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Es wäre mglw. interessant, Folgendes aus Sicht der bundesdeutschen verfassungsrechtlichen Ordnung und der historischen Erfahrungen bzgl. politisch-extremistischer Gewaltanwendung einzubauen und auszuwerten:
Widerstandsrecht – Wikipedia

Das würde den klassischen Weg verlassen, die Terroristenfrage nur über das ordinäre Strafrecht zu beantworten.
 
erst vor ein paar Jahren herausgekommen, als man erfuhr, dass der Todesschütze Karl Heinz Kurras IM der Stasi war und Benno Ohnesorg kaltblütig erschoss, um dadurch zur Eskalation beizutragen und die BRD zu destabilisieren.
Das stimmt so nicht. Kurras war IM, aber seine IM-Tätigkeit und der Mord an Ohnesorg haben allenfalls mittelbar miteinander zu tun: Der Waffennarr und anerkannte Schütze Kurras kam über seine IM-Tätigkeit an im Ostblock produzierte Pistolen, an die er sonst nur schwer oder gar nicht gekommen wäre. Der Mord an Ohnesorg stellte für die Stasi eher ein Problem dar, die als Reaktion auf den Mord ihren IM Kurras ruhen ließ. Kurras' IM-Tätigkeit war auch nicht politisch motiviert, also dass er Sympathien für "linke" Ideen gehabt hätte sondern monetär-materialistisch (nicht im Sinne des historischen Materialismus). Allenfalls könnte man noch annehmen, dass ihm das autoritäre Moment am DDR-Regime gefiel.
 
Man könnte daher plausibel sagen: Die RAF-Leute waren Terroristen.
Sie waren sich dieser Tradition möglicherweise nicht bewusst, aber in dieser handelten sie.
Die Frage, was Terror ist, ist auch immer eine Frage der Betrachtungsweise, relativistisch formuliert. Was für die einen ein Widerstandskämpfer ist, ist für die anderen ein Terrorist. Wichtig ist aber eben, dass man sich eben nicht relativistisch ausdrückt sondern trennscharf. Aber auch hier kommen wir in Probleme. Man könnte ja z.B. sagen Terrorismus ist illegitim, Widerstand ist legitim. Klar, dass sich jeder Terrorist entweder als Widerstandskämpfer sieht oder zumindest versucht, sich als solcher zu verkaufen. Andererseits versucht die Seite, gegen die Widerstand geleistet wird, jeden Widerstandskämpfer als Terroristen zu verkaufen, eben auch, um ihm so die Legitimität abzusprechen. Die Frage ist dann aber auch, wann darf man und wann ist es sogar notwendig, das Gewaltmonopol des Staates in Frage zu stellen und aufzuheben. Aus der Sichtweise der RAF und ihrer Sympathisanten war mit Ohnesorg und Dutschke sicherlich der Zeitpunkt, an dem das Gewaltmonopol des Staates seine Daseinsberechtigung verloren hatte und der bewaffnete Widerstand einsetzen musste, gekommen. Und in linksextremen Kreisen gilt der Selbstmord Grams' bis heute als ungeklärt bzw. mit einer extremistischen Kreisen aller Coleur eigenen verschwörungstheoretischen Grundhaltung als Mord (das Grams einen Kripobeamten niedergeschossen hat, wird gerne unter den Tisch gekehrt).

Auch wenn die RAF-Leute sich womöglich selbst nicht als Terroristen sahen, so waren sie ja nicht abgeschirmt von der Welt. Sie wussten sehr genau, als was sie gesehen wurden. Und bei aller berechtigten Kritik an der frühen Bundesrepublik und ihren Seilschaften, war ihr Weg neutral betrachtet, kaum mehr als Widerstand aufzufassen.
 
Das erscheint nicht neutral, sondern reichlich weichgespült.

Grundgesetzlich und rechtstaatlich gibt es einen glasklaren Unterschied zwischen politischer Konfrontation (das soll wohl den unbewaffneten "Widerstand" darstellen) und reihenweise Kapitalverbrechen wie Morde, schwerster Kriminalität ("bewaffneter Widerstand").

