Gedanken zur Motivation der Freikorps

Gangflow

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Mich erstaunt die rasante Entwicklung, die die Freikorps nach 1918 nahmen. 1919 gab es schon an die 165 verschiedene Einheiten, Größen und „Konfessionen“. Jeder, der auf aggressive Art im Staat etwas durchsetzen wollte fand anscheinend spielend die nötigen Leute für seine Bataillone.
Wir lesen von so fürchterlichen Kämpfen und grausamen Erlebnissen der Soldaten in den Kämpfen 1914-1918, daß es doch erstaunlich ist, daß darnach noch eine so ungestillte Begeisterung für gewaltsame Durchsetzung von Änderungen im Staatswesen vorhanden war. - Man hatte anscheinend noch nicht genug.
 
Es waren nicht nur Kriegsveteranen dabei. Mein Großvater erzählte, dass Schulkameraden von ihm die zu Kriegsende gerade mal 16 waren und gerade erst eingezgen wurden oder überhaupt nicht gedient hatten, sich den Freikorps anschlossen.
 
Jeder, der auf aggressive Art im Staat etwas durchsetzen wollte fand anscheinend spielend die nötigen Leute für seine Bataillone.

So einfach ist das sicherlich nicht. Zunächst muss man die Führer und die Geführten unterscheiden.

Die "Führer", also nicht selten adelige Offiziere der ehemaligen kaiserlichen Armee unterlagen in einem starken Maße dem Prozess einer spezifischen militärischen Sozialisation. Wie Förster (Der Doppelte Militarismus) oder Wette (Militarismus in Deutschland) beschrieben hatte. Inklusiver klaren Feindbilder, die im Umfeld von "Links", also hauptsächlich der "SPD", angesiedelt waren. Sie waren, wie beispielsweise v.d. Golz im Baltikum, vor allem "Überzeugungstäter".

Die Geführten waren nicht selten durch den Krieg aus dem Zivilleben entwurzelte. Nicht selten ohne zivilen Beruf und vermutlich mit sehr zwiespältigen Gefühlen ausgestattet, welche Chancen und Gefahren eine bürgerliche zivile Existenz nach dem teilweise traumatisierenden Erlebnissen noch bieten kann.

Relevant ist dabei sicherlich ein Prozess, der als "Schützengraben Sozialismus", in dessen Kern ein paternalistisches Verhältnis stand, zwischen den Führern - also den Offizieren - und den Geführten ablief.

Nach dem Zusammenbruch ergaben sich daraus weiter wirkende Abhängigkeitsverhältnisse, die wichtig sind für die Erklärung, warum nach dem Zusammenbruch entweder ein teilweise sehr disziplinierter Rückzug in die Heimat erfolgte, oder aber diese Einheiten im Baltikum weiter in einem militärischen Sinne eingesetzt wurden.

Und in dieser Funktion ein erhebliches Problem für Berlin wurden (vgl. z.B. MacMillan, Paris 1919.)

Insgesamt war die Situation im Baltikum eine andere wie die Einsätze von Freikorps im Namen der legitimen Regierung von Weimar oder auch die revolutionären bzw. terroristischen Einsätze von Freikorpseinheiten mit dem Ziel der Überwindung der legalen Regierung von Weimar.

Diese drei völlig unterschiedlichen Aktionsfelder der Freikorps sollte man mindestens differenzieren, um ihre "Motivation" korrekt zu beschreiben.
 
Es waren nicht nur Kriegsveteranen dabei. Mein Großvater erzählte, dass Schulkameraden von ihm die zu Kriegsende gerade mal 16 waren und gerade erst eingezgen wurden oder überhaupt nicht gedient hatten, sich den Freikorps anschlossen.
Kindheit und Jugend im 1. Weltkrieg bedeutete eine militaristische Erziehung. Eine ganze Generation wurde auf den Krieg vorbereitet, aber durch den Frieden 1918 blieb ihr die vermeintliche Vollendung ihres Charakters versagt. Ihre Kriegsbegeisterung blieb unbefriedigt.

Beispielhaft für die um den Krieg Generation:
Heinrich Himmler war 1918 noch in Offiziersausbildung. Die Vollendung seiner militärischen Ausbildung wurde durch das Kriegsende vereitelt. Er fühlte sich noch lange Zeit zurückgesetzt, weil er nie im 1. Weltkrieg nie ander Front eingesetzt. 1919 schloss er sich dem Freikorps Oberland und beteiligte sich an der Niederschlagung der Räterepublik.

