Mir erscheint es sinnvoll, dem Thema Saint-Just mit all seinen Aspekten einen eigenen Thread zu widmen. Immerhin ist dieser junge Mann, der schon mit 27 starb und dessen politische Karriere gerade mal 22 Monate andauerte, die vielleicht schillerndste Figur der Französischen Revolution. Wäre er seiner Hinrichtung entgangen, hätte aus ihm vielleicht der neue Leader Frankreichs werden können, anstelle von Napoleon.
Saint-Just machte sich in verschiedenen Bereichen einen Namen: Er war Mitautor der Französischen Verfassung von 1793, wobei das Ausmaß seines Beitrags umstritten ist; er war der Haupttheoretiker eines nie realisierten staatlichen Erziehungsprogramms; er war aktiver militärischer Entscheidungsträger in einer wichtigen Schlacht; generell gehörte er zu den energischsten Verfechtern eines radikalen revolutionären Programms, das die "wahre Tugend" (siehe unten letzter Absatz) auch um den Preis von Menschenleben, und das nicht zu knapp, in die Praxis umsetzen wollte. Das Terrorregime Mitte 1793 bis Mitte 1794 hat nach den offiziellen Zahlen aus Gerichtsunterlagen über 16.000 Menschen das Leben gekostet, und weitere ca. 40.000 Opfer gefordert, die ohne Prozess getötet wurden oder im Gefängnis starben.
Was den ökonomischen Aspekt von Saint-Justs Erziehungsprogramm betrifft, muss ich meine Darstellung im Fragen-und-Antwort-Thread ergänzen: Zwischen den militärischen Phasen "Ausbildung" und "Dienst" liegt zwischen dem 17. und dem 21. Lebensjahr eine 4-jährige Phase der ökonomischen Ausbildung in der Landwirtschaft und im Handwerk, womit die Lücke, die Brissotin moniert hat, gefüllt ist. Das blieb aber alles nur Theorie, die niemals praktisch umgesetzt wurde, zumal sie in der Nationalversammlung gar nicht zur Abstimmung kam. Ein anderes ähnlich rigides Eziehungsprogramm, das des Jakobiners Felix Le Peletier, das den Frauen, ganz anders als bei Saint-Just, nicht weniger Chancen als den Männern einräumte, wurde 1793, nach Le Peletiers Ermordung durch einen Royalisten, von Robespierre in der Nationalversammlung zur Abstimmung gestellt, erlitt wegen seiner Strenge aber eine Abfuhr. Schließlich erhielt Ende 1793 Gabriel Bouquiers relativ liberales Erziehungsprogramm den Zuschlag.
Was die Frauenfrage angeht, war Saint-Just, wie oben angedeutet, entsprechend den jakobinischen Idealen extrem konservativ: Eine Ausbildung für Frauen nach einem Alter von 6 Jahren ist in seinem Programm nicht vorgesehen, da ihr Platz zuhause bei ihren Müttern ist, bis sie heiraten und bei ihrem Gatten wohnen. Einzig in der Frage der Partnerwahl hatte Saint-Just frauenbezogen die damals sehr moderne Auffassung, dass eine Heirat auch für Frauen auf Liebe zu ihrem Partner beruhen sollte, statt ihnen aus ökonomischen Motiven von den Eltern aufgezwungen zu sein. Saint-Just hatte diese Idee, wie auch viele seiner politischen Ideen, von Rousseau übernommen, der sie in seinem Roman "Julie oder Die neue Heloise" von 1761 propagiert. Wie ich an anderer Stelle schon schrieb, war Rousseaus Roman stark von Samuel Richardsons Bestseller "Pamela, or Virtue Rewarded" von 1740 beeinflusst, auch in besagter Frage, ob eine Ehe auf Pflicht oder Liebe beruhen sollte. Nun war das Insistieren des Puritaners Richardson auf der Heirat aus Liebe aber nichts anderes als das Eheideal der Puritaner, also der englischen Calvinisten, was dem entschieden anti-religiösen Saint-Just wohl gar nicht bewusst war, als er sich Rousseaus Idee aneignete. Ein persönliches Motiv war allerdings auch gegeben: Saint-Just hatte seine Jugendliebe Therese Gellé nicht heiraten können, weil sie eine Pflichtehe mit einem Sprössling einer reichen Familie eingehen musste, und soll darunter eine Zeitlang sehr gelitten haben.
