Bissige Ponys

Neddy

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Nun ist mir schon im zweiten Römerroman - diesmal in Adrian Goldsworthys "Vindolanda" - die Behauptung untergekommen, dass römische Militärpferde dazu ausgebildet gewesen seien, gegnerische Fußgänger ins Gesicht zu beißen.

Nun weiß ich, dass Pferde sich im täglichen Miteinander durchaus und nicht selten gegenseitig beißen. Und dies auch so, dass auch bei diesen dickfelligen Zeitgenossen Blut fließt und ordentliche Löcher im Fell zurückbleiben. Einem Pferd aber beizubringen, Menschen ins Gesicht zu beißen und dann auch noch die richtigen, scheint mir doch eine zeitraubende Angelegenheit zu sein und durchaus auch riskant.
Mich würde interessieren, wie lange das gedauert hat, ob das eine Standardfähigkeit der Reitereipferde war, oder nur ein Friedensfeature von Eliteeinheiten (oder Lehralen), die Zeit und Muße hatten, einigen entsprechend kooperativen Ponys so etwas beizubringen.

Bevor ich nun den Autoren selbst fragen muss: Ist jemandem in diesem Kreise eine entsprechende Quelle aus der Antike, ggf. auch aus anderen Zeitperioden, bekannt, die sich hierzu äußert? Ich kann mich nicht erinnern, bei Junkelmann oder Goldsworthys eigenem "The Complete Roman Army" etwas derartiges gelesen zu haben. Auch aus anderen entsprechenden Perioden ist mir nichts dergleichen bekannt. Und obwohl praktisch die gesamte Hohe Schule über der Erde (insbesondere Levade und Kapriole) aus dem Nahkampf zu Pferde stammen, wüsste ich nicht, dass in der Wiener Hofreitschule oder im Cadre Noir Pferde irgendwohin beißen. Anyone?
 
Mir ist so etwas auch noch nie zu Ohren oder Augen gekommen. Welches wäre denn der erste Roman, wo du das gelesen hast und kann es sein, dass Goldsworthy - ist das ein Künstlername?! Der Name ist ja schon irgendwie genial! - das aus dem ersten Roman entlehnt hat? Ich habe gerade heute ein Interview mit der Autorin Susanne Röckel im Radio (WDR5) gehört, wo die Moderatorin gegenüber Susanne Röckel bekannte, dass eine Stelle in ihrem für den Dt. Buchpreis designierten Buch Der Vogelgott sie sehr an H. P. Lovecraft erinnerte, woraufhin Röckel offen zugab, dass sie, als sie ihren Roman verfasste, Lovecraft gelesen habe und das "bestimmt Spuren davon [von Lovecroft in ihrem Roman] drin" seinen, "hundertprozentig".
 
Scheint sich nicht um einen Künstlernamen zu handeln: https://de.wikipedia.org/wiki/Adrian_Goldsworthy
(Aber in einer Zunft, in der auch ein Harry Sidebottom schreibt und Romanprotagonisten "Hornbläser" und "Trinkwasser" heißen - Engländer...)

Wenn ich mich recht entsinne, hat sich die schonvielzulangehiernichtmehrschreibende @Eichelhäher für "Darkness over Cannae" u. a. auf seine Veröffentlichungen abgestützt. Ich selbst habe "The Complete Roman Army" mit Gewinn gelesen. G. scheint - soweit ich das beurteilen kann - zu wissen, was er tut.

Das erste mal ist mir das Thema mit den Ponys in Douglas Jacksons "Hero of Rome"-Reihe untergekommen. Ich meine das war in "Defender of Rome".
Hier wird Reiterei zum Riot-Control eingesetzt und die sprichwörtlichen Schüsse fallen, weil niemand den Ponys gesagt hat, dass es sich bei den Leuten vor ihrer Nase um "demonstrierende" römische Bürger handelt und nicht um irgendwelche zu beissenden Barbaren.
Allerdings hatte ich hier das Thema nur verblüfft abgespeichert, aber noch nicht ganz ernst genommen - war ja nur ein Roman.

Mit der Erwähnung durch Goldsworthy bekam das nun für mich nun aber eine andere und deutlich wissenschaftlichere Qualität. Daher wollte ich das nun doch einmal klären. Wäre natürlich witzig, wenn der Romanautor mit wissenschaftlichem Hintergrund dem Romanautoren aufgesessen wäre. Jackson war auf jeden Fall mit seinem "Biss zum Jochbein" zuerst da.
 
Kaum vorstellbar, dass man das Fluchttier Pferd zu derartigen Verhalten abrichten kann. Wenn das Erfolg versprechen würde, hätte man das doch auch in späteren Jahrhunderten Kriegspferde zum vernichten oder absichtlichen verletzen von Gegnern verwendet.
 
