Schlacht am Lechfeld - Geburtsstunde der Deutschen?

Laura123

Mitglied
Hallo zusammen,

immer wieder hört man ja das die Schlacht am Lechfeld die Geburtsstunde der Deutschen sein soll, da die Stammesfürsten erstmals einig gegen einen äußeren Feind kämpften.
Ich bin skeptisch.
Was haltet ihr von dieser These? Was spricht dafür und was dagegen? Verstanden sich die Stammesfürsten sprachlich überhaupt?
 
1. Es gibt keine "Geburtsstunde" der Deutschen. Auch als Metapher würde es eher Widerspruch finden.
2. Wenn sie "zufällig" mal miteinander gekämpft haben, dann folgten Kämpfe, bei denen sie gegeneinader gestanden haben.
3. War das dann die mehrmalige und wiederholte Todesstunde einer angeblichen "Geburtsstunde" der sogenannten "Deutschen"

Der Prozess der staatlichen Integration und der Entwicklung einer bewußtseinsmäßigen Integration der Eliten und in der Folge auch der breiteren Schichten des Volkes, verlief langsam. Im Mittelalter wird man höchstens die Grundlegung bestimmter Ideen erkennen können, die mit der FNZ zunehmend den nationalistischen Diskurs bestimmt haben. Und die Nationalstaatliche Ausbildung eines deutschen Staates erst in der Folge der Französischen Revolution stattfand. Und auch in der praktischen Durchsetzung durch diese begünstigt wurde.

Noch Bismarck stand vor der Herausforderung der "inneren Reichsgründung" und daran wird deutlich wie komplex der Prozess ist, einen Nationalstaat zu generieren.

Nicht umsonst wird auch mit Plessner von der "verspäteten Nation" gesprochen.
 
Das erste Zeugnis einer deutschen Ethnie findet sich im Annolied aus dem 11. Jahrhundert.

Da die "Nation" erst im 18, Jahrhundert aus teils fiktiven Verhältnissen in Westeuropa herausspintisiert wurde, hat es im 10. Jahrhundert nirgendwo auf der Welt eine gegeben.

Wenn du ein Bisschen im Forum suchst, findest du eine Diskussion dazu, bei der thanepower und ich verschiedene Ansichten zu der Grundfrage und dazu, welcher Begriff verwendet werden sollte, vertraten.

Um die Spannung etwas herauszunehmen: Letztlich kommt es auf die Definition an und es ist genauso großer Quatsch auf die Reichsgründung 1871 zu verweisen wie auf das Annolied (oder die Königswahl Heinrichs, um die einst gängige Angabe zu nennen,) zu verweisen. Die Lechfeldschlacht wurde schon in den Quellen propagandistisch umgedeutet und taugt nicht, um daran ein Entstehen eines Volkes festzumachen.

Ein Volk, für die Zwecke dieses Posts verstehe ich dieses Wort als unreflektierten Bezeichner, entsteht darüber hinaus nicht einfach. Es entwickelt sich vielmehr aus den jeweiligen Zeitverhältnissen. Und es setzt diese Entwicklung fort, verändert sich weiter. Die Deutschen von heute sind nicht die Deutschen von vor hundert Jahren. Daher wäre eher nach der Entwicklung zu fragen, statt nach dem Entstehen.

Der Vergleich mit einem Fluss ist vielleicht ganz hilfreich. Kurz nach der Quelle ist er ein anderer, als bei der Mündung. Und darüber hinaus ist er heute anders als morgen. So ist ein Volk in der Regel nicht einmal einheitlich, sondern weist wiederum verschiedene Gruppen auf. Selbst bei den Franzosen ist das so.
 
Zuletzt bearbeitet:
Vielen Dank für eure Antworten. Das einzige was für mich noch offen ist, ist die Frage nach der sprachlichen Interkomprension. Konnten sich die Sachsen mit den Bayern Schwaben etc. "problemlos" verständigen, oder liegen diese alten Sprachstufen sehr weit auseinander.
Sprache ist ja immer ein wichtiger Faktor bei der Identifikation bzw. Abgrenzung, man vergleiche z.B. das moderne Katalonien und Spanien. Und auch der Begriff "teutonicus" wird ja in den Quellen verwendet, ein Bischof schreibt der deus teutonicus hätte gesiegt, wie soll man diesen Begriff dann deuten, wenn die nationalistische Deutung anachronistisch ist.
 
