Die Rezeption von Sun Tzu-haben europäische Generalstäbe Sun Tzu (nicht) gelesen

Scorpio

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Sun Tzus relativ kurzes Traktat über die Kriegskunst ist von einer unglaublichen Dichte und das Meiste, was er über Taktik und Strategie, Offensive und Defensive, Führungsqualität, Geschwindigkeit und Überraschungsmoment, Tarnung und Täuschung, Gelände, Jahreszeiten, Spione, Kriegskosten, lange Kriege schreibt, ist bemerkenswert, wie zeitlos gültig Sun Tzus Aussagen sind. Bemerkenswert sind auch Sun Tzus Gedankengänge zu einer Humanisierung des Krieges. Er sagt, dass es kein Beispiel eines Landes gegeben hat, dass von langen Kriegen profitiert habe. Die Anwesenheit einer Armee erhöhe die Preise, lasse das Volk verarmen. Der Krieg ist für Sun Tzu nicht "Vater aller Dinge" oder Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, sondern Ultima Ratio. Er rät, nicht Zuviel von Soldaten zu fordern, sie durch Belohnungen zu ermutigen, aber auch auf straffe Disziplin zu achten. Gefangene sollten freundlich behandelt werden.

Sun Tzus Kunst des Krieges gehört heute zur Pflichtlektüre aller renommierten Militärakademien, wird aber auch für Unternehmensstrategien verwendet.

Cannae als "Dogma der Vernichtungsschlacht" hat Kommandeure von Caesar über Friedrich den Großen und Napoleon bis zu Schlieffen, Ludendorff, Manstein und Shukow inspiriert. Alle Generalstabsoffiziere hatten Clausewitz gelesen. Wie aber sah es mit Sun Tzu aus, war dessen "Kriegskunst" im Westen bekannt? Europäische Kontakte gab es seit dem 17. Jhd. Jesuitenpatres lernten in der Regel Chinesisch und waren mit der Kultur Chinas vertraut. Lehrstühle für Sinologie wird es doch Ende des 19. Jhds. in Europa gegeben haben.

War man nach den Opiumkriegen und der "Zeit der ungleichen Verträge" so von der Überlegenheit der europäischen Kultur durchdrungen, dass man Impulse aus China nicht ernst nahm?

Das Klischee, dass man britischen Truppen anhängte, sie seien "Lions led by Donkeys" gewesen, entbehrt nicht einer gewissen Berechtigung, aber entgegen des Klischeesbildes waren die meisten Generäle keine Stümper, die nur in Villen und Schlössern weit hinter der Feuerlinie residierten. Im Verlauf des Krieges wurden mehrere Dutzend von ihnen auf britischer, deutscher und französischer Seite im Kampfgebiet getötet.

Wenn man sich die großen Materialschlachten des 1. Weltkriegs ansieht, fällt aber auf, dass relativ einfache Grundsätze Sun Tzus, manchmal sind es eigentlich Binsenweisheiten, sträflich vernachlässigt wurden.

Ob nun die Lektüre Sun Tzus, die Wende im Stellungs- und Grabenkrieg gebracht hätte, darf bezweifelt werden.

Aber Sun Tzu hätte vielleicht sich nicht so leichtfertig in das Abenteuer eines Weltenbrandes gestürzt? Das moralische Recht, das in Sun Tzus Kriegsethos eine große Rolle spielt, glaubten sie alle auf ihrer Seite oder es gelang zumindest, in der Kriegshysterie des August 1914, die Kriegsfreiwilligen glauben zu machen, dass das moralische Recht auf ihrer Seite war.

Wer kann mehr dazu sagen, ob Sun Tzus Gedankengänge bis zu den Generalstäben vordrang?
 
Eine schnelle Antwort:

Selbst in Bezug auf Clausewitz wird hohen Offizieren - meine es wäre sogar einer der Moltkes gewesen - nachgesagt, dass sie ihn eher oberflächlich kannten.

In Bezug auf Sunzi kann ich zunächst mit einem relevanten Beispiel aufwarten.

In seinem Buch "Strategy" hat Liddel Hart keinen Bezug genommen auf Sunzi! Das belegt m.E. wie gering die Kenntnis von ihm bei führenden Militärtheoretikern war. Und obiges Buch gehört wohl zu den einflussreichsten Büchern seines Genres.