Kaum vorstellbar, dass man das Fluchttier Pferd zu derartigen Verhalten abrichten kann. Wenn das Erfolg versprechen würde, hätte man das doch auch in späteren Jahrhunderten Kriegspferde zum vernichten oder absichtlichen verletzen von Gegnern verwendet.

Es gehört aber zum normalen Verhalten von Pferdeartigen, zu beißen und auszuschlagen. In zoologischen Gärten können Tierpfleger ein Lied davon singen, Verletzungen durch Zebras sind weitaus häufiger, als durch Raubtiere wie Bären, Großkatzen, Echsen etc., und diese Bisse können zu erheblichen Verletzungen führen.
Der Autor und leidenschaftliche Jäger Robert Ruark berichtet eine anekdotische Episode, bei der er selbst und sein Jäger Harry Shelby bei einer Safari beinahe von einem verwundeten Zebrahengst mit Bissen und Tritten sehr ernst attackiert und beinahe getötet wurden bei einer Safari in Britisch-Ostafrika.
Einer der Lusitano-Hengste eines bekannten Rejoneadors (berittenen Stierkämpfers), ich erinnere mich momentan nicht genau, ob es sich um Juan Pablo Hermoso de Mendoza oder den Portugiesen Diego Ventura handelt, ist bekannt dafür geworden, dass er immer wieder den Stier mit Bissen attackiert.

Ausgebildete Kriegs- oder auch Polizeipferde, sind nicht bloß Kampfplattformen, sondern auch ernstzunehmende Kombattanden. Ich habe selbst mal gesehen, wie zwei Polizeipferde im alten Stuttgarter Neckarstadion eine ganze Traube von Hooligans in Schach gehalten und zersprengt haben und die Hooligans bis auf die Zuschauertribüne verfolgt haben.

Es braucht sicher viel Zeit und Geduld, ein "Fluchttier" darauf zu dressieren, Stiere, Großkatzen oder auch bewaffnete Menschen zu attackieren, es ist aber möglich, und es wurden/werden
Kriegspferde und Jagdpferde darauf geschult, aktiv ins Kampfgeschehen einzugreifen. Besonders Hengste eignen sich wegen ihrer Kraft und ihres Selbstbewusstseins gut dafür, zumal Bisse und Huftritte auszuteilen zum natürlichen Verhalten von Pferden gehört.
In vielen Kulturen wurden als Kriegspferde/Streitrösser ausschließlich Hengste verwendet.

Xenophon schrieb ein Buch über die Pferdedressur, dessen Beobachtungen und Schlussfolgerungen in vielen Punkten heute noch gültig sind. Er riet dazu, geduldig mit Pferden zu sein, niemals Gewalt anzuwenden und sie behutsam an Lärm, bewaffnete Männer, Feuer Gefahren zu gewöhnen. Ein Pferd, das sorgfältig ausgebildet ist und seinem Reiter vertraut, kann ihn sehr wirkungsvoll im Melleé unterstützen.
Caesar berichtet, dass die gallischen Adeligen anscheinend nicht ganz mit den Leistungen ihrer heimischen Pferde zufrieden waren und gerne die größeren Vollblüter aus römisch/hellenistischen Zuchten einkreuzten.

Die Pferde der Römer stammten vor allem aus Sizilien, Thessalien, Kappadokien, Nordafrika und der iberischen Halbinsel. Berber, Andalusier (Pura Raza Espaniol), Lusitanos, Achal Tekkiner
sind sehr alte Rassen, ähnliche wurden schon in der Antike verwendet, sie waren etwas kleiner, als heute. Die Araber waren in der frühen Kaiserzeit noch mit Kamelen beritten, erst in der Spätantike griffen sie auf Zuchtstämme aus römischer, persischer und ägyptischer Zucht zurück. Im 18. Jahrhundert veredelten vor allem Briten viele Pferderassen mit Araberhengsten.

Im berittenen Stierkampf werden heute noch fast ausschließlich Lusitanos und Kreuzungen von Lusitano-Arabern, Andalusiern und Anglo Arabern eingesetzt, weil sie sehr mutig und intelligent sind.

Ich habe in antiker Literatur bisher noch nicht gelesen, dass man Kavalleriepferde gezielt zum beißen abgerichtet hat. Dass aber Pferde, vor allem Hengste sehr aktiv den Reiter im Nahkampf unterstützen können, ist naheliegend, zumal es ein natürliches Verhalten ist.