Letzteres soll hier den Übergang zum "bewaffneten Widerstand" darstellen? In der Denklogik (mordender) "Guerilla", die auch die "Urteilsberechtigung" der Zivilverwaltung als Instanz in Frage stellt, wäre sogar Kriegsrecht denkbar, wie sie ebenfalls Menschen "liquidierte" bzw. "Anschläge" verübte.

Auf diese Ebene ließ sich der Rechtstaat nie ein. Es blieben politische, aber eben Morde, und politisch motivierte sonstige Verbrechen.
 
Das erscheint nicht neutral, sondern reichlich weichgespült.

Grundgesetzlich und rechtstaatlich gibt es einen glasklaren Unterschied zwischen politischer Konfrontation (das soll wohl den unbewaffneten "Widerstand" darstellen) und reihenweise Kapitalverbrechen wie Morde, schwerster Kriminalität ("bewaffneter Widerstand").
Völlig d'accord. Eigentlich dachte ich, dass aus meinen Worten herauskäme, dass ich die RAF klar in die Kategorie Terror einordne. Ich habe lediglich versucht, die Denkweisen bzw. das Selbstbild derjenigen, die sich im Widerstand wähnen, mit einzubeziehen.
 
Das erscheint nicht neutral, sondern reichlich weichgespült.

Grundgesetzlich und rechtstaatlich gibt es einen glasklaren Unterschied zwischen politischer Konfrontation (das soll wohl den unbewaffneten "Widerstand" darstellen) und reihenweise Kapitalverbrechen wie Morde, schwerster Kriminalität ("bewaffneter Widerstand").

Letzteres soll hier den Übergang zum "bewaffneten Widerstand" darstellen? In der Denklogik (mordender) "Guerilla", die auch die "Urteilsberechtigung" der Zivilverwaltung als Instanz in Frage stellt, wäre sogar Kriegsrecht denkbar, wie sie ebenfalls Menschen "liquidierte" bzw. "Anschläge" verübte.

Auf diese Ebene ließ sich der Rechtstaat nie ein. Es blieben politische, aber eben Morde, und politisch motivierte sonstige Verbrechen.
Also gibt es für dich keinen bewaffneten Widerstand?
 
Wir bleiben beim historischen Beispiel (oder vergleichbaren):

Nein. Auf dem Boden des Grundgesetzes handelt es sich um Straftäter, soweit ihnen nach rechtstaatlichem Vorgehen Delikte nachgewiesen werden können. Die Motive können lediglich eine Rolle bei der Beurteilung des Delikts, Strafmaß etc. spielen.
 
Die Frage, was Terror ist, ist auch immer eine Frage der Betrachtungsweise, relativistisch formuliert. Was für die einen ein Widerstandskämpfer ist, ist für die anderen ein Terrorist. Wichtig ist aber eben, dass man sich eben nicht relativistisch ausdrückt sondern trennscharf.
Trennungsschärfe ist oft nur schwer herzustellen, weil ein und dasselbe Mensch mal als Widerstandskämpfer, mal als Terrorist, dann als Politiker und zuletzt wieder als Terrorist gelten kann, abhängig von Zeitläufen bzw. Zeitgeist. Beispiel hierfür ist Jassir Arafat, der zuletzt von Israel wieder als Terrorist bezeichnet wurde, obwohl er zuvor zusammen mit den Israelis Shimon Peres und Jitzchak Rabin den Friedensnobelpreis erhielt.

Man kann aber sagen: Ist ein Terrorist erfolgreich und kommt an die Macht, wird aus ihm ein Staatsmann, und seine Taten gelten fortan als legitime Taten eines Widerstandskämpfers. Siehe hierzu z.B. die Biografie Menachem Begins.

