Geschichtsquellen, deren Vermittlung und die technische Entwicklung der Medien: Dilemma?

rrttdd

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Ich frage mich, ob jemand schon mal ähnliche Erfahrungen gemacht hat...

Bsp: Geschichtsunterricht früher in der Schule. Da wird dann z.B. die Befreiung von Buchenwald als Film gezeigt und Mitschüler waren unaufmerksam. Teilweise die gleichen, die sich mit modernen Serien und Soaps beschäftigt haben... D.h. für "Geschichten" im eigentlichen Sinn eigentlich empfänglich sind.

Ich sehe das irgendwie so: In der Vor-Medien-Zeit wurden sowohl die Geschichte des Volkes aber auch Märchen, Geschichten und andere Sagen von Eltern und Großeltern in der Großfamilie abends am Lagerfeuer vermittelt. Es gab dazu keine Konkurrenz.

Dann kam es zu folgenden Entwicklungsschritten:

1) Im Mittelalter wurden Kirchen innen mit Bildern bemalt, welche Heiligengeschichten illustrierten.

2) Mit dem Buchdruck gab es dann erstmals die Untertitel dazu, für viele erschwinglich.

3) Ab Ende des 19. Jahrhunderts das Grammophon, ca. 1900 die ersten Filme, ab 1930 der Tonfilm, ab 1940 Farbfilme, ab 1960 Fernsehen, ab 1980 Videorecorder, ab 1995 "Multimedia-CDs" für den Computer und erste elektronische Didaktikspiele, ab 2000 Internet und DVD, und heute Apps, Streaming und 4K... (jeweils Zeitpunkte der Massenwirkung)

mein Eindruck ist, dass diese medialen Entwicklungen Segen und Fluch zugleich sind für die Vermittlung von Geschichtswissen. Die Quellenlage für Laien ist so gut wie nie zuvor, viel ist Online ergooglebar. Auf der anderen Seite wird es in der breiten Vermittlung von Geschichtswissen immer schwerer. Für Leute, die moderne Medien gewohnt sind, wird es immer schwerer, sich in die Menschen und die Denke der vorigen Zeiten hineinzuversetzen. Ein neues Phänomen ist das sicher nicht. Auch schon in den 1930er Jahren standen sicher kinoverwöhnte Jugendgruppen vor einem Historiengemälde mit Napoleon im Museum, und fanden die Ausführungen des Lehrers dazu todlangweilig...

Das sehe ich vor allem ein Problem bei den Punkten in der Geschichte, wo es wichtig ist, dass die Gesellschaft daraus lernt. Das betrifft für Deutschland insbesondere das Dritte Reich oder auch den 30-jährigen Krieg. Ob ich hier mit einem unscharfen Schwarzweißfilm komme, unterlegt mit der Stimme von Guido Knopp, oder einem Schlachtengemälde, ist egal, es dürfte ähnlich Effektiv sein wie die Scherbe einer Altsumerischen Vase... Es wird als nerdig angesehen und geht den Leuten sonstwo vorbei. Sie können sich mit einem grisseligen Schwarzweißfilm, und dem was dort passiert, einfach nicht mehr identifizieren. Im PC-Spiel würde man von fehlender Immersion sprechen. Die dort festgehaltenen Vorgänge liegen gefühlte 100.000 Jahre weg und die Verbindung zum heutigen Leben wird nicht gesehen.

D.h. gerade bei der aktuell fortschreitenden technischen Entwicklung ist es für die Geschichtswissenschaft doch essentiell, für die breite Vermittlung an die Massen bezüglich Technik und Erzählformen mitzuhalten - und das geht im Moment rasend schnell. Das historische Basiswissen in der Bevölkerung wird nach meinem Eindruck immer schlechter, obwohl die Möglichkeiten zur Vermittlung gut sind wie nie. Nach meinem Gefühl werden die Leute nicht entsprechend abgeholt...

