Dion

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Vor 400 Jahren, am 23.5.1618, warfen böhmische Adelige die kaiserlichen Stellvertreter in Prag aus dem Fenster, was den Anlass zum 30-jährigen Krieg gab. Dass es dazu kam, lag in der Weigerung des Kaisers Ferdinand II., Böhmen die freie Religionsausübung, die ihnen sein Vorgänger Rudolf II. in dem sog. Majestätsbrief 9 Jahre zuvor zugesichert hatte, nicht mehr zu gewähren.

Warum tat Ferdinand das? War er den Einflüsterungen der Jesuiten, den Gegenreformatoren par excellence jener Zeit, erlegen, die ihn erzogen hatten? Ich neige dazu, diese Frage zu bejahen, denn wer als Kind, wie der spätere Kaiser Ferdinand II., 3 Mal am Tag gebetet und 2 Messen besucht hatte, an dem geht das nicht spurlos vorbei. Dazu kam, dass er auch später als Kaiser einen Jesuiten als Beichtvater hatte.

Man muss hier berücksichtigen, dass seit dem 1555 in Augsburg beschlossenen Religionsfrieden die religiösen Spannungen ständig wuchsen. Die katholische Kirche wollte sich mit dem Status Quo nicht abfinden und startete eine Offensive, Gegenreformation genannt, zur Rekatholisierung protestantischer Länder, was in Polen größtenteils auch gelungen ist. Doch im Reich war die Situation eine andere, sprich die protestantischen Länder wehrten sich – zuerst die Böhmen.

Die weitere Geschichte ist bekannt: Nach 30 Jahren Religionskrieg, in dem nach und nach auch nichtkonfessionelle Gründe eine bedeutende Rolle spielten, kam die Erkenntnis, dass mit dem Krieg nichts zu gewinnen ist. Preis für diese Erkenntnis: Am Ende des Krieges war die Hälfte der Bevölkerung nicht mehr am Leben.
 
Münkler sieht das ja genau andersherum: Laut Münkler begann der Dreißigjährige Krieg eigentlich mit einem Verfassungskonflikt zwischen dem Hause Habsburg, welches allmählich in den Absolutismus abdriftete und den auf ihre Rechte bedachten böhmischen Ständen. Der Konfessionskonflikt wurde dem nur übergestülpt, weil der Kaiser nun mal zufällig katholisch war und die Hauptakteure in Böhmen eben protestantisch. Später wurde daraus ein Territorialkonflikt. Man sieht das dann auch daran, wie die katholischen Franzosen zu Gunsten der Protestanten gegen die katholischen Habsburger in den Krieg einsteigen. Der einzige, der wohl tatsächlich einen Konfessionskrieg führte, war Gustav Adolf.
 
Der Konfessionskonflikt wurde dem nur übergestülpt, weil der Kaiser nun mal zufällig katholisch war und die Hauptakteure in Böhmen eben protestantisch.
Zufälle gibt es, aber dieser Krieg war kein Zufall – die Gründe habe ich genannt. Dieser Krieg war zumindest anfangs ein konfessioneller, dass später andere europäische Mächte aus eigenen bzw. nicht konfessionellen Interessen sich daran beteiligten, spricht dem nicht entgegen.
 
Ich habe nicht gesagt, dass der Krieg ein Zufall war, sondern darauf hingewiesen, dass er nach Münkler aus einem Verfassungskonflikt entstanden sei. Demnach war der Konfessionsunterschied eben als Ursache des Krieges nebensächlich und wurde letztlich durch den Konfessionsunterschied der ursprünglichen Kontrahenten in den Vordergrund gespielt. Nicht der Krieg war zufällig, sondern, dass er teilweise als Konfessionskrieg ausgefochten wurde.
 