Sie haben sich sicher verständigen können. Wie problemlos, darüber gehen die Meinungen auseinander. Eine Standardsprache, die jeder lernte, gab es nicht. Wir haben es vielmehr mit einem Dialektkontinuum mit fließenden Übergängen zu tun. Was gewöhnlich als althochdeutsch, bzw. altsächsisch bezeichnet wird, sind von Gelehrten geschriebene Schriftsprachen, denen man in der Regel noch sprachliche Eigenheiten des Autors anmerkt. Als ein Beispiel kann das Hildebrandslied dienen, dass oft als in einem "sächsisch-bayrischen Mischdialekt" geschrieben bezeichnet wird. Es wurde auch schon vermutet, dass es eine Übung war mit der sich ein sächsischer Mönch im bayrischen Dialekt übte.

Jeder Hochdeutschsprecher kann heute mit etwas Konzentration die 2. Lautverschiebung rückgängig machen und evt. noch ein paar bekannte Besonderheiten berücksichtigen. Schon hört es sich wie Niederdeutsch an und hilft an bestimmten Orten Akzeptanz zu finden. Ich habe so etwas sogar schon auf dem Westfalentag gehört. Und wenn ein Dialektsprecher langsam und deutlich spricht und besondere Ausdrücke weglässt, dann ist der Dialekt in der Regel verständlich.

Wer Niederdeutsch spricht hat es da einfacher, da das meist schon im Nachbardorf etwas variiert. Ein beliebtes Thema bei Sprechern sind diese Besonderheiten. Dadurch und durch die dauernde Übung Leute mit anderer Sprache zu verstehen, versteht ein Westfale auch einen Niederländer, der Niederfränkisch spricht. Vorausgesetzt beide bemühen sich etwas. So ähnlich wird es auch in althochdeutscher bzw. altsächsischer Zeit gewesen sein.

Aber eine einheitliche Sprache ist noch kein Merkmal für eine Ethnie. Ein Provencale kann sich durchaus mit vollem Recht als Franzose fühlen, auch wenn ihm Provencalisch näher liegt und die Selbstbezeichnung von Mittelniederdeutsch war eben 'deutsch', im Gegensatz zum den zeitgenössischen hochdeutschen Sprachstufen auch 'unser deutsch'. Umgekehrt verteilt sich mitunter eine Sprache auf mehrere Ethnien. Denken wir an Arabisch.

Was das Niederdeutsche angeht gibt es übrigens nicht mal eine einheitliche Definition. Schon, ob nur Niedersächsisch oder auch Niederfränkisch gemeint ist und ob das Niederländische einbegriffen sein soll ist umstritten. Die Abgrenzung zum Hochdeutschen Sprachraum ist auch nicht eindeutig zu fassen. Im Sinne des erwähnten Dialektkontinuums kann man nur Übergänge feststellen.

Auch die Suche nach "Schrift- und Kultursprache", die letzten Endes nichts anderes ist, als die Borniertheit des Angehörigen einer "Kulturnation" gegenüber "den primitiven Völkern", hilft nicht weiter. Niederdeutsch z.B. wird seit dem 19. Jahrhundert wieder geschrieben, allerdings ohne dass sich eine einheitliche Schriftsprache entwickelte. Und das Altsächsische gewinnt den Eindruck der Einheitlichkeit teils auch durch Besonderheiten der verwendeten Schriftsysteme, des altenglischen und althochdeutschen. Jedenfalls lassen sich mit Schriftsprachen als "Kern" keine Sprachen abgrenzen. Welchen Sinn ergäbe es auch, das Niederfränkische teils dem Deutschen und teils dem Niederländischen zuordnen zu wollen?

Die Rede von kontinentalen westgermanischen Dialekten in der Niederländischen Sprachwissenschaft ist zwar neutraler und hilft die Sprache abgelöst von der Frage nach den Ethnien zu betrachten, hat dann aber wieder das Problem der kontinentalen ingwäonischen Sprachen, insbesondere hinsichtlich des Friesischen.

