Bears, Merril Lynch, Lehman, FaNnyMAe &Co.

silesia

Moderator
Teammitglied
Ist das denn schon Geschichte?

Natürlich ist es individuell verschieden, was man schon zur Geschichte zählt und noch zur Politik. Aber hier wird doch noch immer um die politischen Folgen gerungen, dass Kapitel ist von der Tagespolitik noch lange nicht abgeschlossen.

Dass es neben der Vergangenheit auch auf den individuellen Bezug und die unmittelbare Bedeutung für aktuelle Handlungen ankommt, ob etwas schon Geschichte ist, ist ja eigentlich nicht umstritten, wobei für die Zeit, die noch von der Involviertheit der Historiker betroffen ist, ja eigentlich die Zeitgeschichte besondere Methoden bereithalten sollte.

Aber auch da gibt es eine Grenze. Politik und Wirtschaft sind immer noch mit den unmittelbaren Folgen beschäftigt und es wird immer noch um die Konsequenzen gerungen. Für mich gehört es zur aktuellen Politik, nicht zum politischen Hintergrundrauschen. Zur Tagespolitik ist es wohl nicht mehr zu rechnen, da es ein länger andauerndes Thema ist, spielt aber ab und an natürlich noch hinein.

Wie seht ihr das? Wo zieht ihr diese Grenzen?
 
Diese Diskussion wäre sicherlich nicht im Interesse von Silesia für diesen Thread und kann wohl ausgelagert werden.

Ein Ereignis kann historisierend in seinen Voraussetzungen und seinem Verlauf betrachtet werden. Und das gleiche Ereignis kann immanent in Bezug auf seine zukünftigen Wirkungen betrachtet werden.

Im ersten Fall sind es idealtypisch eher die Historiker, die sich damit befassen und im zweiten Fall eher die Ökonomen, die Politologien oder die Soziologen.

Man wird sich vermutlich schwer tun, eine klare Zeitangabe vorzunehmen. In diesem Sinne ist die abgelaufene Amtszeit von Obama "Zeitgeschichte" und wird historisierend betrachtet. Obwohl ja noch relativ nahe dran. Gleichzeitig lassen sich natürlich einzelne Aspekte seiner Politik herausnehmen, die och heute eine Relevanz haben und somit gehört seine Agenda auch zur aktuellen Agenda.

Und pragmatisch kommt natürlich für das Forum hinzu, welcher Form der Instrumentalisierung ein Thema unterliegt. Eine wissenschaftsimmanente Diskussion ist sicherlich weniger problematisch wie ein Versuch, zeitnahe oder aktuelle Ereignisse zu diskutieren und sie mit eigenen ideologischen Vorstellungen massiv aufzuladen.

In diesem Sinne glaube ich, je sachlicher ein zeitgeschichtliches Thema diskutiert wird, desto höher ist die Toleranzschwelle der Moderation, ein Thema als "historisch" zu betrachten. Das wäre so mein Eindruck zur Grauzone, wann ein "historischer Narrativ" bereits vorliegt und wann daraus ein "aktuelles Thema" wird.
 
An die Forenregeln dachte ich hier im Grunde nicht, sondern an methodische Fragen und Abgrenzung. Also an die Aspekte, die die Geschichtswissenschaft betreffen.
 
Wenn Riothamus den Schwerpunkt oben betrachtet, geht es um die Entwicklung hin zur Krise 2007/08, mit den Ursachenanalysen bewegt man sich - empirisch - im Zeitraum 70er bis 2005/06.
Wirtschaftshistoriker und Makroökonomen (mit ihren empirischen Themen) sind da etwas weniger zimperlich (und wie thanepower beschrieben hat, sachlich eher am Ball) als sonstige Hsitoriker.

Da die Kontroversen um politische Folgerungen (siehe heute etwa in SPON) nicht abgeschlossen sind, ist dieser Teilaspekt natürlich kein Thema. Aber die waren oben auch nicht resp. in den Publikationen nur randweise angesprochen.

Damit noch einmal zurück zur Analyse, soweit die ebenfalls bereits "Geschichte" geworden ist.

Zwei bemerkenswerte und wichtige Analysen:

1. der Inquiry Report (hier als Beispiel der download von Stanford University)
Get the Report : Financial Crisis Inquiry Commission

2. der "Valukas-Report", Gutachen der Insolvenzverwaltung zur Insolvenz von Lehman (Chapter 11):
Lehman Brothers Holdings Inc. Chapter 11 Proceedings Examiner's Report
 
Anscheinend habe ich mich nicht verständlich ausgedrückt:

Um die Forenregeln ging es mir in meinem Post und mit meinen Fragen nicht.