Die weitere Geschichte ist bekannt: Nach 30 Jahren Religionskrieg, in dem nach und nach auch nichtkonfessionelle Gründe eine bedeutende Rolle spielten, kam die Erkenntnis, dass mit dem Krieg nichts zu gewinnen ist. Preis für diese Erkenntnis: Am Ende des Krieges war die Hälfte der Bevölkerung nicht mehr am Leben.
Die Verluste waren sehr hoch, aber 50 % waren es wohl nicht:
Deutschland musste im Dreißigjährigen Krieg beträchtliche, regional sehr unterschiedliche Bevölkerungsverluste hinnehmen. Die Bevölkerung verringerte sich auf gut 60% des Vorkriegsstandes. Am schwersten betroffen war ein Streifen von Pommern und Mecklenburg im Nordosten Deutschlands über Thüringen sowie Teile Hessens in der Mitte bis zu den kleinräumigen Gebieten im Südwesten. Nach Schätzungen schrumpfte die Bevölkerung in Deutschland von 16,5 Millionen im Jahr 1618 auf 10,5 Millionen im Jahr 1648. Die Landbevölkerung ging um ca. 40 Prozent, die städtische Bevölkerung um ca. 25 Prozent zurück. Die meisten Menschen erlitten den Tod nicht durch unmittelbare Waffengewalt, sondern durch nur mittelbar vom Kriegsgeschehen beeinflusste Ereignisse. Krankheiten und Seuchen verbreiteten sich in den überbevölkerten Städten rasch. Dazu kamen noch Tod durch Hunger und Kälte, meist in den ländlichen Regionen.
S. Heise (nach K. Lückemeier)
 
Ich habe nicht gesagt, dass der Krieg ein Zufall war, sondern darauf hingewiesen, dass er nach Münkler aus einem Verfassungskonflikt entstanden sei. Demnach war der Konfessionsunterschied eben als Ursache des Krieges nebensächlich und wurde letztlich durch den Konfessionsunterschied der ursprünglichen Kontrahenten in den Vordergrund gespielt.
Sicher gab es den Verfassungskonflikt. Aber warum? Weil schon Jahre vorher der Kaiser Rudolf den protestantischen Adeligen mit katholischen Bischofsstellen nicht mehr sog. Lehnsindulte ausstellte, was u.a. dazu führte, dass sie im Reichstag nicht mehr stimmberechtigt waren. Mit diesem Trick gewann die katholische Seite Übergewicht, was Folgen hatte auf wichtige Institutionen im Reich, die bis dahin paritätisch besetzt waren.

Das wollten die Protestanten nicht hinnehmen und gründeten schließlich im Jahr 1608 die Protestantische Union als Schutzbündnis, „das notwendig geworden war, da alle Reichsinstitutionen wie das Reichskammergericht infolge der konfessionellen Gegensätze blockiert waren, und sie den Friedensschutz im Reich nicht mehr als gegeben ansahen.“ Als Reaktion darauf gründeten die Katholiken 2 Monate später die Katholische Liga.

Die Lage im Reich wurde mit der Zeit nicht besser, sondern schlechter. Und als Kaiser Ferdinand den Böhmen die freie Religionsausübung plötzlich verweigerte, kam es endgültig zum Bruch und zum Krieg.

Mit anderen Worten: Wären konfessionelle Gegensätze nicht da, hätte es auch keine Krise im Reich gegeben. Oder etwas schärfer formuliert: Gäbe es keine so aggressive Gegenreformation, die sich zum Ziel gesetzt hatte, protestantische Länder zu rekatholisieren, könnten beide Konfessionen weiter friedlich nebeneinander existieren, wie im Augsburger Religionsfrieden vom 1555 vorgesehen bzw. festgeschrieben.


Die Verluste waren sehr hoch, aber 50 % waren es wohl nicht:
Die Schätzungen gehen von einem Drittel bis zu zwei Dritteln – ich habe deshalb Einfachheit halber die 50% genannt.
 
Wir haben doch eine ziemliche Gemengelage aus konfessionellen und verfassungsrechtlichen Problemen.

Peter Milger hingegen scheint mir die konfessionelle Problematik zu betonen. Ferdinand II. hatte in der Steiermark, Krain und Kärnten den Adel zum Katholizismus gedrängt, welches diesen verprellte - nach 1618 sollte dies Früchte tragen indem auch die niederösterr. Stände vom Erzhaus abfielen. Von daher konnten sich die böhmischen Stände ausmalen wie es auch bei ihnen weitergehen würde. Dennoch hatte der protestantische Adel Böhmens bis auf wenige Ausnahmen wie Graf Thurn Ferdinand als König zugestimmt, da er den Majestätsbrief anerkannte.