Liddell Hart bezieht sich in seinen Anfängen auf die Kriege in Griechenland. China spielt keine Rolle.

Ein weiteres wichtiges Buch zum Thema von Beatrice Heuser: The Evolution of Strategy" nimmt auch keinen Bezug auf Sunzi und baut das Thema historisch ähnlich auf wie Liddell Hart.

Sie eifern dem Großmeister nach. Clausewitz nimmt keinen Bezug auf Sunzi. Im Personenregister wird er nicht aufgeführt.

Zur Erklärung der späten Wahrnehmung: Soweit ich das sehe hat Clavell das Buch 1983 das erste Mal publiziert und somit erst zu diesem Zeitpunkt einer breiteren Öffentlichkeit näher gebracht. Das könnte die verzögerte Wahrnehmung teilweise erklären

Daß in wichtigen theoretischen Werke zur Militärstrategie kein Bezug auf ihn genommen wurde ist wohl auch ein valider Hinweis, dass die Generalstäbe dieser Welt - mit Ausnahme von China, vielleicht - sich nicht systematisch mit Sunzi beschäftigt haben.

In diesem Kontext der Hinweis auf ein Buch von 1980 von Kai Werhahn-Mees, Ch'i-Chi-Kuang - Praxis der chinesischen Kriegführung, das ebenfalls interessante Einsichten bietet in das hohe militärische Denken der damaligen chinesischen Feldherren.
 
Zuletzt bearbeitet:
[...] [1] Bemerkenswert sind auch Sun Tzus Gedankengänge zu einer Humanisierung des Krieges. Er sagt, dass es kein Beispiel eines Landes gegeben hat, dass von langen Kriegen profitiert habe. [...]
[2] Sun Tzus Kunst des Krieges gehört heute zur Pflichtlektüre aller renommierten Militärakademien, wird aber auch für Unternehmensstrategien verwendet.

[3] Cannae als "Dogma der Vernichtungsschlacht" hat Kommandeure von Caesar über Friedrich den Großen und Napoleon bis zu Schlieffen, Ludendorff, Manstein und Shukow inspiriert.

[4] Alle Generalstabsoffiziere hatten Clausewitz gelesen. Wie aber sah es mit Sun Tzu aus, war dessen "Kriegskunst" im Westen bekannt? Europäische Kontakte gab es seit dem 17. Jhd. Jesuitenpatres lernten in der Regel Chinesisch und waren mit der Kultur Chinas vertraut.

[5] Lehrstühle für Sinologie wird es doch Ende des 19. Jhds. in Europa gegeben haben.

War man nach den Opiumkriegen und der "Zeit der ungleichen Verträge" so von der Überlegenheit der europäischen Kultur durchdrungen, dass man Impulse aus China nicht ernst nahm?

Das Klischee, dass man britischen Truppen anhängte, sie seien "Lions led by Donkeys" gewesen, entbehrt nicht einer gewissen Berechtigung, aber entgegen des Klischeesbildes waren die meisten Generäle keine Stümper, die nur in Villen und Schlössern weit hinter der Feuerlinie residierten. Im Verlauf des Krieges wurden mehrere Dutzend von ihnen auf britischer, deutscher und französischer Seite im Kampfgebiet getötet.

Wenn man sich die großen Materialschlachten des 1. Weltkriegs ansieht, fällt aber auf, dass relativ einfache Grundsätze Sun Tzus, manchmal sind es eigentlich Binsenweisheiten, sträflich vernachlässigt wurden.

[6] Ob nun die Lektüre Sun Tzus, die Wende im Stellungs- und Grabenkrieg gebracht hätte, darf bezweifelt werden.

Aber Sun Tzu hätte vielleicht sich nicht so leichtfertig in das Abenteuer eines Weltenbrandes gestürzt? Das moralische Recht, das in Sun Tzus Kriegsethos eine große Rolle spielt, glaubten sie alle auf ihrer Seite oder es gelang zumindest, in der Kriegshysterie des August 1914, die Kriegsfreiwilligen glauben zu machen, dass das moralische Recht auf ihrer Seite war.

