Was wir den Arabern verdanken

christliche Argumentation erkenne ich nicht.
Ich habe nicht unterstellt, dass keine dieser Rahmenbedingungen von anderen Religionen/Weltanschauungen geteilt wird, sondern dass es außer dem Christentum kaum eine maßgebliche Geisteskultur gab, in denen sie ALLE gegeben waren. Ich habe verschiedene Beispiele gebracht, welche Geisteskulturen in welchem Punkt von diesen Prämissen abwichen.

Natürlich haben teilen die monotheistischen Religionen (schon per definitionem!) einige der Voraussetzungen. Aber auch die späteste ist aus dem hierarchischen Bau der Prämissen in der Kausalitätsfrage ausgestiegen. Der ganz zentrale Begriff des Naturgesetzes konnte sich deshalb möglicherweise nur im Christentum entwickeln. Nicht wenige Ideenhistoriker sehen das jedenfalls so.
 
Sehe ich auch so.
Für die Frage nach dem Unterschied zwischen Christentum und Islam ist das alles irrelevant.

Wie schon gegenüber Andreas erläutert, ging es mir um die Stufenfolge der Rahmenbedingungen und um die Kennzeichnung der Stelle, wo gewisse Religionen/Denkschulen aus diesem Stufenbau ausgestiegen sind. Beim Islam war das die Kausalitätsfrage. Dass davor verschiedene Übereinstimmungen bestanden, liegt in der Natur der (monotheistischen) Sache.



So ist es.
Man könnte sogar genau das Gegenteil aus dem Neuen Testament ableiten:
"Verkauft man nicht zwei Spatzen für ein paar Pfennig? Und doch fällt keiner von ihnen zur Erde ohne den Willen eures Vaters. Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Kopf alle gezählt."
Oder: "Du aber hast alles nach Maß, Zahl und Gewicht geordnet." (Weish. 11,20)



Das ist so nicht richtig, weder im Hinblick auf die chinesische Kultur noch im Hinblick auf das christliche Weltverständnis
Dazu gäbe es vieles zu schreiben, vielleicht später mehr. Nur so viel: für Joseph Needham, den Großmeister der Kulturvergleichs zwischen China und Europa, war der genannte Punkt die entscheidende Ursache, warum sich die moderne Wissenschaft in Europa und nicht in China entwickelt hat, obwohl China die viel ältere und in anderer Hinsicht weiter entwickelte Kultur hatte.
 
Oder: "Du aber hast alles nach Maß, Zahl und Gewicht geordnet." (Weish. 11,20)
Oder: "Wir haben alles nach Maß erschaffen." (Sure 54)

Wir finden also auch hier eine Übereinstimmung zwischen Bibel und Koran.

Woraus leitest Du den "Autopiloten" ab? Aus der Bibel sicher nicht.

Nur so viel: für Joseph Needham, den Großmeister der Kulturvergleichs zwischen China und Europa, war der genannte Punkt die entscheidende Ursache
Dann bitte ich um eine Stellenangabe, das würde ich gern selber nachlesen.
 
Hallo Tintagel,
vielen Dank für Deine Antworten.

andreassolar Beitrag anzeigen
Gerade Keplers Arbeit an der Differenz zwischen Beobachtungsdaten und der postulierten Idealform der Planetenbewegung ist keine Folge oder gehört in die Tradition genuin christlicher Theologie oder der Kirche, sondern ist schon Teil der epistemologischen Wendezeit, scheint mir.

Kannst Du diesen Eindruck begründen?

Keplers Wirksamkeit gehört schon chronologisch wie in der Art Problemlösung in die Phase der 'Wendezeit'. Ansonsten darf ich daran erinnern, dass die Entstehung des Christentums bereits rund 15 Jahrhunderte vor Kepler lag. Soll Kepler so eine Art Spätwirkung des Christentums demonstrieren? Das überzeugt natürlich nicht.


Zitat:
Wobei Kepler wiederum auf faszinierende Weise Motivation in antiker Philosophie/Esoterik gefunden hatte, wie Dir bekannt sein dürfte.

Kepler war stark von platonischen Gedanken beeinflusst, deshalb versuchte er ja, auf Biegen und Brechen die platonischen Körper zwischen die Sphären zu quetschen. Hierin zeigt sich zwar eine platonische Orientierung in Bezug auf die Modellauswahl, jedoch keine platonische Erkenntnistheorie. Die Modelle - egal durch wen oder was sie inspiriert waren - sollten schon exakt passen, sonst wäre Kepler nicht zufrieden gewesen. Für Platon hingegen war es ein ganz natürlicher Zug der Erfahrungswirklichkeit, dass sie sich prinzipiell nur annähernd durch mathematische Modelle erfassen ließ. (Eine gewisse Ausnahme, über die man streiten kann, bildete freilich der translunare Bereich, in dem strengere Gesetze galten und den zu mathematisieren Platon an Eudoxos delegierte)

D'accord, schon klar, schön erklärt! Nur ist der genuin christlich motivierte Kern von Keplers schon ziemlich, wenn auch noch etwas unfreiwilliger empirischer Wissenschaftshaltung dabei nicht erkennbar und plausibel.



Zitat:
Was die Annäherung an die präzise Struktur der 'Wirklichkeit' angeht, so war man, scheint mir, in beachtlichen Teilen des islamisch-arabischen Raumes im 10. - 13. Jh. offener und erfolgreicher gewesen.

Ich sehe da keinen Zug zur Mathematisierung. Die entscheidenden Schritte wurden nach meiner Ansicht durch die Präzisierung der Bewegungsbegriffe und durch die Erforschung der Bewegungsgesetze getan. Und das spielte sich alles im christlichen Zivilisationsraum (vor allem in Oxford, Paris, Salamanca und Oberitalien) im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit ab.

Durchaus waren 'die Araber' bekannt für ihre mathematischen Fähigkeiten, siehe Algebra. Sonst beziehst Du Dich ausnahmslos auf das lateinisch-christliche, katholische (West-)Europa viele Jahrhunderte nach Christi Geburt und Entstehung des Christentums. Bei Deiner Argumentation fehlen zudem alle christlich-orthodoxen Kirchen, Gebiete und Angehörige, besonders natürlich auch die altchristlichen, orientalischen Kirchen und Gebiete, die jahrhundertelang vor der islamischen Eroberung bereits jahrhundertelang existierten und keineswegs auch nur annäherungsweise ein im heutigen Sinne empirisches Wissenschaftsverständnis entwickelt hatten.
Da liegen gut 1500 Jahre zwischen Entstehung des Christentums im Vorderen Orient und der so genannten epistemologischen Wende im mehr westlichen, 'lateinischen' Europa, und deutlich über 1000 Jahre zwischen dem 1. Jh. n. Chr. und 'Paris', 'Oxford', 'Salamanca' etc. Sorry, Du wirst verstehen, dass dieser Umstand GEGEN Deine Argumente spricht und deutlich macht, dass alle möglichen Faktoren eine Rolle spielten, aber gewiss nicht eine genuin & zentral in den christlichen Theologien, dem Neuen Testament oder in der Christologie liegende 'Philosophie', die dann auch noch erst nach vielen Jahrhunderten die aufkommenden empirischen Wissenschaften erkennbar mitinduziert.

Letztlich gerät Deine Argumentation in eine chronologische Sackgasse. Was, wenn 'dem Islam' gut 1500 Jahre nach seiner Entstehung ebenfalls die so genannte 'Wissenschaftswende' gelingt, also ab dem 22. Jh.?

Viele Grüße,
Andreas
 
Ich habe nicht unterstellt, dass keine dieser Rahmenbedingungen von anderen Religionen/Weltanschauungen geteilt wird, sondern dass es außer dem Christentum kaum eine maßgebliche Geisteskultur gab, in denen sie ALLE gegeben waren. Ich habe verschiedene Beispiele gebracht, welche Geisteskulturen in welchem Punkt von diesen Prämissen abwichen.