Den böhmischen Krieg von Deutschland getrennt zu betrachten, scheint mir wenig zu nutzen. Letztlich motivierte die Lage in Dtl. ja auch den böhmischen Adel zu weiteren Schritten, weil man auf einer Unterstützung aus Deutschland hoffte.

Eindeutig konfessionelle Motive spielen bei der Kassierung der Stadt Donauwörth eine Rolle. Das Fahnengefecht von Donauwörth wurde von Kaiser Rudolph (!) zum Vorwand genommen, Maximilian von Bayern mit der Exekution gegen die Stadt zu betrauen und ihm diese Reichsstadt - hier wieder ein Verfassungskonflikt - zuzueignen, obwohl Maximilian kein schwäbischer Reichsstand war und dies dem ebenfalls lutherischen Herzog von Württemberg eigentlich zugestanden hätte(!). Dieses offensichtlich wenig verfassungskonforme Verhalten schreckte die protestantischen Stände im Reich auf und beförderte die Gründung der Union. Dass diese in sich völlig widersprüchlich war, dass dort reformierte und lutheranische Stände aufeinander prallten, machte sie zwar für den Kaiser und dessen Autorität zu einer Bedrohung, aber eigentlich ungefährlich (wie man auch später bei den Neutralitätsverhandlungen zwischen Kaiser und Union 1620 erleben sollte!).

Die tschechisch-französische Doku von 2018 auf Arte sah beim Prager Fenstersturz die konfessionellen Aspekte eher als einen Vorwand. Hiermit meine ich die Schließung bzw. den Abriss zweier protestantischer Kirchen in Böhmen. Wiewohl de jure vielleicht rechtens, so konnten diese Taten als Provokation empfunden werden. Als eigentlicher Antrieb der Handlungsweise der Verschwörer werden allerdings persönliche Gründe angenommen. Der protestantische Adel befürchtete einfach von der Regierung ausgeschlossen zu werden. Die Vertreter des Königs in Böhmen waren ja ausgesuchte Katholiken.

Der Sturz von Martiniz, Slavata und Fabricius hingegen kann recht eindeutig wieder als Verfassungskonflikt angesehen werden. Die Autorität des legitimen (und durch Zustimmung der protestantischen Stände recht kurz zuvor tatsächlich legitimierten) Königs von Böhmen wurde damit ganz klar in Frage gestellt. Münkler betonte auch, dass dies ein erhebliches Problem für die böhmischen Stände bei der Suche nach Verbündeten darstellte. Denn mit Rebellen wollten legitime Fürsten eigentlich nichts zu tun haben. Da die Niederlande selber ohnehin in Rebellion zu ihrem Landesherrn standen, hatten diese logischerweise am wenigsten Probleme damit und waren sehr bereitwillig, wenn auch nur begrenzten Mitteln, die Rebellion der böhmischen Stände gegen den König von Böhmen zu unterstützen.
 
Dieser Krieg war zumindest anfangs ein konfessioneller

Warum tat Ferdinand das? War er den Einflüsterungen der Jesuiten, den Gegenreformatoren par excellence jener Zeit, erlegen, die ihn erzogen hatten? Ich neige dazu, diese Frage zu bejahen, denn wer als Kind, wie der spätere Kaiser Ferdinand II., 3 Mal am Tag gebetet und 2 Messen besucht hatte, an dem geht das nicht spurlos vorbei.

