Deutsch-Ostafrika - ein wirtschaftlicher und ideologischer Gewinn oder Verlust?

Joschka1998

Neues Mitglied
Hi,
Frohes neues Jahr erstmal. Im Rahmen meiner 5. Prüfungskomponente fürs Abitur beschäftige ich mich zur Zeit mit der Fragestellung : Inwiefern war Deutschlands Kolonialpolitik ein wirtschaftlicher und ideologischer Gewinn für Deutschland.
Es würde mich sehr freuen, wenn ihr Euch ein paar Minuten Zeit nehmen könntet und mir Eure Meinung zu diesem Thema sagen könnten. Möglicherweise habt ihr ja ein paar interessante und hilfreiche Quellen zu der Fragestellung.

Vielen Dank schonmal im voraus.
Joschka
 
Was ist denn ein "ideologischer Gewinn"?

Ansonsten: "Nein", es war kein wirtschaftlicher Vorteil, der in der Phase des Imperialismus aus deutschen Kolonien gezogen werden konnte. Allerdings befand man sich mit seinen Vorstellungen zum Ausbau einer weltweiten imperialen Position erst am Anfang. Insofern sind Überlegungen zur Wirtschaftlichkeit schwer zu beurteilen.

Zumal die Frage der Seemacht, inklusive der notwendigen Stützpunkte weltweit, als Grundlage angesehen wurde, seine Handelsinteressen gegen die anderen imperialistischen Mächte durchzusetzen.

Ähnliche Thread gibt es bereits im Geschichtsforum und man darf durchaus erwarten, dass Grundkenntnisse im "Suchen" vorhanden sind.

Sofern Du Dich, wie oben von Dir ausgeführt, mit der Fragestellung beschäftigst, wäre es natürlich hilfreich, wenn Du Dein bisheriges Vorverständnis darstellen würdest.

Leicht problematisch erscheint mir die nicht unerhebliche nationalistische Perspektive in der Fragestellung, die nach einem "Gewinn" fragt. Gleichzeitig sprechen wir über eine Periode der generellen Ausbeutung von Regionen in Afrika oder Asien durch die europäischen imperialen Mächte, die verbunden war mit Not, Leid und Tod.

Vor diesem Hintergrund sollte es in der heutigen Zeit doch mehr als angemessen sein, diese Frage auch kritisch mit zu gewichten und nicht in einer nationalistisch, ethnozentrierten Perspektive nach "Gewinn" für das "Deutsche Reich" - statt nur "Deuschland" zu nennen - zu fragen.
 
Zuletzt bearbeitet:
In Ergänzung der Ausführungen von thanepower:

Die Frage nach dem „wirtschaftlichen Gewinn“ bezieht sich offenbar auf eine ökonomische Beurteilung der Kolonien in ihren Auswirkungen auf das Deutsche Reich. Dazu wären vor allem zunächst Fakten zu recherchieren. Alle für den groben Überblick notwendige Daten gibt es dazu digital verfügbar (auch hier im Forum verlinkt): Statistische Jahrbücher für das Deutsche Reich. Das hier zu lösende Problem dürfte darin bestehen, sich überhaupt eine Strukturierung für den Überblick zu überlegen (resp.: in welche Bereiche „einzusteigen“ ist).

Die Frage nach dem ideologischen Gewinn soll vermutlich auf den innen- und außenpolitischen „Nutzen“ für das Deutsche Reich abzielen? Auch hier ist eine Strukturierung relevanter Aspekte erforderlich. Kannst Du das näher erläutern?

Zu beiden Nachfragen solltest Du Dir Gedanken machen.
 
Das
Was ist denn ein "ideologischer Gewinn"?
.