[7] Wer kann mehr dazu sagen, ob Sun Tzus Gedankengänge bis zu den Generalstäben vordrang?

@ [7] In meiner Ausgabe behauptet Ralph D. Sawyer, dass sowohl Napoleon als auch der Deutsche Generalstab [wohl mit den Herren Manstein und Guderian im Hinterkopf] mit Sun Tzu vertraut gewesen seien. (Allerdings - in der Hörbuchausgabe - ohne nachvollziehbare Quellen. Zumindest Napoleon scheint sich aber gedanklich mit China beschäftigt zu haben, siehe sein kolportiertes Zitat vom schlafenden Riesen-/Drachen.)

@[6] Erst gelesen: 'Es gibt nur ein Ding, das schwerer ist, als etwas neues beim Militär einzuführen, nämlich: die alten Gedanken aus dem Militär rauszubekommen.' Wenn Du Dich auf die Westfront WK I beschränkst: Da war nach dem Übergang zum Stellungskrieg nix mehr zu wollen - "keinen Meter Boden preisgeben" hätten die Burschen auch erfunden haben können. Bloss den Froschfresser/Tommy/Boche nicht durchbrechen lassen. Als guter "armchair general" hätte ich den Gegner ja irgendwo durchbrechen lassen, den Einbruch abgeriegelt und eine Kesselschlacht gewonnen.:devil: Zu Sun Tzu und Weltenbrand: So wie ich ihn verstehe, war er Stratege, kein Politiker. Den Weltenbrand hätte er noch seinen Fürsten anzetteln lassen, sich selbst dabei noch rausgehalten (#Primat der Politik) und anschließend den Herren Politiker dann bei Seite geschoben und gesagt: Nu ist Krieg, halt die Schnauze und lass die Kriegsprofis ran. Bei Jehuda L. Wallach habe ich gelesen, dass es die deutschen Generale im WK I ähnlich gemacht/versucht haben.

@ [4] und [5] Wäre die Frage, wie verbreitet (und verfügbar) Sun Tzu damals war und ob man ihn gelesen hätte haben sollen. Das Chinesenbild im Westen war ja einem ständigen Wandel von "Himmelhoch jauchzend - zu Tode betrübt" unterworfen (lesenswert dazu: Demel, Walter, Wie die Chinesen gelb wurden). Kann durchaus sein, dass man im Jahrhundertwechsel 19. auf 20. Jh. im Westen nicht allzuviel auf chinesische militärische Weisheiten gab - die Japaner hatten ja vorgeführt, dass es damit nicht allzuweit her war.:fs:

@ [3] Meines Wissens hat sich mit dem "Dogma der Vernichtungsschlacht" lediglich Schlieffen aktiv beschäftigt (wieder Jehuda L. Wallach, ich meine, sein Buch hieß exakt so) und Manstein mag das weitergedacht haben. Napoleon hat Vernichtungsschlachten geschlagen, allerdings m. E. nicht im Stile Cannaes und für FdG lag das taktisch schlichtweg komplett außerhalb seiner (lineartaktischen) Möglichkeiten. "Schiefe Schlachtordnung" war da schon das höchste aller Gefühle.

@ [2] Hier wäre ich extrem vorsichtig. Es ist in den letzten Jahren immer mal wieder in Mode gewesen Sun Tzu/Clausewitz/Machiavelli/Musashi für Soldaten/Manager/Betriebswirte/Controller/Hausfrauen zu vermarkten. Viel Hirn war bei den Ausgaben, die ich dazu in die Finger bekommen habe, nicht wirklich zu erkennen. (Erinnert sich noch jemand an das üble Machwerk "Power"?). Ich habe an einer Militärschule und einer Militäruni gelernt. Auch wenn es eine "Clausewitz-Gesellschaft" gab und gibt: Es war m. E. eine Minderheit in der Bw, die obige drei gekannt, gar gelesen, gar verstanden hat (Clausewitz habe ich selbst bis heute nicht geschafft, auch nur durchzulesen, geschweige denn durchzuarbeiten oder gar durchdrungen zu haben, von Typen wie Jomini ganz zu schweigen.) Da sind die Amerikanskis m. W. weiter. Ironie der Geschichte: Die Bundeswehr hat irgendwann über die US getriebene NATO ihren Clausewitz übern Teich zurückbekommen, allerdings inzwischen auf Englisch und damit unbedingt nicht leichter zu verstehen. Wir bilden uns hier eine Menge auf unsere Denker ein, aber leider nutzen wir sie nur als Gallionsfiguren, nicht als "Vordenker".