D.h. eine Forderung wäre, dass für wichtige Zeitpunkte und Abschnitte in der Deutschen Geschichte heute mehr denn je die Medienangebote absolut up-to Date sein müssen, damit die Themen noch eine Breitenwirkung erreichen.

Ein weiteres Thema ist, dass sich Geschichtswissen heute nach dem Eindruck vieler Menschen bestenfalls zum Intellektuellen Small Talk eignet und sich karriere- und geldtechnisch nur bedingt auswirkt, also ist es verzichtbar - aber das ist ein anderes Thema.

Wenn ich mir das so überlege, was hatte ich in den 90ern für Hoffnungen in das Internet gesetzt: Die aufklärerische Erfindung schlechthin, jeder kann wenn er will alles Wissen...und heute hockt ein beträchtlicher Teil der User in ihrer Fakenews-Filterblase...

Ähnlich könnte es der Geschichte gehen, wenn auch auf eine andere Weise: Da eine Emser Depesche wenig interaktiv ist und keine klickbaren Hyperlinks enthält und selbst das schnarrende Getöne von Berichten aus der Kubakrise aus der Zeit gefallen scheint, interessiert sich auch niemand mehr dafür. Historisches Rohmaterial wird aus unserer Epoche mehr als genug anfallen. Die Frage ist ob alles archiviert wird und wenn ja, was. Wenn es dann immer weniger Geschichtswissenschaftler gibt, führt das Internet am Ende zu einer Jetzt-Gesellschaft und wir verlieren sozusagen unsere Geschichte.

Schön wäre es, wenn wir wieder zu der Erzähl- und Überlieferungskultur früherer Zeiten zurückkehren könnten aber ich sehe das als eher als utopisch an. Es wird alles durch die Medien vermonopolisiert und Game of Thrones wird eines der neuen Märchen sein. Frau Holle (eines der am weitesten zurückreichenden Märchen) landet dagegen auf dem Abstellgleis. Es ging eigentlich schon in den 70ern und 80ern los: Wir haben im Kindergarten und in der Schule kaum alte Volkslieder gelernt. Dafür Rolf Zukowski mit Weihnachtsbäckerei rauf und runter...
 
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Das meiste lernen Menschen nach meiner Erfahrung, wo sie mitmachen können. Das passiert ja heutzutage in Museen bspw. in vielfacher Form, von speziellen Kinderführungen/Workshops bis hin zu direktem Austausch mit herausragenden Historikern. Ich erinnere mich an meinen Schwiegervater, dem wir eine Teilnahme an einem Bogenbaukurs an unserem Archäologischen Museum (Colombischlössle) geschenkt haben. Da wurde ein Alemannischer Langbogen unter Anleitung eines Bogenbauexperten gebaut (es gibt in der Sammlung auch ein Lehrvideo zum Bogenbau in der Antike z.B.). Und wenn ich mir auch anschaue wie reichlich dasselbe Museum von Kindern besucht wird, wenn es entsprechende Angebote gibt (oder bei uns im Naturgeschichtlichen Museum bei der Oster-Ausstellung), sehe ich da eigentlich nicht so das Problem. Die Frage ist meines Erachtens eher, ob es noch zeitgemäß ist im Geschichtsunterricht Dokus anzuschauen, die normalerweise im Fernsehen laufen. Dort kann ich ja auswählen, was ich ansehe und dann gezielt zuschauen.