Das von dir aufgeworfene Thema involviert ein typisches Ei-oder-Henne-Dilemma: Was war zuerst da, das religiöse oder das machtpolitische Motiv? Es gibt diese und es gibt jene Meinung, und für beide werden plausible Argumente angeführt, die auf konkrete historische Kontexte fokussieren, wie du z.B. mit dem Hinweis auf intensive katholische Praktiken des Kaisers oder ganz allgemein auf konfessionelle Gegensätze und daraus resultierende Spannungen. Brissotin weist auf unterschiedliche Interpretationen hin, die je nach Kontext das konfessionelle oder machtpolitische Motiv hervorheben. Gäbe es eine ´Rotten Tomatoes´ für Ursachendiagnosen des 30-jährigen Krieges (DJK), würden sich dort wohl 60-70 Prozent für das machtpolitische Motiv aussprechen. Da über historische Wahrheit aber nicht quantitativ abgestimmt werden kann, bleibt das Dilemma, weil nicht eindeutig entscheidbar, bestehen. Das Dilemma besteht allerdings nur für konkrete Analysen im zeitgenössischen oder zeitnahen Kontext, d.h. wenn die Ursachen direkt bei den Protagonisten des Krieges gesucht werden oder - was der Ansatz von Friedrich Schiller war - bei der zeitnahen Reformation, die ein Konfliktszenario schuf, dessen Spannungen laut Schiller unausweichlich in die Kriegskatastrophe mündeten. Aber genau diese Unausweichlichkeit ist zu hinterfragen, weil gewisse "Zufälle" (präziser: Kontingenzen) bei der Verursachung des DJK fraglos eine Rolle spielten - es hätte durchaus auch anders kommen können. Die Frage bleibt also bestehen, wieso es so kam, wie es kam - was zur Unentscheidbarkeit des Dilemmas zurückführt.

Ich schlage daher einen fundamentaleren Ansatz vor, der von konkreten Kontexten zunächst abstrahiert und das Verhältnis von (theistischer) Religion und Macht generell in den Blick nimmt. Gesetzt der Fall, dass beide von Grund auf symbiotisch verbunden sind, wäre die Frage der (letztlichen) Ursache des DJK geklärt: eine "Wille zur Macht", der sich der Maske des Religiösen bedient. Soweit wir in die historische Vergangenheit zurückblicken (die Prähistorie klammere ich aus), scheinen religiöse Institutionen und Konzepte immer eng mit den Machtinstanzen einer Gemeinschaft verbunden zu sein, d.h. mit dem Häuptlings- und Königstum. Entweder agierten Priester als dienstbare Funktionäre eines Herrschers oder das Priestertum war eine Teilfunktion des Herrschers (Priesterkönigtum). Religiöse Konzepte beinhalteten in der Regel die Vorstellung, dass die oberste Gottheit in einem innigen Verhältnis zum Herrscher steht und dass dieser der Gottheit seine irdische Macht zu verdanken hat. Das älteste Dokument einer solchen Beziehung ist die sumerische Geierstele, die den Herrscher Eannatum seine Macht diversen Gottheiten, vor allem dem Stadtgott von Lagash, Ningirsu, verdanken lässt, den er als seinen Vater bezeichnet.

Man bezeichnet solche Konzepte als "religiöse Legitimation" eines Herrschers. Verbunden damit ist die Vorstellung, dass der Herrscher als irdischer Repräsentant der Gottheit agiert und seine Macht im Auftrag oder im Interesse der Gottheit ausübt. Bekanntlich gab es die gleiche Vorstellung, sogar in verschärfter Form, da hier der Herrscher selbst als göttlich galt, im Alten Ägypten. Auch in Griechenland (Alexander), Persien und Rom - um nur wenige Beispiele zu nennen - verhalf das Konzept des göttlichen Beistands für den Herrscher diesem zu einer Akzeptanz, die er andernfalls natürlich nicht gehabt hätte. Kurz: Theistische Religion ist vom Machtaspekt politischer Herrschaft nicht zu trennen, sie ist in ihrer Grundstruktur sogar ein Produkt dieser Herrschaft.

Ein gängiger Ausdruck für die Beziehung von Religion und Macht ist das "Gottesgnadentum" (lat. Dei Gratia), das, wie gezeigt, schon im alten Sumer praktiziert wurde. Diese Vorstellung bestand natürlich auch bei den christlichen Karolingern, Ottonen, Saliern, Staufern und Habsburgern (z.B. Karl der Große: "a deo coronatus imperator" = von Gott gekrönter Kaiser). Luther (1525) versuchte unter Berufung auf den Römerbrief sogar, die gegen aufständische Bauern verübte Gewalt der Fürsten durch deren Gottesgnadentum zu legitimieren. In seiner Schrift ´De servo arbitrio´ schuf Luther durch die darin vertretene Prädestinationslehre und den damit verbundenen Glauben an die Gottgewolltheit der Herrschaftsstrukturen die "religiöse" Grundlage für den späteren Absolutismus. Ironischerweise war es später der sich gleichfalls auf ein Gottesgnadentum berufende Mega-Absolutist Louis XIV., der als Feind des die Prädestination lehrende Jansenismus das Edikt von Nantes (Religionsfreiheit für Hugenotten) widerrief und das Edikt von Fontainebleau auf der Basis des Grundsatzes "Ein König, ein Glaube, ein Gesetz" proklamierte. Der katholische Louis XIV. tat sich auch dadurch hervor, dass er auch in religiösen Fragen über dem Papst zu stehen vermeinte und sich nur ´Gott´ gegenüber verantwortlich fühlte.

