Nachdem ich inzwischen einige belgische Texte gelesen habe, komme ich zur folgenden Ansicht:
Es gab in den noch nicht okkupierten Gebieten Belgiens eine Zeitlang kämpfende Verbände, die nicht aus Soldaten der regulären Armee bestanden und die eine ihren Möglichkeiten angepasste und für den Gegner oft unangenehme Taktik betrieben. Das war ein kunterbunt uniformiertes Gebilde aus
Gendarmerie (Belgien) – Wikipedia , Garde Civique und in den Quellen als "vrijwilligers/volontaires - Freiwillige" bezeichnete, von denen einige eventuell schlecht oder gar nicht uniformiert waren.
Man kann mindestens Letztere, je nach Sichtweise, als Franktireurs im Sinne von 1870/71 oder als Landsturm/Landwehr/Territorialarmee bezeichnen, die sich quasi im Niemandsland vor der zurückgezogenen regulären belgischen Armee befanden.
In Ost- und Westflandern wurden alle diese Einheiten am 22.8.1914 unter das regionale Kommando von Generalleutnant Clooten gestellt. Die Freiwilligen bildeten dabei 4 Brigaden an unterschiedlichen Standorten.
So schreibt z.B. der Genter Julien D. Martens in seinen Notizen, dass in Gent die Kriegsfreiwilligen vor dem 21. August im Citadelpark in zivilen Kleidern trainierten, diese Freiwilligen jedoch bald nicht mehr vor Ort gewesen seien. Er schreibt weiter, dass die Polizei ebenfalls Freiwillige rekrutiert hätte. Die Kriegsfreiwilligen tauchen in seinen Notizen etwas später beim Gefecht von Kwatrecht, Melle, einem Vorort von Gent am 7.9. wieder auf, ohne dass beschrieben wird, ob sie inzwischen uniformiert wurden.
https://openjournals.ugent.be/gt/article/id/68720/download/pdf/
Bilder dazu in:
Kwatrecht, Duits kerkhof te Kwatrecht-Melle uit 1914
Auf deutscher Seite sah man in dieser Gegend kämpfende Zivilisten. Von Böhn, IX. Reserve-Korps (derselbe Verband wie in Löwen), schrieb einen Brief an den Bürgermeister von Gent:
Herr Bürgermeister,
Ich erhielt die Nachricht, dass die Garde Civique in Gent erneut bewaffnet würde. Ich sehe also, dass ich mich bei meiner Ankunft in Gent mit dem Widerstand dieser Bürgerwehr und, wie ich in den letzten Tagen erlebt habe, auch mit dem der Bevölkerung auseinandersetzen muss.
In der Stadt hingen Proklamationen des Innenministeriums u.a. mit dem Satz:
Ein Bürger, der auf den Feind schießt, begeht eine rücksichtslose Tat, indem er seine nächsten Verwandten und Mitbürger, Frauen und Kinder, dem Untergang aussetzt.
Ich fand in den belgischen Texten Bezeichnungen wie "
Guerre d'embuscade" bzw.
hinderlagenoorlog (Hinterhaltkrieg), in deren Beschreibung ich bisher nicht viel hinterhältiges fand, sondern vor allem eine hinhaltende militärische Taktik aus geschützten Stellungen. Dort wo man den deutschen Vormarsch effektiv verlangsamen wollte, bezweifle ich den Einsatz unerfahrener Freiwilliger.
Falls dies trotzdem der Fall war und diese Freiwilligen keine Uniform trugen, kann man vielleicht darüber diskutieren, ob das Tragen von zivilen Kleidern beim Schießen aus einer Stellung heraus alleine schon Perfidie ausmacht oder ob dies erst dann zutrifft, wenn durch das Tragen von zivilen Kleidern etwas vorgetäuscht bzw. die andere Seite dadurch getäuscht wurde. Ein Stellung, aus der geschossen wird, ist mMn für den Gegner immer gleich gefährlich, egal wie die Schützen gekleidet sind.
Wurde das Recht auf diese Art von Widerstand auf eigenem, nicht okkupiertem Gebiet höher eingestuft, als die Pflicht dabei immer eine Uniform tragen zu müssen?
Es ist mir aufgefallen, dass wenn in diesen Texten von "Zivilisten" die Rede ist, oft nur Frauen, Kinder und alte Leute gemeint sind oder dann alle, die keine Waffe trugen. Die Frage der Uniform ist kaum ein Thema.