These: In der sich aufsteilenden Konfrontation USA vs. China wird sich phasenweise auch ein Duell Clausewitz ((teil)-verstanden, modernisiert) vs. Sun Tzu (ganz verstanden? modernisiert gar?) entwickeln, mit offenem Ausgang...

@ [1] Ich habe Sun Tzu nicht so verstanden, dass es ihm hier um eine "Humanisierung des Krieges" ging. Eher um eine Ökonomisierung: Lange Kriege kosten ein Schweinegeld und ruinieren die Wirtschaft. Damit hat er den Blitzkrieg vorweg genommen/erfunden. In anderen Absätzen setzt er Soldaten (und Soldatendarstellerinnen ja durchaus als Verfügungsmasse ein: "Bringe sie in eineaussichtslose Situation und sie werden bis zum Tode kämpfen." Nicht so human, oder?

Post Schreibulum: Weil ichs gerade im anderen Thread gelesen habe: Geschichten wie die Somme oder besonders der deutsche Angriff auf Verdung sind ein offener Widerspruch zu Sun Tzu's Dogma, feste Plätze zu umgehen und sich nicht mit hohem Aufwand an Zeit und Ressourcen zu belagern. Der WK I hatte m. E. mit Sun Tzus Lehren nicht allzuviel zu tun. Der kultivierte Europäer konnte so was sehr viel besser als so ein schlitzäugiger Barbar, latürnich. (Bittere Ironie Off)

Der Ned (von der Marine, der bis heute bewundert, wie personalschonend der große Nelson ZUR SEE seine Vernichtungsschlachten geschlagen hat.)
 
Zuletzt bearbeitet:
Bin ja kein Chinaexperte aber aus meiner Sicht siehts im Großen und Ganzen so aus als ob Chinesen erfolgreich nur gegen andere Chinesen gekämpft hätten, die letzte Demonstration ihrer militärischen Leistungs(un)fähigkeit habens ja glorreich gegen Vietnam abgeliefert. Also wärs verständlicher wenn sich Generalstäbler mit vietnamesischen Generälen auseinandersetzen als mit chinesischen.
 
@Neddy
„Ich habe Sun Tzu nicht so verstanden, dass es ihm hier um eine "Humanisierung des Krieges" ging. Eher um eine Ökonomisierung:..“
Geht mir auch so.

Ich hab mal Deine Ausgabe von Sun Zi versucht mit meiner Ausgabe zu vergleichen (PDF – aus dem Internet). Bei mir stammt das Vorwort von einem Romanschreiber (James Clavell)
Der hebt auch hervor, es müsse dem Napoleon der Sun Zi bekannt gewesen sein.

In einer anderen Quelle, (Clausewitz-Gesellschaft) wird eben das nahegelegt.
Ich bin mir aber durchaus nicht sicher, ob das eine zitierfähige Quelle ist.

..“Wäre die Frage, wie verbreitet (und verfügbar) Sun Tzu damals war und ob man ihn gelesen hätte haben sollen. „
Deutsche Übersetzungen kamen wohl erstmals um die Jahrhundertwende (19. zum 20.) auf.
Ebenso Englische. Französische und Japanische deutlich früher.

Was wir jetzt möglicherweise erneut haben, ist das verstärkte Eindringen militärischen Denkens in das zivile Wesen.
Das aufgeisternde Wesen Sun Zi (oder Tzu) ist vielleicht nur ein Lackmuspapier gegenwärtiger Befindlichkeit.
„Es ist in den letzten Jahren immer mal wieder in Mode gewesen..“

Danke jedenfalls Neddy.
..für Deine Nachdenklichkeit, die stets lesenswert ist.


Jetzt tät mich noch interessieren, ob es einen richtig seriösen Link für den Sun Tzu, (den Zi) gibt.
Oder ein Büchli?
 