Um nun den Bogen zur konkreten Fragestellung von Dion zu schlagen: Der Habsburger Ferdinand II. war in der Tat, wie Dion schreibt, ein äußerst überzeugter und engagierter Katholik. Überliefert ist sein Ausspruch (Gelöbnis kurz nach seiner Krönung):

Lieber über eine Wüste herrschen, lieber Wasser und Brot genießen, mit Weib und Kind betteln gehen, seinen Leib in Stücke hauen lassen, als die Ketzer dulden.

Prima facie spräche also einiges dafür, zumindest für diesen Kaiser eine "religiöse" Motivation anzunehmen. Unter der Prämisse aber, dass die dafür in Anspruch genommene Religion (wie alle anderen theistischen Religionen auch) einen unbewussten machtpolitischen Strukturkern hat (wie ich das mal nennen möchte), neige ich doch eher zu der Auffassung, dass Ferdinands Motivation im Kern und für ihn unbewusst eine politische ist, auch wenn sie einen religiösen Anstrich hat, wobei dieser Anstrich, wie gezeigt, vom Politischen gar nicht losgelöst gedacht werden kann.
 
Im ZDF-Vierteiler von 79 wird es noch so dargestellt, dass ein Auslöser des Unmuts der Stände ein geharnischter Brief aus Wien war, den in dem halbdokumentarischen Film aber nicht Khlesel sondern der Umkreis von Ferdinand II. aufgesetzt hat, um die böhmischen Stände gezielt in Rage zu versetzen und der als ein Werk der Anhängerschaft Kaiser Matthias im Rahmen einer Intrige ausgegeben wurde. Münkler hingegen arbeitet heraus, dass besagtes Schreiben offenbar - so erstaunlich das klingen mag - von Khlesel selbst stammte. Khlesel galt gemeinhin als duldsam gegenüber dem protestantischen Adel. Um aber wohl nicht als solches zu erscheinen hat Khlesel, selbst ja hoher katholischer Würdenträger, einmal versucht Stärke und Entschlossenheit gegenüber den Protestanten zu demonstrieren.

Solche Schreiben haben wiederholt, auch wenn sie nicht veröffentlicht wurden, eine enorme Sprengkraft besessen. Man denke da auch an das Rechtfertigungsschreiben der Böhmen nach dem Prager Fenstersturz. Zwar wollten die böhmischen Adligen darin "nur" ihre Tat rechtfertigen. Aber dies allein schien ja schon unverfroren, da es klang, als ob man mit dem König verhandelte.
 
Vor 400 Jahren, am 23.5.1618, warfen böhmische Adelige die kaiserlichen Stellvertreter in Prag aus dem Fenster, was den Anlass zum 30-jährigen Krieg gab. Dass es dazu kam, lag in der Weigerung des Kaisers Ferdinand II., Böhmen die freie Religionsausübung, die ihnen sein Vorgänger Rudolf II. in dem sog. Majestätsbrief 9 Jahre zuvor zugesichert hatte, nicht mehr zu gewähren.

Woran nun allerdings nicht stimmt, daß Ferdinand II zu diesem Zeitpunkt noch nicht Kaiser war...
 
Wir haben doch eine ziemliche Gemengelage aus konfessionellen und verfassungsrechtlichen Problemen.
Das ist wahr. Allerdings muss man nach Begutachtung aller Fakten konstatieren, dass anfangs die konfessionellen Probleme zu den verfassungsrechtlichen führten. Die katholische Seite hat sich mit der im Augsburger Religionsfrieden vereinbarten Koexistenz der beiden Konfessionen im Reich nicht mehr zufrieden gegeben: Sie wollte die protestantischen Länder rekatholisieren, was natürlich auf Widerstand stieß, ja stoßen musste.