Die Rede von Teutonen hat wenig mit Sprache zu tun, es bezog sich auf einen längst vergangenen Stamm als Bild für die Menschen nördlich der Alpen, für die sich noch keine Bezeichnung wirklich durchgesetzt hatte. Dies Bild stand in Konkurrenz zu Germanen und Volkssprachigen. Aus dem letzteren entwickelte sich dann die Bezeichnung 'deutsch'. Kann nun die empfundene Notwendigkeit eine Bezeichnung für die Bevölkerung des Ostfrankenreichs zu finden als Ausdruck eines Gemeinschaftsgefühls verstanden werden?

thanepower hat das schon für das „Diutschin sprechin Diutschin liute in Diutschemi lande.“ des Annolieds (um 1080) dies Gemeinschaftsgefühl abgelehnt, was ich wiederum anders sehe. In jedem Fall wäre da aber noch zu untersuchen, was dies für die Träger dieses Gefühls bedeutete und welche Aussagen zur Trägerschaft desselben gemacht werden können. Sprache und auch die Bezeichnung nach der Sprache mögen zwar einen Verdacht eingeben, sind aber allein noch nicht hinreichend. Wenn Land und Leute und Sprache entsprechend genannt werden, kann ich keinen Grund für den Zweifel an einem Ethnonym sehen. Aber andere sehen es auch da anders. Und es ist, wie gesagt, was der Autor unter der bezeichneten Gruppe verstand.

Das Thema ist umfangreich und ich habe nur verschiedene Aspekte nebeneinander gestellt. Zu beiden Aspekten lässt sich keine eindeutige Antwort geben. Und für beide Aspekte fehlen grundlegende Definitionen. Im Normalfall werden einfach alle Begriffe durcheinander geworfen und zeitgenössische Ansichten ignoriert. Nochmal: Der Begriff der Nation wurde im 18. Jahrhundert erfunden. Damit erübrigen sich Nationalistische Interpretationen zum Mittelalter. Natürlich gab es Ethnien. Aber kämpf dich mal durch die Literatur, die bisher vergeblich versucht, eine allgemein akzeptierte Definition zu finden. Und versuch mal herauszufinden, wie sich Sprachen und Dialekte abgrenzen.
 
Wow, ich bin schwer beeindruckend, das ist wirklich fundiertes Fachwissen. Sehr interessant, da wäre ich so nicht drauf gekommen, aber ist hoch spannend. Und ja Sprache kann aber muss nicht ein Merkmal für Identifikation darstellen.

Ich würde dann mein Urteil wie folgt festlegen: Zum Zeitpunkt der Schlacht am Lechfeld kann nicht von der Geburtsstunde der Deutschen gesprochen werden, da der Nationenbegriff ins 18. Jh. gehört und für das Mittelalter kein nationalistisches Zusammengehörigkeitsgefühl angesetzt werden kann. Was aber bereits bestand war ein Gebiet, dass ungefähr mit den Grenzen des heutigen Deutschlands übereinstimmt und u.a. mit dem Begriff "teotonicus" beschrieben wurde und in dem die Leute sich grundsätzlich miteinander verständigen konnten, da sie verschiedene Dialekte einer Sprache sprachen.

Einverstanden?
 
Nein, etwas falsch verstanden.
Eine deutsche Nation kann es im Mittelalter nicht gegeben haben. Aber mit einem deutschen Volk oder einer deutschen Ethnie sieht es anders aus. Nation ist nicht gleich Volk, nicht gleich Ethnie (und auch nicht gleich Staatsvolk).

Ob man zur Zeit des Annolieds oder schon früher von einer deutschen Ethnie sprechen kann, unterliegt der Frage nach Definitionen und Interpretationen. Über die einzelnen Aspekte kann man Bücher schreiben.

Hinzu kommen dann die Begriffe der Zeit, wodurch es erst richtig kompliziert wird.