Vielleicht lebe ich in Freiburg aber auch auf der Insel der Glückseligen. Hier gibt es zahlreiche Kinderprogramme. Die Kasperle-Theater, wenn wir jetzt mal von der Zielgruppe 1-6-jährige sprechen sind proppen voll. Am erfolgreichsten sind die traditionellen Formate: Kasperle und Seppel oder eben Geschichten wie Pinocchio.
Ich entsinne mich an einen Sänger (studierter Germanist), der für Kinder im letzten Winter eine Reihe von meistens eher unbekannten Märchen mit einem PayAfter-Konzept aufbereitet hat. Das wurde sehr gut angenommen.
Ich denke, sowas wie "Game of Thrones" darf man nicht überbewerten. Wie war es denn in den 1970ern? Braucht man sich nurmal die Kinobesucherzahlen in Frankreich der Louis-de-Funès-Filme anschauen. Alles hat mal seinen Hype. Aber was bleibt?
Oder sich mit offenen Augen die Kinderbuchhandlungen anschauen. Also meine Kinder haben von Freunden und Bekannten immer wieder Märchenbücher geschenkt bekommen. Ob als Pixiformat oder größer. Mir scheint, dass es da auch nicht viel bringt die alten Schinken (so gern ich manche auch mag) rauszufischen, da jede Generation ihre Illustrationen z.B. hat.

Ich denke, da braucht man sich doch nichts vormachen. Geschichte war schon immer für einen wahrscheinlich größeren Teil der Bevölkerung uninteressant und medial maximal verbunden mit Schauwerten schmackhaft. Das merke ich ja in den Museen, wo ich aktiv bin. Ich würde jetzt die Gruppe der Besucher mit den meisten Fragen nicht irgendeiner Altersgruppe zuordnen können. Ich hatte schon Männer, die wohl über 80 waren, die sich begeisterten nach Jahrzehnten mal wieder Getreide zu dreschen und Jugendliche, die es total cool fanden mit Sensen eine Wiese abzumähen. Aber wie man daraus schon entnehmen kann, präsentieren wir eben Geschichte auch nicht zum Anstarren in der Flimmerkiste sondern zum Mitmachen. Da ist dann für den Familienausflug einfach die Frage: fahren wir ins Schwimmbad oder ins Freilandmuseum und da dann eben mal ins Freilandmuseum, weil was tolles geboten ist.

Wenn ich mich an meine Museumsbesuche erinnere, als ich ein Kind war. Dann waren da primär im Grunde öde Vitrinen mit Kärtchen hinter Scherben, wo meinetwegen "18. Jahrhundert" drauf stand und null Info, null Animation zum Mitmachen, selber erforschen. Da sind doch die Museen in den letzten Jahrzehnten extrem mit der Zeit gegangen. Und Schulen z.B. nehmen diese Angebote - zumindest mein Eindruck - sehr gut an.
Wer nun aber partout nichts über Geschichte lernen will, das ist nach Jahren in Museen meine Lehre, der wird es auch nicht tun, wenn man ihn hin schleift.

Vielleicht ist es ja auch so, dass der Geschichtsunterricht an Schulen nicht nur wegen des wirtschaftlichen Drucks seinen Raum einbüßt, sondern weil man keinen oder zu begrenzten Erfolg daraus sieht.
 
Dieses Thema, in etwas abgewandelter Form hatten wir schon mal. Am 13.12.2012, Mitglied -> Carolus eröffnete damals einen Thread -> „Was lernen wir aus Geschichte“. Da gab es 105 Beiträge. Andere/weitere Themen hier im Forum beschäftigten sich im Kern auch mit Diesen Thema.

Um auf Deinen Thread zurück zu kommen.

Mir gefällt der Satz in Deinen Thread:

„Ein weiteres Thema ist, dass sich Geschichtswissen heute nach dem Eindruck vieler Menschen bestenfalls zum Intellektuellen Small Talk eignet und sich karriere- und geldtechnisch nur bedingt auswirkt, also ist es verzichtbar - aber das ist ein anderes Thema“.

Ich glaube das ist was dran.

Sicher gibt es (einige wenige) Jugendliche die sich für historische Vorgänge interessieren, aber ich glaube die sind dünn gesät.

Ich empfehle Dir, lese Dir mal durch was damals alles so geschrieben wurde.

Suchfunktion -> „Was lernen wir aus Geschichte“.
 
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