Und selbst eine große Stadt wie Augsburg mit entsprechenden administrativen Möglichkeiten hat zwar einen modus vivendi geschaffen, aber 1628 hat sich keiner der Mehrheit daran erinnert die Minderheit zu schützen. Die Durchsetzung des Restitutionsedikt gelang mit verhältnismäßig geringen Kräften.
Wobei 1628 auch vor dem Hintergrund der Ereignisse der zurückliegenden 20 Jahre zu sehen ist. Wenn sich da kein Widerstand regte, so mag man durch die Schicksale diverser Städte schlau geworden sein. Ich denke jetzt nicht nur an Donauwörth, das ja auch in Oberdeutschland liegt, sondern auch an Schwäbisch Hall, wo der Versuch den Katholizismus wieder einzuführen erst mit dem Eintreffen der Schweden so richtig zurückgeschlagen wurde. Die Frage ist, was den herrschenden Schichten der Reichsstädte wichtiger war. Ihren konfessionellen Standpunkt oder den Status der Reichsstadt zu bewahren.
Die Reichsstädte hatten nach dem Zusammenbruch der Union erkennen müssen, dass ihnen dieses protestantische Bündnis nur geschadet hatte. Sie waren sozusagen die Zahlerländer, die obendrein noch die Unionstage (wie noch 1618 in Heilbronn) hatten ausrichten dürfen, während die Fürsten allen voran der von der Pfalz ihren machtpolitischen Profit daraus zu ziehen suchten.
Da sich Augsburg schon 1608 bzw. 1610 nicht zum Beitritt der Union entschlossen hatte, scheint man im Rat dieser Reichsstadt prinzipiell eher vorsichtig gewesen zu sein.
 
Und wie viele Jahrhunderte lang hat diese Praxis Bestand gehabt, also bis 1555?
Warum bis "1555"?
Du sprachst von der Gegenreformation, die reicht bis ins 18. Jahrhundert und war 1555 ganz sicher noch nicht zu Ende.

Rückschläge gab es vielerorts während des Dreißigjährigen Kriegs, so wurde z. B. das schon fast hundert Jahre bestehende Simultaneum im Bautzener Dom für kurze Zeit unterbrochen:
Dom St. Petri (Bautzen) – Wikipedia

Andernorts gab es auch stabile Verhältnisse: Die Stadtpfarrkirche St. Martin in Biberach wird seit 13. August 1548 ununterbrochen von beiden Konfessionen genutzt:

Ob 0,25 schon die Verwendung des Plurals zulässt?
Worauf bezieht sich die Zahl "0,25"?

Und selbst eine große Stadt wie Augsburg mit entsprechenden administrativen Möglichkeiten hat zwar einen modus vivendi geschaffen, aber 1628 hat sich keiner der Mehrheit daran erinnert die Minderheit zu schützen. Die Durchsetzung des Restitutionsedikt gelang mit verhältnismäßig geringen Kräften.

Was meinst Du mit 1628?
Die Bürgerschaft in Augsburg war mehrheitlich evangelisch.
1628 beschwerte sich Bischof Heinrich von Knöringen beim Kaiser und behauptete, die katholische Minderheit würde unterdrückt. Der gemischt-konfessionelle Rat der Stadt verwahrte sich gegen diese falschen Behauptungen. Er konnte dennoch nicht verhindern, dass der Kaiser auf Konfrontationskurs ging.
 
Preis für diese Erkenntnis: Am Ende des Krieges war die Hälfte der Bevölkerung nicht mehr am Leben.

Genaue Opferzahlen des 30-jährigen Krieges sind nicht zu ermitteln. Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 40% der Landbevölkerung dem Massensterben zum Opfer fiel. Bei der städtischen Bevölkerung fielen die Verluste mit 20%-30% geringer aus. Schätzt man die Einwohnerzahl des Reiches im Jahr 1618 auf 18 Millionen, so verloren bei einem Drittel 6 Millionen Menschen ihr Leben.