Das ist eine gute Frage! Viele der Zeitgenossen hätten in Deutschland die These bejaht, dass eine "Weltmacht" Kolonien braucht, um "Weltgeltung", um wie Bülow es ausdrückte einen "Platz an der Sonne" beanspruchen zu können. In Wirklichkeit brauchte kein Mensch Kolonien, denn die waren im Großen und Ganzen Zuschussprojekte. Von den deutschen Kolonien gelang e bis 1914 nur Togo so etwas wie eine positive Handelsbilanz erwirtschaften. als 1885 in Berlin die europäischen Mächte Afrika aufteilten, war nicht ein einziger Afrikaner anwesend. Von den Konferenzteilnehmern hatte nur der Journalist und Afrikaforscher Henry Morton Stanley Afrika bereist. Stanley hatte als Journalist in den 1870er Jahren den verschollenen Afrikaforscher David Livingston ausfindig gemacht. Unterschiedlicher hätten die beiden Männer nicht sein können. Livingston war sicher nicht frei von eurozentrischen und rassistischen Vorurtelen seiner Zeit, aber er mochte Afrika und die Afrikaner und war davon überzeugt, dass die Kolonialisierung dauerhaft den Afrikanern zugute kommen könnte und die Sklavenrazzien arabischer Warlords beenden würden. Die Europäer kannten die Küstengebiete Afrikas, nachdem aber im 19. Jahrhundert die Sklaverei abgeschafft wurde, gab es in Afrika nicht viel zu holen. Wo die Quellen des Nils lagen, war um 1850 noch unbekannt, ebenso was es mit einem Strom, dem Lualaba auf sich hatte. Stanley durchquerte als erster Europäer im Auftrag des new York Herald und des Daily Telegraph Afrika von Ost nach West, kartographierte den Victoriasee und fand heraus, dass es sich bei dem Lualaba um den Oberlauf des Kongos handelte, der schließlich in den Atlantik mündete. Damit begann der sogenannte Scramble for Africa. Im Auftrag Leopold II. von Belgien eignete sich Stanley ein riesiges gebiet im Kongobecken an. diese Privatkolonie Leopolds wurde als Congo Free State in Berlin anerkannt, und bis Ende des Jahrhunderts glaubten viele den Artikeln Stanleys, der die Ausbeutung als philantropisches Projekt tarnte. Der Kautschukboom in den 1880er Jahren machte Leopold zu einem reichen Mann. Bismarck war eigentlich kein Freund von Kolonien, aber ein Teil der öffentlichen Meinung forderte den erwerb von Kolonien. deutsche Afrikaforscher wie Gerhard Rohlfs, Heinrich Barth, Georg Schweinfurt und Emin Pascha, der eigentlich jüdischer Deutscher war und Eduard Schnitzer hieß, hatten das innere Afrikas erforscht. Emin Pascha war im Auftrag des Khediven zum Islam konvertiert und hatte die Provinz Äquatoria erforscht und karthographiert, bis er durch den Mahdistenaufstand in den 1880er Jahren von der Außenwelt abgeschnitten war. Zu seiner Rettung wurde Stanley beauftragt, der zuvor im Auftrag Leopolds das Ruvenzori Gebirge erforschen sollte. Es war sehr fraglich, wer da wen gerettet hatte, als Stanley und Emin Pascha sich das erste begegneten empfing Emin Pascha Stanley im makellos weißen Tropendress und schenkte ihm ein paar neue Stiefel. Stanley hätte am liebsten gesehen, wenn ihn Emin Pascha in den Kongo begleitet hätte, doch der engagierte sich bei der Gründung der Kolonie Ostafrikas, wo er durch arabische Sklavenjäger ums Leben kam. In Deutsch-Ostafrika hatte inzwischen ein Mann von sich reden gemacht, der womöglich noch skrupelloser und brutaler, als Stanley war, dafür aber nicht so gut schreiben konnte, wie Stanley, den die Eingeborenen Bula Matari den Felsenbrecher nannten, die Rede ist von Carl Peters der mit ungefähr den gleichen Methoden wie Stanley "Verträge" abschloss, mit denen die Afrikaner alle Eigentumsrechte an Bodenschätzen, Rohstoffen und der Nutzung von Land und Gewässern abtraten. Die Methoden Peters, den die Nazis später wohl nicht zu unrecht als Bruder im Geiste vereinnahmten, hatten verheerende Folgen, die zu Aufständen wie dem Maji Maji Aufstand führten. Immerhin lernte die deutsche Kolonialverwaltung aus Fehlern Peters und das vernünftigste, was sie jemals taten, war Afrikanern den Landerwerb zu ermöglichen und Suaheli als Amtssprache einzuführen. Im heutigen Tansania ist bei allen Grausamkeiten das Verhältnis nicht so getrübt wie in Namibia wo die Herero äußerst brutal bekämpft wurden. im Gegensatz zu den anderen deutschen Kolonien konnte sich in Ostafrika Paul von Lettow-Vorbeck mit seinen Askari bis Kriegsende halten, und nach dem Verlust der Kolonien im Versailler Vertrag setzte eine Verklärung der deutschen Kolonialzeit ein, die die Behauptung aufstellte, dass die Deutschen doch eigentlich "gute Kolonialherren" waren. den Askaris wurden von der Weimarer Republik tatsächlich Renten ausbezahlt. Die ehemaligen deutschen Kolonien wurden als Mandatsgebiete nach dem 1. Weltkrieg von den alliierten verwaltet, die das damit begründeten, dass die Deutschen sich durch ihre Barbarei als unfähig zur Kolonialisierung gezeigt hätten. Das war natürlich eine Lüge wie die Behauptung mit den "guten deutschen Kolonialherren". die Deutschen waren nicht brutaler, als Briten, Franzosen und Portugiesen. Aber welches Recht hatten die eigentlich, Afrika zu kolonialisieren und den Afrikanern ungefragt die Zivilisation aufzuzwingen. welche Scheinheiligkeit, welcher rassistische Dünkel motivierte die Europäer dass sie allen Ernstes bei der Kongokonferenz debatierten, wie man die Afrikaner vor dem Alkohol schützen sollte. Als 1908 Leopold II. starb hinterließ er dem belgischen Staat seine Kolonie, und zu Ehren der Belgier sei erwähnt, dass sich die Verhältnisse ein wenig besserten. Da hatte aber der Kongo durch die sogenannten Kongogräuel fast die Hälfte seiner Bewohner und unzählige Kongolesen die Hände verloren. Weil sie angst vor Meutereien hatten, verlangten die Offiziere für hede verschossene Patrone eine Hand. Das war nicht etwa irgendein barbarischer einheimischer Brauch, sondern europäischer Kulturimport. Bis zur Unabhängigkeit wurde die Geschichte belgisch-Kongos verklärt. Als König Baudoin den Kongo bereiste, erging er sich in einer Laudatio zu Ehren Leopolds. Da widersprach ihm ein junger Mann, der später Ministerpräsident der repunlik Kongo wurde, Patrice Lumumba. Die Verwicklung des belgischen Königshauses in die Ermordung Lumumbas und die Kongogräuel war bis vor wenigen Jahren ein Tabuthema in Belgien. Spuren wurden beseitigt, kritische Forschung behindert. Erst vor wenigen Jahren schloss das von Leopold persönlich gegründete Museum für Mittelafrika und erarbeitete eine komplett neue museale Präsentation, da sich die Leitung der Meinung des Amerikanischen Forschers Adam Hochschild angeschlossen habe, dass es sich bei den Kongogräuel um Völkermord gehandelt habe. Die Beziehungen der Bundesrepublik mit Namibia sind bis heute dadurch belastet, dass die Bundesregierungen mit der Anerkennung der Hereromassaker als Völkermord mit möglichen Entschädigungsforderungen konfrontiert sehen würden und bisher ein solches Eingeständnis vermieden haben.
 