Natürlich haben teilen die monotheistischen Religionen (schon per definitionem!) einige der Voraussetzungen. Aber auch die späteste ist aus dem hierarchischen Bau der Prämissen in der Kausalitätsfrage ausgestiegen. Der ganz zentrale Begriff des Naturgesetzes konnte sich deshalb möglicherweise nur im Christentum entwickeln. Nicht wenige Ideenhistoriker sehen das jedenfalls so.

Ja, Tintagel, nur hatte keiner der ersten 5 angeführten Punkte überzeugt. Nur bei Punkt 6 kann ich anerkennen, dass der Koran keine Ebenbildlichkeit Gott zu Mensch kennt.

6. Und sie ist erkennbar.
Nach christlicher Auffassung ist der Mensch nach dem Ebenbild Gottes geschaffen. Damit ist nicht eine Ähnlichkeit in der Barttracht gemeint, sondern eine Entsprechung in der intellektuellen Struktur. Der göttliche Logos ist gleichermaßen die ursächliche Quelle der Struktur der Welt und der Struktur des menschlichen Erkenntnisapparates und verbürgt durch diese Isomorphie die prinzipielle Möglichkeit der adäquaten Reflexion. Hier ist ein Vergleich mit dem Weltverständnis aufschlussreich, das die chinesische Kultur prägte. Gemäß diesem weist die Welt zwar eine gewisse Ordnung auf, die dem menschlichen Verständnis aber weitgehend unzugänglich ist, weil es keine epistemisch vermittelnde Instanz gibt.

Dir ist schon klar, dass der FETT markierte Satz keineswegs christliches Allgemeingut gewesen war und ist oder auch nur den 'Mainstream' darstellt. Du scheinst das sehen zu wollen, was das 'Christentum' aus moderner Wissenschaftssicht und in Abgrenzung zum 'Islam' so einmalig auszeichnet :). Man kann anhand diverser theologischer Genesiskommentare, katholisch oder evangelisch-mitteleuropäisch zu anderen Positionen kommen.

Aber auch die späteste ist aus dem hierarchischen Bau der Prämissen in der Kausalitätsfrage ausgestiegen. Der ganz zentrale Begriff des Naturgesetzes konnte sich deshalb möglicherweise nur im Christentum entwickeln.

Mit 'Christentum' wird unausgesprochen das historisch ehemals lateinisch-christliche, 'westlichere' Europa gemeint sein, viele Jahrhunderte nach Entstehung des Christentums.

Viele Grüße,
Andreas
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Araber haben auch hohe eigenständige Leistungen auf den Gebieten der Astronomie und der Astronavigation gebracht und damit zum Weltkulturerbe beigetragen. Sie entwickelten die Forschungen der Griechen weiter. Das Astrolabium brachten sie zur Perfektion. In Bagdad, Kairo wurden Astrolabien gebaut, die sich durch ein hohes Maß an Genauigkeit auszeichneten. Über 100 verschiedene Funktionen waren bekannt. Ortszeit, Breitengrad, Sonnenauf- und Sonnenuntergang, Rektazension, Zodiakosposition, Aufgänge der wichtigsten Navigationssterne konnten sehr genau bestimmt werden. Die meisten der 57 klassischen Navigationsgestirne tragen heute noch arabische Namen: Dubhe (Ursa maior), Kochab Ursa minor, Shedir (Cassiopeia), Merak, Pherkad, Rigel, Aldebaran, Alpekka, Hadar u. v. a.
 
Dazu gäbe es vieles zu schreiben, vielleicht später mehr. Nur so viel: für Joseph Needham, den Großmeister der Kulturvergleichs zwischen China und Europa, war der genannte Punkt die entscheidende Ursache, warum sich die moderne Wissenschaft in Europa und nicht in China entwickelt hat, obwohl China die viel ältere und in anderer Hinsicht weiter entwickelte Kultur hatte.

Der Verweis auf Needham ist durchaus interessant. Es wurde an mehreren Stellen von Tintagel Bezug genommen auf den „Stand der Wissenschaft“ . Und an der impliziten Sicht von Needham wird der Paradigmenwechsel in der globalen Geschichtsschreibung deutlich. Und deswegen ist mir nicht deutlich, auf welchen "Stand der Wissenschaft" sich Tintagel bezieht.

Vereinfacht wird der Aufstieg des Westens durch eine spezifische Mentalität erklärt. In dieser Lesart ist die westliche Moderne das Ergebnis eines Weltbilds, das durch die Werte der Weber`schen „Protestantischen Ethik“ definiert ist. Dabei unterstellt man stillschweigend, dass diese Werte auch in Teilen der katholischen Welt, wie in Frankreich, teilweise adaptiert worden sind und somit auch für die katholischen Regionen Europas wirksam geworden sind.

Das ist insofern bedeutsam, weil der ausgebliebene wirtschaftliche Aufschwung seit dem 19. Jahrhundert in anderen Teilen ebenfalls durch kulturelle Weltbilder erklärt worden ist.

Das gilt auch in besonderem Maße für die Erklärung der wirtschaftlichen Entwicklung von China. Ausgehend vom dominanten konfuzianistischen Glauben in China, der sehr prägend war für das soziale, wirtschaftliche und vor allem auch politische Leben, erklärten die Vertreter der westlichen Modernisierungstheorien – von links bis rechts – dieses als zentral als Faktor der Behinderung. Dem Konfuzianismus wurde die Rolle zugeschrieben, die Dynamik einer kapitalistischen wirtschaftlichen Entwicklung in China vor allem im neunzehnten Jahrhundert behindert zu haben.

Paradigmatisch ala Wiki:
"Für die Frage, warum der Westen trotz des früheren hohen Standes der chinesischen Wissenschaft diese am Ende überholte (Needhams Grand Question) machte Needham die Einflüsse des Konfuzianismus und Daoismus verantwortlich."

Von "revisionistischen Vertretern" [die mittlerweile den Standard definieren] einer globalen Geschichtsschreibung – auch von links nach rechts – wie beispielsweise bei Frank, wird darauf hingewiesen, dass es seit einiger Zeit eine Umkehrung der Argumentation in Bezug auf den Konfuzianismus gibt. Um das chinesische Wirtschaftswunder der letzten Jahrzehnte zu erklären, wird auf die positiven Wirkungen des Konfuzianismus hingewiesen. Und somit wird ein hinderlicher Faktor zu einem förderlichen „umgeschrieben“.

Vor diesem Hintergrund sind gerade ältere Darstellungen, wie von Needham, gerade auch zu China durchaus mit Skepsis zu lesen, da sie aus der Epoche der westlichen „Modernisierungsapologie“ stammen. Und die Einen - der Westen - zu gut dargestellt wurden, während die anderen - asiatische Ländern / China - zu negativ beurteilt wurden.

Dieses ist mittlerweile einer wesentlich differenzierteren und globaleren Sichtweise gewichen, wie beispielsweise die Arbeiten von so unterschiedlichen Autoren belegen, wie von Wong, Conrad, Osterhammel, Frankopan, Chakrabarty, Hodgson, Pomeranz oder Topik um nur ein paar zu nennen, die noch eine Rolle in der weiteren Diskussion spielen werden.

Frank, André Gunder (1998): ReOrient. Global economy in the Asian age. Berkeley, Calif.: Univ. of California Press.
Rublack, Ulinka (Hg.) (2013): Die neue Geschichte. Eine Einführung in 16 Kapiteln. Frankfurt am Main: Fischer ([S. Fischer Geschichte]).
 