Für mich trägt daher die von der katholischen Kirche ausgerufene Gegenreformation die Hauptschuld an dem Ausbruch des Krieges. Freilich: Wenn man noch weiter zurückgeht, kann man auch sagen: Hätte es die Reformation nicht gegeben, hätte es auch diesen Krieg nicht gegeben, also wäre letztlich Luther schuld gewesen.

Wie man es auch dreht und wendet, man landet immer bei diesem Punkt: Beim Glauben kann es nur eine Wahrheit geben – jedenfalls bei Christen jener Zeit, denn heute ist man toleranter zueinander, obwohl die Differenzen nach wie vor fast die gleichen sind. Aber für diese Erkenntnis mussten Millionen sterben.


Was war zuerst da, das religiöse oder das machtpolitische Motiv?
Diese Frage habe ich für mich oben bereits mehrfach beantwortet.


Der Habsburger Ferdinand II. war in der Tat, wie Dion schreibt, ein äußerst überzeugter und engagierter Katholik. Überliefert ist sein Ausspruch (Gelöbnis kurz nach seiner Krönung):

Lieber über eine Wüste herrschen, lieber Wasser und Brot genießen, mit Weib und Kind betteln gehen, seinen Leib in Stücke hauen lassen, als die Ketzer dulden.
Danke für das Zitat.


Woran nun allerdings nicht stimmt, daß Ferdinand II zu diesem Zeitpunkt noch nicht Kaiser war...
Das stimmt, er war zu diesem Zeitpunkt lediglich König von Böhmen. An seiner Haltung und seinen Handlungen gegenüber den Protestanten ändert das nichts.
 
Für mich trägt daher die von der katholischen Kirche ausgerufene Gegenreformation die Hauptschuld an dem Ausbruch des Krieges. Freilich: Wenn man noch weiter zurückgeht, kann man auch sagen: Hätte es die Reformation nicht gegeben, hätte es auch diesen Krieg nicht gegeben, also wäre letztlich Luther schuld gewesen.
Die Kirche und die weltlichen Mächte, die sich auf die Kirche beriefen haben sich seit dem Mittelalter immer stärker von dem wegbewegt, was die Bevölkerung als richtig empfand. Deshalb kam es zu den Hussiten und 100 Jahre später zum Wirken der Reformatoren. Die Gegenreformation stützte sich nur auf geringe Verbesserungen in der Kirche und viel auf Gewalt. Die gemeinsame Religion wurde von vielen noch als nötig für die Gesellschaft verstanden. Eine Stadt oder ein Dorf, wo der eine die eine und der andere in die andere Kirche ging - unvorstellbar! Deswegen gab es auch schon Ärger und schräge Blicke wenn jemand nicht zur Kirche ging, unabhängig von einem abweichenden
Glauben.

Die schnelle und flächendeckende Annahme der Reformation basierte auf vielen Ideen, diesen konnte die Gegenreformation nur wenig entgegen setzen. Aber die Zersplitterung der Kirchen in Landeskirchen (bzw. dem was später dazu wurde) war nicht im Interesse des Kaisers und bot der immer noch sehr gut organisierten katholischen Seite eine Chance zur erfolgreichen Machtpolitik.
 
Die Kirche und die weltlichen Mächte, die sich auf die Kirche beriefen haben sich seit dem Mittelalter immer stärker von dem wegbewegt, was die Bevölkerung als richtig empfand. Deshalb kam es zu den Hussiten und 100 Jahre später zum Wirken der Reformatoren. Die Gegenreformation stützte sich nur auf geringe Verbesserungen in der Kirche und viel auf Gewalt. Die gemeinsame Religion wurde von vielen noch als nötig für die Gesellschaft verstanden. Eine Stadt oder ein Dorf, wo der eine die eine und der andere in die andere Kirche ging - unvorstellbar! Deswegen gab es auch schon Ärger und schräge Blicke wenn jemand nicht zur Kirche ging, unabhängig von einem abweichenden
Glauben.


Die schnelle und flächendeckende Annahme der Reformation basierte auf vielen Ideen, diesen konnte die Gegenreformation nur wenig entgegen setzen. Aber die Zersplitterung der Kirchen in Landeskirchen (bzw. dem was später dazu wurde) war nicht im Interesse des Kaisers und bot der immer noch sehr gut organisierten katholischen Seite eine Chance zur erfolgreichen Machtpolitik.