Ich habe selbst erlebt, dass ein Hannoveraner (Wallach), einen Reitlehrer durch einen Biss in den Oberarm schwer verletzt hat. Der Gaul, wir nannten ihn den "rasenden Roland" hat eine ganze Reihe von Reitern abgeworfen, getreten und gebissen. Heute würde es jedem vernünftigen Menschen eiskalt den Rücken herunterlaufen, ein so mißratenes Pferd auf Anfänger loszulassen. In den 1970er Jahren gab es aber noch Reitlehrer alter Schule, die so ging die Sage, bei von Pannwitz Kosaken den letzten Schliff bekamen. Die waren anscheinend der Meinung, dass man ohne Huftritte Blessuren, halsbrecherische Stürze nicht reiten lernt. So kritikwürdig das auch sein mochte und sicher war, hatten diese alten Knochen aber auch ein phänomenales Einfühlungsvermögen und einen Erfahrungsschatz buchstäblich aus einem anderen Jahrhundert. Einer von diesen alten Recken der noch mit über 80 ritt und höher springen konnte, als meine Courage jemals reichen wird, hat sich extra einen meterlangen Kochlöffel anfertigen lassen und damit dem rasenden Roland, als er ihn beißen wollte, Wagenschmiere verabreicht. Der Gaul hat niemals wieder einen gebissen.

Der langen Rede kurzer Sinn: Ein Gaul mag ein Fluchttier sein, ich wollte trotzdem von keinem gebissen werden. Die Biester können einen durch Bisse fast so übel zurichten wie ein Pitbull. Mir erscheint das durchaus einleuchtend, dass man Pferden, die gezielt für den Kampf ausgebildet wurden, so etwas beibrachte, bzw. gar nicht erst abgewöhnte, zumal es zu ihrem natürlichen Verhalten gehört
 
@Scorpio, dass Pferde in bestimmten Situationen zubeißen und das auch heftig tun ist unbestritten. Dass man sie aber zu diesem Verhalten dressierem kann, halte ich für weniger glaubhaft. Besonders dass sie Freund und Feind dabei unterscheiden ist unwahrscheinlich. Die meisten Unfälle in Zirkussen waren Bisse von Kamelhengsten, bei denen mancher Dompteur Finger einbüßte. Trotzdem habe ich noch nichts davon gehört, dass dieses Verhalten bewusst von Kriegern genutzt wurde. Wäre auch wenig effektiv, weil Kamele nicht auf bestimmte Personen fixierbar sind. Zebras sind wegen ihres bissigen Verhaltens nie zu echten Reittieren geworden und sind auch nur schlecht dressierbar.
Dein Beispiel mit dem Stierkampf nutzt ein natürliches Verhalten von Stieren, die von der Herde getrennt werden. Die müssen nicht dazu abgerichtet werden, sondern leben bis zum Kampftag fast wild in ihren Herden und werden durch die Umstände in der Arena, wie Menschenlärm, eine ihm vollkommen unbekannte Umgebung, Abwesenheit von Artgenossen und letztendlich die Quälerei mit den Spießen zur Raserei gebracht.
 
Es war ja nicht der Stier, der zubiss, sondern das Pferd, der Rejoneo bzw. die Corrida de Rejones ist eine Variante des Stierkampfs, bei der der Matador reitet. Das ist die traditionelle Form des Stierkamps, bevor die nichtadeligen mozos den Stierkampf zu Fuß entwickelten und die Reiter (in Form der picadores) an den Rand drängten.
 
@Scorpio, dass Pferde in bestimmten Situationen zubeißen und das auch heftig tun ist unbestritten. Dass man sie aber zu diesem Verhalten dressierem kann, halte ich für weniger glaubhaft. Besonders dass sie Freund und Feind dabei unterscheiden ist unwahrscheinlich. Die meisten Unfälle in Zirkussen waren Bisse von Kamelhengsten, bei denen mancher Dompteur Finger einbüßte. Trotzdem habe ich noch nichts davon gehört, dass dieses Verhalten bewusst von Kriegern genutzt wurde. Wäre auch wenig effektiv, weil Kamele nicht auf bestimmte Personen fixierbar sind. Zebras sind wegen ihres bissigen Verhaltens nie zu echten Reittieren geworden und sind auch nur schlecht dressierbar.
Dein Beispiel mit dem Stierkampf nutzt ein natürliches Verhalten von Stieren, die von der Herde getrennt werden. Die müssen nicht dazu abgerichtet werden, sondern leben bis zum Kampftag fast wild in ihren Herden und werden durch die Umstände in der Arena, wie Menschenlärm, eine ihm vollkommen unbekannte Umgebung, Abwesenheit von Artgenossen und letztendlich die Quälerei mit den Spießen zur Raserei gebracht.

Der Stier braucht keine Ausbildung, es basiert der Stierkampf zu Fuß sogar darauf, dass es die erste Begegnung eines Stiers mit einem mit der Capote oder Muleta bewaffneten Menschen ist. Ein Stier lernt im Verlauf des Kampfes, ein Stier, der bereits Erfahrungen mit Capes gesammelt hat, wäre für einen brillianten Kampf untauglich, er würde nicht das Tuch, sondern den Kämpfer versuchen zu attackieren.