Die Frage ist dann aber auch, wann darf man und wann ist es sogar notwendig, das Gewaltmonopol des Staates in Frage zu stellen und aufzuheben. Aus der Sichtweise der RAF und ihrer Sympathisanten war mit Ohnesorg und Dutschke sicherlich der Zeitpunkt, an dem das Gewaltmonopol des Staates seine Daseinsberechtigung verloren hatte und der bewaffnete Widerstand einsetzen musste, gekommen.
Stimmt, aber ihre Sicht der Dinge war irrig, denn so haben vielleicht 1000 Leute in Deutschland gedacht. Die große Masse hatte schon mit den studentischen Demonstrationen der 1960er Jahre ihre Schwierigkeiten, so sympathisierten später auch nur ganz wenige mit der RAF bzw. deren Taten.

Die RAF war eine terroristische Vereinigung und wird das auch ewig bleiben, es sei denn, irgendeine Nachfolgeorganisation der RAF kommt irgendwann an die Macht – dann wird die Geschichte neu geschrieben. Siehe dazu auch meine Signatur.
 
Trennungsschärfe ist oft nur schwer herzustellen, weil ein und dasselbe Mensch mal als Widerstandskämpfer, mal als Terrorist, dann als Politiker und zuletzt wieder als Terrorist gelten kann, abhängig von Zeitläufen bzw. Zeitgeist. Beispiel hierfür ist Jassir Arafat, der zuletzt von Israel wieder als Terrorist bezeichnet wurde, obwohl er zuvor zusammen mit den Israelis Shimon Peres und Jitzchak Rabin den Friedensnobelpreis erhielt.

Man kann aber sagen: Ist ein Terrorist erfolgreich und kommt an die Macht, wird aus ihm ein Staatsmann, und seine Taten gelten fortan als legitime Taten eines Widerstandskämpfers. Siehe hierzu z.B. die Biografie Menachem Begins.

Stimmt, aber ihre Sicht der Dinge war irrig, denn so haben vielleicht 1000 Leute in Deutschland gedacht. Die große Masse hatte schon mit den studentischen Demonstrationen der 1960er Jahre ihre Schwierigkeiten, so sympathisierten später auch nur ganz wenige mit der RAF bzw. deren Taten.

Die RAF war eine terroristische Vereinigung und wird das auch ewig bleiben, es sei denn, irgendeine Nachfolgeorganisation der RAF kommt irgendwann an die Macht – dann wird die Geschichte neu geschrieben. Siehe dazu auch meine Signatur.
Wobei die Menge nichts aussagt. Am Anfang sind viele Bewegungen klein, bevor sie stärkeren Anklang finden
 
Es hilft natürlich nichts, wenn wir Äppel mit Birnen vergleichen. Silesia hat schon Recht, wenn wir die RAF diskutieren, dann müssen wir natürlich das GG als Handlungsrahmen zugrundelegen. Bei aller Kritik an der frühen BRD: Das GG ist damals wie heute dasselbe, die Rahmenbedingungen in der BRD sind andere als solche anderswo.
 
Wer die RAF als terroristisch bezeichnet, wertet sie aus Sicht der RAF in keinster Weise ab. Insofern entspringt das Bemühen, die RAF durch diese Vokabel moralisch zu diskreditieren, einem Missverständnis bzw. einer einseitigen Definition des Terrorbegriffs.

Aus Sicht der RAF ist "Terror" nämlich ein neutraler Begriff, der die Anwendung systematischer Gewalt als Durchsetzung politischer Ziele impliziert und sowohl auf die Gegner der RAF als auch auf die RAF selbst angewendet werden kann; sich selbst sieht die RAF definitiv als eine Terrororganisation - und zwar, weil sie sich das leninistische Terrorverständnis zu eigen gemacht hat, dem zufolge Terror dann ein legitimes Mittel ist, wenn das damit verfolgte Ziel legitim ist.

Zum Beleg zitiere ich aus einem Basistext der RAF vom Mai 1971 ("Über den bewaffneten Widerstand in Westeuropa"); als Verfasser gilt das sog. RAF-Kollektiv.