Zwei Dinge: Ist es nicht gerade im Interesse des Kaisers, wenn die Protestanten sich in mehrere Landeskirchen aufsplitten anstatt in einer zentralen Kirchenorganisation? So sehe ich das.

Zum fettgedruckten: Was genau möchtest du damit implizieren?
 
Die schnelle und flächendeckende Annahme der Reformation basierte auf vielen Ideen, diesen konnte die Gegenreformation nur wenig entgegen setzen. Aber die Zersplitterung der Kirchen in Landeskirchen (bzw. dem was später dazu wurde) war nicht im Interesse des Kaisers und bot der immer noch sehr gut organisierten katholischen Seite eine Chance zur erfolgreichen Machtpolitik.
Die Landeskirchen scheinen mir weniger das Problem.

Die wirkliche Kluft zwischen den protestantischen Reichsständen entstand doch nach dem Konvertieren einiger Landesherren zum reformierten Bekenntnis. Denn dieses war vielen Lutheranern ihrer eigenen Glaubensauffassung noch fremder als der katholische Glaube. Hierin lag ja auch der besondere Fehler in der Vorstellung der böhmischen Führer, dass der Protestantismus ein ausreichendes Bindeglied dazu wäre, gemeinsam gegen den katholischen Kaiser und dessen katholische Verbündete vorzugehen.

In Wahrheit aber war Böhmen selbst gespalten. Es lebte dort eine erhebliche Anzahl an Katholiken, aber auch die Protestanten unterteilten sich in Lutheraner, meist Deutsche, und Hussiten. Selbst wenn sich zumindest diese beiden Glaubensrichtungen noch halbwegs verstanden, so ging es dann garnicht mehr gut, als man sich den reformierten Kurfürst Friedrich V. als König ins Land holte, der weder mit Lutheranern noch Hussiten etwas anfangen konnte und dessen religiösen Praktiken wie das Entfernen des Schmucks aus dem Veits-Dom in Prag alle Böhmen brüskierte.

Anders als das reformierte, war das Augsburger Bekenntnis sehr stark eine genuin deutsche Konfession. Luther hatte sich stark darauf konzentriert eine gemeinsame Lehre für alle Deutschen zu formen - das taucht auch in den Kirchenliedern wie "Wach auf, wach auf Du deutsches Land" im 16.Jh. auf. Mit den Lutheranern hatten sich die kath. Kaiser im 16.Jh. zu arrangieren gelernt. Vielleicht auch, da die albertinischen Wettiner selber zum einen Führungsfiguren der Lutheraner und zum anderen ganz überwiegend von Kurfürst Moritz bis hin zu Johann Georg I. treue Anhänger des Kaisers waren.

Zur aggressiven Gegenreformation unter Ferdinand II. gab es im protestantischen "Lager" allerdings auch Pendants. Zwar war in Kursachsen der zeitweilige Versuch einer zweiten Reformation (so wird meistens der Wechsel vom lutherischen zum zwingli-reformierten Bekenntnis genannt) gescheitert, dafür wurde in Hessen bspw. die reformierte Konfession vom Landesherrn durchgesetzt, so auch in den Gebieten, welche Hessen-Kassel der lutherischen Hessen-Darmstädter Linie abzutrotzen suchte.
 
Die Kirche und die weltlichen Mächte, die sich auf die Kirche beriefen haben sich seit dem Mittelalter immer stärker von dem wegbewegt, was die Bevölkerung als richtig empfand. Deshalb kam es zu den Hussiten und 100 Jahre später zum Wirken der Reformatoren. Die Gegenreformation stützte sich nur auf geringe Verbesserungen in der Kirche und viel auf Gewalt.
Eben. Die Ideen des Jan Hus und Martin Luthers hatten Erfolg, weil die Zeit für Reformen reif war. Und die etablierte Kirche hatte keine anderen Antworten als Gewalt: Sie konnte Jan Hus noch verbrennen, aber gegen Luther ging das nicht mehr, weil er sich rechtzeitig in Sicherheit brachte.