Bin ja kein Chinaexperte aber aus meiner Sicht siehts im Großen und Ganzen so aus als ob Chinesen erfolgreich nur gegen andere Chinesen gekämpft hätten, die letzte Demonstration ihrer militärischen Leistungs(un)fähigkeit habens ja glorreich gegen Vietnam abgeliefert. Also wärs verständlicher wenn sich Generalstäbler mit vietnamesischen Generälen auseinandersetzen als mit chinesischen.

Na ja, Vietnam wurde immerhin viermal von den Chinesen erobert:

https://en.wikipedia.org/wiki/Chinese_domination_of_Vietnam

(Und die Vietnamesen haben spätestens nach der ersten Eroberung auch ihren Sunzi gelesen...)
 
Es ist ein bisschen schwierig die Eingangsfragen ausreichend zu beantworten. Ich beschäftige mich momentan mit Noailles, Broglie, dem Maréchal de Saxe und anderen. Bei allen diesen ist mir in den Briefen nie eine Erwähnung oder das Herausstreichen großartigen militärtheoretischen Wissens aufgefallen. Ich frage mich offen gestanden, wo die jungen Feldherren mit sowas vertraut gemacht worden sein sollen. Klar bei Bonaparte, der war ja auf einer Militärakademie. Bei den Franzosen des Ancien Régime spielte zwar die Herkunft einerseits eine große Rolle, aber selbst Herzöge befehligten Eingangs ihrer Karriere nur kleine Truppenkörper, auch wenn sie dann ziemlich rasch zumindest zum Regimentschef (nicht zu verwechseln mit Inhaber) aufstiegen. Das Leben dieser Offiziere war schon früh geprägt von zwei Polen durch die sie voran kamen im Avancement: persönliche Tapferkeit auf dem Schlachtfeld - diese bei Untergebenen herauszustreichen, war scheinbar auch für den Vorgesetzten ehrenhaft - zum einen, antichambrieren bei Hofe zum anderen (was soweit führte, das jemand wie Coigny nur Dank seines Rufes bei Hofe eines der wichtigsten Kommandos 1743 erhielt; auch Soubise hat sich m.W. nie als Stratege ausgezeichnet).
Insgesamt war die europäische Generalität wie auch das Offizierskorps m.E. von einer Professionalisierung in dem Sinne noch weit entfernt. Um einen Offiziersposten zu bekommen und über das Schicksal hunderter Soldaten zu gebieten brauchte man offenbar keine Prüfung ablegen - anders bei der Marine, man denke an den guten Peter Simpel der durchs Leutnantsexamen durchzufallen befürchtete;).
Es wäre generell reizvoll zu ermitteln wie gebildet die Generalität im 18.Jh. war. Ein Friedrich II. ließ sich im Feldlager aus dem Racine vorlesen - wohl auch einer Art Routine verschuldet oder als Entspannungsübung vom Stress des Militärlebens. Ich meine damit auch nicht wieviele Adressen ein schreibwütiger General an seine Vorgesetzten oder den Kriegsminister zu schreiben befähigt war...

In einer Welt der "Ritterlichkeit", wo selbst die Schlachtordnung irgendwie noch von der Vorstellungswelt des Feudalismus geprägt war - wo soll da Platz für Sun Tzu und andere Theoretiker gewesen sein und wie sollten sie sich in die Gedankenwelt der Offiziere gewinnbringend einfügen?:grübel:
 
Erinnert mich an eine Passage aus "Die Kriege der griechischen Antike":

So hatte der Ratschlag eines Griechen einzig durch seine Logik oder seinen Grad an Wirksamkeit auf dem Schlachtfeld Erfolg oder Misserfolg. Er wurde durch außenstehende religiöse oder philosophische Lehren weder behindert noch gefördert. Man vergleiche andere Traditionen militärischer Gelehrsamkeit: Der chinesische Militärstratege Sun-tsu äußert sich einmal kryptisch, einmal mystisch und ist stets Teil eines größeren religiösen Paradigmas. Auf der ersten Seite seines Buches heißt es: "Das Tao lässt die Menschen in völliger Übereinstimmung mit dem Herrscher sein. Der Himmel umfasst Yin und Yang, Kälte und Hitze und die Zwänge der Jahreszeiten. Die Erde umfasst weit oder nah, schwierig oder leicht, ausgedehnt oder beschränkt, tödliches oder lebendiges Gelände."

