"Ich weiß nicht, wie ich das interpretieren soll" - ein ungewöhnliches Grab auf einer Gezeiteninsel

El Quijote

Moderator
Teammitglied
Rätsel um Wal in mittelalterlichem Grab
Thomas Bergmayr
Warum wurde im 14. Jahrhundert auf einer winzigen Insel im Ärmelkanal ein Schweinswal nach christlichem Ritus beigesetzt In einem Grab wie diesem hätte man eigentlich die Überreste eines Mönches vermutet.

Oxford/Wien – Bis vor wenigen Tagen noch waren die Ausgrabungen auf der kleinen Gezeiteninsel Chapelle Dom Hue vor der Küste der Kanalinsel Guernsey archäologische Routine. [...] Dann aber stießen die Archäologen [...] auf ein unberührtes Grab. Auf den ersten Blick wirkte die Stätte keineswegs ungewöhnlich: Die sorgfältige Beisetzung und die typische Ost-West-Ausrichtung erweckten zunächst den Anschein, als wäre hier ein Mönch nach dem damaligen christlichen Ritus zur letzten Ruhe gebettet worden. Als die Forscher jedoch die Gebeine des vermeintlichen Kirchenmannes freigelegt hatten, erwiesen sich diese zur Verblüffung aller Beteiligten als definitiv nicht menschlich. Tatsächlich stellten sich die Überreste bei näherer Begutachtung als Knochen eines jungen Schweinswals heraus [...]. Für de Jersey ist das der ungewöhnlichste Fund seiner 35-jährigen Karriere als Archäologe: "Es ist wirklich rätselhaft. Ich habe keine Ahnung, wie man das interpretieren soll. Warum sollte jemand damals den Aufwand betrieben haben, einen Schweinswal in einem Grab beizusetzen?" Vor allem die Umstände der Grablegung machen diese Entdeckung nach Angaben der Forscher so einzigartig: Das Tier war nicht einfach in einer Grube verscharrt worden. Die bewusste Beisetzung nach spätmittelalterlicher christlicher Tradition erweckt den Eindruck, als hätte der Meeressäuger eine besondere Bedeutung gehabt. "Hätten wir etwas Vergleichbares in einer Kirche gefunden, wären wir allein schon aufgrund der Form des Grabes von einer christlichen Grabstätte ausgegangen".

Der ganze Artikel: Rätsel um Wal in mittelalterlichem Grab
 
Angesprochen wurde ja bereits die Vorratshaltung. Auf Island z.B. isst man vergorenen Hai, der auch zunächst für ca. ein halbes Jahr "beerdigt" wird. Ich würde ein ähnliches Vorgehen hier für nicht unwahrscheinlich halten.
Vielleicht handelte es sich aber auch einfach um ein besonders standorttreues und an Menschen gewöhntes Tier wie Fungie, der Delphin, der bereits seit 1983 in Dingle Bay lebt und wohl mehr Kontakt mit Menschen als mit seinen Artgenossen hat. Wenn das bei dem Schweinswal aus dem 14. Jhdt. der Fall war, dann haben die Mönche hier eben nur einen ihrer Gefährten bestattet.
 
Eine Parallele zur isländischen Sürströmming-XXL-Variante (Hákarl) halte ich für weniger wahrscheinlich da bei dem Fund auf der Gezeiteninsel die Knochen des Schweinswals gefunden wurden, die Haifische auf Island hingegen ausgenommen und entgrätet werden, um das Fleisch dann in monatelangem Fermentierungs-Prozess von dem im Blut enthaltenen Harnstoff zu befreien damit es überhaupt genießbar wird.

Ist Schweinswal fangfrisch genießbar? Die Jagd auf die Tiere ist laut Wiki seit dem Mittelalter belegt.
Gewöhnlicher Schweinswal – Wikipedia
 
In der damaligen christlichen „Wunderwelt“ war der Gedanke sicher nicht so abwegig, diesem Schweinswal ein ebensolches Begräbnis zu geben. Er war schließlich ein Nachkomme des Wals, das den Jonas rettete, ausspuckte und in der Folge zur Buße der Stadt Ninive führte. Man könnte sich sogar vorstellen, daß der Schweinswal durch das „gleiche" Meerwasser zu einer Art Berührungsreliquie wurde. Da auch das Vieh in Ninive Buße tat, wäre ein weiterer Beweggrund zur Berdigung gegeben. Jonas 3, 8: „…soll man sich in Bußgewänder hüllen - Mensch und Vieh - und mit Ausdauer zu Gott rufen!"
 
Ist Schweinswal fangfrisch genießbar? Die Jagd auf die Tiere ist laut Wiki seit dem Mittelalter belegt.
Denke mal ja, das Fleisch dürfte nicht viel anders sein als das des Zwergwals, der auch heute noch gejagt und gegessen wird. Auf'm Grill gegart durchaus geniessbar, wenn auch mit einem ungewohnten Bei-/Nachgeschmack.
 