Es ging mir um für die Methoden wichtige Abgrenzungsprobleme. So etwas diskutiert sich eben besser an einem Beispiel.

(Verfasst nach Post #5)
 
Es gibt doch satt Expertendarstellungen und makroökonomische Analysen zur Wirtschaftshistorie bis hin zur Krise 2007/08.

Vielleicht kannst Du mal an einem Beispiel deutlich machen, und das Abstrakte verlassen, wo Du da - aus der Geschichtswissenschaft kommend - ein Methodenproblem und Abgrenzungsbedarf siehst? Sonst kreist das hier nur weiter ums "Meta".
 
Ich glaube, wir reden gerade aneinander vorbei. Ich versuche mich morgen nochmal anders auszudrücken, heute bin ich irgendwie auf meine bisherigen Formulierungen fixiert.
 
In der Zwischenzeit eine nette Zusammenstellung: The Dominoes Fall: A Timeline of the Squeeze and Crash ...

Recht frühzeitig vom AJoM kreiert. Alles Wesentliche ist erfasst. Das Durchfliegen macht einen Hauch von Schnappatmung erfahrbar, ohne eine Notbremse.

"Mir wird von alledem so dumm als ging mir ein Mühlrad im Kopf herum"

Aus Deiner Quelle: "The spread between high-yield commercial paper and U.S. Treasuries exceeds 700 bp."
Ich kapier überhaupt nicht was der Satz bedeutet. Was ist ein "bp" und wie bemisst das Ding einen "spread" und was ist das wieder?
 
US Treasuries = US Staatsanleihen
High-Yields = hochverzinsliche (Wertpapiere)
Commercial Papers = verbriefte Forderungen gegen Unternehmen, zB Industrieanleihen, Bankanleihen, Fonds (mit entsprechenden Portfolios)

Spread = Zinsdifferenz zwischen zwei Anlageklassen oder unterschiedlichen Wertpapieren
bp = Basispunkte, die Zinsdifferenzen werden marktüblich in Zehnteln gemessen, also 10 bp = 0,1 % Zinsaufschlag. 700 bp bedeuten 7% (als Aufschlag ggü Staatsanleihen für das Ausfallrisiko)

Die Basis sind hier (als quasi-risikolos angesehene) Staatsanleihen (dass es anders kommen kann, zeigt die Euro-Staatsschuldenkrise) . Der spread als Aufschlag repräsentiert ein Risikobündel, etwa Ausfallrisiken, Währungsrisiken, Zinsänderungsrisiken.

Du sprichst mit den beobachteten spreads am Markt den Kern des Problems an.

Der breit akzeptierte Hintergrund der Krise ist ein Heißlaufen (und Absturz) des US-Immobilienmarktes, bei dem die besagten Fanny Mae und Freddy Mac als staatlich bezuschusste Immobilienfinanzierer (aber nicht mit Staatsgarantien versehen) im peak rd 5000 Milliarden (rd. 40% Marktanteil der insgesamt knapp 12 Billionen) auf ihrer Rechnungslegung hatten, davon rd. 800 Mrd. in Aktiva (Ford. aus grundbuchlich gesicherten Immo-krediten), den Rest in strukturierten Papieren "weitergereicht" (hauptsächlich in MBS=mortgage-backed-securities, einer Klasse von ABS), und zT weiter "im Risiko".

Diese Papiere bedienten im großen Umfang niedrige Bonitäten, mit hiesigen Verhältnissen ist das weder damals noch heute vergleichbar. Die Bedienung der Hausfinanzierungen bei relativ geringem Einkommen, schlechter Bonität, geringstem Eigenkapital war politisch gewollt. So reichten bei den US-mortgages zB 3% Tilgung über 10-15 Jahre (quasi "nix"), Monatliche Tilgungsbelastungen von nahezu 50% des Einkommens, kein Eigenkapital (dies wurde über staatliche Ausfallversicherungen abgedeckt). Um kreditwürdig zu sein, reichten 12 Monate ordentlicher sonstiger Ratenzahlungen. Bei der Klasse Alt-A war überhaupt kein Einkommensnachweis notwendig.