Man vergleiche dies mit dem sachlichen Ton und Geist, die man auf der Anfangsseite der etwa zur gleichen Zeit entstandenen militärischen Abhandlung Über die Verteidigung befestigter Positionen von Äneas, dem Taktiker, findet: "Die Anordnung der Truppen muss unter Berücksichtigung sowohl der Größe als auch der Topografie der Stadt erfolgen, ihrer Wachposten und Patrouillen und anderer Dienste, für die Soldaten in der Stadt erforderlich sind - mit Blick auf all diese Faktoren muss man die Anweisungen treffen." Die einzige Absicht des Äneas ist, Instruktionen darüber zu geben, wie man verhindert, dass eine Stadt gestürmt wird. Punkt. Will man eine Stadt einnehmen, nicht dem Herrscher oder Gottt gefallen oder etwas über sich selbst lernen, so ist Äneas der bessere Führer. Dieses autonome und intelektuell unabhängige Vermächtnis der Militärwissenschaften - entscheidend für die erfolgreiche Kriegsführung westlicher Armeen - hatte seinen ursprung in Griechenland und der späteren hellenistischen Welt.
 
@ [7] In meiner Ausgabe behauptet Ralph D. Sawyer, dass sowohl Napoleon als auch der Deutsche Generalstab [wohl mit den Herren Manstein und Guderian im Hinterkopf] mit Sun Tzu vertraut gewesen seien. (Allerdings - in der Hörbuchausgabe - ohne nachvollziehbare Quellen. Zumindest Napoleon scheint sich aber gedanklich mit China beschäftigt zu haben, siehe sein kolportiertes Zitat vom schlafenden Riesen-/Drachen.)

@[6] Erst gelesen: 'Es gibt nur ein Ding, das schwerer ist, als etwas neues beim Militär einzuführen, nämlich: die alten Gedanken aus dem Militär rauszubekommen.' Wenn Du Dich auf die Westfront WK I beschränkst: Da war nach dem Übergang zum Stellungskrieg nix mehr zu wollen - "keinen Meter Boden preisgeben" hätten die Burschen auch erfunden haben können. Bloss den Froschfresser/Tommy/Boche nicht durchbrechen lassen. Als guter "armchair general" hätte ich den Gegner ja irgendwo durchbrechen lassen, den Einbruch abgeriegelt und eine Kesselschlacht gewonnen.:devil: Zu Sun Tzu und Weltenbrand: So wie ich ihn verstehe, war er Stratege, kein Politiker. Den Weltenbrand hätte er noch seinen Fürsten anzetteln lassen, sich selbst dabei noch rausgehalten (#Primat der Politik) und anschließend den Herren Politiker dann bei Seite geschoben und gesagt: Nu ist Krieg, halt die Schnauze und lass die Kriegsprofis ran. Bei Jehuda L. Wallach habe ich gelesen, dass es die deutschen Generale im WK I ähnlich gemacht/versucht haben.

@ [4] und [5] Wäre die Frage, wie verbreitet (und verfügbar) Sun Tzu damals war und ob man ihn gelesen hätte haben sollen. Das Chinesenbild im Westen war ja einem ständigen Wandel von "Himmelhoch jauchzend - zu Tode betrübt" unterworfen (lesenswert dazu: Demel, Walter, Wie die Chinesen gelb wurden). Kann durchaus sein, dass man im Jahrhundertwechsel 19. auf 20. Jh. im Westen nicht allzuviel auf chinesische militärische Weisheiten gab - die Japaner hatten ja vorgeführt, dass es damit nicht allzuweit her war.:fs:



@ [1] Ich habe Sun Tzu nicht so verstanden, dass es ihm hier um eine "Humanisierung des Krieges" ging. Eher um eine Ökonomisierung: Lange Kriege kosten ein Schweinegeld und ruinieren die Wirtschaft. Damit hat er den Blitzkrieg vorweg genommen/erfunden. In anderen Absätzen setzt er Soldaten (und Soldatendarstellerinnen ja durchaus als Verfügungsmasse ein: "Bringe sie in eineaussichtslose Situation und sie werden bis zum Tode kämpfen." Nicht so human, oder?