Schweinswal oder auch genannt Tümmler, ich würde nie auf die Idee kommen deren Fleisch zu essen. Zumal die mit den Delphinen verwandt sind.
Schweinswale erlebe ich oft wenn ich in Norwegen in den Fjorden oder auf offenen Meer bin. Mitunter auch 2 bis 3 m am Boot vorbei.

Hatte mal ein besonderes Erlebnis im Hardangerfjord.
Ein kleiner Verband von 5 dieser Spezies hielt direkt Kurs aufs Boot.
Es wird einen da schon etwas mulmig. Aber ca. 3 m vorn Boot tauchten die ab. Die haben nicht einmal unsere Angelschuren berührt.

Bei uns gehen die Meinungen auseinander.
Die einen, wenn Schweinswale auftauchen sollte man den Standort wechseln. Die Fische sind dann weg.
Die anderen, wenn Schweinswale auftauchen gibt es Fisch.
Morgen in der Früh (23.09.) gehts wieder auf nach Norwegen. Und ich hoffe da wieder die freundlichen Schweinswale zu erleben. Aber aufgepasst, manchesmal tauchen dann auch Orkas auf und da kann es ungemütlich werden.
 
In der damaligen christlichen „Wunderwelt“ war der Gedanke sicher nicht so abwegig, diesem Schweinswal ein ebensolches Begräbnis zu geben. Er war schließlich ein Nachkomme des Wals, das den Jonas rettete, ausspuckte und in der Folge zur Buße der Stadt Ninive führte. Man könnte sich sogar vorstellen, daß der Schweinswal durch das „gleiche" Meerwasser zu einer Art Berührungsreliquie wurde. Da auch das Vieh in Ninive Buße tat, wäre ein weiterer Beweggrund zur Berdigung gegeben. Jonas 3, 8: „…soll man sich in Bußgewänder hüllen - Mensch und Vieh - und mit Ausdauer zu Gott rufen!"
Der Wal wird in der Bibel aber eher negativ dargestellt, als Monster, nicht als Helfer.
 
Schweinswal oder auch genannt Tümmler, ich würde nie auf die Idee kommen deren Fleisch zu essen. Zumal die mit den Delphinen verwandt sind.
...
Du vielleicht, aber die Japaner halten ihn für eine Delikatesse und im Atlantik wurde er vor nicht all zu langer Zeit auch noch gegessen. Vor vielen Jahren wurde mir in Spanien mal eine art sehr salziger Schinken serviert, genannt Mojama, von dem mir versichert wurde, es handele sich um Delfinfleisch. Ich weiss nicht ob es stimmte, aber in älteren Nachschlagewerke steht dass dieses eine art Trockenfleisch vom Thunfisch oder vom Delfin sei.
 
Im Artikel wird erwähnt, dass die Archäologen zuerst von einem christlichen Begräbnis ausgingen. Welche Anhaltspunkte außer der Ost-West-Ausrichtung gibt es denn eigentlich? Wenn man Fleisch zum fermentieren deponiert, sollte es dabei eigentlich nicht allzu viele Übereinstimmungen mit einer Bestattung geben. Wenn das Tier also tatsächlich bestattet und nicht als Nahrungsvorrat abgelegt wurde, stellt sich die Frage warum. Vorstellbar, dass er als jahrelanger, angenehmer Zeitgenosse - ähnlich wie El es mit Fungie in Dingle erwähnt - bestattet wurde. Spekulativ ist eine (zusätzliche) religiöse Wahrnehmung des Tieres durch die Bestattenden. Wenn (das weiß ich nicht) das Tier als Wal wahrgenommen wurde, könnte über den Heiligen Malo, der angeblich mit Brendan, dem Schutzheiligen u.a. der Wale, zur See reiste, eine regionale Verbindung bestehen. Ich spekuliere...
 
balkanese@Also ich weiß nicht ob die damaligen Menschen die biologischen Zusammenhänge schon so gut gekannt haben

Das waren sicher nicht die ausschlaggebenden Kriterien, die Menschen bei der Betrachtung biblischer Geschichten aufhalten konnten.


Bdaian@Der Wal wird in der Bibel aber eher negativ dargestellt, als Monster, nicht als Helfer.

Sicher nicht. Er war von Gott gesandt. Hat seine Aufgabe gut erfüllt. Sogar die Verdauung eingestellt um Jona drei Tage Zeit zu geben, über sein Leben nachzudenken. Und letztendlich hat er ihn lebend an Land gespuckt … und Adieu! - Mehr kann man von einem Wal eigentlich nicht verlangen.
 
Ein Schweinswal hat eine ähnliche Größe wie in Mensch. Vielleicht wurde ein Schweinswalkadaver mit einer Wasserleiche verwechselt. Mit der Verwesung steigt die Verwechslungsgefahr, während die Bereitschaft zur näheren Untersuchung sinkt.

Eine andere Erklärung wäre, dass man den Schweinswal an sich für eine Art Fabelwesen hielt, vergleichbar dem Meermönch oder dem Meerbischof. Wenn man solche Fabelwesen ernst nimmt, ist eine christliche Bestattung durchaus angebracht.
 
Der Wal wird in der Bibel aber eher negativ dargestellt, als Monster, nicht als Helfer.
Als Wale wurden Schweinswale im Mittelalter wahrscheinlich ebensowenig betrachtet wie Delfine . Beide Tierarten wurden allgemein als Schweinsfische oder Meerschweine (wohl wegen der kleinen Schweinsaugen) bezeichnet. Eine Verwandschaft mit den großen Walen dürfte vollkommen unbekannt gewesen sein und kaum ein Mensch dieser Zeit wird in einem kleinen, friedfertigen Schweinswal das menschenverschlingende Ungeheuer erblickt haben.
 
Vielleicht hatte man einfach ein fertiges Loch und einen zu entsorgenden, ekligen Kadaver. Und hob man nicht früher, bevor der Boden gefror, zur Sicherheit einige Gräber aus? Vom 19. und 18. Jahrhundert habe ich das zumindest gehört. Wie es im Mittelalter war, kann ich nicht sagen. Aber das Werkzeug war eher noch untauglicher für einen harten Winter. Und vorhersagen kann man doch auch heute noch nicht, wie kalt der kommende Winter wird. Das Gräber gebraucht werden ist hingegen sicher.
 
Als Wale wurden Schweinswale im Mittelalter wahrscheinlich ebensowenig betrachtet wie Delfine . Beide Tierarten wurden allgemein als Schweinsfische oder Meerschweine (wohl wegen der kleinen Schweinsaugen) bezeichnet. Eine Verwandschaft mit den großen Walen dürfte vollkommen unbekannt gewesen sein und kaum ein Mensch dieser Zeit wird in einem kleinen, friedfertigen Schweinswal das menschenverschlingende Ungeheuer erblickt haben.
Genau so wenig wie mit dem Wal der Jonas verschlang. mein Beitrag war eine Antwort auf Gangflow der einen diesbezüglich Zusammenhang sah.
 
Die Frage ist immer noch, was hat damalige Christen dazu bewogen, den Schweinswal nach dem damaligen christlichen Ritus zur letzten Ruhe zu betten.

In der Bibel fanden und finden Menschen immer Beweggründe für ihr Handeln. Dies hier könnte einer für diese Inselbewohner gewesen sein:

Prediger 3, 19: „Wahrlich, das Los der Menschen und das Los des Viehs, - ein und daselbe Los haben sie! Wie jenes stirbt, so sterben diese. Denselben Odem haben sie alle, und einen Vorrang des Menschen vor dem Vieh gibt es nicht. Ja, alles ist Wahn!"
 
Gangflow, das ist doch gar nicht belegt. Es ist nach den uns bisher vorliegenden Fakten lediglich eine Vermutung aufgrund dessen, dass das Grab orientiert ist und nicht unsauber ausgehoben wurde. Im Grunde also ein unzulässiger Schluss, wenn nichts verschwiegen wurde. (Grabmal, Grabkreuz, Rosenkranz, Liturgie zur Entsorgung von Walkadavern, ... )

Damit lautet die Frage: Warum schließt jemand aus einem Walskelett in einem grob rechteckigen Loch auf eine christliche Bestattung? Meine einzige -im Übrigen durch nichts weiter begründete Vermutung- wäre die Nähe zu christlichen Gräbern, solange ich von einem Rest an Seriosität des Berichts und des Wissenschaftlers ausgehe.
 
Der oben angesprochene Philip de Jersey von der Oxford University berichtet noch von einer anderen archäologischen Besonderheit der Inseln Guernsey und Jersey:

Why did Celts bury treasure in Jersey but not Guernsey? - BBC News

Auf Jersey fand man in verschiedenen Fundplätzen 120.000 keltische Münzen. Auf Guernsey bis anhin nur ganze 5:
The discovery of a hoard of approximately 70,000 Celtic coins in Jersey last year brought the total number found in the island to about 120,000.
In Guernsey, 27 miles (44km) to the north west, the equivalent total currently stands at five. So, why the disparity?

Die Römer haben sich hauptsächlich auf Guernsey aufgehalten:
"In the space of a generation, our view of the Romans in Guernsey has been fundamentally altered and we can see now that they had a significant and long-lasting presence on the island."

Auf Jersey waren sie kaum. Was die Insel für Münzverstecke sicher attraktiver machte:
"It could just be that Jersey are a little bit behind in finding evidence but they still only have a very few sites with Roman material."
 
Vielleicht verwechselst Du da etwas. Du meinst sicher Wahlgräber. Das ist die teuerste Variante und sieht nach Ablauf der Ruhezeit eine Verlängerung der Nutzungsrechte vor. Gilt aber nicht für Wale.
 
Zurück
Oben