Diskrepanzen

El Quijote

Moderator
Teammitglied
Wir haben schon häufiger aus verschiedenen Anlässen die Rolle des NS im Schulunterricht diskutiert, dabei wurden - unabhängig von Bundesland, Generation oder Schulform - verschiedene Erfahrungen postuliert, welche Rolle der NS im Schulunterricht spielte. Von "haben wir kaum behandelt" bis "bis zum Erbrechen". Es ist ja auch klar, viele Fächer bieten Anknüpfungspunkte dafür, den Nationalsozialismus im Unterricht zu behandeln. Allen voran natürlich Geschichte. Aber eben auch
- Deutsch
- Religion/Ethik
- Sozialwissenschaften
- ggf. Fremdsprachen (obwohl da ja meist dann eher etwas Historisches im Bereich der Landeskunde der Zielsprache behandelt wird, bei uns waren das etwa - obwohl das Schulbuch an sich eher britisch ausgerichtet war - die Milestones of American History)
Ich habe meist den Eindruck, dass diejenigen, die meinen der NS sei in der Schule zu ausgiebig behandelt worden, in der Mehrheit sind. Dann frage ich mich aber, wie es zum Ergebnis einer aktuellen Studie ComRes für CNN kommen kann, wonach 40 % der Deutschen zwischen 18 und 34 keine Ahnung vom Holocaust haben, ja z.T. nicht einmal davon gehört haben wollen?
 
Ich habe keinen Überblick über die einzelnen Bundesländer, aber aus eigenem Erleben (1983 zu 50 Jahren Machtergreifung) weiß ich um die Unterschiedlichkeit zwischen Schulen und sogar zwischen Klassen auf derselben Schule. Bei mir gab es reichlich Stoff zum Thema ab etwa 1930. Aber außer der Weltwirtschaftskrise als Auslöser wurde die Vorgeschichte nur in Bruchstücken im Unterricht durchgenommen. Sowohl der erste Weltkrieg wie auch die Zwanziger Jahre kamen im Geschichtsunterricht nicht vor (und ich hatte einen insgesamt guten Unterricht) und in anderen Fächern war natürlich keine Zeit dafür. So wurde in Deutsch einige Zeit für die sprachliche Seite der Propagandafilme (ich erinnere mich z.B. an die Behandlung von Jud Süß) verwendet, aber ohne eigenes Interesse konnte der Unterricht nicht die Entwicklung des Antisemitismus seit der Kaiserzeit vermitteln.

Natürlich sind nicht alle Aspekte und alle Unterthemen im Lehrplan unterzubringen. Daher verwundert es micht nicht, dass einige Schüler ein Thema mehrfach wahrnehmen (z.B. NS-Zeit in unterschiedlichen Fächern) und andere gar nicht (hatten das Thema wirklich nicht oder es ist untergegangen (ja in Deutsch haben wir mal so einen Schwarz-Weiß-Film durchgenommen - keine Ahnung welcher). In der Statistik im Kultusministeium kommen dann durchschnittlich 1,7 (Zahl willkürlich gewählt) Themenblöcke pro Schüler heraus und damit hat doch jeder Schüler was durchgenommen, oder etwa nicht?
 
In meiner Schulzeit (gut die liegt aber jetzt auch schon einige Jahrzehnte zurück) wurde die NS Zeit kaum behandelt. Das lag einerseits an vielen Lehrern, die irgendwie damit ein Problem hatten (z.T. noch selbst "Frontsoldat" gewesen).
Andererseits - und das Problem ging noch deutlich länger - lag der Nationalsozialismus in Bayern gemäß Lehrplan am Ende der 9. Klasse ... viele Lehrer hatten gegen Schuljahresende aber kaum noch Zeit für dieses Thema.
In der Oberstufe kam der Nationalsozialismus noch einmal, aber daran kann ich mich persönlich gar nicht mehr erinnern.

Heute findet sich der Nationalsozialismus am Anfang der 9. Klasse (der Preis ist, dass ich manchmal das Gefühl habe, dass die Schülerinnen und Schüler da vom Alter her noch nicht richtig reif für das Thema sind).
Und er kommt - allerdings mit recht enger Fragestellung ("Die Deutschen und der Holocaust") nochmal in der Oberstufe.

Ich könnte jetzt lange darüber schreiben, warum ich der Studie z.T. durchaus glaube. Seit "Generationen" von Schülern ist Schule etwas, wo die Botschaften zum einen Ohr rein und zum anderen raus gehen. Die Halbwertszeit von Wissen ist erschreckend gering (letztes Jahr konnte mir mein Oberstufenkurs KEIN EINZIGES EREIGNIS AUS DEM 19. JHD. nennen ... ich hab 8 Leute gefragt und dann aufgegeben). Auf der Basis von solchem "Wissen" soll man dann "Die Deutschen und der Holocaust" besprechen ... in Wahrheit wiederholt man oft den Unterricht der 9. Klasse. Für eine Vertiefung und Problematisierung bleibt kaum Zeit (und die prallt an vielen Schülern auch ab).

Ich glaube NICHT, dass es an einer Übersättigung liegt, für die die Schule die Verantwortung trägt, sondern eher die Medien (Knopp hier, Knopp dort ... Spiegel TV Reportage ... etc). Mit der dort praktizierten Geschwindigkeit, in der komplexe Sachverhalte oft oberflächlich, aber bildgewaltig präsentiert werden, kann der Geschichtsunterricht nicht mithalten. Evlt. haben die SchülerInnen auch das Gefühl, durch den (häufig beläufigen) Genuss solcher Dokus schon alles zu wissen und sind im Unterricht deshalb nicht so dabei.

Allerdings erlebe ich doch meist, dass die SchülerInnen an dem Thema eigentlich sehr interessiert sind, ich habe nicht das Gefühl, "Wir kennen das schon, es hängt uns zum Hals raus" (eher bei manchen, dass ihnen ALLES, egal was, zum Hals raushängt). Aber es bleibt halt ... um bei der Formulierung zu bleiben ... nichts hängen. Das Problem haben wir aber in fast allen Fächern.

In einigen Punkten teile ich die Schlussfolgerungen / Thesen der Studie jedoch nicht. Es wird im Unterricht zu dem Thema (wenigstens dort, wo ich es mitkriege) nicht über den NS als reines "Problem der Vergangenheit" gesprochen.
Ich glaube auch nicht, dass der neu auflebende / zunehmende Antisemitismus hauptsächlich an einem falschen Umgang mit der Vergangenheit liegt, sondern tatsächlich eher an einer Zuwanderung von Menschen, die dem Staat Israel und dem Judentum nicht positiv gegenüber stehen (was in dem verlinkten Text ja u.a. auch deutlich raus kommt), an dem generellen Aufleben von Ablehnung gegenüber allem, was "anders" ist ... vielleicht sogar an der doch recht zweifelhaften Außenpolitik Israels und den Umgang dieses Staates mit jeder Kritik (dass zwischen dem Staat Israel und Juden zu unterscheiden ist, ist MIR klar ... manchen anderen aber evtl. nicht).
 
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