Steckt doch nicht den Kopf in den Sand...

El Quijote

Moderator
Teammitglied
...möchte man einigen Bestatteten zurufen, die insbesondere in Gallien und in den Rheinprovinzen in vorrömischer und römischer Zeit bestattet wurden.

I.d.R. kennen wir ja aus dem gallischen, römischen und germanischen Kulturraum zur Zeitenwende die Brandbestattung als vorwiegende Bestattungsform. Jedoch gibt es in all diesen Kulturen auch - und zwar bereits früh - die Körperbestattung. Im gallischen Bereich ist eine Sonderform der Körperbestattung die "in Bauchlage", also mit dem Gesicht nach unten. Diese Form der Bestattung lässt sich wohl sowohl in der vorrömischen gallischen Eisenzeit bis hin die Frühe Kaiserzeit nachverfolgen.

Vor einiger Zeit habe ich eine Publikation von einem spätmittelalterlichen Fund aus einer norddeutschen Stadt hier verlinkt, da war die Interpretation, dass man den Toten so bestattet hatte, um seine Wiederkehr als Untoter zu verhindern (bei Diskussionsbedarf über diese Interpretation bitte den entsprechenden Thread suchen). Klar, vom christlichen Brauch wich diese (spätmittelalterliche) Bestattung ab.
Und irgendwie will es mir auch persönlich nicht gelingen, mir vorzustellen, dass in gallischer/gallorömischer Zeit die Bestattung Gesicht nach unten als besonders pietätvoll zu interpretieren ist. Ob da magische Gründe eine Rolle spielten? Kennt ihr evtl. Interpretationsansätze? Literatur?
 
Weder Interpretationsansätze noch Literatur, obendrein das von Gallien doch etwas entfernter liegende Kolchis, aber immerhin mit sich überschneidender Zeitstellung.
Ein Bekannter der öfter Georgien bereist erzählte mal von solchen Bestattungsformen. Gefunden habe ich lediglich einen entsprechenden Hinweis in der WP zu “Wani“. Ohne direkten Literaturverweis, doch werden 2 wohl archäologische Publikationen gelistet in denen vielleicht was zu finden sein könnte.

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Wani

Edit:
Ansonsten könnte ich noch mit “himmlischen Einschlägen“ dienen, die heutzutage einfach fälschlicherweis als bewusste Bestattungsvorgänge missgedeutet werden.
Irgendwo in Gallien soll ein Dorf gelegen haben in dem eine ausgeprägte Sorge verbreitet gewesen sein soll, dass der Himmel unter Fallsucht leiden könne. Soll zu Julius Zeiten so gewesen sein. Womöglich besaß ja das eine oder andere niedergehende Himmelsstück beim Autreffen regelrechtes Beerdigungspotential... ;)
 
Zuletzt bearbeitet:
Irgendwo in Gallien soll ein Dorf gelegen haben in dem eine ausgeprägte Sorge verbreitet gewesen sein soll, dass der Himmel unter Fallsucht leiden könne. Soll zu Julius Zeiten so gewesen sein. Womöglich besaß ja das eine oder andere niedergehende Himmelsstück beim Autreffen regelrechtes Beerdigungspotential... ;)
In dem berühmten Comic werden zwar die Sorgen der Gallier in einem kleinen Dorf in Aremorica beschrieben, tatsächlich geht die Angst davor, dass ihnen der Himmel auf den Kopf fallen könnte, auf eine von Strabon überlieferte Anekdote zurück: Die Kelten am Balkan hätten Alexander dem Großen berichtet, sie fürchten sich nur davor, dass ihnen der Himmel auf den Kopf fallen könnte.

Eine einfache Übertragung der Anekdote vom Balkan auf die römische Provinz Gallien ca. 300 Jahre später erscheint mir ziemlich gewagt.
 
Schulze-Dörrlamm / Gräber im Karolingerreich:

Mit einem Schatz ganz anderer und verwunderlicher Art ist ein 40-50 Jahre alter Mann gegen Mitte des 8. Jahrhunderts, also vermutlich zur Regierungszeit Pippins III. des Kleinen, auf dem Außenfriedhof von St. Vitalis I zu Esslingen in Bauchlage (!) begraben worden 37. Unter seinem linken Brustkorb entdeckte man einen Beutel mit Frauenschmuck (ein Ohrringpaar, eine Pressblechscheibenfibel und eine Kreuzfibel aus ver- goldeter Bronze, die überdies über blaue Glaseinlagen verfügt, sowie eine Halskette aus Glas- und Perlmuttperlen)38, dessen Wert sicher einer kleinen Barschaft aus karolingischen Denaren entsprochen hatte. Die Gründe der Hinterbliebenen, diesen Mann nicht nur in der Haltung eines Büßers39, sondern auch mit einem so ungewöhnlichen Schatz zu bestatten, dürften höchst privater Natur gewesen sein und für immer ungeklärt bleiben.