Sie waren, wie beispielsweise v.d. Golz im Baltikum, vor allem "Überzeugungstäter".
Überzeugungstäter heißt aber nicht, dass sie besonders viele Überzeugungen hatten. Jedenfalls sehe ich bei den frühen Freikorps eben keine tiefen politischen Überzeugungen, Visionen oder Ideologien. Besonders auffällig wird dies beim Kapp-Putsch. Die Putschisten hatten keine Agenda für das Deutsche Reich. Wichtig war ihnen, dass die Freikorps weiter bestehen.

Skrupel scheinen die Freikorps an keiner Stelle gehabt zu haben. Gefangenenerschießungen gab es sowohl in München, Berlin als auch im Balitikum. Die Lieder der Freikorps handeln von einer tiefen Liebe zum Tod und davon vom Rest der Welt betrogen und verraten worden zu sein.
 
Überzeugungstäter heißt aber nicht, dass sie besonders viele Überzeugungen hatten.

Darf ich nach der Quelle dieser Einschätzung fragen?

Ansonsten: Im Osten im Rahmen von "Ober Ost" wurden eine Reihe von Ideen zur Verwaltung entwickelt, die wie eine rudimentäre Vorwegnahme späterer Ideen erscheinen.

https://de.wikipedia.org/wiki/Ober_Ost

Als ein paradigmatisches Beispiel kann man v. Gayl ansehen, der in der Folge der militärischen Erfolge im Osten relativ weitreichende Ideen entwickelte zur Formierung einer neuen Gesellschaft. Viele dieser völkischen bzw. auch sozialdarwinistischen Elemente können als Mosaiksteine angesehen werden, die sich auch im Weltbild von Hitler finden lassen.

https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_von_Gayl

Insofern waren die Überzeugungen bzw. die Ideologien der führenden Köpfe im Umfeld von "Ober Ost" zum einen defensiver Natur, indem sie deutlich anti-bolschewistisch waren und gleichzeitig offensiv, indem temporär die Hoffnung bestand, sich aus der Verfügungsmasse des zusammengebrochenen Zarenreichs eine Art neuer deutscher "Ost-Heimat" schaffen zu können.

In der defensiven Variante waren sie eine Art "Ersatz-Militär", das temporär von den Siegermächten geduldet wurde, da die baltischen Länder kurz davor standen, von den Bolschewiken erobert zu werden. Und aus dieser Funktion heraus resultierte dann die Hoffnung, dass man durch Waffen Fakten schaffen könne, die weder durch die Siegermächte noch durch Berlin verändert werden können.

In diesem Kontext noch der Hinweis auf die Problematik des "Volks ohne Raum" und der Ideologie der - angeblichen - Notwendigkeit einer kreuzzugsmäßigen Osterweiterung von Deutschland. Auch deswegen der Hinweis, weil v. Gayl in diesem Kontext eine Rolle spielte.

https://de.wikipedia.org/wiki/Gesellschaft_zur_Förderung_der_inneren_Kolonisation
 
Überzeugungstäter bedeutet nach Gustav Radbruch, dass sich der Täter aus politischen, religiösen oder sittlichen Motiven zu seinen Taten verpflichtet fühlt. Ein Überzeugungstäter muss entsprechende Überzeugungen.

Von der Goltz veröffentliche seine Freikorps-Erinnerungen unter dem Titel "Meine Sendung in Finnland und im Baltikum". Hehre Ziele in diesem Titel impliziert.
Ob von der Goltz sich verpflichtet fühlte erst in in der finnischen, der lettischen und endlich einer russischen Armee zu kämpfen, ist dann die Frage.
Dass es um nichts weniger ging, als die "Rettung des Abendlandes" vor dem "Bolschewismus" und "asiatischer Unfreiheit", war für von der Goltz zumindest 1920 glasklar.

Einblick in den ideologischen Überbau der Freikorps vermittelt das Lied "Hakenkreuz am Stahlhelm" der Marinebrigade Erhardt:
"Die Brigade Ehrhardt
Schlägt alles kurz und klein,
Wehe Dir, wehe Dir,
Du Arbeiterschwein."
 
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