Die Prunkäxte der Salzmünder Kultur um -3500

Brahmenauer

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In verschiedenen archäologischen Veröffentlichungen wird auf die Seltsamkeit der Verzierung der sogenannten Prunkäxte der Salzmünder Kultur hingewiesen. Es gibt bisher 4 verschiedene Exemplare, alle befinden sich im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle.
Martin Kerner hat in seinem Buch: "Bronzezeitliche Astronomie", (2006) sich mit frühen Kalendersystemen neben der Himmelsscheibe von Nebra auseinander gesetzt und diese Prunkbeile als "Mond-Venuskalender" gedeutet. Nach Kerner offenbaren sie die Entwicklung der Venus-Beobachtung, als man den Abend- und Morgenstern noch als getrennte Himmelskörper betrachtete, ihre scheinbare Rückläufigkeit und die unter-schiedlichen Zählmethoden der Venus-Synode als Kalender-Zyklus. Als Synode bezeichnet man die sichtbare Phase eines Himmelskörpers.
Die Venus-Synode beträgt 584 Tage: = 19 Monate/Lunationen zu 29,5 Tagen + 22 Tage.
Ich möchte hier nur auf die Axt von Radewell eingehen. Sie symbolisiert auf der Oberseite die Venus-Synode durch 19 Kreise = für je eine Lunation zu 29,5 Tagen und 2 x 11 Tage im "Tannenbaum-Muster mit 11 Astpaaren", welche für die scheinbare Rückläufigkeit der Venus von der Erde aus betrachtet, steht.
Der Strahlenkranz um das Schaftloch steht nach Kerner für die Zählsequenz:
- 14 kurze Striche zeigen 14-tägige Halblunation
- 14 kurze und ein langer Strich zeigen 15-tägige Halblunation an
1 x 14 und 3 x (14+1) entsprechen einer Doppellunation von 59 Tagen

Doppellunationen sind besser zur Berechnung geeignet als 29,5 Tage als Dezimalbruch.

Prunkaxt_190108A.jpg
 
Ein Freund von mir führt einen kulturwissenschaftlichen Blog. Ausgerechnet heute hat er den Beitrag vom Blog der WBG verlinkt, aus dem der folgende Ausschnitt stammt:

Immer wieder begegnen uns Interpretationen von antiken Monumenten und Fundstücken, die auf bestimmten Zahlenspielen basieren. [...] Eine Erklärung als reine Ornamentik scheint den Forschern offenbar zu unspektakulär, und so werden in vielen Fällen astronomische Bezüge der Zahlen gesucht, um die Objekte als eine Art prähistorischen Kalender zu präsentieren. Journalisten nehmen diese Interpretation wohlwollend auf, und so findet man in den für die Öffentlichkeit leicht zugänglichen Medien wie dem Internet kaum kritische Auseinandersetzungen mit dieser Thematik. Zu den wenigen skeptischen Stimmen von Seiten der Fachwelt gehört Eva Rosenstock, die die Problematik der Kalenderinterpretationen prägnant zusammengefasst hat. [...] Wie vorsichtig man bei der astronomischen Interpretation von einer gewissen Anzahl an Verzierungselementen auf archäologischen Artefakten sein muss, wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, wie bemerkenswert groß das Spektrum an Zahlen ist, die in irgendeiner Weise astronomisch gedeutet werden können. Im Zahlenraum zwischen 1 und 30 können gerade mal drei Zahlen (2, 17, 26) nicht astronomisch als Dauer bestimmter Zyklen interpretiert werden. Durch ein Vielfaches der einzelnen Zeitabschnitte setzt sich die lange Kette an astronomisch ausdeutbaren Zahlen fort. So können beispielsweise auch 58, 87 usw. Verzierungselemente als repräsentativ für zwei bzw. drei synodische Monate von etwa 29 Tagen gewertet werden.

Letztendlich gilt bei allen auf Zahlenspielen beruhenden Theorien bezüglich antiker Monumente und Gegenstände, dass fast jede Zahl reproduziert werden kann, wenn man genügend Maße oder Verzierungselemente rechnerisch in Beziehung zueinander setzt. Die Thesen gewinnen erst dann an Glaubwürdigkeit, wenn belegbar ist, dass das Vorgehen bei der mathematischen Entschlüsselung durch die Gestaltung der Objekte vorgegeben wird.