Terror gegen den Herrschaftsapparat – ein notwendiges Element der Massenkämpfe

Verfolgen die in der ersten Phase entstehenden Kommandoeinheiten eine richtige Politik, dann begreifen die Massen schnell die bewaffnete Aktion als ein erfolgreiches Mittel zur Sicherung ihrer Interessen.
(…)
So hält sich durch Jahrzehnte das kolossale Mißverständnis, daß sich der leninsche Begriff vom »individuellen Terror« auf Strafaktionen gegen einzelne Funktionäre des Unterdrückungsapparates beziehe, daß das Adjektiv »individuell« auf das Objekt eines Angriffs, das Individuum, welches sich als Polizeipräsident oder Staatsanwalt für die Konterrevolution verdient macht, ziele (…)Wird diese Diskussion mit revolutionären Sozialisten geführt, werden sie sich beeilen, die Notwendigkeit und Unvermeidlichkeit des revolutionären Terrors allgemein anzuerkennen. Die Logik ihrer Argumente läuft aber darauf hinaus, daß man gefälligst nicht Einzelne, Individuen, sondern Massen zu terrorisieren habe.

Lenin wäre entsetzt. Die ganze Diskussion geht tatsächlich von einem sprachlichen Mißverständnis aus, welches manchem freilich sehr willkommen scheint. Statt vor den Reflexen unseres Über-Ichs zurückzuweichen, sollte man über das Problem des Terrors als revolutionärem Moment sachlich nachdenken und dann prüfen, ob die Ansichten Lenins dem Resultat entgegenstehen. Wenn Lenin mit überzeugenden Argumenten den »individuellen Terror« kritisierte, so bezog sich das Adjektiv »individuell« nicht auf das Objekt des Angriffs, sondern auf sein Subjekt. Zahlreich sind die Mißverständnisse über die Auffassungen Lenins zu Fragen des Terrors. Das einzige, was in dieser Hinsicht Verbreitung gefunden hat, ist die Unkenntnis dessen, was Lenin zum revolutionären Terror tatsächlich gesagt hat.
(…)
Anfang 1905 schlugen die Sozialrevolutionäre, die revolutionären Erben der Volkstümlerrichtung, den Bolschewiki ein Kampfbündnis vor, mit dem sie ihre Kampfweise – den Terrorismus – in die proletarische Bewegung einbringen wollten. In diesem Angebot heißt es: »Möge diese beginnende Verschmelzung des revolutionären Terrorismus und der Massenbewegung wachsen und erstarken, möge die Masse möglichst bald mit terroristischen Kampfmitteln gewappnet auf denPlan treten!«
(…)
In den Notizen Lenins zu einem Programmentwurf für den II. Parteitag der SDAPR (1905) findet sich die Vorbemerkung: »Der Terror muß mit der Massenbewegung faktisch verschmelzen.«
(...)
Der revolutionäre Terror richtet sich ausschließlich gegen Exponenten des Ausbeutungssystems und gegen Funktionäre des Unterdrückungsapparates, gegen die zivilen und militärischen Führer und Hauptleute der Konterrevolution.

 
Der Quark stammt aus der Feder von Horst Mahler, dessen geistige Verwirrtheit nicht nur im Wechsel vom Linksextremisten zum Rechtsextremisten bzw. Neonazi zu sehen ist.
Horst Mahler – Wikipedia

Der Text war selbst innerhalb der RAF umstritten (lt. Aust), und wird von Maya (Die Gewalt der RAF, S. 50) als "nicht repräsentativ für das Kollektiv" bezeichnet.

Offenbar wieder Ergebnis einer google-Irrlichterei ohne jede inhaltliche Prüfung auf Substanz.
 
Wir bleiben beim historischen Beispiel (oder vergleichbaren):

Nein. Auf dem Boden des Grundgesetzes handelt es sich um Straftäter, soweit ihnen nach rechtstaatlichem Vorgehen Delikte nachgewiesen werden können. Die Motive können lediglich eine Rolle bei der Beurteilung des Delikts, Strafmaß etc. spielen.

