es mit emendatio diabolica?
 
...
Fernsehen kann auch Ablässe bringen: Es wurde beschlossen, dass die Teilnahme an Liturgien durch das Hören und/oder Sehen (Sic! Sonst sind das Hören oder die körperliche Abwesenheit Voraussetzung. Die Gedanken müssen sich nur mit einem angemessenen Gegenstand beschäftigen. ) über Radio und Fernseher volle Gültigkeit hat. Der bequemste Weg ist also wohl sich zu Ostern, Weihnachten und nach Papstwahlen den Segen Urbi er Orbi anzuhören. Zu den Bedingungen gehört allerdings innerhalb von 2 Wochen zu beichten. Es soll schon vorgekommen sein, dass sie die Bedingungen vergessen haben, z.B. bei der Wahl Benedikts, was aber nachzuprüfen bleibt. Wie gesagt: nur Liveübertragung en.

...

Da sieht man wieder, wie ewiggestrig die Kirche ist. Fernsehen...pfff. Was ist mit Facebook, Whattsapp und Co.? Reicht es nicht die Urbi et Orbi per Twitter zu erhalten?
 
Hatte ich ganz vergessen. Es kommt auf die Liveübertragung an. Einige Orden sollen schon Internetandachten anbieten.

@ emendatio diabolica: Ja, dass finde ich besser. Wenn es dafür bloß einen Exerzismus gäbe. Vielleicht sollte ich mal den Bischof anschreiben. In Paderborn hat der sich den Posten des ordentlich bestallten Exorzisten selbst vorbehalten.
 
Bei Wiki lese ich:
"Ablasshandel ist in der römisch-katholischen Kirche seit 1562 verboten und seit 1567 mit der Strafe der Exkommunikation belegt."
https://de.wikipedia.org/wiki/Ablass#Neuzeit

Ob das so stimmt, würde ich gern mal wissen. (Unbelegten Wiki-Behauptungen ist ja grundsätzlich nicht zu trauen.)

Nach dem, was ich bei Nikolaus Paulus (Geschichte des Ablasses am Ausgang des Mittelalters, Darmstadt 2000 nach der Erstausgabe 1923) lese, kann das so nicht stimmen.

1567 widerrief Papst Pius V. zwar in der Bulle Etsi dominici gregis "alle Ablässe, für deren Gewinnung ein Geldbetrag zu entrichten war (pro quibus consequendis manus sunt porrigendae adiutrices)", behielt sich jedoch die Sondergenehmigung solcher Ablässe weiterhin vor und machte auch Gebrauch davon.
 
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