Auch die Ausführungen zur Sprache hast du nicht richtig verstanden. Sie sprachen teils mehrere Sprachen, die aber untereinander verständlich waren, teils Dialekte einer Sprache. Die oft in Schulen wiederholte Definition, dass sich Dialekte von Sprachen dadurch unterscheiden, dass sie untereinander verständlich sind, ist Quatsch.

Es gibt niederdeutsche Dialekte, die dem niederländischen niederfränkisch so nahe stehen, dass eine Verständigung kein Problem sind. Und es gibt niederdeutsche Dialekte, die sich dem Dänischen so sehr angenähert haben, dass diese untereinander Verständlich sind. Aber es gibt auch niederdeutsche Dialekte, die untereinander nicht ohne weiteres verständlich sind. Es gibt auch Dialekte, die verschiedenen Sprachen oder Dialekten zugeordnet werden können.

Du kannst sagen, dass das ostfränkische Reich zu großem Teil einen Sprachraum umfasste, innerhalb dessen man sich mit ein wenig Rücksicht untereinander verstehen konnte. Wobei die darin gesprochenen Sprachen und Dialekte den westgermanischen Sprachen angehörten. Hauptsächlich sind althochdeutsch, altsächsisch und das damalige Niederfränkisch zu nennen. Im Osten umfasste das Reich auch slawische Sprachen (z.B. in der Altmark), im Norden das Friesische und im Süden romanische Sprachinseln.

Aber ja, den Zeitpunkt der Lechfeldschlacht als Geburtsstunde kannst du vergessen. Wie es überhaupt fraglich ist, ob von Geburtsstunde geredet werden kann. Es war eher eine allmähliche Entwicklung. Zudem ist die Frage nach Entstehung 'der Deutschen', wie gesagt, je nach benutztem Begriff unterschiedlich zu beantworten.

Es ist ja nicht sehr präzise gefragt. Es bleibt zu ergänzen, ob Nation, Volk, Staatsvolk, Ethnie, Gruppe oder Pogsgubbel, was immer das sein mag, gemeint ist.
 
Du kannst sagen, dass das ostfränkische Reich zu großem Teil einen Sprachraum umfasste, innerhalb dessen man sich mit ein wenig Rücksicht untereinander verstehen konnte.

Das ist eine Frage, die ich mir oft gestellt habe.

In der HEUTIGEN Zeit ist es so, dass ich als Mittelhesse schon einen Nordhessischen Dialekt nicht verstehen kann. Umgekehrt ist es sicherlich genauso, das "Deutsch" meines Heimatortes würden Ortsfremde eher als gälisch oder was weiß ich was interpretieren aber sicher nicht verstehen. Bestenfalls einzelne Wörter, mehr halte ich für ausgeschlossen. Dialekte aus Bayern oder Norddeutschland könnten genauso gut von einem anderen Stern stammen, auch wenn das alles unter "Deutsch" subsumiert wird.

Nun ist es so, dass in die heutigen Dialekte sehr viele hochsprachliche Ausdrücke eingeflossen sind, man passt sich immer mehr an. Ich hatte früher genauso Mühe bei etlichen Ausdrücken, die meine Großeltern noch verwendeten, die mir aber bereits fremd waren.

Wie war das nun 500, 1000 oder 1500 Jahre zurück? In wie weit war damals eine überregionale Verständigung überhaupt möglich? Wo konnte man sich überhaupt mit dem verständigen, was wir heute Althochdeutsch oder Mittelhochdeutsch nennen?

Manchmal habe ich den Eindruck, dass Sprachwissenschaftler von nahezu einheitlichen Sprachen für etwa das Mittelalter ausgehen. Da aber keine oder kaum Schriftlichkeit vorhanden war, und sich die Aussprache eben massiv unterscheidet halte ich orale Kommunikation für problematisch. Andere gab es aber meist nicht.

Mir ist klar, das gerade auch aus diesem Grunde das Lateinische sowohl im Kirchen- als auch im Verwaltungsbereich noch lange als lingua franca üblich war. Aber wie war es mit der Kommunikation unter Nicht-Lateinern?
 