Ich denke, dass die Araber gelehrige Schüler waren und in den Jahrhunderten nach ihrer Expansion keineswegs nur als Kriegerstand existierten.
Wie ich oben schon sagte wirkten die Araber vielfach als Katalysator, da sich in ihrem Herrschaftsbereich wissenschaftliche und philosophische Strömungen aus Persien, Indien, Griechenland und Byzanz kreuzten. Vieles davon fügten die Araber neu zusammen, modifizierten es oder ließen ganz Neues daraus entstehen.
Die arabische Hochkultur allein Persern und Ostchristen zuzuschreiben, verkennt den komplexen Zusammenhang.

Diese Beschreibung ist im Wesentlichen zutreffend. Die kulturelle Leistung der Araber, die als Minorität ein riesiges religiös-politisches Herrschaftsgebiet durch Eroberung geschaffen haben, liegt vor allem in der sprachlichen Integration und der Transmission antiker Wissensbestände. Und erschaffen in diesem Prozess der Aneignung eine genuin arabische Form der Wissenschaft, allerdings, so Lombard, als Teil einer neuen Kultur, da die erobernde arabische Minorität sich schnell und erfolgreich in die unterworfenen – städtisch geprägten - Völker assimiliert (Lombard, S. 19ff)

Die Integration war auch deshalb so erfolgreich, weil die Araber als Befreier von römischer, byzantinischer, persischer oder sassanidischer Herrschaft von der einheimischen Bevölkerung nicht selten gesehen worden ist (Lombard, S. 21).

„Die unterworfene Bevölkerung stellten ganz selbstverständlich die Verwaltungskader, jenes geistige Werkzeug kultivierter Völker, zur Verfügung. Die christlichen, jüdischen oder persischen Konvertiten,…, werden bald eine entscheidende Rolle beim Aufbau dieser synkretistischen, „islamischen“ Zivilisation spielen.“ (Lombard, S. 22).

Das beleuchtet die Frage, ob es sich um eine arabische oder um eine islamische Kultur handelt. Sofern man von einer arabischen Kultur spricht, rückt man den dynastischen herrschaftlichen Aspekt in den Vordergrund der Betrachtung. Die Ergebnisse der Wissensproduktion sind jedoch das Ergebnis eines synkretistischen Prozesses, an dem „Araber“ –als forschende Individuen – nur unter anderem beteiligt sind. Dennoch ist „Arabisch“ das gemeinsame Band, das die Blüte der islamischen Kultur in dieser Phase erst ermöglicht hatte. Die Mehrzahl der wissenschaftlichen Texte waren zwischen dem neunten und dem sechszehnten Jahrhundert im „Nahen Osten“ in arabisch geschrieben. (Dallal, Pos. 3027) Insofern erscheint die Beschreibung der wissenschaftlichen und kulturellen Erkenntnisse bzw. Publikationen als "islamische Kultur" entsprechend dem multiethnischen Erstellungsprozesses als angemessener. (vgl. den guten Beitrag von lynxxx #341!!)

Und Lombard resümiert: „Der Islam….ist eng verbunden mit der Geschichte aller Räume, die seine Wiege umgaben…“ und integrierte Europa, Afrika, Indien bzw. auch Süd-Ost-Asien.

Für das Mittelalter beschreibt Flasch die Art der „islamischen Herausforderung“ für den Westen bzw. auch ihren Einfluß wie folgt: „Die zivilisatorische und auch philosophische Entwicklung des lateinischen Westens seit dem 13. Jahrhundert ist ohne den Einfluß der Araber nicht zu vestehen.“ (Flasch, S. 262).

Und fährt fort: „Die Gesellschaft des Westens hatte seit dem Ende des 11. Jahrhunderts eine ökonomische, politische, militärische und intellektuelle Dynamik entfaltet, die sie drängte, sich mit der überlegenen arabischen Zivilisation zu konfrontieren.“ (Flasch, S. 262).

Die Zeit der Kreuzzüge förderte die Übernahme und das Durchdringen der Kulturen, „Aber die Eroberer hatten die kulturelle Überlegenheit der Besiegten jetzt deutlich vor Augen.“ (Flasch, S. 262).

Um die Vielzahl arabischer Bücher für die westliche Kultur nutzen zu können, wurde in Toledo eine Übersetzungsschule gegründet, die systematisch vor allem die naturwissenschaftlichen arabischen Werke ins Lateinische übersetzten.

In dieser Phase erfolgte vor allem eine Transmission der mittelalterlichen arabischen Kultur nach West-Europa.

Es war jedoch in ihren antiken Wurzeln, wie schon mehrfach erwähnt, keine genuin antike arabische Kultur, die vomWesten übernommen worden ist. Vielmehr übernahmen die Araber ihrerseits im ca. 7. Jahrhundert bei ihren Zügen beispielsweise nach Persien und Ägypten das Wissen, die Wissenschaft und Buchkultur dieser Kulturen.

Aus einer Reihe von Gründen (Religiöse Verfolgung der z.B. Nestorianer) gelangte das antike griechische Wissen – via Antiochia und Edessa – an den persischen Hof. Die Araber fanden dieses kombinierte antike griechische und persische Wissen bei ihrer Eroberung von Persien im Jahr 641 vor. „Sie verhielten sich zunächst lernend und übersetzten [ins Arabische], was vorhanden war.( Flasch, S. 263). So ließ beispielsweise der Kalif von Bagdad (813-833) systematisch griechische, syrische und persische Literatur ins Arabische übersetzen. Wichte Arbeiten von Aristoteles wurden so für die Nachwelt erschlossen (Flasch, S. 264).

Ähnlich wie in Bagdad, das über eine Bibliothekeninfrastruktur (36 Bibliotheken mit hunderttausenden von Büchern) verfügte, die so in Westeuropa bis dahin nicht vorhanden war, war Cordoba unter seinem Kalifen um das Jahr 1000 ein weiteres Zentrum der islamischen Kultur und Wissenschaft. „Von Samarkand bis Cordoba ist die islamische Kultur eine städtische Kultur von bemerkenswerter Homogenität….Die Islamische Welt erscheint demnach als eine Reihe kleiner, urbaner Inseln, die über verschiedenste Handelskanäle miteinander verbunden sind.“ (Lombard, S. 28)

Die Homogenität kann man teilweise auch an den Biographien von "mobilen" Staatsdienern erkennen, die im muslimischen Einzugsbereich problemlos in unterschiedlichen Städten, teils weit entfernt voneinander, eine ähnliche Anstellung gefunden hatten. Die gemeinsame Sprache und ein ähnliches Verwaltungs- und Rechtsbewußsein ermöglichten diese Form der mittelalterlichen Migration von hoch qualifiziertem Verwaltungspersonal.

Und dieses Netz wird durch eine Reihe von Krisen beschädigt und es erfolgt das Auseinanderbrechen einer einzigartigen relativ homogenen islamischen Kultur, die durch stärker regionalisierte islamische Kulturen ersetzt wird (Lombard, S. 28)

Vor diesem Hintergrund stand die westliche Welt im Hochmittelalter vor der Herausforderung, sich der Überlegenen arabischen Hochkultur zu stellen. Und es erfolgte im Westen eine ebenso schnelle Adaption der arabischen Werke, wie vorher die Araber ihrerseits bereits vorhandene antike Wissensbestände adaptiert haben.

Nebenbei ein absolut sinnvoller Prozess, der der Merton`sche Idee entspricht, dass wir alle auf den Schultern von Riesen stehen. Insofern wirkt die teilweise herablassende Beurteilung der Araber bei der Adaption antiker Wissensbestände durch einzelne Teilnehmer des Forums unverständlich und befremdlich, um es freundlich zu formulieren.

Die Dramatik der wissenschafltichen Rückständigkeit des Westens zeichnet Flasch anhand zeitgenössischer Stimmen nach und resümiert: „Hatte das frühe Mittelalter seine Naturkenntnis bestenfalls aus Plinius und Seneca bezogen, so waren gegen 1200 die griechische und arabische Optik [vgl. den Beitrag von Scorpio], Medizin, Physik und Philosophie zugänglich.“ (Flasch, S. 266).