37 Fehring / Scholkmann 1995, 50 f. – Hassenpflug 1999, 142.
38 Stein1995,300f.Abb.2-3.
39 Die ungewöhnliche Bauchlage dieses Mannes entsprach der König Pippins III. des Kleinen († 768), der sich als Büßer für die Vergehen seines Vaters Karl Martell auf dem Bauch liegend in Saint-Denis begraben ließ (Kyll 1964, 175. 178. – Krüger 1971, 179.182).

Oder hier:

https://www.archaeology.co.uk/articles/features/buried-face-down-prone-burials.htm

Witch Girl' Buried Face Down Found In Italy

Vielleicht hatte die Bettung der Verstorbenen auch ganz menschliche Gründe:

Wiki: The bodies in Anglo-Saxon inhumations are found in a variety of positions. They have been found "placed on the back (supine), front (prone), or on one side. The legs can be arranged straight out, be crossed at the lower leg or ankle, be slightly bent (flexed), or even pulled right up to the chest in a foetal position (crouched or contracted)." According to archaeologist David Wilson, the "usual orientation" for pagan inhumations was with the head to the west and feet to the east, although there are many exceptions to this.

Eine zu einfache Erklärung?:

Wie im Leben so im Tode und im erhofften Jenseits. Jeder Mensch hat doch seine Vorlieben für eine ihm bequeme Ruhestellung. Man war doch besorgt um das Wohl der Toten - und sie ließen die Lebenden dann eher in Ruhe.
 
Die gallischen/gallorömischen Körperbestattungen bis in die FKZ sind häufig beigabenlos, manchmal mit vereinzelten Grabbeigaben versehen (Kannen, Balsamtöpfchen.
 
In dem berühmten Comic werden zwar die Sorgen der Gallier in einem kleinen Dorf in Aremorica beschrieben, tatsächlich geht die Angst davor, dass ihnen der Himmel auf den Kopf fallen könnte, auf eine von Strabon überlieferte Anekdote zurück: Die Kelten am Balkan hätten Alexander dem Großen berichtet, sie fürchten sich nur davor, dass ihnen der Himmel auf den Kopf fallen könnte.

Eine einfache Übertragung der Anekdote vom Balkan auf die römische Provinz Gallien ca. 300 Jahre später erscheint mir ziemlich gewagt.

Du weißt schon, dass jenes Comic durch plötzliches auf mirakulöse Weise geoffenbartes Wissen über die Vergangenheit inspiriert wurde? Genauso seltsam wäre es, sich denen anzuschließen, die -sogar hier im Forum- behaupten, die Erde drehe sich um die Sonne, obwohl wir doch jeden Morgen und Abend das Gegenteil beobachten. Also bleib bitte bei der Realität: Der Gallier hatte Angst, dass ihm der Himmel auf den Kopf fiel, Obelix hat die Sphinx verstümmelt, Cäsar hatte eine Hakennase, während Kleopatra...

@ Topic:
In einer Zeit, in der man für Bestattungen einen großen Aufwand betrieb, war mit der Lage des Gesichts nach unten sicher eine Bedeutung verbunden. Bestrafung der Töten oder Schutz vor der Wiederkehr liegt nahe. Inwieweit weißen Körperbestattungen in Brandgräberzeiten auf Lebendig-Vergraben hin?
 
Eine Lage der Körper, die eine Fesslung der Bestatteten andeuten würde, scheint mir nicht gegeben, teilweise sind es auch Kinder. Es gibt auch vereinzelt Beigaben, über welche die Gräber datiert werden, hier gibt es keine Auffälligkeiten, sie entsprechen den regional typischen Beigabenensembles.
 
...möchte man einigen Bestatteten zurufen, die insbesondere in Gallien und in den Rheinprovinzen in vorrömischer und römischer Zeit bestattet wurden.

I.d.R. kennen wir ja aus dem gallischen, römischen und germanischen Kulturraum zur Zeitenwende die Brandbestattung als vorwiegende Bestattungsform. Jedoch gibt es in all diesen Kulturen auch - und zwar bereits früh - die Körperbestattung. Im gallischen Bereich ist eine Sonderform der Körperbestattung die "in Bauchlage", also mit dem Gesicht nach unten. Diese Form der Bestattung lässt sich wohl sowohl in der vorrömischen gallischen Eisenzeit bis hin die Frühe Kaiserzeit nachverfolgen.