Von den deutschen Kolonien gelang e bis 1914 nur Togo so etwas wie eine positive Handelsbilanz erwirtschaften.

Togo ist in der Tat interessant, weil es die "Vorzeige-Kolonie" des DR werden sollte. Im Zentrum dieser Ambitionen stand die Idee, Baumwolle für den Export anzubauen.

Die gesteckten Exportziele wurden nicht erreicht, stattdessen wurden traditionelle Produkte exportiert und es wurde bevorzugt durch die Einwohner statt Baumwolle, Mais angebaut.

Im Verlauf der Kolonialisierung kam es wie in den meisten anderen Kolonie zu mehr oder minder heftigen Konflikten, die die Maßnahmen zur Modernisierung des Landes konterkarierten. Dazu gehörten Umsiedelungsprojekte in Kombination mit Qualifizierung der Bevölkerung neue Produkte anzubauen. Diese Aktivitäten wurden selten in Übereinstimmung mit den traditionellen Vorstellungen der Einwohner des Landes konzipiert und umgesetzt (vgl. Habermas)

Interessant ist m.E. wie stark man sich in Berlin die Situation in den Kolonien idealisiert vorstellte. Sofern Konflikte auftraten wurden sie nicht als struktureller Konflikt zwischen Kolonialmacht und den eigentlichen Einwohnern betrachtet, sondern als übertriebene und falsche Reaktionen bzw. Handlungen von einzelnen Kolonialbeamten, wie es Habermas für Togo beschreibt.

Habermas, Rebekka (2016): Skandal in Togo. Ein Kapitel deutscher Kolonialherrschaft. Frankfurt am Main: S. Fischer.
 
Bei der überschaubaren Produktion von Mais für den Export, ein paar tausend Tonnen, kann ich mir das kaum vorstellen.
Auch für Togo sollte man die Kirche im Dorf lassen, weil das kein „Prosperitätswunder“ ergab.
 
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