Es gab mehr Übung darin, andere zu verstehen. Plattdeutsche Muttersprachler erkennen oft sofort, woher jemand kommt. Die Unterschiede sind bekannt und daher klappt die Verständigung. In Norddeutschland gibt es auch Gruppen, die dem Niederdeutschen komplett entfremdet sind. Diesen fällt es oft schon schwer, dialektal leicht gefärbtes Hochdeutsch zu verstehen. Meine Eltern konnten sich mit Niederländischsprechern unterhalten. Ich spreche wenig Platt und ich kann so gerade Niederländer, die aus den richtigen Landesteilen kommen, verstehen. Die Verständigung zwischen Niedersachsen und Westfalen funktioniert jedenfalls trotz Westfälischer Brechung.

So erkläre ich es mir zumindest.

Es wird immer darauf hingewiesen, dass es zwar den späteren Ausgleich im Frühmittelalter noch nicht gab, die westgermanischen Sprachen sich aber noch wesentlich näher standen. Ich habe mal von einer Untersuchung gelesen, die davon ausging, dass sich Sachsen und Engländer in der altsächsischen Zeit noch verstanden. Es wurden die Unterschiede zu den althochdeutschen Dialekten mit denen der genannten Sprachen verglichen. Teils aber wohl nur die Unterschiede gezählt. Demnach ging die Verständigung. Die Untersuchung soll aus den 80ern stammen. Damals habe ich mich nicht so dafür interessiert. Ich habe aber heute schon einen Studienfreund angemailt, der sich damit beschäftigt hat. Der wird mir die Arbeit hoffentlich nennen können. Denn worauf diese Einschätzungen beruhen, interessiert mich auch.

(Damals lag der große Unterschied ja hauptsächlich in der Lautverschiebung, während die Unterschiede im Vokalismus sich erst zu entwickeln begannen. Dazu kamen Unterschiede beim Wortschatz, die aber großteils quer zur Sprachgrenze in Abhängigkeit der Entfernung vom Rhein verliefen. Da lande ich dann auch wieder bei eher regionalen Unterschieden wie Nordhessen, Ostwestfalen, Waldeck, ... Wenn ich nicht häufiger vom Gegenteil gehört hätte, würde ich exakt deine Zweifel formulieren. Es ist ja immer wieder zu lesen, dass es "dennoch untereinander verständlich" war oder so ähnlich. Vielleicht sollten wir auch fragen, auf wen sich dies bezieht.)
 
Was meinst du mit Ausgleich?

Offensichtlich Sprachausgleich bzw. Dialektausgleich.

Erste Ansätze dazu haben wir in der ritterlichen Dichtung der Stauferzeit (Minnelieder, Heldenepen). Die Dichter bemühten sich, lokale Mundartmerkmale zu vermeiden und einen überregionalen Sprachstil zu finden.
Dann kommt der Übergang von der lateinischen in die deutsche Amtssprache, es entstehen die sogenannten Kanzleisprachen, die jeweils Dialektmischungen darstellen, aber dennoch regionale Eigenheiten aufweisen. Der Buchdruck und insbesondere die Verbreitung der Lutherbibel (die wiederum auf der sächsischen Kanzleisprache basierte) bewirkte einen anhaltenen Einfluss der Standardsprache auf die Dialekte. Seit ca. 1930 bewirken Tonfilm, Rundfunk und weitere Medien ein immer stärkeres Abschleifen der Dialekte.

Dass das Meißner Kanzleideutsch überregional so gut verständlich war, liegt u. a. daran, dass es seinerseits auf einem Ausgleichsdialekt basierte: "Hier waren seit dem 13. Jh. Siedler aus Hessen, Thüringen, Ostfranken, teilweise auch dem Rheinland und den Niederlanden, zusammengetroffen. Die obersächs. Mundarten sind das Ergebnis von Ausgleichsvorgängen jener Zeit."
Geschichte der deutschen Sprache
 
Eine deutsche Nation kann es im Mittelalter nicht gegeben haben. Aber mit einem deutschen Volk oder einer deutschen Ethnie sieht es anders aus. Nation ist nicht gleich Volk, nicht gleich Ethnie (und auch nicht gleich Staatsvolk).

Wie würdest du denn ein deutsches Volk/eine deutsche Ethnie für diese Zeit definieren. Ist da ein wichtiges Merkmal nicht auch wieder Sprache?
 