Vor einiger Zeit habe ich eine Publikation von einem spätmittelalterlichen Fund aus einer norddeutschen Stadt hier verlinkt, da war die Interpretation, dass man den Toten so bestattet hatte, um seine Wiederkehr als Untoter zu verhindern (bei Diskussionsbedarf über diese Interpretation bitte den entsprechenden Thread suchen). Klar, vom christlichen Brauch wich diese (spätmittelalterliche) Bestattung ab.
Und irgendwie will es mir auch persönlich nicht gelingen, mir vorzustellen, dass in gallischer/gallorömischer Zeit die Bestattung Gesicht nach unten als besonders pietätvoll zu interpretieren ist. Ob da magische Gründe eine Rolle spielten? Kennt ihr evtl. Interpretationsansätze? Literatur?

Hallo EQ, finde es sind eigentlich zu wenig Angaben, um die Funde zu interpretieren (statistische Angaben, genaue Grabbeschreibungen).
Meiner Meinung nach könnte es tatsächlich ein Bannungsritual sein, um die Möglichkeit eines Wiedergängertums zu verhindern. Ausgehend davon, dass der Übergang der nach altkeltischem Glauben unsterblichen Seele in das Totenreich nicht immer unkompliziert ist, und scheitern kann. Normalerweise wurde jedoch in Rückenlage beerdigt - warum man/frau (sozial, privat) bei dem einen Toten eine Wiederkehr fürchtete, bei dem anderen nicht - zu viele Möglichkeiten der Interpretation/Spekulation.
Zu rituellen Praktiken ein 30-Seiten-Text - der Todesvorstellungen und Übergangsrituale/Zeremonien in der vorrömischen Zeit referiert.
Zu Geistern und Wiedergängern S.61 (1.1.), leider ohne Intepretation der Bauchlage - http://www.landesmuseum.at/_eisenzeiten/eisenzeiten%20I%20pdfs/Trachsel.pdf

Und am Ende eine lange Literaturliste. Hoffe es hilft.
 
Zuletzt bearbeitet:
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4482629/



http://homepage.univie.ac.at/peter....tigkeit der irregulaeren Bestattungen_low.pdf

"Bekanntlich wurden in zahlreichen Kulturen weltweit Vorstellungen vom Wiedergängertum durch die Verwesungsvorgänge bei Leichen beflügelt. Die Aufbewahrung von Leichen in unverfüllten Gruben führte in der Latènezeit zweifellos zu ähnlichen Beobachtungen und rief möglicherweise Furcht vor den Toten hervor. Daher können die Fesselung, die Bauchlage und die Desorientierung der Toten als Maßnahmen zur Verhinderung der Wiederkehr gedeutet werden, die zahlreiche Analogien im ethnographischen Fundus besitzen."



http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2011/8338/pdf/ZippKatja_2011_01_27.pdf

"Die anthropologischen Ergebnisse bestärken die These von PHILPOTT (1991), dass es sich bei der Bestattung in Bauchlage vermutlich um ein multikausales Ereignis handelt. Aus diesem Grund sind eine Erweiterung der Stichprobe und die Einbeziehung zusätzlicher anthropologischer und archäologischer Parameter anzustreben."
 
In Mainz gibt es eine Bestattung aus dem ersten Jhdt., bei der der Tote ebenfalls mit dem Bauch voran bestattet wurde, neben dem Toten lagen ein Nagel und, in Höhe eines der Beine, zwei Eisenplatten, die durch Draht verbunden waren. Sie werden in der Literatur als "Klapperblech" an- und ebenfalls einen keltischen Bannungsritus zugesprochen. Ich muss sagen, ich habe damit so meine Probleme. Man muss eben auch feststellen, dass auf dem Bauch liegende Tote häufig nicht entsorgt wirken, sondern eben durchaus auch Grabbeigaben mibekommen haben. Z.B. Einhenkelkannen vom Typ Hofheim 50.
 
Zwischen Entsorgen und Wiedergängerglaube sehe ich keinen Zusammenhang. Entsorgt wurden Menschen, die nicht der sozialen Gruppe angehörten. Vor Einführung des Christentums wird man einem Fremden - ob es nun ein im Krieg gestorbener Soldat oder einem dahingeschiedenen Reisenden - wenig Aufmerksamkeit geschenkt haben.
Die gegenteilige Beweise aus der Archäologie - reicht bestückte Gräber von Menschen aus anderen Kulturen - sehe ich eher als Ausnahme als die Regel.

Dagegen wird ein vermeintlicher Wiedergänger eher aus der eigenen sozialen Gruppe stammen. Sonst hätte man nicht diese Person als "merkwürdig" eingestuft. Bei Wiedergängern will man die Person im Grab halten. Da gibt man lieber mehr Beigaben mit als weniger. Vor einem zornigen oder hungrigen Wiedergänger fürchtet man sich wohl mehr als vor einen reich beschenkten und hoch geehrten Verdächtigen.
 
Zurück
Oben