Saint-Justs Fokus auf einer rigiden Militarisierung der Gesellschaft wird vor allem aus der außenpolitischen Situation des revolutionären Frankreich verständlich, da Frankreich in jener Zeit mit Preußen und Österreich im Clinch lag. Louis XVI. hatte 1792 Preußen, Österreich und England um Unterstützung gebeten, nachdem Preußen und Österreich schon 1791 öffentlich erklärt hatten, die französische Monarchie notfalls mit Gewalt wiederherstellen zu wollen. Die kriegerischen Auseinandersetzungen begannen im April 1792, wobei Frankreich den ersten Schritt machte. Saint-Just war als militärischer Entscheidungsträger aktiv an der wichtigen Schlacht von Fleurus (1794) beteiligt und hatte nach Ansicht mancher Historiker das Hauptverdienst am Sieg der Revolutionstruppen gegen die Armee der Koalition.
Laut Saint-Just-Biograf Albert Ollivier war der Revolutionär das jüngste Mitglied der Freimaurerloge "La Loge des Amis Reunis", der auch der aufklärerische Philosoph Marquis de Condorcet angehörte, ein Verfechter der Frauenemanzipation, der Abschaffung der Sklaverei und der Abschaffung aller Privilegien des höheren Standes. Natürlich begeisterte sich auch Saint-Just für die letzteren Punkte, die zwei zentrale Forderungen der Freimauerei darstellten. Über jeden Zweifel erhaben ist die enge Verknüpfung der Jakobiner, zu denen Saint-Just und der Girondist (gemäßigter Jakobiner) Condorcet gehörten, mit dem Freimaurertum jener Tage. Man mag darüber debattieren, ob der eine oder andere Revolutionär einer Loge angehörte oder nicht, Fakt ist jedenfalls, dass einige wichtige Revolutionäre, auch in den USA, definitiv Freimaurer waren und dass revolutionäre Angelegenheiten in Logenkreisen besprochen und geplant wurden, was den freimaurerischen Einfluss auf das revolutionäre Denken im 18. Jahrhundert unbestreitbar macht.
Zu einer öffentlichen Debatte um wahre und falsche Tugend im revolutionären Kontext kam es 1792, als die Pariser Aufführung einer Theateradaption von Samuel Richardsons Erfolgsroman "Pamela, or Virtue Rewarded" in der Comédie Francaise zur Verhaftung des Theaterautors führte, der nur knapp der Hinrichtung entging, nachdem er sich vor der Nationalversammlung umfangreich rechtfertigt hatte. Anklagepunkt war ein Dialog im Stück, in dem religiöse Toleranz als tugendhaft bezeichnet wird, was dem radikal-jakobinischen Tugendbegriff widersprach, demzufolge jedes religiöse oder das Religiöse tolerierende Denken ein Verstoß gegen die wahre Tugend ist. Die radikalen Jakobiner nutzten die Gelegenheit, das Stück zu zensieren, um den Girondisten, also den gemäßigten Jakobinern, eins auszuwischen.
Saint-Just machte sich in verschiedenen Bereichen einen Namen: Er war Mitautor der Französischen Verfassung von 1793, wobei das Ausmaß seines Beitrags umstritten ist; er war der Haupttheoretiker eines nie realisierten staatlichen Erziehungsprogramms; er war aktiver militärischer Entscheidungsträger in einer wichtigen Schlacht; generell gehörte er zu den energischsten Verfechtern eines radikalen revolutionären Programms, das die "wahre Tugend" (siehe unten letzter Absatz) auch um den Preis von Menschenleben, und das nicht zu knapp, in die Praxis umsetzen wollte. Das Terrorregime Mitte 1793 bis Mitte 1794 hat nach den offiziellen Zahlen aus Gerichtsunterlagen über 16.000 Menschen das Leben gekostet, und weitere ca. 40.000 Opfer gefordert, die ohne Prozess getötet wurden oder im Gefängnis starben.
Was den ökonomischen Aspekt von Saint-Justs Erziehungsprogramm betrifft, muss ich meine Darstellung im Fragen-und-Antwort-Thread ergänzen: Zwischen den militärischen Phasen "Ausbildung" und "Dienst" liegt zwischen dem 17. und dem 21. Lebensjahr eine 4-jährige Phase der ökonomischen Ausbildung in der Landwirtschaft und im Handwerk, womit die Lücke, die Brissotin moniert hat, gefüllt ist. Das blieb aber alles nur Theorie, die niemals praktisch umgesetzt wurde, zumal sie in der Nationalversammlung gar nicht zur Abstimmung kam. Ein anderes ähnlich rigides Eziehungsprogramm, das des Jakobiners Felix Le Peletier, das den Frauen, ganz anders als bei Saint-Just, nicht weniger Chancen als den Männern einräumte, wurde 1793, nach Le Peletiers Ermordung durch einen Royalisten, von Robespierre in der Nationalversammlung zur Abstimmung gestellt, erlitt wegen seiner Strenge aber eine Abfuhr. Schließlich erhielt Ende 1793 Gabriel Bouquiers relativ liberales Erziehungsprogramm den Zuschlag.