Aufgrund des wissenschaftlichen Fortschritts in der islamischen Welt stellten sich früher wie im Westen Fragen, die sich auf die unterschiedlichen Formen der Erkenntnis bzw. „Erleuchtung“ fokussierten. Beide Erkenntnissysteme standen in einem Rivalitätsverhältnis zueinander.

„Die arabischen Denker hatten ebenso in einer religiös geprägten Welt gelebt wie die des Westens und stand früher als diese vor dem Problem, wie die Offenbarungsreligion mit dem griechisch geprägten Naturwissenschaften und der Philosophie zu versöhnen sei.“ (ebd. S. 268) Ein Problem, das vor allem Hamid Ghazali adressierte und die Trennung der Erkenntnis im Rahmen des „Glaubens“ von einer „verstandesorientierten“ Sicht forderte (vgl. Hourany & Ormsby). Dieser Aspekt sollte separat betrachtet werden und ist deutlich komplexer wie die Frage nach „Kausalität“.

Dallal, Ahmad (1999): Science, Medicine, and Technology. The making of a scientific culture. In: John L. Esposito (Hg.): The Oxford history of Islam. New York, N.Y.: Oxford University Press, S. 155–214.
Flasch, Kurt (1986): Das philosophische Denken im Mittelalter. Von Augustin zu Machiavelli. Stuttgart: Reclam.
Hourani, Albert Habib (1991): A history of the Arab peoples. Cambridge, Mass.: Belknap Press of Harvard Univ. Press.
Ormsby, Eric (2012): Ghazali. The Revival of Islam. New York: Oneworld Publications
Lombard, Maurice (1992): Blütezeit des Islam. Eine Wirtschafts- und Kulturgeschichte; 8. - 11. Jahrhundert. Frankfurt am Main: Fischer
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Thane,

sehr gute Übersicht und Positionierung, dem gibt es kaum etwas hinzu zufügen.

Vor diesem Hintergrund stand die westliche Welt im Hochmittelalter vor der Herausforderung, sich der Überlegenen arabischen Hochkultur zu stellen. Und es erfolgte im Westen eine ebenso schnelle Adaption der arabischen Werke, wie vorher die Araber ihrerseits bereits vorhandene antike Wissensbestände adaptiert haben.

Nebenbei ein absolut sinnvoller Prozess, der der Merton`sche Idee entspricht, dass wir alle auf den Schultern von Riesen stehen. Insofern wirkt die teilweise herablassende Beurteilung der Araber bei der Adaption antiker Wissensbestände durch einzelne Teilnehmer des Forums unverständlich und befremdlich, um es freundlich zu formulieren.

Die Dramatik der wissenschafltichen Rückständigkeit des Westens zeichnet Flasch anhand zeitgenössischer Stimmen nach und resümiert: „Hatte das frühe Mittelalter seine Naturkenntnis bestenfalls aus Plinius und Seneca bezogen, so waren gegen 1200 die griechische und arabische Optik [vgl. den Beitrag von Scorpio], Medizin, Physik und Philosophie zugänglich.“ (Flasch, S. 266).

Die "westliche Welt" ist stets das westliche, lateinische Europa. Auch in Deinem Beitrag sprechen die rezipierten Autoren konstant das lateinische, westlichere Europa an. Byzanz kommt entsprechend nicht vor, welches durchaus nach rund einem Jahrhundert häufiger kriegerischer Auseinandersetzungen mit dem expandierenden islamisch-arabischen Reich nicht nur stand halten konnte, sondern in vielfachem Austausch mit jenem sehr pluralistischen arabisch-islamischen Herrschaftsbereich nach dem Bilderstreit zu neuer Expansion und kultureller Blüte fand. Das christliche byzantinische, auch europäische Reich hatte durchaus eine Antwort auf die 'überlegene' arabische Hochkultur gefunden, wenn man so will. Dazu hatte es natürlich auch genug eigenes Hochkultur-Potential aus der Vergangenheit Ostroms mitbekommen, im großen Unterschied zum vergleichsweise 'barbarischen' lateinischen westlichen Teil Europas.

Ein signifikanter Punkt scheint mir zu sein, dass das vergleichsweise traditionslose, 'ungebildetere' Westeuropa via Al Andalus auf der Iberischen Halbinsel via 'Toledo' (schon im Rahmen der Reconquista) über den arabisch-islamischen Filter wesentlich direkter/unvoreingenommener nichtchristliche, antike Literatur/Wissenschaft rezipierte, die hochkulturelle und viele Jahrhunderte alte christliche Patina des Byzantinischen Reiches tat dies ungleich weniger. Ansonsten sind die Universitäten und ihre rasche Verbreitung ebenso wiederum eine typische Leistung des lateinischen, westlichen Europa.


Aus einer Reihe von Gründen (Religiöse Verfolgung der z.B. Nestorianer) gelangte das antike griechische Wissen – via Antiochia und Edessa – an den persischen Hof. Die Araber fanden dieses kombinierte antike griechische und persische Wissen bei ihrer Eroberung von Persien im Jahr 641 vor.

Griechisches, persisches und indisches Wissen. Der östliche Mittelmeerraum mit dem Nahen Osten tradierte vielfach Wissenschaft, Kultur und Literatur des Hellenismus, zunächst als Satrapenreiche der Alexandrinischen Eroberungen, doch auch die weiteren Nachfolge-Reiche tradierten und rezipierten hellenistisches 'Wissen' in erheblichem Masse weiter. Das geschah weiterhin am Beginn der Sassanidenherrschaft, so unter Schapur I, also vor 'Edessa' oder 'Antiochia' und Ostrom deutlich später. Nachvollziehbar ist das u.a. an der Astrologie hellenistischer Prägung, die in der Frühzeit der Sassanidenherrschaft rezipiert und weitertransferiert wurde in Richtung Indien - und umgekehrt. Der Nahe Osten blieb in der Antike und Spätantike der Transferraum der Kultur, Wissenschaft und von Wissen zwischen östlichem Mittelmeerraum und 'Indien'.

Die Integration war auch deshalb so erfolgreich, weil die Araber als Befreier von römischer, byzantinischer, persischer oder sassanidischer Herrschaft von der einheimischen Bevölkerung nicht selten gesehen worden ist (Lombard, S. 21).

'Rom' gab es damals natürlich nicht mehr. Dass Teile der Bevölkerung der Orientgebiete des Byzantinischen Reiches den Wechsel von der damals recht 'engherzig-christlichen' Herrschaft des Byzantinischen Reiches zur damals weit toleranteren arabischen Herrschaft unter islamischen Vorzeichen goutierten, trift wohl zu. Für die Bevölkerung unter sassanidischer Herrschaft wohl eher nicht.

Viele Grüße,

Andreas
 
Die "westliche Welt" ist stets das westliche, lateinische Europa. Auch in Deinem Beitrag sprechen die rezipierten Autoren konstant das lateinische, westlichere Europa an. Byzanz kommt entsprechend nicht vor,.....

Das liegt wohl im wesentlichen an der Erklärung der Entwicklung der "westlichen Moderne". Und in diesem Kontext wird der Balkan bzw. der Nahe Osten wohl ausgeblendet. Das ist vermutlich, wie Du auch schreibst, wohl ein Defizit. Folgt aber auch dem Zwang der inhaltlichen Einschränkung, um die Komplexität noch zu meistern.

die hochkulturelle und viele Jahrhunderte alte christliche Patina des Byzantinischen Reiches tat dies ungleich weniger.

ist sicherlich richtig, aber da die Entwicklung von Byzanz abrupt durch Eroberung beendet wurde, ist die Entwicklung auch schwer vergleichbar.