 
Hallo

Man kann mit Zahlen(Zahlensymbolik) alles machen und alle anderen Zahlen errechnen

Hier ein Beispiel für eine Zahlenspielerei"
Radosophie

Man kann aus jeder Zahl(en) Konstanten errechnen, selbes gilt nat. auch für die Zahlensymbolik z.B. der Kaabala.

mfg
schwedenmann
 
Hi,
sehe ich genau so. Man muss sich nur mal vorstellen, das eine spätere menschliche Kultur (in 10.000 Jahren) unsere Hinterlassenschaften ausgräbt und dann eine Colaflasche oder gar einen Hochspannungsisolator (aus Keramik) interpretieren muss. Da würde ich gerne Mäuschen spielen :) .
 
Immer langsam Leute, es ist eine Interpretationsmöglichkeit.
Noch vor nicht langer Zeit war es ja nicht mal erlaubt sich darüber gedanken zu machen :)
Erst mit dem Scheibchen von Nebra durfte man sich damit auseinandersetzen.
Seid mal nicht so konservativ und lebt erst mal das ganze Jahr unter freiem Himmel. lol
 
Ich sehe es so wie Edgar. Wir können uns in unseren lichtverschmutzten Großstädten gar nicht mehr vorstellen, wie beeindruckend der Sternenhimmel ist und wie nah und vertraut der Weg der Gestirne über das Firmament den Menschen vor der Industrialisierung war.
 
Nun, es war klar, dass Eure Begeisterung relativ bescheiden ausfallen würde. Die etwa 1000 Jahre älteren Kreisgrabenanlagen werden womöglich auch nicht als astrologisch/kalendarisch gedeutet. Die Beobachtung der Venus und ihre Beziehung zum Kalender sollte also im Neolithikum bereits geschehen sein - so sehe ich es jedenfalls. Oder hat jemand eine andere Deutung der 4 Prunkäxte der Salzmünder Kultur zu bieten, zumal diese Äxte aus Suhler Schiefer bestehen und damit als Werkzeug relativ ungeeignet sind?
 
Nun, es war klar, dass Eure Begeisterung relativ bescheiden ausfallen würde. Die etwa 1000 Jahre älteren Kreisgrabenanlagen werden womöglich auch nicht als astrologisch/kalendarisch gedeutet. Die Beobachtung der Venus und ihre Beziehung zum Kalender sollte also im Neolithikum bereits geschehen sein - so sehe ich es jedenfalls. Oder hat jemand eine andere Deutung der 4 Prunkäxte der Salzmünder Kultur zu bieten, zumal diese Äxte aus Suhler Schiefer bestehen und damit als Werkzeug relativ ungeeignet sind?
Man muss ja nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Aber man kann ja mal zur Kenntnis nehmen, dass zwischen 1 und 30 sich lediglich drei Zahlen nicht kalendarisch deuten lassen und dass ohne eindeutige Anleitung etwas kalendarisch zu benutzen die kalendarische Nutzung von Artefakten - zumal nichts darauf von sich aus auf kalendarische Nutzbarkeit hindeutet - eben nicht schlüssig machen lässt, dass weil eine bestimmte Anzahl an Strichen und Kreisen darauf abgebildet ist, es sich um ein Kalenderinstrument handelt. Weil man eine Deutung A ablehnt oder zumindest skeptisch ihr gegenüber ist, muss man auch nicht eine Alternative B anbieten. Es gibt keine Deutungspflicht. Derjenige der eine bestimmte Deutung vertritt, ist derjenige, der in der Belegpflicht steht. Die Forderung nach einer alternativen Deutung ist wissenschafttheoretisch nichts anderes, als die Umkehrung der Belegpflicht.
 
Noch vor nicht langer Zeit war es ja nicht mal erlaubt sich darüber gedanken zu machen :)
Erst mit dem Scheibchen von Nebra durfte man sich damit auseinandersetzen.
Seid mal nicht so konservativ und lebt erst mal das ganze Jahr unter freiem Himmel. lol
Es hat nix mit konservativ/progressiv zu tun oder mit verboten/erlaubt, sondern einzig und allein damit, ob eine Deutung plausibel ist. Entweder es gelingt, die Deutung plausibel zu machen oder aber man muss mit der Skepsis und dem Widerspruch anderer klarkommen.
 
Der Goldhut von Schifferstadt - eine Alternative zu der kalendarischen Darstellung der Prunkäxte (nach Martin Kern: "Bronzezeitliche Astronomie", 2006)

Der Goldhut von Schifferstadt wurde 1835 von einem Bauern bein Plügen gefunden. Er stand auf einer gebrannten Tonplatte in einer rechteckigen Steinkiste. Er war nur gering beschädigt und wird heute im Pfälzischen Landesmuseum inj Speyer aufbewart. Sein Gewicht beträgt nach der Restaurierung 1976 350,5 g und sein Alter wird auf -1400 geschätzt.