Post Schreibulum: Weil ichs gerade im anderen Thread gelesen habe: Geschichten wie die Somme oder besonders der deutsche Angriff auf Verdung sind ein offener Widerspruch zu Sun Tzu's Dogma, feste Plätze zu umgehen und sich nicht mit hohem Aufwand an Zeit und Ressourcen zu belagern. Der WK I hatte m. E. mit Sun Tzus Lehren nicht allzuviel zu tun. Der kultivierte Europäer konnte so was sehr viel besser als so ein schlitzäugiger Barbar, latürnich. (Bittere Ironie Off)

.)


ad PS) Sun Tzu sagte, es sei so ziemlich die schlechteste Taktik befestigte Plätze anzugreifen. Hellenistische Strategen wie Demetrios Poliorketes und dann natürlich die Römer haben die Belagerungskunst zur Perfektion weiterentwickelt. Manche Fremdenführer schreiben davon, die Römer hätten 3 Jahre Masada belagert. Tatsächlich hat es nicht einmal annährend so lange gedauert. Die längste Schätzung geht von knapp einem halben Jahr aus, die kürzeste Rekonstruktion traut den Römern zu, dass sie innerhalb von 6-7 Wochen Masada eroberten. Das machten sie natürlich im Winter, wenn es nicht so heiß war und die Trinkwasserversorgung besser funktionierte. Es geschah das wohl 72/73 oder 73/74.

In der frühen Neuzeit glichen Belagerungen unter Sebastien de Vauban gut organisierten Theateraufführungen. Vauban hatte mehr als 50 Städte erobert, ohne einen einzigen Rückschlag zu erleiden. Im 17. und 18. Jahrhundert waren Belagerungen weitaus weniger riskant, als offene Feldschlachten geworden. In diesem Punkt hat die Entwicklung der Kriegstechnologie Sun Tzu widerlegt.

Ich halte auch nichts davon, Sun Tzus Lehren rein psychologisch auslegen zu wollen, was einer Verharmlosung gleichkommt. Sun Tzu schreibt selbst, dass nur einer der die Bosheiten des Krieges kennt, die nötige Kompetenz besitzt, um eine Armee zu kommandieren. Es geht in letzter Konsequenz um die Vernichtung von Menschenleben. Sun Tzu ging es natürlich um Optimierung des Krieges und Optimierung der Schlagkraft seiner Soldaten. Trotzdem finde ich, kann man einige seiner Gedankengänge als human bezeichnen, weil sie Mäßigung und Rücksichtnahme auf einem Gebiet empfehlen, wo man sie am wenigsten erwarten kann: auf dem Schlachtfeld.
Sun Tzu steht dabei durchaus in einer Tradition, die sich für eine Einhegung des Krieges, um eine Einhaltung gewisser Kriegsgesetze, um den Schutz bestimmter Personen engagiert hat.

Immerhin machte er sich Gedanken um die einfachen Soldaten, er forderte von ihnen nur "ein Minimum an Tapferkeit, dass jeder erreichen muss" und riet, nicht zu viel von einzelnen Soldaten zu verlangen. Dass er überhaupt die kleinen "Stoppelhopser" als Individuen und nicht Teil einer Masse in seine Überlegungen einbezogen hat, ist mehr, als man von so manchem großen Schlachtenlenker sagen kann.

Aber mal etwas anderes! Ich kann leider überhaupt keine Angabe darüber machen, woher die Information kommt und ob eine ähnliche Anekdote bekannt ist.