Hm... Ich erinnere mich an eine rechtsphilosophische Diskussion, bei der es ordentlich umstritten war. Aber danke für deine Auffassung.
 
Dass Mahler später ein Neonazi wurde, habe ich weiter oben selbst schon geschrieben. Der Grund für Mahlers Ausschluss aus der RAF im Jahr 1974 hat weniger programmatische als vielmehr persönlich-psychologische Gründe, zumindest geht das aus der "Erklärung zum Ausschluss von Horst Mahler aus der RAF" hervor:

er stellte sich vor, er könnte in der guerilla das bourgeoisleben, das er vorher hatte - kommandieren, die schwächen anderer ausnutzen, privilegien, wie das in der kanzlei eines anwalts von ausbeuter zu ausgebeuteten funktioniert - weiterführen. so hat er - weil er nicht lernen und sich nicht ändern wollte - zu kollektiver, unnachgiebiger, geduldiger arbeit unfähig blieb, nicht bereit war, sich den karrieristischen dreck vom halse zu schaffen.


Zum Rechtextremismus kam Mahler erst viel später, in den 1990ern. Man sollte seine Bedeutung für die Formierung der RAF nicht unterschätzen, zum Entstehungszeitpunkt des zitierten Textes (dessen Zuschreibung zu Mahler aber nicht völlig gesichert ist!) war er eine bedeutende Größe in dieser Gruppe. Er war 1970 einer ihrer Begründer und im Mai an Baaders Befreiung beteiligt, dann gehörte er zu den RAF-Leuten, die sich in Jordanien terroristisch ausbilden ließen. Sicher war er in dieser Zeit der führende Theoretiker der RAF. In diesem Licht sollte man den zitierten Text sehen.

Es ist richtig, dass der Terrorismusbegriff von den meisten RAF-Leuten anders als von Mahler gehandhabt wurde, nämlich - in Anpassung an den Sprachgebrauch in dem von ihnen bekämpften System - negativ, was aber nicht heißt, dass sie den Begriff per se diabolisierten. Sonst wäre es nicht verständlich, dass das "Handbuch des Stadtguerillero" von Carlos Marighella die absolute Basislektüre für alle RAF-Mitglieder bildete. Darin wird der Terrorismusbegriff bewusst positiviert.

Zwei Zitate, die das belegen:

Die Beschuldigung, ein Räuber oder Terrorist zu sein, hat heute nicht mehr die abschätzige Bedeutung, die ihr früher anhaftete (...) sie erschreckt nicht mehr, sie ist nicht mehr abfällig, im Gegenteil: sie ist geradezu zu einer Attraktion geworden. Ein Räuber und Terrorist zu sein, ist eine Eigenschaft, die jeden ehrlichen Menschen ehrt, denn sie bezeichnet genau die würdige Einstellung des Revolutionärs, der bewaffnet gegen die schändliche Militärdiktatur und ihre Ungeheuerlichkeiten kämpft.
(...)
Wenn dies beachtet wird, können wir die folgenden Aktionsarten des Stadtguerillero aufzählen:a) Überfälle, b) Eindringen in feindliche Objekte (...) k) Sabotage, l) Terrorismus (...)


Baader z.B. hat in Gesprächen mit anderen RAF-Leuten ständig aus diesem Buch zitiert.

Darüber hinaus wäre auch Lenins hoher Stellenwert im RAF-Denken unverständlich angesichts der auch aus dem Mahler-Text hervorgehenden, als positiv betrachteten Funktion des "revolutionären Terrors". Neben Mahler war es vor allem Ensslin, die Lenin als Theoretiker hochschätzte.