Bemerkenswert ist, dass das Gros der Bevölkerung nicht direkten Kriegseinwirkungen zum Opfer fiel, sondern Seuchen und Hungersnöte aufgrund vernichteter Ernten hohe Sterbeziffern verursachten.

Das Massensterben war regional sehr unterschiedlich verteilt. Bessonders hohe Verluste an Menschenleben erltten Mecklenburg, Pommern, die Pfalz, Teile Thüringens und Württemberg. Hier starben über 65% der Bevölkerung. Stark betroffen waren auch Hessen, Bayern, die Kurmark und Böhmen. Erheblich geringere Verluste hatten Niedersachsen, Holstein, das Oberrheingebiet und Teile Sachsens zu verzeichnen.

Das schlimmste Massaker erlitt im Mai 1631 Magdeburg, bei dessen Einnahme 20 000 Magdeburger Bürger entsetztlichen Gräueltaten zum Opfer fielen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Magdeburger_Hochzeit
 
Genaue Opferzahlen des 30-jährigen Krieges sind nicht zu ermitteln.
Nicht immer und überall. Krieg ist immer schlecht für Archive, da sie gezielt geplündert werden (auch jemand, der nicht lesen kann, weiß, dass in den Archiven die Dokumente liegen, welche im Zweifel von XY vorgelegt werden, um Besitzansprüche geltend zu achen) oder aber durch Zerstörung der Stadt verloren gehen. Wo die Archive aber erhalten sind und während des Krieges die kirchliche Ogranisation erhalten blieb, welche Geburten, Ableben, Hochzeiten und andere Lebensereignisse dokumentierte, da kann man schon den Impakt des Krieges sehen. Schatzungslisten sind freilich häufig eine sehr ungenaue Dokumentation der Bewohnerschaft eines Ortes, da sie z.B. zu zahlende Steuern anhand der Feuerstellen eines Hauses ermitteln, oder nach Familienvorstand.
Ansonsten kann die Archäologie helfen, die natürlich häufig nicht klären kann, warum ein Dorf wüst gefallen ist, sofern nicht Zerstörungshorizonte eine eindeutige Sprache sprechen.
Punktuell kann man also durchaus den durch den Krieg verursachten Bevölkerungsverlust ermitteln. Ist halt nur eine Heidenarbeit....
 
Bei "Bevölkerungsverlust" sollte man such nicht sofort an "tot" denken. Ein großer Teil dürfte auch einfach geflohen sein.
 
[QUOTE="Dion]Böhmen war eine Wahlmonarchie, sie konnten wählen, wen sie wollten. Zwar haben sie 1617, also noch zu Lebzeiten des böhmischen Königs Matthias, Ferdinand II. zum böhmischen König gewählt, aber als 1619 Matthias starb, wollten sie Ferdinand nicht mehr als ihren König anerkennen und wählten einstimmig! den Friedrich. Aber das war mehr als ein Jahr nach dem Prager Fenstersturz, dem ja gleich die ersten kriegerischen Auseinandersetzungen folgten, auch verständlich.[/QUOTE]

Dass das böhmische Königreich eine Wahlmonarchie war, die wählen konnte, wenn sie wollte, ist zu bezweifeln (beziehungsweise dürfte eine später entstandene Legende gewesen sein). In Wirklichkeit hatten die böhmische Landstände (was sich auch für andere Länder in dieser Zeit beobachten lässt) nur Mitspracherecht, das sie (oder jemand, der die Landstände hinter sich wusste) aber ideal nutzen konnte, wenn die Herrschaftsverhältnisse unklar waren.

Wenn sie wirklich eine Wahlmonarchie gewesen wären, die hätte wählen können, wen sie wollte, hätten sie es in den Jahrhunderten vor 1619 sicher nicht notwendig gehabt, ihre Wahl jedes Mal durch den Kaiser sanktionieren zu lassen beziehungsweise jemanden zu wählen, der verwandtschaftliche Beziehungen zu seinem unmittelbaren Vorgänger nachweisen konnte oder diese durch eine Heirat erwerben musste.