Was die Frauenfrage angeht, war Saint-Just, wie oben angedeutet, entsprechend den jakobinischen Idealen extrem konservativ: Eine Ausbildung für Frauen nach einem Alter von 6 Jahren ist in seinem Programm nicht vorgesehen, da ihr Platz zuhause bei ihren Müttern ist, bis sie heiraten und bei ihrem Gatten wohnen. Einzig in der Frage der Partnerwahl hatte Saint-Just frauenbezogen die damals sehr moderne Auffassung, dass eine Heirat auch für Frauen auf Liebe zu ihrem Partner beruhen sollte, statt ihnen aus ökonomischen Motiven von den Eltern aufgezwungen zu sein. Saint-Just hatte diese Idee, wie auch viele seiner politischen Ideen, von Rousseau übernommen, der sie in seinem Roman "Julie oder Die neue Heloise" von 1761 propagiert. Wie ich an anderer Stelle schon schrieb, war Rousseaus Roman stark von Samuel Richardsons Bestseller "Pamela, or Virtue Rewarded" von 1740 beeinflusst, auch in besagter Frage, ob eine Ehe auf Pflicht oder Liebe beruhen sollte. Nun war das Insistieren des Puritaners Richardson auf der Heirat aus Liebe aber nichts anderes als das Eheideal der Puritaner, also der englischen Calvinisten, was dem entschieden anti-religiösen Saint-Just wohl gar nicht bewusst war, als er sich Rousseaus Idee aneignete. Ein persönliches Motiv war allerdings auch gegeben: Saint-Just hatte seine Jugendliebe Therese Gellé nicht heiraten können, weil sie eine Pflichtehe mit einem Sprössling einer reichen Familie eingehen musste, und soll darunter eine Zeitlang sehr gelitten haben.
Saint-Justs Fokus auf einer rigiden Militarisierung der Gesellschaft wird vor allem aus der außenpolitischen Situation des revolutionären Frankreich verständlich, da Frankreich in jener Zeit mit Preußen und Österreich im Clinch lag. Louis XVI. hatte 1792 Preußen, Österreich und England um Unterstützung gebeten, nachdem Preußen und Österreich schon 1791 öffentlich erklärt hatten, die französische Monarchie notfalls mit Gewalt wiederherstellen zu wollen. Die kriegerischen Auseinandersetzungen begannen im April 1792, wobei Frankreich den ersten Schritt machte. Saint-Just war als militärischer Entscheidungsträger aktiv an der wichtigen Schlacht von Fleurus (1794) beteiligt und hatte nach Ansicht mancher Historiker das Hauptverdienst am Sieg der Revolutionstruppen gegen die Armee der Koalition.
Laut Saint-Just-Biograf Albert Ollivier war der Revolutionär das jüngste Mitglied der Freimaurerloge "La Loge des Amis Reunis", der auch der aufklärerische Philosoph Marquis de Condorcet angehörte, ein Verfechter der Frauenemanzipation, der Abschaffung der Sklaverei und der Abschaffung aller Privilegien des höheren Standes. Natürlich begeisterte sich auch Saint-Just für die letzteren Punkte, die zwei zentrale Forderungen der Freimauerei darstellten. Über jeden Zweifel erhaben ist die enge Verknüpfung der Jakobiner, zu denen Saint-Just und der Girondist (gemäßigter Jakobiner) Condorcet gehörten, mit dem Freimaurertum jener Tage. Man mag darüber debattieren, ob der eine oder andere Revolutionär einer Loge angehörte oder nicht, Fakt ist jedenfalls, dass einige wichtige Revolutionäre, auch in den USA, definitiv Freimaurer waren und dass revolutionäre Angelegenheiten in Logenkreisen besprochen und geplant wurden, was den freimaurerischen Einfluss auf das revolutionäre Denken im 18. Jahrhundert unbestreitbar macht.
Zu einer öffentlichen Debatte um wahre und falsche Tugend im revolutionären Kontext kam es 1792, als die Pariser Aufführung einer Theateradaption von Samuel Richardsons Erfolgsroman "Pamela, or Virtue Rewarded" in der Comédie Francaise zur Verhaftung des Theaterautors führte, der nur knapp der Hinrichtung entging, nachdem er sich vor der Nationalversammlung umfangreich rechtfertigt hatte. Anklagepunkt war ein Dialog im Stück, in dem religiöse Toleranz als tugendhaft bezeichnet wird, was dem radikal-jakobinischen Tugendbegriff widersprach, demzufolge jedes religiöse oder das Religiöse tolerierende Denken ein Verstoß gegen die wahre Tugend ist. Die radikalen Jakobiner nutzten die Gelegenheit, das Stück zu zensieren, um den Girondisten, also den gemäßigten Jakobinern, eins auszuwischen.
Zuletzt bearbeitet: