Unfassbar. So ein Monster wird noch mit Denkmälern geehrt. Hat Belgien eigentlich den Kongo für diese grauenhaften Verbrechen jemals entschädigt?
Die Denkmäler wurden zu einer Zeit errichtet, als noch alle Schulkinder in Belgien lernten, dass Leopold II. ein Philanthrop war, der den Afrikanern die Segnungen der Zivilisation und das Christentum gebracht habe. Diese Geschichtsdeutung ist sehr zählebig. Der belgische Historiker Dirk Beirens, der in Ostende Stadtführungen macht, einem Seebad, dem Leopold II. seine Gestalt gab mit Kolonaden, einem Golfplatz und einem Palast, räumte noch vor wenigen Jahren ein, dass er, wenn er merkt, dass unter seinen Zuhörern mehrheitlich fanatische Monarchisten sind, die Kongogreuel kaum erwähnt, da diese Menschen das einfach nicht hören wollen. Beirens, der mehrere Bücher über die Geschichte des Kongo verfasste, teilte mit, dass, wenn er in Archiven und Bibliotheken Dokumente und Archivalien auslieh, Seiten fehlten, geschwärzt wurden oder nicht herausgegeben wurden, obwohl er sich versichert hatte, dass diese Werke im Bestand waren.
Beirens den ich auch keineswegs als Opportunisten oder ängstlichen Menschen einschätzen würde, sagte, dass solche offensichtlichen Behinderungen noch nicht die Spitze waren, dass er anonyme Drohungen erhielt.
Die Kolonialisierung des Kongo und die belgische Kolonialvergangenheit ist ein überaus heikles Thema in Belgien, erst seit wenigen Jahren findet ein Umdenken statt. Wie ich schon sagte, schloss das Königliche Museum für Zentralafrika, eine Gründung Leopolds 2012 und nahm eine radikale Neuausrichtung vor, da man sich der Ansicht Adam Hochschilds angeschlossen habe, dass das, was sich im Kongo ereignete Völkermord war. Der Leiter des Museums drückte sich diplomatischer aus. Auch die Verwicklung des belgischen Königshauses in die Ermordung Patrice Lumumbas ist ein sehr heikles Thema. Ich halte es ehrlich gesagt für eher unwahrscheinlich, dass der belgische Staat offiziell den Völkermord irgendwann einräumt, Entschädigungszahlungen sind meines Wissens nie geschehen. Belgien sträubt sich aus ähnlichen Gründen wie die Bundesrepublik Entschädigungszahlungen an Namibia ablehnend gegenüber steht, da damit ein Präzedenzfall geschaffen wird und man Entschädigungszahlungen in astronomischer Höhe befürchtet.
Das Thema ist und bleibt sehr heikel, viele, sonst durchaus aufgeschlossene Belgier reagieren vehement, oft regelrecht aggressiv. Manchmal fühlte ich mich an die Vehemenz erinnert, mit der viele Türken bei Erwähnung der Armenier-Massaker reagieren. Belgier, die für eine schonungslose Aufarbeitung eintreten, geraten leicht in Isolation, und ihnen wird vorgeworfen, Nestbeschmutzer zu sein, die das Ansehen ihres Landes schädigen.
Auf Dauer glaube ich schon, dass eine Neubewertung der belgischen Kolonialgeschichte nicht aufzuhalten ist, aber da werden noch einige Jahre ins Land gehen. An Entschädigungszahlungen glaube ich allerdings nicht. Wie gesagt, ein sehr heikles Thema in unserem Nachbarland.