Die Wahl von 1617 deutet übrigens daraufhin, dass sich die Stände selbst nicht einig waren. Offensichtlich war das Gros von ihnen zu diesem Zeitpunkt noch nicht bereit, sich gegen die Dynastie der Habsburger als Herrscher zu stellen. Wenn aber hätten sie dann von den Habsburgern wählen können außer Ferdinand? (Der spätere Kaiser Ferdinand II. (als Erzherzog von Österreich ist er Ferdinand III.) war übrigens der Cousin von Matthias (und Rudolf) war.)

Ferdinands Bruder Leopold (Erzherzog Leopold V. von Österreich, besser bekannt als Leopold von Tirol), nebenbei damals Bischof oder zumindest für eine geistliche Laufbahn bestimmt, war der jüngere Bruder - seine Wahl wäre sicher nur möglich gewesen, wenn Ferdinand dazu sein Einverständnis gegeben hätte.

Eine Alternative wären nur die beiden Brüder von Kaiser Matthias gewesen, die damals noch am Leben waren:
- Erzherzog Albrecht VII. von Österreich (gest, 1621) war damals Regent der (spanischen) Niederlande, hätte er Nachkommen gehabt, war vorgehen, dass diese ihm in den Niederlanden nachfolgen würden.) Es ist daher anzunehmen, dass er für eine Nachfolge im böhmischen Königreich wohl nicht in Frage gekommen wäre und er dürfte auch keine besonderen Kontakte zu den böhmischen Ständen gehabt haben, wegen der er sich als Alternative empfohlen hätte, und da er keine Nachkommen hatte, wäre Ferdinand letztlich ebenfalls böhmischer König geworden.

- Erzherzog Maximilian III. von Österreich (gest. 1619), besser bekannt als Maximilian der Deutschmeister, war zwar ein enger politischer "Mitarbeiter" seiner Brüder, dürfte aber selbst kein Interesse gehabt haben, sich als böhmischer König einzubringen. Davon abgesehen aber wäre er (wie auch Albrecht) ohnehin nur eine Übergangslösung gewesen, denn da er aufgrund seines geistlichen Standes auch keine Nachkommen hatte. Auch bei ihm wäre Ferdinand langfristig betrachtet, der Nachfolger gewesen.
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Dass Gustav Adolf II. der einzige Herrscher war, der nur aus religiöser Überzeugung im Dreißigjähren Krieg kämpfte, bezweifle ich übrigens. Immerhin sollte sich sein Einsatz politisch lohnen, das Königreich Schweden gewann Besitzungen im Heiligen Römischen Reich, die es bis zum schwedischen Krieg halten konnte.

Ebenso dürfte der Herzog Maximilian von Bayern (später Kurfürst Maximilian I. von Bayern) wohl auch nicht nur religiöse Gründe für seine Beteiligung gehabt haben. Die beiden Wittelsbacher-Dynastie der Herzöge von Bayern und der Pfalzgrafen bei Rhein waren seit mindestens über hundert Jahren immer wieder Gegner gewesen und Maximilian konnte so die Kurfürstenwürde für seine Dynastie gewinnen. (Auch wenn nach Kriegsende beide Dynastien die Kurfürstenwürde erhielten.)
 
Dass das böhmische Königreich eine Wahlmonarchie war, die wählen konnte, wenn sie wollte, ist zu bezweifeln (beziehungsweise dürfte eine später entstandene Legende gewesen sein). In Wirklichkeit hatten die böhmische Landstände (was sich auch für andere Länder in dieser Zeit beobachten lässt) nur Mitspracherecht, das sie (oder jemand, der die Landstände hinter sich wusste) aber ideal nutzen konnte, wenn die Herrschaftsverhältnisse unklar waren.

