Das ist ein Experiment: Über Marx lohnt die wirtschaftshistorische Diskussion, wobei man sich auf seine
(1) empirischen Forschungen (mit falsch/richtig) und
(2) ökonometrischen Aussagen beschränken (bewiesen/spekulativ)?
beschränken sollte.
Ich nähere mich dem Ganzen mal von "rückwärts", von der Rezeptionsgeschichte her. Beispiele:
- In Artur Wolls "Allgemeiner Volkswirtschaftslehre" (mit 15 Auflagen sehr erfolgreich) wird Marx im Konjunktur-Kapitel (S. 631-660) gar nicht erwähnt und im Wachstums-Kapitel (S. 487-529) nur mit seinen (vermeintlichen) Irrtümern.
- Hans-Jürgen Vosgerau ("Konjunkturtheorie", in HdWW, 1988, Bd. 4, S. 478-507 [486] erwähnt immerhin in einem Satz, dass Marx zwar "keine geschlossene Konjunkturtheorie" entwickelt habe, "aber wohl als erster die wirtschaftlichen Wellenbewegungen und Krisen als Eigenschaften wachsender Marktwirtschaften deutete".
Ich glaube, dass das symptomatisch ist. Deutlich populärer sind - wie von Dir oben angedeutet - Kondratieffs lange Wellen, woran vielleicht Schumpeter "schuld" ist. Der hat im übrigen die Zyklentheorie noch um einige Varianten erweitert (3-4-jähriger Kitchin-Zyklus, 8-11-jähriger Juglar-Zyklus); in den USA wird noch ein 20-jähriger Kuznets-Zyklus diskutiert usw.
Beim Durchblättern bin ich nochmal auf das 5-stufige Wachstums-Modell von W. W. Rostow gestoßen (zit. nach Holtfrerich, HdWW, 1988, Bd. 8, S. 425 ff.), welches insoweit bemerkenswert ist, als daraus die "Ungleichzeitigkeit" bestimmter Entwicklungen deutlich wird. Ich greife seine Angaben für England, Deutschland und Rußland heraus:
(3) Take-off-Phase...E. 1783-1802, D. 1850-1873, R. 1890-1914
(4) Reifephase.........E. 1810-1850, D. 1870-1910, R. 1910-1950
(5) Massenkonsum....E. ab 1850, D. ab 1910, R. ab 1950
Das wirft die Frage auf, unter welchen Annahmen kurze Zyklen, die sich in der einen Volkswirtschaft, z. B. England, mit einiger Verlässlichkeit nachweisen lassen, auf eine andere, z. B. Deutschland, übertragbar sind, obwohl diese in ihrem historischen Entwicklungsstand "hinterherhinkt". Diskussionsfähig scheint mir zu sein, dass die Vorstellung von einer zyklischen "allgemeinen Krise des Kapitalismus" bestimmte vereinfachende Annahmen erfordert.