Für die Bevölkerung unter sassanidischer Herrschaft wohl eher nicht.

Die religiöse Toleranz der sasanidischen Herrscher war wohl wechselnd. Mit Zeiten starken Toleranz, die wiederum durch die zoroastrische Priester kritisiert wurde und Zeiten einer aktiven Verfolgung von Christen.
 
Hallo Thane,

Du schreibst:
Das liegt wohl im wesentlichen an der Erklärung der Entwicklung der "westlichen Moderne". Und in diesem Kontext wird der Balkan bzw. der Nahe Osten wohl ausgeblendet. Das ist vermutlich, wie Du auch schreibst, wohl ein Defizit. Folgt aber auch dem Zwang der inhaltlichen Einschränkung, um die Komplexität noch zu meistern.

Weiniger Zwang als vielleicht Fokusierung auf die 'nahestehendere' und kontinuierlichere Entwicklung zur eigenen Wissenschaftsgegenwart, zudem eben das byzantinische Reich und das orientalische Christentum vor langer Zeit endeten bzw. marginalisiert wurden.

ist sicherlich richtig, aber da die Entwicklung von Byzanz abrupt durch Eroberung beendet wurde, ist die Entwicklung auch schwer vergleichbar.

Immerhin können rund 800 Jahre byzantinischer Geschichte (inkl. Kaiserreich Trapezunt) reflektiert werden, mit deutlich unterscheidbaren Phasen, gerade auch in Relation auf striktere christliche Prägungen.

Die religiöse Toleranz der sasanidischen Herrscher war wohl wechselnd. Mit Zeiten starken Toleranz, die wiederum durch die zoroastrische Priester kritisiert wurde und Zeiten einer aktiven Verfolgung von Christen.

Ja, war wohl so. Die letzten Phase des Sassanidenreiches ab Chosrau II. war relativ sicher nicht antichristlich geprägt und eher die aufkommende innere Schwäche, inneren Wirren erhöhten vielleicht die Attraktivität einer neuen und straffen Herrschaft für Teile der Bevölkerung.

Viele Grüße,
Andreas
 
Keplers Wirksamkeit gehört schon chronologisch wie in der Art Problemlösung in die Phase der 'Wendezeit'.
Das ist eine Reformulierung der These bzw. des Eindrucks, aber noch keine Begründung.

Nur ist der genuin christlich motivierte Kern von Keplers schon ziemlich, wenn auch noch etwas unfreiwilliger empirischer Wissenschaftshaltung dabei nicht erkennbar und plausibel.
Dieser spezifische Punkt stellt auch noch nicht das "genuin Christliche" heraus, sondern betrifft das Merkmal, in dem sich Schöpferreligionen von "Demiurg"-Religionen unterscheiden. Der Glaube an eine Schöpfung aus dem Nichts bringt den Glauben an die unbeschränkte Kontrolle des Schöpfers über die Schöpfung und damit an die präzise Übereinstimmung zwischen empirischer Wirklichkeit und göttlichem Logos mit sich. Somit war Kepler durch seinen Glauben an einen Schöpfergott bzw. eine Schöpfung ex nihilo motiviert, empirische Abweichung vom mathematischen Ideal als Erkenntnisdefizit zu werten und dieses Defizit zu beseitigen. Antike Modellbildner (mit Demirug-Weltanschauung) hätten hier eher fünfe gerade sein lassen und die "ungefähre" Kreisform nicht als zu korrigierendes Theoriedefizit eingestuft.




Durchaus waren 'die Araber' bekannt für ihre mathematischen Fähigkeiten, siehe Algebra.
Ein wenig wurde an der Methode zur Lösung quadratischer Gleichungen weitergefeilt, aber das war's dann auch schon im Wesentlichen. Aber sind wir doch ehrlich: das ist lächerlich wenig im Vergleich zu dem, was zuvor im antiken Grichenland und danach im europäischen Abendland mathematich zustande gebracht wurde. Es gibt derzeit so eine - auch ideologisch bedingte - Mode, jede Kleinigkeit aus dem Leistungsfundus der islamischen Kulturgeschichte zu einer weltbewegenden Angelegenheit hochzujubeln. Ehrlicher- und kundigerweise kann man darüber aber nur lächeln.

Da liegen gut 1500 Jahre zwischen Entstehung des Christentums im Vorderen Orient und der so genannten epistemologischen Wende im mehr westlichen, 'lateinischen' Europa, und deutlich über 1000 Jahre zwischen dem 1. Jh. n. Chr. und 'Paris', 'Oxford', 'Salamanca' etc. Sorry, Du wirst verstehen, dass dieser Umstand GEGEN Deine Argumente spricht ...
Keineswegs, denn die die erläuterten Rahmenbedingungen für den wissenschaftlichen Fortschritt sind ja keine hinreichenden, sondern notwendige Bedingungen (oder zumindest Bedingungen, ohne die der Erfolg sehr unwahrscheinlich ist). Dass sie erfüllt sind, garantiert noch keinen Erfolg, andere (widrige, vor allem soziale und politische) Bedingungen können die Entwicklung bremsen und um Jahrhunderte verzögern.

Ich will es in einem Gleichnis erläutern. Die Entdeckung eines neuen Landes jenseits des Ozeans setzt den Glauben voraus, dass dort ein Land ist (oder zumindest sein könnte). Wer glaubt, dass dort z.B. einfach ein unbegrenzter Ozean ist, hat keine Motivation, rauszufahren und das Land zu suchen. Wenn aber lange Zeit extreme Stürme die Seefahrt blockieren, dann wird die geographische Idee freilich längere Zeit nicht umgesetzt.

...und deutlich macht, dass alle möglichen Faktoren eine Rolle spielten
Ja, freilich, wie eben erläutert.

aber gewiss nicht eine genuin & zentral in den christlichen Theologien, dem Neuen Testament oder in der Christologie liegende 'Philosophie',
Doch, wie gesagt: eine Schöpfungstheologie ex nihilo.
 
Zuletzt bearbeitet:
Es war jedoch in ihren antiken Wurzeln, wie schon mehrfach erwähnt, keine genuin antike arabische Kultur, die vomWesten übernommen worden ist. Vielmehr übernahmen die Araber ihrerseits im ca. 7. Jahrhundert bei ihren Zügen beispielsweise nach Persien und Ägypten das Wissen, die Wissenschaft und Buchkultur dieser Kulturen.
Es waren aber nicht Ägypter oder Perser, sondern Griechen und Inder, aus deren Kulturen die für die Entwicklung der Naturwissenschaft relevanten Erkenntnisse stammten.

Die Araber fanden dieses kombinierte antike griechische und persische Wissen bei ihrer Eroberung von Persien im Jahr 641 vor. „Sie verhielten sich zunächst lernend und übersetzten [ins Arabische], was vorhanden war.( Flasch, S. 263).
Das übersetzten eben nicht die Araber, sondern in erster Linie syrische Christen. Bis auf den heutigen Tag ist nur ein einziger Araber aus dieser Zeit bekannt, der sich die Mühe machte, eine Fremdsprache zu erlernen, um die Erkenntnisse anderer Kulturen zu studieren. Die arabische Sprache verfügte zunächst nicht einmal über die nötigen begrifflichen Strukturen, um eine Übersetzung wissenschaftlicher Texte zu ermöglichen. Diese mussten erst von christlichen Übersetzern geschaffen werden. Die Araber beschränkten sich weitgehend auf die politische Herrschaft und die theologische Tonangabe und überließen das intellektuelle Leben den Angehörigen jener hoch entwickelten Kulturen, die sie militärisch erobert hatten und die nun im arabisch-islamischen Herrschaftsbereich lagen (aber noch jahrhundertelang mehrheitlich nichtislamisch waren).