Wenn die RAF in ihrer Mehrheit den Terrorismusbegriff spätestens ab Mitte der 1970er nur negativ verwendete, dann - und das folgt logisch aus dem oben Gezeigten - nur in äußerlicher Anpassung an die Sprachregelung ihres Gegners.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das ist möglicherweise eine irreführende Formulierung.
Ich bin ja kein Jurist, aber so wie ich es verstehe, wurden nicht etwa Notstandsgesetze in Kraft gesetzt,
sondern durch die Notstandsnovelle die Verfassung so ergänzt, dass im Falle eines Notstandes (Äußerer Notstand, Innerer Notstand, Katastrophennotstand) die eigene Regierung handlungsfähig ist.

Selbstverständlich, das war aber natürlich nur ein Konzentrationsfehler. Ich hätte "beschlossen" schreiben sollen statt "ausgerufen".
 
Stimmt, das GG ist heute dasselbe wie 1949, trotzdem wurde es in Laufe der Jahrzehnte immer wieder anders interpretiert, jeweils mit dem Segen des Bundesverfassungsgerichts. Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an die mehrmalige Weigerung des Gerichts, die im GG garantierte Gleichstellung von Mann und Frau anzuerkennen bzw. die Exekutive/Legislative anzuweisen, in der Gesetzgebung diese Gleichstellung auch herzustellen. So wurden z.B. Postboten, Lehrer oder Lokomotivführer nicht eingestellt bzw. verbeamtet, wenn nur der Verdacht bestand, sie stünden gesinnungsmäßig Kommunisten nahe.

Das alles verstieß damals - und manches verstößt immer noch - gegen Art. 3 GG, und hier wird jetzt so getan, als sei, weil laut Grundgesetz garantiert, alles in Ordnung gewesen und man damit kein Recht hätte, gegen reale Zustände aufzubegehren.

Dass die Mittel der RAF falsch waren, das steht außer Frage, aber dass es etwas faul im Staate war, und dass diejenigen, die das mit friedlichen Mittel verändern wollten, mit Berufsverboten brutal ausgebremst wurden, sollte hier nicht unter den Tisch fallen.
 
Die Radikalenerlässe waren sicher kein sehr rühmliches Kapitel der Bundesrepublik. Insgesamt waren das dann aber doch relativ wenige Fälle. Zwischen 1973 und 1975 gab es nach Angaben des Bundesinnenministeriums zu 450.000 Anfragen beim Verfassungsschutz, in über 5000 Fällen wurden "Erkenntnisse" gewonnen, die insgesamt zu 108 Fällen führten, in denen Bewerber nicht im öffentlichen Dienst eingestellt. Die Organisation "Weg mit dem Berufsverbot" zählte im gleichen Zeitraum 1200 Ablehnungen einer Einstellung, 2100 Disziplinarverfahren und 256 Entfernungen aus dem öffentlichen Dienst. Betroffen waren fast auschließlich linke Organisationen, darunter auch die Vereinigung der Verfolgten des NS Regimes und die Dutsche Friedensgesellschaft. Der Europäische Gerichtshof sah in den Berufsverboten einen Verstoß gegen die Menschenrechte und Meinungsfreiheit. Die Praxis der Radikalenerlässe stieß aber von Anfang an auf Kritik aus dem In- und Ausland.
 
Artikel 20 Absatz 4 des GG räumt jedem Bürger ein Widerstandsrecht auch gegen staatliche Organe ein, wenn diese Grund- und Bürgerrechte unterdrücken und auf die Ausschaltung der freiheitlich demokratischen Grundordnung hinarbeiten. Ende der 1960er und auch noch in den 1970er Jahren war die Lage in Jugend- und Pflegeheimen vielfach katastrophal. In staatlichen und kirchlichen Pflegeheimen waren Misshandlungen und Schläge an der Tagesordnung. Ende der 1960er Jahre wurde noch diskutiert, ob die Gundrechte im GG für Kinder und Jugendliche überhaupt gelten. Die Versuche, an deutschen Schulen die Prügelstrafe abzuschaffen, waren oft recht zaghaft, in Bundesländern wie Hessen, Baden-Württemberg und Bayern dauerte es bis in die 1970er Jahre, bis das gesetzlich verboten wurde. In manchen ländlichen Gebieten dauerte es, von Teilen der Elternschaft ausdrücklich geduldet mitunter bis in die 1980er Jahre bis sich das Verbot auch herumsprach, bzw. bis dem Gesetz genüge getan wurde. Neuere Errungenschaften der Reformpädagogik gingen aber auch an Schulen und Kindergärten nicht spurlos vorüber. Jüngere Lehrer und Sozialpädagogen und immer größere Teile der Elternschaft waren von Experimenten wie Summerhill angetan. Es wurden Schülervertretungen an vielen Schulen gegründet und gefördert. An den Heimen und Fürsorgeeinrichtungen ging diese Entwicklung leider fast völlig vorbei. Teilweise war das wirklich grauenvoll, Heart of Darkness was nicht zuletzt auch in Heimen, die unter Leitung der Kirchen beider Konfessionen standen Alltag war.