Im Gespräch mit Sun Tzu fragte der Kaiser scherzhaft, ob der in der Lage wäre, aus den Palasthetären Soldaten zu machen, worauf Sun Tzu sagte: natürlich. Er ließ Waffen verteilen, machte die dienstältesten Odalisken zu Unteroffizieren und befahl, dass sie sich beim Klang der Gongs und Trompeten in Reih und Glied formieren sollten. Die Frauen kicherten aber bloß, ohne die Befehle auszuführen. Darauf wiederholte Sun Tzu höflich den Befehl, ohne dass er befolgt wurde. Sun Tzu fand, wird ein Befehl nicht befolgt, weil er missverstanden wurde, trifft den General die Schuld, ist der Befehl unmissverständlich liegt der Fehler beím Soldaten und es müssen die nötigen Konsequenzen gezogen werden. Sun Tzu ließ nach dieser Geschichte die dienstältesten Mätressen köpfen und ernannte die zweitältesten zu ihren Nachfolgerinnen, worauf die Frauen unverzüglich die Waffen aufnahmen und sich in Reih und Glied formierten.
 
Ich hab mal Deine Ausgabe von Sun Zi versucht mit meiner Ausgabe zu vergleichen (PDF – aus dem Internet). Bei mir stammt das Vorwort von einem Romanschreiber (James Clavell)

Meinst Du diese hier?
https://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=1&cad=rja&uact=8&ved=0ahUKEwiX56OZhYTVAhUHsxQKHTHhCrMQFggtMAA&url=https%3A%2F%2Fhdms.bsz-bw.de%2Ffiles%2F357%2FSunzi.pdf&usg=AFQjCNEGwUO6Wuo8fsnd0TkJeUuaQ24EYA

Diese Ausgabe ist die deutsche Übersetzung der von Clavell bearbeiteten Übersetzung von Lionel Giles. Diese war die erste ernstzunehmende englische Übersetzung. Davon gibt es viele Versionen im Netz, hier z. B. eine mit chinesischem Text:
The Art of War : Laying Plans - Chinese Text Project


Die erste Übersetzung direkt aus dem Chinesischen ins Deutsche von Klaus Leibnitz erschien 1989 in Karlsruhe ("Sun Tsu - Über die Kriegs-Kunst") und hat mehrere Auflagen erlebt.
Eine neuere Übersetzung stammt von Hannelore Eisenhofer, zu dieser kann ich nichts sagen.

Eine englische Übersetzung, anonym, angeblich durch renommierteste Fachleute abgesichert, habe ich hier gefunden:

https://www.sonshi.com/original-the-art-of-war-translation-not-giles.html

Diese Übersetzung kommt dem lakonischen Stil des Originals ziemlich nahe. Das heißt aber nicht, dass sie den Sinn des Gemeinten am besten wiedergibt.



Ich greife mal zwei zwei Beispielsätze heraus. Mein Übersetzungsversuch (so wörtlich wie möglich, aber natürlich kein gutes Deutsch):

(Was den) Himmel (betrifft): Das sind Sonnenseite und Schattenseite, Kälte und Hitze, Entscheidungen der Jahreszeiten.
(Was die) Erde (betrifft): Das sind hoch und unten, fern und nah, steil/riskant und leicht, breit und eng, sterben und leben.


Zum Vergleich:


'Heaven' is dark and light, cold and hot, and the seasonal constraints.
'Ground' is high and low, far and near, obstructed and easy, wide and narrow, and dangerous and safe.
(sonshi.com)

Heaven signifies night and day, cold and heat, times and seasons.
Earth comprises distances, great and small; danger and security; open ground and narrow passes; the chances of life and death.
(Giles)

Himmel bedeutet Nacht und Tag, Kälte und Hitze, Tageszeit und Jahreszeit.
Erde umfaßt große und kleine Entfernungen, Gefahr und Sicherheit, offenes Gelände und schmale Pässe, die Unwägbarkeit von Leben und Tod.
(Giles/Clavell/deutsch)

Der Himmel: Damit meine ich das Zusammenwirken der natürlichen Kräfte: Den Einfluß von Winterkälte und Sommerhitze auf militärische Operationen, die genau auf die Jahreszeiten abgestimmt sein müssen.
Die Erde: Dies bedeutet exakte Ermittlungen von Entfernungen und eine präzise Klärung, ob ein Gebiet mit Leichtigkeit oder schwierig zu überwinden ist, ob es offen daliegt oder schwer zu betreten ist. Nur so kann man die Chancen für das Überleben der Truppen richtig beurteilen.
(Leibnitz)
 
Sepiola,
das ist die Übersetzung (der Übersetzung) die ich habe.

Danke für die weiteren Hinweise.
 
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