Der oberste Ring in der schematischen Darstellung mit seinen 19 Kreispunzen ist der Schlüssel zum Kalenderprinzip des Hutes mit seinen 10 Symbolkränzen.
Die Kreispunzen sind als das Symbol des synodischen Umlaufes des Mondes zu betrachten, nachfolgend als Lunation bezeichnet mit 29,53 Tagen. 19 Lunationen entsprechen etwa einer Venussynode (584 d). Die beiden nachfolgenden Kränze zeigen "Augenpunzen" und geben damit einen Hinweis auf die Sichtbarkeit der Venus.
Beide Kränze haben jeweils 22 Augen. Als naheliegendes Mittel sind die zehn Finger als Dekade pro Augenpunze anzunehmen. Das ergibt dann je Augenpunzenkranz 220 Tage für die Sichtbarkeit der Venus - einmal als Morgen- und einmal als Abendstern. Die Punzenkränze 3 und 4 besitzten 49 Kreispunzen = Lunationen. Die Doppelkreisausführung kann als 99 Halblunationen gedeutet werden. Das entspricht 4 Jahren bzw einer Olypiade.
Goldhut_190114_A.jpg
 
@Brahmenauer. Martin Kerner/Mantis Verlag ? Da wäre ich vorsichtig.
Bei verantwortungsvollen Leuten wie Hansen oder Steinrücken fühl ich mich bei dem Thema eher aufgehoben.
Ich bin eigentlich ziemlich dakor mit El Q., dass diese Interpretationen auf recht schwachen Füßen stehen.
Nichtsdestotrotz freut es mich, wenn sich jemand die Mühe macht neue Denkansätze zu beschreiten.

Ich hab kurz vor meinem letzten Post den Blogbeitrag von Raimund Karl gelesen: Archäologische Denkmalpflege: Wider die zahmen Worte
Ist einfach wichtig, für eine offenere Steitkultur zu plädieren und den Leuten selbst mal nach einem groben Fehler nicht ihre akademische Kariere zu verbauen bzw. dass eine Gutsherrenschaft durchregiert. ;)
 
Zuletzt bearbeitet:
Bisher habe ich aber noch keine Argumente gesehen, die Kerners Ansatz widerlegen. Sicher ist er in seinem Buch gelegentlich übers Ziel hinausgeschossen. Bei den Prunkäxten, dem Goldhut und seiner Interpretation der Himmelsscheibe von Nebra hinsichtlich abgebildeter Sternsituationen halte ich seine Argumente für überprüfbar. Wenn sich Moderatoren in diesem Forum mit solchen Themen bisher noch nicht befasst haben, halte ich das keinesfalls für eine Schande.
 
Wenn sich Moderatoren in diesem Forum mit solchen Themen bisher noch nicht befasst haben, halte ich das keinesfalls für eine Schande.
Sehr großzügig.... (ist nebenbei auch gar nicht die Aufgabe eines Moderators, sich mit allen Themen auszukennen, der/die Moderator/in und der/die Mitiskutantin kann in einer Person auftreten, die Rollen sind aber verschiedene.).

Bisher habe ich aber noch keine Argumente gesehen, die Kerners Ansatz widerlegen.
Ich habe allerdings auch keine Argumente gelesen, die Kerners Ansatz belegten. Lediglich Behauptungen.

Beim Goldhut hätte ich durchaus Kritik. Die Goldhüte werden ja allgemein gerne als Kalender angesprochen, schon bevor Kerner oder die Chronologiekritik darauf gekommen sind.

Das ist aber nur eine Feststellung, noch nicht die Kritik. Die kommt jetzt:

In seiner Abstraktion nimmt Kerner ein Zierelement (in Zeile 3 und 4), welches er in seiner vom Original (eher flach-oval) abstrahierten Wiedergabe als augenförmig wiedergibt und darauf seine Interpretation aufbaut. Wenn man sich das Original aber anschaut, so geht der Eindruck, dass es sich hierbei um eine Augendarstellung handeln soll, um so mehr verloren, als dass hier tatsächlich eine Reihe von Ovalen (und eben keine eindeutigen Augendarstellungen) dargestellt ist. Mit der wahrscheinlich fehlgehenden Interpretation des Ovals als Auge steht und fällt die darüber hinausgehende Interpretation der angeblich dargestellten Sichtbarkeit (wovon auch immer).
Ich lasse es offen, ob Kerner hier einfach versucht hat, zu vereinfachen/abstrahieren, oder ob er mittels Suggestion den von ihm gewünschten Eindruck verstärken wollte.