Wenn sie wirklich eine Wahlmonarchie gewesen wären, die hätte wählen können, wen sie wollte, hätten sie es in den Jahrhunderten vor 1619 sicher nicht notwendig gehabt, ihre Wahl jedes Mal durch den Kaiser sanktionieren zu lassen beziehungsweise jemanden zu wählen, der verwandtschaftliche Beziehungen zu seinem unmittelbaren Vorgänger nachweisen konnte oder diese durch eine Heirat erwerben musste.

Widersprichst du dir nicht selbst? Wenn du im späteren auf die Alternativmöglichkeiten zu Ferdinand hinweist, gibt es doch an sich keine reelle, wenn die Wahl sowieso nur eine Scheinwahl war.
 
Dass das böhmische Königreich eine Wahlmonarchie war, die wählen konnte, wenn sie wollte, ist zu bezweifeln (beziehungsweise dürfte eine später entstandene Legende gewesen sein).
Du hast Recht, der Ausdruck war zu stark gewählt. Ich hätte schreiben sollen: Sie konnten wählen, wen sie wollten – im Rahmen der Möglichkeiten.

Ebenso dürfte der Herzog Maximilian von Bayern (später Kurfürst Maximilian I. von Bayern) wohl auch nicht nur religiöse Gründe für seine Beteiligung gehabt haben.
Man darf nicht vergessen: Ferdinand und Maximilian waren Cousins und kannten sich schon als Jugendliche in Ingolstadt, wo sie zusammen von Jesuiten erzogen worden waren – deren Indoktrination im Sinne der katholischen Kirche fand dort statt.
 
Dass Gustav Adolf II. der einzige Herrscher war, der nur aus religiöser Überzeugung im Dreißigjähren Krieg kämpfte, bezweifle ich übrigens. Immerhin sollte sich sein Einsatz politisch lohnen, das Königreich Schweden gewann Besitzungen im Heiligen Römischen Reich, die es bis zum schwedischen Krieg halten konnte.

Bei der Frage, warum Gustav Adolf in den Krieg eingetreten ist bezieht sich Ringmar auf eine Studie von Oredson und führt 11 !!!!!! verschiedene Erklärungen für die Entscheidung an. Was die andauernde Frage nach den Gründen als gerechtfertigt erscheinen läßt.

https://books.google.de/books?hl=de...cYlqc5RY#v=onepage&q=thirty years war&f=false

https://books.google.de/books?id=bA...ved=0ahUKEwi_tvCY36bbAhWDsaQKHcYGCXAQ6AEINjAC

Insgesamt sind die strukturellen Ursachen sicherlich zu trennen von den Gründen, die angeführt wurden, um eine entsprechende Mobilisierung der - überwiegend unwilligen - Bürger und Bündnispartner zu gewinnen. Dieses wurde beispielsweise - durchaus realistisch - auch in Schweden am "Hofe" so gesehen.

Erstaunlich ist für mich, der die Diskussion passiv wahrgenommen hat, die explizite Nichtnennung der generellen "Krise des 17. Jahrhundert" (Klima etc.) wie es beispielsweise Trevor Roper oder Parker beschreibt. Die die Entwicklungen im Rahmen der Renaissance begleitet haben und sicherlich als Rahmenbedingung mit eine Erklärung liefern kann.
 
[QUOTE="Dion]
Ebenso dürfte der Herzog Maximilian von Bayern (später Kurfürst Maximilian I. von Bayern) wohl auch nicht nur religiöse Gründe für seine Beteiligung gehabt haben.

Es ist eine Binsenweisheit, dass die ursprünglich religiöse Motivation im Verlauf des Krieges völlig zurücktrat zu Gunsten einer reinen Machtpolitik. Es kam zu planlosen Feldzügen. in denen jedoch keine Seite ein militärisches Übergewicht erlangen konnte. Der Krieg artete aus in eine Drangsalierung der geplagten Zivilbevölkerung.