Aus der konzentriert betriebenen Verbriefung solcher Papieren (zB in Portfolios von ein paar zehn Millionen) entstand der "Subprime"-Markt, der dann massiv nach einer Preisspitze bei Immobilien einbrach, und zu Abschreibungen in den Bilanzen von Investmentbanken von zT zweistelligen Mrd.beträgen in einem Quartal führten, das wiederum rund um den Globus, aber im Schwerpunkt in den USA. Rund 5% aller Banken gingen in die Insolvenz oder wurden Gegenstand staatlich subventionierter Übernahmen (mit Garantien für die Ausfallrisiken). Abgeschrieben wurden nicht nur Subprime-Papiere, sondern die Verluste wälzten sich durch gehandelte Ausfallversicherungen weiter (s.g. CDS=credit-default-swaps, weiter verkaufte und vom Stammpapier abgetrennte Ausfallrisiken, für die dann Swapsätze, im Prinzip der Risikospread bezahlt werden).

Die Geschichte von Fanny Mae, Freddie Mac und Co. ist ein eigenes Kapitel.

Das ist vereinfacht die oben angesprochene Kettenreaktion.
 
Ich glaube, wir reden gerade aneinander vorbei. Ich versuche mich morgen nochmal anders auszudrücken, heute bin ich irgendwie auf meine bisherigen Formulierungen fixiert.
Gibt es ein Ergebnis?

Mich würde weiter interessieren, wo Du da geschichtswissenschaftlich-methodische Probleme in Abgrenzung zur beschriebenen Wirtschaftsgeschichte siehst. Quellen? Big-Data-Analysen? Statistische Interpretationen?
 
Ein neues Paper zu einem alten Thema der Ursachenforschung, einmal abseits von reinen Modell-Analysen zu ABS&CDO‘s:

Ten Years of Evidence: Was Fraud a Force in the Financial Crisis? by John M. Griffin :: SSRN
Universität Austin/Texas

Der Artikel zieht eine Bilanz aus zehn Jahren akademischer Forschung, indem er die breite Literatur über die verschiedenen Akteure der RMBS-Verbriefung im Zentrum der US-amerikanischen Immobilien- und Finanzkrise zusammenfasst.

Underwriting-Banken erleichterten einen breit angelegten Hypothekenbetrug, indem sie wissentlich wichtige Kreditmerkmale, die hypothekenbesicherten Wertpapieren zugrunde liegen, falsch berichteten. Im Zuge der Komplexität versorgten die Ratingagenturen die Investmentbanken, indem sie zunehmend aufgeblähte Ratings sowohl für RMBS als auch für CDOs abgaben. Emittenten, die im Hypothekenbetrug verwickelt waren, gewannen Marktanteile, ebenso wie CDO-Manager, die sich an Underwriter wandten, indem sie die qualitativ niedrigsten MBS-Sicherheiten akzeptierten.

Appraisal-Targeting und übertriebene Appraisals waren die Regel. RMBS- und CDO-Preise deuten darauf hin, dass der finale AAA-Investor nichts von allgegenwärtigem Hypothekenbetrug und Ratinginflation wusste, aber diese Faktoren standen in engem Zusammenhang mit der zukünftigen Geschäftsentwicklung.

Die Bereitstellung von betrügerischen Krediten erfolgte nicht homogen, sondern gruppiert in bestimmten geografischen Regionen und Postleitzahlen. Da diese zweifelhaften Urheber Kredite an diejenigen vergaben, die sich die Kredite nicht leisten konnten, führte die Kreditausweitung zu Hauspreisbooms und anschließenden Abstürzen in diesen Postleitzahlen. Insgesamt gibt es stichhaltige Hinweise darauf, dass Interessenkonflikte, Falschmeldungen und Betrug im Mittelpunkt der Finanzkrise standen.


Schon nach 10 Jahren (2018) ist die Krise doch recht weit in den Hintergrund und aus der öffentlichen Wahrnehmung gerückt.

ABS Asset Backed Securities- forderungsbesicherte Wertpapiere
CDO Collateralized Debt Obligation - Bezugsrechte auf Zahlungsströme aus Wertpapier-Portfolios
MBS Hypothekenbesicherte Wertpapiere (RMBS: R: residential/Bezug: Wohnimmobilien)
Appraisal targeting - Bewertungs(Rating-)manipulationen
AAA-Investor - die Anleger mit dem Ziel, die Zahlungsströme aus den besten Ratings der RMBS-CDOs zu erwerben.
 
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