Goldener_Hut_von_Schifferstadt.jpg
 
Auch für dieses Kunstwerk lässt sich sicherlich eine Mathematik finden, welche den kosmischen Zusammenhang der einzelnen Punkte beweist.
nachttopf.jpg
 
Als naheliegendes Mittel sind die zehn Finger als Dekade pro Augenpunze anzunehmen. Das ergibt dann je Augenpunzenkranz 220 Tage ...
Und genau hier liegt ein weiteres Problem. Ich wiederhole noch mal den Schlusssatz aus dem oben zitierten Ausschnitt aus dem verlinkten Blogbeitrag von Stefan Baumann:

Die Thesen gewinnen erst dann an Glaubwürdigkeit, wenn belegbar ist, dass das Vorgehen bei der mathematischen Entschlüsselung durch die Gestaltung der Objekte vorgegeben wird.​

Nehmen wir also an, die Anzahl von 22 Ovalen (ich rede bewusst nicht von "Augenpunzen", s.o.) sei nicht zufällig. Die Anerkennung der Nichtzufälligkeit ist unungänglich für die Hypothese Kerners. Also es sei:
- die 22 Ovale sind nicht zufällig in dieser Anzahl
- die Ovale haben eine Bedeutung
Daraus ergibt sich, dass 22xOval eine bestimmte Bedeutung haben muss.

Nun wird von Kerner aber das Oval als Zahl 10 gedeutet (gleichzeitig mit der Zweitdeutung als Auge, welches wiederum Sichtbarkeit bedeuten soll). Und hier kommt wieder Baumann bzw. seine Gewährsfrau Rosenstock ins Spiel: Auf den Goldhut wird durch seine Gestaltung nirgends vorgegeben, dass man das Oval als 10 deuten muss.

Ergo geht Kerner von einer auf 220 Tage abgerundeten Sichtbarkeit der Venus (eigentl. 225 Tage) aus, rekonstruiert daraus das Oval als "zehn" und schließt so wiederum zirkulär, dass 10x22=220 die Venus zu sehen ist.

Die Ungenauigkeit von 220 anstatt 225 mag man tolerieren, aber was ist damit, dass ein oval gleichzeitig für
- zehn und
- Sichtbarkeit
stehen soll?
 
Die Ungenauigkeit von 220 anstatt 225 mag man tolerieren

Warum sollte man? Ein solch prunkvoller Hut war sicherlich ein sorgfältig hergestelltes Objekt.
Will man nun unterstellen, dass man damals nicht bis 225 zählen konnte? Oder der Goldschmied betrunken war? Nein, es ergibt absolut keinen Sinn, ebenso logisch wäre es, einen Hinweis auf eine 22-er Packung Zigaretten oder den Film Catch-22 anzunehmen. Abstruse Zahlenspielchen, die noch nicht einmal irgendeinen logischen Sinn ergeben. Der 22.Hochzeitstag des Goldschmiedes wäre auch eine Lösung. Oder.....
 
Ich bin durchaus davon überzeugt, dass die Goldhüte mehr als nur Verzierung tragen. Ob sie kalendarische Funktion hatten, entzieht sich meiner Kenntnis. Immerhin gibt es dazu spannende Überlegungen, die von durchaus ernstzunehmenden Menschen postuliert wurden (was absolut nicht als unterstellter Automatismus, dass diese Überlegungen auch stimmen, missverstanden werden soll).
Freilich gibt es keinen direkten Hinweis darauf, dass Venus irgendetwas mit dem Goldhut zu tun hat. Ich sehe auch nichts, was dafür spricht, die 22 Ovale mit Venus in Bezug zu setzen. Aber ich bin bereit die hypothetische Abrundung von 225 auf 220 Tage gedanklich zuzulassen, um eine Gesprächsgrundlage zu haben. Das scheint mir vernünftiger als eine kategorische Ablehnung.
Ich würde eher annehmen, dass Sonne oder Mond (wahrscheinlicher die Sonne, schon wegen des Goldes) angesprochen werden sollten. Ob die Zahlenmenge dabei eine Rolle spielt, ist eine andere Frage.
 
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