Es kam zu der grotesken Situation, dass das katholische Frankreich für das geschwächte protestantische Schweden gegegen das katholische Habsburg focht.
 
Es kam zu der grotesken Situation, dass das katholische Frankreich für das geschwächte protestantische Schweden gegegen das katholische Habsburg focht.
Das war doch gewissermaßen Usus im 16. und 17. Jhdt., dass Frankreich, wenn es gegen Habsburg ging, nicht nur alle konfessionelle sondern sogar die religiöse Integrität aufgab.
 
Es kam zu der grotesken Situation, dass das katholische Frankreich für das geschwächte protestantische Schweden gegen das katholische Habsburg focht.

Was ist daran eine "groteske Situation"? Es ist wohl eher ein implizites Werturteil, das unterstellt, dass Konflikte entlang von religiösen Überzeugungen verlaufen. Eine historische Unterstellung, die empirisch kaum Bestand haben würde.

Wie eine Reihe von Beispielen für den 30 Jährigen Krieg das schnell belegen könnte, angefangen bei dem Kurfüsten von Sachsen. Individuelle Interessen wurden auch !!!! durch konfessionelle Bande ausgerichtet, aber bereits der Konflikt zwischen den Lutheranern und Calvinisten zeigt, wie kompliziert die Fronten verliefen (vgl. z.B. auch Sachsen)

https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Georg_I._(Sachsen)

Betrachtet man weiter die Situation von Frankreich, dann war das Verhalten Richelieus absolut nicht so, dass es als "groteske Situation" bezeichnet werden könnte. Vielmehr folgte er simplen machtpolitischen Überlegungen, die jeder halbwegs gebildete Staatsmann ähnlich gesehen hätte.

"Cardinal Richelieu of France, for example, warned the king that aggressive intervention in the empire [gemeint ist das HRR] was necessary, for "if the (Protestant) Party is entirely ruined, the brunt of the power of the House of Austria (the Habsburgs) will fall on France."" (vgl. Helfferich, General Introduction, Pos. 253)

Dass das defensive Motiv eines Richelieus dann auch offensiv gewendet werden konnte, wie im Falle Schwedens und dann auch für Frankreich ähnlich, belegt dann wohl nur, dass Machtpolitik wenig altruistische Motive in sich trägt.

Helfferich, Tryntje (2015): The Thirty Years War. A documentary history. Edited and translated by Tryntje Helfferich. Indianapolis [Indiana]: Hackett Publishing Company, Inc.
 
Bei "Bevölkerungsverlust" sollte man such nicht sofort an "tot" denken. Ein großer Teil dürfte auch einfach geflohen sein.
Wohin? Italien?

Manche Städte waren überfüllt. Aber man kehrte doch zumeist in seine Dörfer zurück. Eine komplette Auswanderung meinetwegen nach Frankreich ist mir unbekannt.
 
Es ist eine Binsenweisheit, dass die ursprünglich religiöse Motivation im Verlauf des Krieges völlig zurücktrat zu Gunsten einer reinen Machtpolitik. Es kam zu planlosen Feldzügen. in denen jedoch keine Seite ein militärisches Übergewicht erlangen konnte. Der Krieg artete aus in eine Drangsalierung der geplagten Zivilbevölkerung.
Ja, deshalb ließ schon Schiller im Wallenstein einen Feldherren sagen: Der Krieg ernährt den Krieg.

Oder anders gesagt: Es wurde Krieg geführt, um die Kriegführenden zu ernähren und zu bereichern. Auf Kosten der Zivilbevölkerung, die unter den „eigenen“ Soldaten genauso litt wie unter den „fremden“.
 
Das war doch gewissermaßen Usus im 16. und 17. Jhdt., dass Frankreich, wenn es gegen Habsburg ging, nicht nur alle konfessionelle sondern sogar die religiöse Integrität aufgab.
Ich finde daran auch nichts grotesk. Frankreich mag vom Herrscherhaus katholisch gewesen sein, aber es gab doch auch immer die Staatsräson.