Vor diesem Hintergrund stand die westliche Welt im Hochmittelalter vor der Herausforderung, sich der Überlegenen arabischen Hochkultur zu stellen. Und es erfolgte im Westen eine ebenso schnelle Adaption der arabischen Werke, wie vorher die Araber ihrerseits bereits vorhandene antike Wissensbestände adaptiert haben.
Die wesentlichen wissenschaftlichen Fortschritte ergaben sich aber gerade gegen die arabisch übermittelte Tradition mit ihrer starken Aristoteles-Hörigkeit (noch viel stärker als in der europäischen Scholastik) und nicht als deren Fortsetzung.


„Die arabischen Denker hatten ebenso in einer religiös geprägten Welt gelebt wie die des Westens und stand früher als diese vor dem Problem, wie die Offenbarungsreligion mit dem griechisch geprägten Naturwissenschaften und der Philosophie zu versöhnen sei.“ (ebd. S. 268) Ein Problem, das vor allem Hamid Ghazali adressierte und die Trennung der Erkenntnis im Rahmen des „Glaubens“ von einer „verstandesorientierten“ Sicht forderte (vgl. Hourany & Ormsby). Dieser Aspekt sollte separat betrachtet werden und ist deutlich komplexer wie die Frage nach „Kausalität“.
Das mag in verschiedener Hinsicht interessant sein. Relevant für die Blockade im wissenschaftlichen Fortschritt war aber in erster Linie die Kausalitätsskepsis.
 
Vereinfacht wird der Aufstieg des Westens durch eine spezifische Mentalität erklärt. In dieser Lesart ist die westliche Moderne das Ergebnis eines Weltbilds, das durch die Werte der Weber`schen „Protestantischen Ethik“ definiert ist. Dabei unterstellt man stillschweigend, dass diese Werte auch in Teilen der katholischen Welt, wie in Frankreich, teilweise adaptiert worden sind und somit auch für die katholischen Regionen Europas wirksam geworden sind.

Das ist insofern bedeutsam, weil der ausgebliebene wirtschaftliche Aufschwung seit dem 19. Jahrhundert in anderen Teilen ebenfalls durch kulturelle Weltbilder erklärt worden ist.
Ich möchte betonen, dass ich nicht eine Erklärung für generellen (z.B. auch wirtschaftlichen) Fortschritt angeboten habe, sondern mich explizit darauf beschränkt habe, Bedingungen des (empirisch-) wissenschaftlichen Fortschritts zu erörtern. Ich habe darum ja auch geschrieben, dass China, obwohl es in manch anderer Hinsicht kulturell weiter entwickelt war, eine der europäischen gleichrangige Wissenschaft nicht hervorgebracht hatte.


Vor diesem Hintergrund sind gerade ältere Darstellungen, wie von Needham, gerade auch zu China durchaus mit Skepsis zu lesen, da sie aus der Epoche der westlichen „Modernisierungsapologie“ stammen. Und die Einen - der Westen - zu gut dargestellt wurden, während die anderen - asiatische Ländern / China - zu negativ beurteilt wurden.

Dieses ist mittlerweile einer wesentlich differenzierteren und globaleren Sichtweise gewichen, wie beispielsweise die Arbeiten von so unterschiedlichen Autoren belegen, wie von Wong, Conrad, Osterhammel, Frankopan, Chakrabarty, Hodgson, Pomeranz oder Topik um nur ein paar zu nennen, die noch eine Rolle in der weiteren Diskussion spielen werden.
Ich halte die heutigen Apologeten von allem, was sich als "edler Counterpart" zur abendländischen Kultur inszenieren lässt, für ideologisch wesentlich befangener als es die "Modernisierungsapologeten" je waren. Was sich, um nur ein Beispiel zu nennen, abspielte, als Sylvain Gouguenheim es "wagte", herauszuarbeiten, dass viele Aristoteles-Übersetzungen ganz ohne den Umweg über die Araber ins europäische Mittelalter gelangten, grenzt an Lynchstimmung.
 
In Deinen heutigen Beiträgen habe ich eine Menge Polemik gelesen, zum "hinderlichen Aspekt der islamischen" im Gegensatz zum "förderlichen Aspekt der christlichen Theologie" habe ich leider nichts Neues erfahren.

Und meine Frage zu Joseph Needham ist leider auch ohne Antwort geblieben.
 
In Deinen heutigen Beiträgen habe ich eine Menge Polemik gelesen
Wenn du unangemessene Polemik zu erkennen glaubst, dann kannst du ja erwidern.

zum "hinderlichen Aspekt der islamischen" im Gegensatz zum "förderlichen Aspekt der christlichen Theologie" habe ich leider nichts Neues erfahren.
Ich versuche, die entscheidende Weggabelung zwischen Christentum und Islam etwas genauer zu erläutern.

Beide Religionen, Christentum und Islam, befanden sich (zeitlich durch machtpolitische Umstände versetzt) in einer ähnlichen Situation philosophisch-religiöser Dissonanz. Sie hatten versucht, die aristotelische Auffassung der Natur theologisch in ihre jeweilige Religion zu integrieren. Wesentliches Merkmal des Aristotelismus war die Auffassung, dass das Verhalten von Gegenständen durch ihr "Wesen" zu erklären sei. Wer die Natur verstehen will, muss das Wesen ihres Inventars verstehen. Die Kreisform der Bewegung der Himmeskörper um die Erde resultierte z.B. aus deren Wesen. Und "resultierte" bedeutet: "war eine notwendige(!) Konsequenz.

Dieser Notwendigkeitscharakter rief dann (im Islam wie im Christentum) theologische Kritiker auf den Plan, die damit eine unzulässige Einschränkung der Freiheit Gottes erbickten. Wenn sich Himmelskörper nur auf Kreisbahnen bewegen können, dann ist selbst Gott nicht in der Lage, ihre Bewegung anders zu gestalten, was einen Konflikt mit seiner Allmacht darstellte. Es kam somit (im Islam wie im Christentum) zu einer sogenannten "voluntaristischen" Opposition zu dieser Auffassung, die sich (in beiden Religionen) durchsetzte.

Der entscheidende Unterschied zwischen Islam und Christentum, der maßgeblich für die Entwicklung der Wissenschaft wurde, war der folgende. Im Islam erfuhr der Voluntarismus eine so radikale Ausformung, dass jedes Einzelereignis der Wirklichkeit als unmittelbar von Gott verursacht gedeutet wurde. Es gab demnach keine sekundären Ursachen, keine vermittelnde Kausalgesetzmäßigkit zwischen Ereignissen. Kein Ereignis ist demnach Ursache eines anderen Ereignisses. Alles wird direkt, unmittelbar, von Gott verursacht. Es fehlt demnach der Forschungsgegenstand für empirische Wissenschaft: das gesetzmäßige Kausalgeflecht zwischen den Ereignissen. Darüber hinaus gab es aus theologischen Gründen auch nicht die Option, diese Gesetzmäßigkeit ersatzweise im Denken Gottes aufzuspüren. Denn dem Islam gilt Gott (anders als dem Christentum) als radikal transzendent und unerkennbar. Im Koran hat Gott nach dieser Auffassung (trotz seiner 99 Namen) nicht sich(!) offenbart, sondern lediglich seine Befehle an die Menschheit bekanntgegeben.