Wie würdest du denn ein deutsches Volk/eine deutsche Ethnie für diese Zeit definieren. Ist da ein wichtiges Merkmal nicht auch wieder Sprache?


@Maglor hat eine schöne Signatur:

אַ שפּראַך איז אַ דיאַלעקט מיט אַן אַרמיי און פֿלאָט
a schprach is a dialekt mit an armej un flot
Max Weinreich
Riothamus hat doch das schöne Beispiel des Niederfränkischen gebracht:

versteht ein Westfale auch einen Niederländer, der Niederfränkisch spricht.

Hier gibt es eine Karte mit den niederfränkischen Dialekten:

Niederrheinisch – Wikipedia

Warum bezeichnet man die nördliche Variante des nordniederfränkischen Dialekts als eigene "niederländische" Sprache? Weil es einen Staat Niederlande gibt, in dem dieser Dialekt die dominierende Amtssprache ist. Daneben gibt es noch Friesisch als regionale Amtssprache:
Westfriesische Sprache – Wikipedia

Gemäß der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen sind noch mehr Dialekte/Sprachen anerkannt: Full list

Dazu gehört das weit verbreitete Niedersächsische:
Niedersächsische Dialekte in den Niederlanden – Wikipedia

Und dazu gehört das südniederfränkische Limburgisch.
(Nicht zu den Regionalsprachen, aber zu den anerkannten Minderheitensprachen zählen Romani und Jiddisch.)



 
Wie kommst du zudem darauf, dass Sprache ein wichtiges Merkmal dafür sei? (Ja, ich weiß, ich hatte es auch formuliert, was aber geschah, um es nicht zu kompliziert zu machen.)

Es gibt Nationen mit mehreren Sprachen und Sprachen mit mehreren Nationen. Damit ist widerlegt, dass dies Kriterium zur Definition taugt.

Wie man das Phänomen der Abgrenzung menschlicher Gruppen definieren soll, wird immer noch diskutiert. Bisher gibt keine allgemein anerkannte Definition. Hinzu kommt, dass es historische Epochen gibt, in denen ausdrücklich von Völkern die Rede ist, wir aber nicht sagen können, wie die jeweilige Zeit dies genau definierte. Hierzu gehört schon das Mittelalter, wo zwar lateinische Ausdrücke übernommen wurden, wir aber nicht immer sagen können, welche Bedeutung damit verbunden war.

Die Minimaldefinition ist, dass eine Ethnie sich nach dem eigenen Selbstverständnis oder nach der Außensicht als Gruppe abgrenzen lässt. Wie dir sicher auffällt, wird hier kein Inhalt thematisiert. Es ist rein formal und damit für viele Fragen nicht befriedigend.

Wie ich schon geschrieben habe, wurde die Notwendigkeit gesehen eine Anzahl von Stämmen, die später als deutsch verstanden wurden, mit einer einheitlichen Bezeichnung zu versehen. Doch ist hier die Frage, ob dies negativ oder positiv geschah. Die Logik erklärt uns nun, dass nur positive Abgrenzungen zulässig sind. Wir wissen nun, dass die fragliche Abgrenzung am einen Ende negativ und am anderen positiv war. Irgendwo dazwischen hat es sich geändert. Anfang und Ende sind umstritten. (Siehe die erwähnte Diskussion, bei der thanepower und ich hier im Forum als Exponenten auftraten.) Ich sehe schon das Annolied als Zeugnis für das Ende. Auch über den Anfang lässt sich streiten, aber jenseits reiner Bezüge auf die Sprache mag hier meinetwegen Einhard genannt werden, der nicht nur die Sprache gegenüber stellte und später nationalistisch fehlinterpretiert wurde. Wer will kann auch das Auftreten der Begrifflichkeit 'theodiscus' (latinisiertes fränkisch), 'volkssprachig' (althochdeutsch: diutisc, woraus sich unser Wort deutsch entwickelte), als rein sprachliche Bezeichnung 786 in einem Bericht über eine Synode in England an den Papst als Anfangspunkt nehmen, bei dem ganz klar nicht von einer Ethnie die Rede ist. Mangels eindeutiger Quellen bleibt es Interpretation und Einschätzung. Es ist zwischen den zeitlichen Punkten, wie auch immer man sie wählt, unbekannt, ab wann von einer deutschen Ethnie geredet werden kann. Recht sicher ist aber, dass es um eine Entwicklung und nicht um einen Zeitpunkt geht. Daher ist sowieso von Entstehungsprozess und nicht von Geburt zu sprechen.