Ein Pferd, und ich spreche von Vollblutpferden für das Rejoneo, nicht von den Kleppern der Picadores benötigt eine sorgfältige Ausbildung. Ein Pferd für den Stierkampf zu Pferd muss nervenstark, mutig und gehorsam sein. Die Pferde werden trainiert, den Stier beim plazieren der Banderillas durch Körperbewegungen zu täuschen. Es erfordert das Rejoneo große Geschicklichkeit von Reiter und Pferd, wobei das Pferd das weitaus größere Risiko trägt. Vor einigen Jahren wurde der Hengst Pata negra des Rejoneadors Juan Pablo Hermoso de Mendoza beim plazieren der Banderillas verletzt und niedergeworfen von einem Stier.

Einem Pferd das beißen beizubringen, wäre nicht schwer. Pferde lernen rasch. Durch Belohnungen und Wiederholungen der Lektion lässt sich ein Pferd relativ leicht "präparieren". Heute kann ich es ja zugeben: Eine Freundin und ich haben uns mal einen Jux daraus gemacht, ein Pferd dazu zu bringen, sich zu wälzen. Das Tier gehörte einem furchtbar verwöhnten, hochnäsigen Mädchen. Die war eine miserable Reiterin und sich zu schade, den Gaul auch nur zu striegeln. Die hatte das Pferd, ein wunderbare Stute zum Geburtstag geschenkt bekommen, kümmerte sich aber überhaupt nicht darum und behandelte uns wie ihre Domestiken.
Sie kam auch bei dem Streich nicht zu Schaden, es dauerte aber, dem Gaul das wieder abzugewöhnen.

Ein Pferd dazu zu bringen, zu beißen, wäre nicht übermäßig schwierig, und wenn der Reiter oder die Reiterin eine persönliche Beziehung zum Reittier hat, wäre auch die Gefahr gering, dass es ihn/sie beißt. Die Frage ist, ob das so effektiv wäre. Beim Biss müsste das Pferd den Kopf nach vorne strecken und wäre verwundbarer, könnte leichter in den Kopf oder Hals gestochen werden. Veteranen der napoleonischen Kriege sagten, wenn man mit Bajonett oder Pike gegen Kavallerie kämpft, müsste man das Pferd in den Kopf stechen, da es dann vorne hochgeht und den Reiter zu Fall bringt. Werden Pferde in die Brust gestochen, werden sie nur aggressiver.
So behaupteten jedenfalls Veteranen nach Austerlitz, die bei der Schlacht an den Pyramiden diese Erfahrung gewonnen hatten.
Im Nahkampf zwischen Reitern neigen Hengste ohnehin zum beißen, auch ohne dass man es ihnen einbläut. Allerdings beißen sie dann wohl eher gegnerische Pferde, statt gegnerische Reiter. Ein gut ausgebildetes Pferd ist weit mehr, als nur eine Kampfplattform und kann den Reiter wirksam unterstützen.
Noch einmal: ganz abwegig erscheint mir die These nicht, ob es aber tatsächlich praktiziert wurde, alle Kavalleriepferde darauf zu trainieren, wage ich zu bezweifeln, da die Kopfhaltung ein Pferd beim Biss stark exponiert. effektiver wäre das Schlagen mit den Vorderhufen aus einer Levade oder Courbette heraus.
 
Es war ja nicht der Stier, der zubiss, sondern das Pferd, der Rejoneo bzw. die Corrida de Rejones ist eine Variante des Stierkampfs, bei der der Matador reitet.
Stimmt, ein beißendes Pferd bedeutet aber nicht, dass es so abgerichtet wurde, sondern dass es sich gegen einen angreifenden Stier mit Bissen zur Wehr gesetzt hat.
 
Stimmt, ein beißendes Pferd bedeutet aber nicht, dass es so abgerichtet wurde, sondern dass es sich gegen einen angreifenden Stier mit Bissen zur Wehr gesetzt hat.

Sicher nicht, und üblicherweise ist das ja auch nicht unbedingt ein erwünschtes Verhalten von trainierten Pferden fürs
Rejoneo tun das nicht, aber und darauf wollte ich hinaus es handelt sich beim beißen
um ein natürliches Verhalten von Hengsten in Rivalenkämpfen, und es wäre nicht schwer, ein Pferd gezielt dazu abzurichten, es zu tun. Ob das unbedingt zweckmäßig im Reiterkampf gewesen wäre und ob man Pferde
tatsächlich dazu trainiert hat, ist fraglich. technisch möglich wäre es sicher gewesen.
 
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