Frankreich war doch innerlich im 16.Jh. beinahe so gespalten wie Deutschland. Der König hatte eine sehr eingeschränkte Macht und war zwischen den Allianzen französischer katholischer und hugenottischer Kräfte hin und her geworfen, bisweilen auf die Unterstützung Spaniens konkret angewiesen. Henri IV versuchte sich dann vom ausländischen Einfluss endgültig zu befreien und ähnlich wie vor den Religionskriegen Frankreich wieder den Weg zur Hegemonialmacht in Europa zu ebnen (was Frankreich in seiner Zerrüttung nicht mehr sein konnte). Henri IV griff dazu auf die Mittel von Vorgängern zurück, die meinten, dass alle Feinde des Hauses Habsburg in Deutschland potentielle Verbündete Frankreichs waren. Frankreich legte sich ja auch nie auf eine konsequente und ausschließliche Verbindung mit den protestantischen Mächten fest, sondern verhandelte insgeheim ja auch mit Maximilian von Bayern, um die Liga als Partner des Kaisers auszuschalten, was die Karten in Deutschland komplett neu gemischt hätte.
Frankreichs Außenpolitik folgt keinem bestimmten Muster, da die Bündnispolitik natürlich massiv davon abhing, wer gerade in Frankreich das Sagen hatte. Anne d'Autriche und Marie de Médicis hatten z.B. ganz andere Ansichten als Henri IV, Louis XIII und Richelieu bzw. später Mazarin.

Der defacto Konflikt zwischen England und Frankreich im Zuge der Belagerung von La Rochelle zeigt auch auf, dass nicht immer alles nach den Plänen der eigentlichen Herrscher gehen musste (hier entwickelte der Favorit des Königs, der Duke of Buckingham, eigene Pläne).
 
Ja, deshalb ließ schon Schiller im Wallenstein einen Feldherren sagen: Der Krieg ernährt den Krieg.

Oder anders gesagt: Es wurde Krieg geführt, um die Kriegführenden zu ernähren und zu bereichern. Auf Kosten der Zivilbevölkerung, die unter den „eigenen“ Soldaten genauso litt wie unter den „fremden“.
Ich bin kein Fan von der Pauschalisierung. Wenn man Münkler und auch Englund anschaut, wird einem klar, dass die Kriegsführung in dieser Endphase des Krieges durchaus keineswegs planlos war. Frankreich und Schweden verfolgten stets strategische Ziele mit ihren Operationen. Es ging auch nicht um eine Form der Ermattung des Feindes, sondern die strategischen Ziele mussten bisweilen den taktischen Möglichkeiten untergeordnet werden. Ein Problem war, dass die Heere große bereits ausgeplünderte Landstriche überbrücken mussten. Dadurch wurde der Krieg bisweilen erstaunlich beweglich, was den hohen Anteil an Reiterei (auch vielleicht verblüffend bei den Versorgungsengpässen) in den Heeren bedingte.

Eines der Probleme war weniger, dass der Krieg geführt werden musste, um die Kriegsführenden zu ernähren, sondern der Krieg nicht beendet werden konnte, da eine Hauptkriegspartei - Schweden - kein Geld hatte um sein Heer abzudanken. Solange das Heer benutzt wurde, konnte es sich durch Kontributionen selbst finanzieren. Das Abdanken aber war ungleich teurer und natürlich konnte kein anderer das Abdanken zahlen als der Feind und das hätte vorausgesetzt, dass der Kaiser eine Niederlage eingestand. Bisweilen hätte das der Kaiser wohl auch zu geringeren Einbußen als am Schluss (Vogteirechte im Elsass, Gebietsgewinne Schwedens etc.) tun können, aber man ließ sich wohl von der schwankenden Fortuna auf den Schlachtfeldern blenden.
 