Ulrike Meinhof war bis zum Vorabend der Baader Befreiung eine der renommiertesten Journalistinnen der Bundesrepublik. Meinhof hatte sich intensiv mit den Zuständen in Fürsorgeeinrichtungen beschäftigt und hatte engen Kontakt zu Betroffenen aufgenommen. Eine Reportage von Meinhof "Bambule" war bereits fertig gedreht, wurde dann aber im ZDF wegen Meinhofs Beteiligung an der Befreiung von Andreas Baader 1973 abgesetzt und meines Wissens nie gesendet,

hen mit den Zuständen in Heimen der 1950er-1970er waren das
er und Jugendliche
 
Artikel 20 Absatz 4 des GG räumt jedem Bürger ein Widerstandsrecht auch gegen staatliche Organe ein, wenn diese Grund- und Bürgerrechte unterdrücken und auf die Ausschaltung der freiheitlich demokratischen Grundordnung hinarbeiten. ...
Dazu ein paar Gedanken...
Es ist bemerkenswert, dass eben dieses Widerstandsrecht gem. GG §20 Absatz 4 Bestandteil der Notstandsnovelle war.
D. h. nicht nur der Staat erhielt zusätzliche Befügnisse, sondern auch der Bürger.
Was vorher nur in Ausnahmefällen als übergesetzliches Recht gelten konnte, erhielt nun eine verfassungsrechtliche Legitimierung (wie mir eine liebe Juristin darlegte).
Ich würde vermuten, dass insgesamt über die Notstandsgesetze eine falsche Vorstellung durch die Köpfe geistert. Der meine jedenfalls war davon betroffen.
Etwa die Vorstellung, auch mithilfe des Einflusses der alten Nazigranden, hätte man sich schnell ein Mittel beschafft um die Demokratie zu beschädigen, die Uhr sozusagen zurück zu drehen in unseelige Zeiten.
Eine Erzählweise, die wahrscheinlich ihre Attraktivität durch der Zeitgleichheit von 68er-Revolte und Verabschiedung der Verfassungsnovelle gewinnt.
Die Story stimmt zwar nicht, aber das Substrat auf dem sie wächst, ist zweifellos geeignet ihre Verbreitung zu begünstigen.
Ich jedenfalls, als 68er-Spätlese, schau mit wachsendem Misstrauen auf das was ich als halber Zeitzeuge gemeint habe zu verstehen. Und Zeitzeugen soll man ja nicht trauen. :D
 
Eine berechtigte "Spätlese" zur damaligen Agitation.

Ich vermute, Scorpios Beitrag sollte auch nicht Art 20 (4) GG in einen Zusammenhang mit Meinhofs Weg in den Terrorismus stellen, und diesen als "Widerstand" gegen scharf zu kritisierende Verhältnisse interpretieren.

Wie schon vor 10 Jahren beim BMK-Film befürchtet wurde, und sich hier wieder am Beispiel dieser vom Literaturstand losgelösten Terrorismus/Mahler-Debatte zur Gewalteskalation zeigte, tendiert die RAF-Historie offensichtlich zum Abenteuerspielplatz.
 
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