Die christliche Lösung hingegen sah so aus: Gott hat zwar die Freiheit, (um beim Beispiel zu bleiben) andere Bahnformen für die Bewegung der Himmelskörper vorzuschreiben (z.B quadratisch oder eben elliptisch), aber er bewirkt nicht jedes Einzelereignis direkt, sondern installiert die von ihm frei gewählte Gesetzmäßigkeit als Kausalgeflecht, das dass zur Erforschung freigegeben ist. Das abe ich mit dem "Autopilot" gemeint. Bei allen wichtigen wissenschaftichen Persönlichkeiten des christlichen Abendlandes (Galileo, Newton etc.) finden wir immer wieder die Betonung dieser Auffassung: Gott hat Naturgesetze etabliert ( und, nebenbei bemerkt: in mathematischer Form) und es ist an uns, die wir durch die Ebenbildlichkeit im Prinzip mit der Erkenntnisfähigkeit ausgestatten sind, diese Gesetze zu entdecken und zu beschreiben. Und auch durch ihre kausale Struktur technisch zu verwerten!

Und meine Frage zu Joseph Needham ist leider auch ohne Antwort geblieben.
Pardon, ich habe offenbar weniger Freizeit als die Mehrzahl derer, die du als Dialogpartner hier gewohnt bist. Aber hier ist ein einschlägiges Needham-Zitat:

„the conception of a divine celestial lawgiver imposing ordinances on non-human Nature never developed … [hence] there was no conviction that rational personal beings would be able to spell out in their lesser earthly languages the divine code of laws. … Indeed [the Chinese] would have scorned such an idea as being too naïve for the subtlety and complexity of the universe as they intuited it.”

[Joseph Needham, Science and Civilization in China, p. 583]
 
Wenn du unangemessene Polemik zu erkennen glaubst, dann kannst du ja erwidern.
Auf Polemik gehe ich nicht ein.

Aber hier ist ein einschlägiges Needham-Zitat:

„the conception of a divine celestial lawgiver imposing ordinances on non-human Nature never developed … [hence] there was no conviction that rational personal beings would be able to spell out in their lesser earthly languages the divine code of laws. … Indeed [the Chinese] wouldhave scorned such an idea as being too naïve for the subtlety and complexity of the universe as they intuited it.”

[Joseph Needham, Science and Civilization in China, p. 583]

Vielen Dank, ich habe das Zitat in Band I auf Seite 581 gefunden.
Deine Einfügung "[the Chinese]" ist sinnentstellend. Needham schreibt tatsächlich:

"The Taoists, indeed, would have scorned such an idea as being too naïve for the subtlety and complexity of the universe as they intuited it.”

Weiter schreibt er:
"Human rational personal beings had another faith; the universal order was intelligible because they themselves had been produced by it."
(Hervorhebungen von mir)

Und das ist nun ziemlich genau das Gegenteil von dem, was du behauptet hattest:

Gemäß diesem weist die Welt zwar eine gewisse Ordnung auf, die dem menschlichen Verständnis aber weitgehend unzugänglich ist...
Es hätte mich doch sehr gewundert, dergleichen bei Needham zu lesen.



Die christliche Lösung hingegen sah so aus: Gott hat zwar die Freiheit, (um beim Beispiel zu bleiben) andere Bahnformen für die Bewegung der Himmelskörper vorzuschreiben (z.B quadratisch oder eben elliptisch), aber er bewirkt nicht jedes Einzelereignis direkt, sondern installiert die von ihm frei gewählte Gesetzmäßigkeit als Kausalgeflecht, das dass zur Erforschung freigegeben ist. Das abe ich mit dem "Autopilot" gemeint. Bei allen wichtigen wissenschaftichen Persönlichkeiten des christlichen Abendlandes (Galileo, Newton etc.) finden wir immer wieder die Betonung dieser Auffassung: Gott hat Naturgesetze etabliert ( und, nebenbei bemerkt: in mathematischer Form) und es ist an uns, die wir durch die Ebenbildlichkeit im Prinzip mit der Erkenntnisfähigkeit ausgestatten sind, diese Gesetze zu entdecken und zu beschreiben. Und auch durch ihre kausale Struktur technisch zu verwerten!
Es geht doch hier um die christliche Theologie - willst Du im Ernst Galileo und Newton als Repräsentanten der christlichen Theologie verkaufen? Sie waren zu ihrer Zeit wohl eher theologische Außenseiter.
Von "Naturgesetzen" hat, wenn ich mich nicht irre, erstmals Kepler gesprochen...
 
Hallo Tintagel, ich verstehe durchaus, was Du meinst.
Allerdings übergehst Du alle geschichtlichen Entwicklungen und Veränderungen, die hier zu recht angebracht wurden, sowie Hinweise auf reale theologische Kommentierungen. Dies ist ein Geschichtsforum. Du idealisiert eine sehr späte Entwicklung im lateinisch-christlichen, westlichen Europa zu einer frei entworfenen, angeblichen Essens des 'Christentums' im generellen Unterschied zum 'Islam'.

Meinen wissenschaftshistorischen Rekurs auf den Topos der epistemologischen Wendezeit ab dem, sagen wir mal, 17. Jh., hast Du amüsanter weise als 'Reformulierung' eingestuft. Die Neuzeit mit den sich langsam, aber sehr nachhaltig sich verändernden Plausibilitätskritierien und Wissenschaftskriterien besonders im latinisch-christlichen, expandierenden westlichen Europa scheinst Du einfach als Teil eines angeblich weiter währenden, seit der Entstehung des Christentums viele Jahrhunderte vorher unveränderten 'General-Christentums' insgesamt einebnen zu wollen.
Nur so können Kepler, Newton und Galilei bei Dir zu exemplarischen Beispielen im Christentum werden - gut 1500 Jahrhunderte nach Entstehung des Christentums mit langen, sehr vielen unterschiedlichen Phasen und Richtungen. Den stark esoterischen Drall, eine typische Begleiterscheinung seit der Renaissance mit ihrem vielfachen Rückgriff auf die Antike, sowohl Keplers wie erst recht Newtons übersiehst Du weitgehend bzw. relativierst ihn bei Kepler als unwichtig.

Der entscheidende Unterschied zwischen Islam und Christentum, der maßgeblich für die Entwicklung der Wissenschaft wurde, war der folgende. Im Islam erfuhr der Voluntarismus eine so radikale Ausformung, dass jedes Einzelereignis der Wirklichkeit als unmittelbar von Gott verursacht gedeutet wurde. Es gab demnach keine sekundären Ursachen, keine vermittelnde Kausalgesetzmäßigkit zwischen Ereignissen. Kein Ereignis ist demnach Ursache eines anderen Ereignisses. Alles wird direkt, unmittelbar, von Gott verursacht. Es fehlt demnach der Forschungsgegenstand für empirische Wissenschaft: das gesetzmäßige Kausalgeflecht zwischen den Ereignissen.
Das ist in dieser überzeitlichen Generalisierung eine frei Erfindung von Dir, meine ich. Du kennst zudem vermutlich keine streng gläubigen, orthodoxen Christen, weder historisch noch aus der Gegenwart. Und 'Islam' und 'Christentum' sind ausgesprochen unscharfe, variable und wachsweiche Begriffe ohne theologische Substanz. Ansonsten hattest Du weiter oben, zu weitgehend, von den empirischen Wissenschaften im mittelalterlichen Islam geschrieben, zumindest bis zum 12. Jh.

Wie gesagt, das ist ein Geschichtsforum und Deine sehr abstrahierende oder idealisierende Argumentation weitgehend ohne substanzielle, differenzierte Kenntnisse historischer (aus meiner Sicht: auch wissenschaftshistorischer) Entwicklungen oder Phasen machen wenig Sinn.

Liebe Grüße,
Andreas
 
Wenn du unangemessene Polemik zu erkennen glaubst, dann kannst du ja erwidern.


Ich versuche, die entscheidende Weggabelung zwischen Christentum und Islam etwas genauer zu erläutern.