Katastrophen - egal, ob es ich um eine Epidemie, einen Krieg oder etwas anderes handelt - ziehen häufig weitere Katastrophen, gewissermaßen Sekundärkatastrophen, nach sich. Wenn es zu Bevölkerungsverlusten größeren Ausmaßes kommt, bleibt etwa Arbeit unerledigt liegen. So wird etwa die Ernte nicht eingefahren und im nächsten Jahr der Acker nicht bestellt. Das führt zu einem Zusammenbruch der Lebensmittelproduktion und zieht Hungersnöte nach sich. Man mag meinen, dass der Bevölkerungsteil, der die Katastrophe überlebt hat, ja nun mit weniger Nahrung auskäme aber so einfach funktioniert das eben meistens dann doch nicht.
 
Wohin? Italien?

Manche Städte waren überfüllt. Aber man kehrte doch zumeist in seine Dörfer zurück. Eine komplette Auswanderung meinetwegen nach Frankreich ist mir unbekannt.

Aus der Pfalz sind die Leute den Rhein runter geflohen und in die Vereinigten Provinzen eingewandert. Die VOC hatte damals viel Personal aus dem HRRdN.
 
Was ist daran eine "groteske Situation"? Es ist wohl eher ein implizites Werturteil, das unterstellt, dass Konflikte entlang von religiösen Überzeugungen verlaufen. Eine historische Unterstellung, die empirisch kaum Bestand haben würde.

Wie eine Reihe von Beispielen für den 30 Jährigen Krieg das schnell belegen könnte, angefangen bei dem Kurfüsten von Sachsen. Individuelle Interessen wurden auch !!!! durch konfessionelle Bande ausgerichtet, aber bereits der Konflikt zwischen den Lutheranern und Calvinisten zeigt, wie kompliziert die Fronten verliefen (vgl. z.B. auch Sachsen)

https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Georg_I._(Sachsen)

Betrachtet man weiter die Situation von Frankreich, dann war das Verhalten Richelieus absolut nicht so, dass es als "groteske Situation" bezeichnet werden könnte. Vielmehr folgte er simplen machtpolitischen Überlegungen, die jeder halbwegs gebildete Staatsmann ähnlich gesehen hätte.

"Cardinal Richelieu of France, for example, warned the king that aggressive intervention in the empire [gemeint ist das HRR] was necessary, for "if the (Protestant) Party is entirely ruined, the brunt of the power of the House of Austria (the Habsburgs) will fall on France."" (vgl. Helfferich, General Introduction, Pos. 253)

Dass das defensive Motiv eines Richelieus dann auch offensiv gewendet werden konnte, wie im Falle Schwedens und dann auch für Frankreich ähnlich, belegt dann wohl nur, dass Machtpolitik wenig altruistische Motive in sich trägt.

Helfferich, Tryntje (2015): The Thirty Years War. A documentary history. Edited and translated by Tryntje Helfferich. Indianapolis [Indiana]: Hackett Publishing Company, Inc.

Eben!