Die gemeinsame Religion wurde von vielen noch als nötig für die Gesellschaft verstanden. Eine Stadt oder ein Dorf, wo der eine die eine und der andere in die andere Kirche ging - unvorstellbar! Deswegen gab es auch schon Ärger und schräge Blicke wenn jemand nicht zur Kirche ging, unabhängig von einem abweichenden Glauben.
Das war keine Besonderheit jener Zeit – das gab es bei uns in den ländlichen Gebieten noch in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts.



… als man sich den reformierten Kurfürst Friedrich V. als König ins Land holte, …
Böhmen war eine Wahlmonarchie, sie konnten wählen, wen sie wollten. Zwar haben sie 1617, also noch zu Lebzeiten des böhmischen Königs Matthias, Ferdinand II. zum böhmischen König gewählt, aber als 1619 Matthias starb, wollten sie Ferdinand nicht mehr als ihren König anerkennen und wählten einstimmig! den Friedrich. Aber das war mehr als ein Jahr nach dem Prager Fenstersturz, dem ja gleich die ersten kriegerischen Auseinandersetzungen folgten, auch verständlich.
 
Das war keine Besonderheit jener Zeit – das gab es bei uns in den ländlichen Gebieten noch in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts.
Du redest vom Verhalten im Dorf, ich rede vom institutionalisierten Verhalten des Landesherren. Denn anders ist die Übernahme der Religion des Landesherren nicht umsetzbar.

Was aber auf einmal nicht gilt wenn der Landesherr ein Erzbischof ist... ;)
 
Eine Stadt oder ein Dorf, wo der eine die eine und der andere in die andere Kirche ging - unvorstellbar!
In manchen Städten, insbesondere süddeutschen Reichsstädten (z. B. Augsburg oder Ulm) war das nicht nur "vorstellbar", sondern jahrhundertelang ganz reguläre Praxis, bereits im Augsburger Religionsfrieden (1555) wurde diese Praxis festgeschrieben:

"§ 27. Nachdem aber in vielen Frey- und Reichs-Städten die beede Religionen, nemlich Unsere alte Religion und der Augspurg. Confession-Verwandten Religion ein zeithero im Gang und Gebrauch gewesen, so sollen dieselbigen hinführo auch also bleiben und in denselben Städten gehalten werden und derselben Frey- und Reichs-Städt Bürger und andere Einwohner, geistlichs und weltlichs Stands, friedlich und ruhig bey- und neben einander wohnen und kein Teil des andern Religion, Kirchengebräuch oder Ceremonien abzuthun oder ihn darvon zu dringen unterstehen, sonder jeder Theil den andern laut dieses Friedens bey solcher seiner Religion, Glauben, Kirchengebräuchen, Ordnungen und Ceremonien, auch seinen Haab und Gütern und allem andern, wie hie oben beeder Religion Reichs-Ständ halben verordnet und gesetzt worden, ruhiglich und friedlich bleiben lassen."
Internet-Portal "Westfälische Geschichte" / 1555-09-25: Augsburger Reichsabschied ["Augsburger Religionsfrieden"]

Mancherorts gingen die Angehörigen beider Konfessionen sogar in dieselbe Kirche:
Liste der Simultankirchen in Deutschland – Wikipedia
 
In manchen Städten, insbesondere süddeutschen Reichsstädten (z. B. Augsburg oder Ulm) war das nicht nur "vorstellbar", sondern jahrhundertelang ganz reguläre Praxis, bereits im Augsburger Religionsfrieden (1555) wurde diese Praxis festgeschrieben:
Und wie viele Jahrhunderte lang hat diese Praxis Bestand gehabt, also bis 1555? ;)
Ob 0,25 schon die Verwendung des Plurals zulässt?

Und selbst eine große Stadt wie Augsburg mit entsprechenden administrativen Möglichkeiten hat zwar einen modus vivendi geschaffen, aber 1628 hat sich keiner der Mehrheit daran erinnert die Minderheit zu schützen. Die Durchsetzung des Restitutionsedikt gelang mit verhältnismäßig geringen Kräften.

Erst nach dem Krieg wurde die Notwendigkeit des Teilens als vernünftig anerkannt, die innere Überzeugung war auch 300 Jahre danach nicht überall vorhanden.
 
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