Es hängt also zunächst von dem gewählten Begriff aus dem Bereich Ethnie / Volk / Nation / etc. ab. Dann sind auch die Bezugspunkte nur durch Einschätzung zu wählen. Eine objektive Antwort gibt es also mit heutigen Begriffen nicht.

Und was die damaligen Begriffe angeht, sind diese nicht zufriedenstellend zu fassen. Sowohl was die Begriffe, als auch, was die Namen angeht. So lässt sich trefflich streiten ob mit 'teutonicus' und 'diutisc' dasselbe gemeint war. 'Teutonicus', Adjektiv zu den Teutonen, kann ob des bekannten 'theodiscus' im Ursprung einfach pejorativ sein, oder auf einer primitiven Etymologie aufgrund einer gewissen durch den Zusammenfall von 'eo' und 'eu' zu 'iu' im Althochdeutschen begründeten Ähnlichkeit der ersten Silbe zu 'diutisc' beruhen. Es kann aber auch eine unabhängige Bezeichnung sein, die zunächst evt. nur auf einen Teil der mit 'diutisc' bezeichneten Bevölkerung bezogen wurde. Als Wort lässt sich 'diutisc' erstmals in der Bibelübersetzung Wulfilas ('thiudisko') finden, wo es die heidnischen Völker im Gegensatz zu den gläubigen Juden bezeichnet. Im Sinne eines nicht pejorativen 'Barbaren' vielleicht. Aber letztendlich ist die ursprüngliche Bedeutung sowohl im Gotischen, als auch in den westgermanischen Sprachen unbekannt. Aber die Entwicklung zum Ethnonym nahm seinen Ausgangspunkt in der schlichten Bedeutung 'volkssprachig' für die westgermanischen Sprachen (einschließlich der nichtdeutschen Sprachen Englisch und Friesisch sowie des Altsächsischen, bei dem darüber diskutiert werden kann) im Gegensatz zum Lateinischen. Und in dieser Bedeutung ist das Wort erstmals 786 im Bericht zur Synode von Canterbury belegt, während es im Annolied der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts Franken, Bayern und Sachsen zusammenfasst. (Thüringen wurde damals oft zu Sachsen gerechnet und Schwaben sind nicht erwähnt.)

Und eine Quelle, der die zeitgenössische Bedeutung der beiden Namen sicher zu entnehmen ist, wirst du im 10. Jahrhundert (und nach meiner Auffassung bis zum Annolied) nicht finden. Ob es zur Zeit der Lechfeldschlacht ein Volk, eine Ethnie oder was auch immer der Deutschen gab, können wir nicht sagen. Weder, dass es es gab, noch, dass es es nicht gab. Deine Einschätzung musst du dir selbst bilden.
 
Zuletzt bearbeitet:
Im Text gab es eine Löschung. Es ist wieder eingefügt. Falls es schon einer gelesen hat, als Doppelpost, den ich später lösche.
 
Als Wort lässt sich 'diutisc' erstmals in der Bibelübersetzung Wulfilas ('thiudisko') finden, wo es die heidnischen Völker im Gegensatz zu den gläubigen Juden bezeichnet. Im Sinne eines nicht pejorativen 'Barbaren' vielleicht. Aber letztendlich ist die ursprüngliche Bedeutung sowohl im Gotischen, als auch in den westgermanischen Sprachen unbekannt. Aber die Entwicklung zum Ethnonym nahm seinen Ausgangspunkt in der schlichten Bedeutung 'volkssprachig' für die westgermanischen Sprachen (einschließlich der nichtdeutschen Sprachen Englisch und Friesisch sowie des Altsächsischen, bei dem darüber diskutiert werden kann) im Gegensatz zum Lateinischen.