Beide Religionen, Christentum und Islam, befanden sich (zeitlich durch machtpolitische Umstände versetzt) in einer ähnlichen Situation philosophisch-religiöser Dissonanz. Sie hatten versucht, die aristotelische Auffassung der Natur theologisch in ihre jeweilige Religion zu integrieren. Wesentliches Merkmal des Aristotelismus war die Auffassung, dass das Verhalten von Gegenständen durch ihr "Wesen" zu erklären sei. Wer die Natur verstehen will, muss das Wesen ihres Inventars verstehen. Die Kreisform der Bewegung der Himmeskörper um die Erde resultierte z.B. aus deren Wesen. Und "resultierte" bedeutet: "war eine notwendige(!) Konsequenz.

Dieser Notwendigkeitscharakter rief dann (im Islam wie im Christentum) theologische Kritiker auf den Plan, die damit eine unzulässige Einschränkung der Freiheit Gottes erbickten. Wenn sich Himmelskörper nur auf Kreisbahnen bewegen können, dann ist selbst Gott nicht in der Lage, ihre Bewegung anders zu gestalten, was einen Konflikt mit seiner Allmacht darstellte. Es kam somit (im Islam wie im Christentum) zu einer sogenannten "voluntaristischen" Opposition zu dieser Auffassung, die sich (in beiden Religionen) durchsetzte.

Der entscheidende Unterschied zwischen Islam und Christentum, der maßgeblich für die Entwicklung der Wissenschaft wurde, war der folgende. Im Islam erfuhr der Voluntarismus eine so radikale Ausformung, dass jedes Einzelereignis der Wirklichkeit als unmittelbar von Gott verursacht gedeutet wurde. Es gab demnach keine sekundären Ursachen, keine vermittelnde Kausalgesetzmäßigkit zwischen Ereignissen. Kein Ereignis ist demnach Ursache eines anderen Ereignisses. Alles wird direkt, unmittelbar, von Gott verursacht. Es fehlt demnach der Forschungsgegenstand für empirische Wissenschaft: das gesetzmäßige Kausalgeflecht zwischen den Ereignissen. Darüber hinaus gab es aus theologischen Gründen auch nicht die Option, diese Gesetzmäßigkeit ersatzweise im Denken Gottes aufzuspüren. Denn dem Islam gilt Gott (anders als dem Christentum) als radikal transzendent und unerkennbar. Im Koran hat Gott nach dieser Auffassung (trotz seiner 99 Namen) nicht sich(!) offenbart, sondern lediglich seine Befehle an die Menschheit bekanntgegeben.

Die christliche Lösung hingegen sah so aus: Gott hat zwar die Freiheit, (um beim Beispiel zu bleiben) andere Bahnformen für die Bewegung der Himmelskörper vorzuschreiben (z.B quadratisch oder eben elliptisch), aber er bewirkt nicht jedes Einzelereignis direkt, sondern installiert die von ihm frei gewählte Gesetzmäßigkeit als Kausalgeflecht, das dass zur Erforschung freigegeben ist. Das abe ich mit dem "Autopilot" gemeint. Bei allen wichtigen wissenschaftichen Persönlichkeiten des christlichen Abendlandes (Galileo, Newton etc.) finden wir immer wieder die Betonung dieser Auffassung: Gott hat Naturgesetze etabliert ( und, nebenbei bemerkt: in mathematischer Form) und es ist an uns, die wir durch die Ebenbildlichkeit im Prinzip mit der Erkenntnisfähigkeit ausgestatten sind, diese Gesetze zu entdecken und zu beschreiben. Und auch durch ihre kausale Struktur technisch zu verwerten!


Pardon, ich habe offenbar weniger Freizeit als die Mehrzahl derer, die du als Dialogpartner hier gewohnt bist. Aber hier ist ein einschlägiges Needham-Zitat:

„the conception of a divine celestial lawgiver imposing ordinances on non-human Nature never developed … [hence] there was no conviction that rational personal beings would be able to spell out in their lesser earthly languages the divine code of laws. … Indeed [the Chinese] would have scorned such an idea as being too naïve for the subtlety and complexity of the universe as they intuited it.”

[Joseph Needham, Science and Civilization in China, p. 583]

Nun hatten aber gerade die wissenschaftliche Basis liefernden Griechen keine Schöpferreligion und die frühchristliche Theologie musste sich mit diesem Punkt der griech. Philosophie auseinandersetzen resp. diesen verwerfen. Das von Dir postulierte "Fehlen" sekundärer Ursachen und vermittelnder Kausalgesetzmässigkeiten betrifft das Christentum genauso wie den Islam.

Ich bin skeptisch, wenn man unterschiedliche wissenschaftliche Entwicklungen mit verschiedenen
Werstvorstellungen begründet. Vor allem aber überzeugt es mich nicht, diese auf die christliche Theologie zurückzuführen. Wenn man für die wissenschaftliche und damit verbunden die wirtschaftliche Entwicklung Europas und seiner diesbezüglichen (ehemaligen) Vorreiterolle weltanschauliche Argumente bemüht, muss man sich auf die Aufklärung und nicht auf das Christentum beziehen. Insofern sind Kepler und vor allem Newton auch nicht als typische Vertreter des lateinischen Christentums zu betrachten sondern als Vorläufer und Wegbereiter der Aufklärung.
 
Auf Polemik gehe ich nicht ein.
Wenn sie angemessen ist: warum nicht? Wenn sie unangemessen ist, dann wäre ihre Unangemessenheit zu begründen, sonst: petitio principii.

Deine Einfügung "[the Chinese]" ist sinnentstellend.
Finde ich nicht.

Weiter schreibt er:
"Human rational personal beings had another faith; the universal order was intelligible because they themselves had been produced by it."
(Hervorhebungen von mir)

Und das ist nun ziemlich genau das Gegenteil von dem, was du behauptet hattest:
Nein, denn die Ordnung, die hier als "intelligible" bezeichnet wird, ist eine rein metaphorisch-symbolische, der jener Charakter der strengen Gesetzmäßigkeit fehlt, der zur Voraussetzung der modernen Naturwissenschaft wurde. Needham schreibt:

"The development of the concept of precisely formulated abstract laws capable, because of the rationality of an Author of Nature of being deciphered and re-stated, did not therefore occur."


Es hätte mich doch sehr gewundert, dergleichen bei Needham zu lesen.
Du hast es doch bereits gelesen und rezitiert (aber offenbar ausgeblendet):
„the conception of a divine celestial lawgiver imposing ordinances on non-human Nature never developed … [hence] there was no conviction that rational personal beings would be able to spell out in their lesser earthly languages the divine code of laws."

Was mich hingegen wundert: dass du jene zentrale These, für die Needham bekannt ist und die hundertfach rezipiert wurde, in seinem Text nicht vorzufinden bekundest. Man kann zur These ja stehen, wie man will, aber ihre Existenz kann man doch schwerlich bestreiten?




willst Du im Ernst Galileo und Newton als Repräsentanten der christlichen Theologie verkaufen? Sie waren zu ihrer Zeit wohl eher theologische Außenseiter.
Ich führe sie ja nicht als Theologen an, sondern als Wissenschaftler, die sich in einem von bestimmten theologischen Auffassungen geprägten geistigen Klima bewegten und in ihrer Sicht der Dinge von diesem Klima beeinflusst waren und ihr Denken auf dem Boden dieser Prämissen entwickelten. Dass dies in Bezug auf die hier diskutierte Thematik der Fall ist, ist ja durch viele Zitate eindrücklich belegt.

Von "Naturgesetzen" hat, wenn ich mich nicht irre, erstmals Kepler gesprochen...
Der Ausdruck "Naturgesetz" finndet sich schon in der Antike bei Philo von Alexandria und ist Ausdruck der Tatsache, dass die Vorstellung eines göttlichen Gesetzgebers (Philo war Jude) in die griechische Konzeption der Natur eingebracht wurde. Diese Vorstellung prägte und dominierte dann das christliche naturphilosophische Denken im Mittelalter und der frühen Neuzeit bis ins 18. Jahrhundert.
 
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