Wenn man von politischen und geographischen und nicht von konfessionellen Motiven ausgeht, war es eben keineswegs grotesk, sondern logisch und folgerichtig, wenn Frankreich sich mit Schweden verbündete, um die habsburgische Umklammerung Frankreichs aufzusprengen. Frankreichs Lage am Vorabend und während des Dreißigjährigen Krieges war sowohl innenpolitisch wie geopolitisch schwierig. Innenpolitisch bestanden seit Jahren Konflikte mit den Hugenotten, den französischen Protestanten, und es hatte im 16. und 17. Jahrhundert eine Reihe von gewaltsamen Auseinandersetzungen gegeben, man könnte durchaus von bürgerkriegsähnlichen Zuständen sprechen, die Frankreich bis ins Mark erschüttert hatten. Auch geopolitisch war Frankreich in einer schwierigen Lage, da es sozusagen von den Habsburgern aus Wien und Madrid umklammert war, um den problematischen Begriff "Einkreisung" zu vermeiden. Seit der Zeit Karls V. hatten die Habsburger und Valois sich auf zahlreichen Schlachtfeldern in Flandern und Italien bekämpft. Im ungünstigen Fall drohte Frankreich ein Zweifrontenkrieg, und es war im Nordosten durch die österreichischen Habsburger, im Süden durch deren spanische Vettern potenziell bedroht. Nach dem Sieg Ferdinands II. in Böhmen hatte dieser praktisch eine Hegemonialstellung in den Territorien des Heiligen Römischen Reichs gewonnen, die für Frankreich ausgesprochen unangenehme, wenn nicht bedrohliche Folgen haben konnte. Konservative und deutschnationale Historiographen des 19. Jahrhunderts sprachen von den "Raubkriegen" Ludwig XIV. Sicher waren dessen Operationen offensiv und ausgelegt, Frankreich zur Hegemonialstellung in Europa zu verhelfen, sieht man sich aber Frankreichs innen- und außenpolitische Lage im 16. und 17. Jahrhundert an, so war die Politik, die Kardinal Richelieu und später Ludwig XIV. betrieb, durchaus von defensiven Konzepten geprägt, um die Umklammerung Frankreichs durch die spanischen und österreichischen Habsburger aufzusprengen. Das Bündnis des katholischen Premierministers Richelieu mit dem protestantischen König von Schweden war daher alles andere als grotesk, sondern politisch nur folgerichtig. Bis zum "Renversement des Alliances" durch den österreichischen Premierminister Kaunitz am Vorabend des Siebenjährigen Krieges" waren Frankreich und das Haus Habsburg konkurrierende europäische Großmächte. Dass das katholische Frankreich sich mit dem protestantischen Schweden verbündete und selbst das Osmanische Reich unterstützte gegen die spanischen und österreichischen Zweige des Hauses Habsburg war daher nur folgerichtig nach dem politischen Grundsatz "der Feind meines Feindes ist mein Freund".

Ähnlich sahen ja deutschnationale Historiker den Konflikt des deutschen Königreich Preußen gegen das deutsche Österreich als grotesk" oder gar als einen "Nonsens der Weltgeschichte". Ein Nonsens war es aber nur dadurch, indem deutschnationale Überlegungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts auf das 18. Jahrhundert übertragen wurden, die aber den Grundsätzen der Politik des 18. Jahrhunderts nicht gerecht wurden. Preußens Aufstieg zur europäischen Großmacht war im 18. Jahrhundert nur gegen Österreich/Habsburg möglich, und der Einfall Friedrichs II. in Schlesien, als Maria Theresia von zahlreichen Gegnern, die die pragmatische Sanktion nicht anerkannten war nach den politischen Grundsätzen des 18. Jahrhunderts nur konsequent und folgerichtig. Der ziemlich dreiste Einfall Friedrichs II. in Schlesien, der zum Auftakt von insgesamt drei Kriegen zwischen Preußen und Österreich wurde, war daher auch kein "Nonsens der Weltgeschichte" sondern folgerichtig aus den politischen Grundlagen des 18. Jahrhunderts abgeleitet, mochte der Konflikt zwischen dem aufstrebenden "deutschen" Preußen und der alten "deutschen" Traditionsmacht Österreich auch deutschnationalen Historikern des 19. und frühen 20. Jahrhundert auch als "Grotesk" erscheinen.
Nach realpolitischen Motiven war es nur konsequent dass sich das katholische Frankreich mit dem protestantischen Schweden verbündete, um eine Hegemonialstellung der katholischen Zweige des Hauses Habsburg zu bekämpfen, die Frankreich gefährlich werden konnten. In der Politik haben politische Erwägungen Vorrang vor moralischen und konfessionellen, das hat schon Machiavelli erkannt, und das war auch den Akteuren im Dreißigjährigen Krieg klar.
 
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