Ähnlich wie bei der Parallelbildung höfisch - höflich, die ursprünglich mal dasselbe bedeuteten aber sich mit der Zeit bedeutungsdifferenziert haben hat sich þiudisko bzw. vielmehr seine westgermanischen Kognaten semantisch in deutsch und deutlich differenziert. Auch hier bedeutete beides ursprünglich dasselbe. Nur haben uns unsere östlichen Nachbarn das nicht geglaubt und nannten uns stattdessen die Stummen (Nijemci, Němec, die Ungarn haben das so übernommen (Német) und die Araber auf die Österreicher übertragen (namsi, wie Kara ben Nemsi).
Die gleiche Arroganz, die etymologisch in deutsch-deutlich steckt, gibt es nebenbei auch im Spanischen: Hablame en castellano/cristiano - sprich mit mir auf kastilisch/christlich.
 
Vielleicht sollte noch ergänzt werden, dass das 'th' im Gotischen und Fränkischen wie das englische t-h zu sprechen ist. Ich weiß nur nicht, wie ich die entsprechenden Zeichen in einen Post bekomme. Durch die 2. Lautverschiebung wandelte es sich im althochdeutschen (und in diesem Fall auch im altsächsischen) in ein 'd'. Das 'theodiscus' von 786 ist also vor, bzw. besser während Entstehung der deutschen Sprache geprägt worden und zeigt den älteren Lautstand. (Die Lautverschiebung erstreckte sich über mehrere Jahrhunderte. Die Verschiebung von 'th' zu 'd' fand im 9. oder 10. Jahrhundert statt. Da muss schon von Althochdeutsch gesprochen werden.)
 
Heinrich Heine spielt in seinem werk Deutschland ein Wintermärchen in Caput 11 ironisch auf die Bedeutung der Varusschlacht ein:

Das ist der Teutoburger Wald,
Den Tacitus beschrieben
Das ist der klassische Morast, wo Varus stecken geblieben.
Hier schlug ihn der Cheruskerfürst, der Herrmann der edle Recke.
Die deutsche Nationalität, sie siegte in diesem Drecke.
Wenn Herrmann nicht die Schlacht gewann, mit seinen blonden Horden,
So gäb es die deutsche Freiheit nicht mehr, wir wären römisch geworden.
In unserem Vaterland herrschten nur römische Sprache und Sitten.
Vestalinnen gäb es in München sogar, die Schwaben sie hießen Quiriten.
Der Hengstenberg wäre ein Haruspex und grübeltte über den Gedärmen von Ochsen.
.Birch- Pfeiffer söffe Terpentin, wie einst Roms galante Damen,
Man sagt, dass sie damit den Urin besonders wohlriechend bekamen.
Der Raumer wäre kein deutscher Lump, er wäre ein römischer Lumpartius.
In Reimen dichtete Freiligrath wie einst Flaccus Horatius.
Der grobe Bettler Vater Jahn, er hieße jetzt Grobianus.
Mehercle Maßmann spräche Latein, der Marcus Tullius Maßmannus!
...Wir hätten einen Nero jetzt, statt Landesväter drei Dutzend.
Wir schnitten uns die Adern auf, den Schergen der Knechtschaft trutzend.
Gottlob der Herrmann gewann die Schlacht, Die Römer wurden vertrieben,
Varus mit seinen Legionen erlag und wir sind Deutsche geblieben.
Wir blieben deutsch, wir sprechen Deutsch. Wie wir´s gesprochen haben.
Der Esel heißt Esel und nicht Asinus.
Die Schwaben blieben Schwaben.
Der Raumer blieb ein deutscher Lump und kriegt den Adlerorden.
In Reimen dichtet Freiligrath- ist kein Horaz geworden.
Gottlob, der Maßmann spricht kein Latein.
Birch-Pfeiffer schreibt nur Dramen
und säuft nicht schnöden Terpentin,
wie Roms galante Damen.
Oh, Herrmann, dir verdanken wir das.
Drum wird dir, wie es sich gebühret,
zu Detmold ein Denkmal gesetzt, hab selber subskribieret.
 
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