Zum meinem "
Rassismus-Vorwurf":
Ich schrieb von einem
unübersehbaren Geschmäckle - eine wahre Stilblüte. Hinzu kommt, dass ich kein schwäbischer Muttersprachler bin.:rofl:
Des weiteren nutzte ich einen sehr weiten, wahrscheinlich überdehnten Rassismusbegriffen. Wenn überhaupt ist das ein Rassismus ohne Rassen; Kultur steht im Vordergrund. Von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit kann in dem Fall auch nicht die Rede sein, wenn überhaupt handelt es sich um positive Diskriminierung, aber das ist auch schon wieder ein Oxymoron. (Weiterer Diskussion über meine Formulierung macht wahrscheinlich keinen Sinn, weil Rassismus-Diskussionen häufig in einer Dauerschleife oder schlimmeren enden.)
SPIEGEL schrieb:
Wie das dann journalistisch verarbeitet wird ist wieder ne andere Sache.
Ich gehe davon aus, dass das Zitat echt ist.
Archäologe Andreas Pastoors n. Spiegel: "
Wir haben als westliche Wissenschaftler nicht die Fähigkeit, das so zu lesen."
Pastoors redet zwar vom Westen, aber der Westen steht hier offensichtlich für eine nicht näger ausdifferenzierte Zivilisation oder die Moderne, zu der bestimmte Gruppen angeblich nicht gehören.
Das andere große Thema ist die Rolle der Wissenschaft.
Archäologie ist vereinfacht gesagt die Beschäftigung mit Splittern, Scherben und Steinen, ausgraben, abzeichnen, systematisieren. Die Möglichkeiten dieser Wissenschaft sind beschränkt. Wenn jetzt die Grenzen der Archäologie erreicht sind, wäre es naheliegend sich bei anderen Disziplinen zu bedienen.
Pastoors gibt aber das Kind mit dem Bade aus. Eine soziologische oder ethnologische Methodik oder irgendeine eine Form historischer Quellenkritik findet aber gar nicht erst statt. Er will "
indigenes Wissen" erforschen, aber mit welcher Methodik? Die Methoden der Archäologie sind hierfür ziemlich ungeeignet, aber die anderen Wissenschaften sind noch längst nicht am Ende. Interdisplinäre Arbeit ist das jedenfalls nicht, weil Fährtenlesen keine Disziplin. Wenn der "
Indigene" dem Archäogen seine Meinung sagt, ist das vielleicht kultureller Austausch, aber keine Wissenschaft.
Man sollte sich Pastoors Satz auf der Zunge zergehen lassen. Es ist ein Bekenntnis zur Entprofessionalisierung. Statt wissenschaftlich an die Sache heranzugehen, hören wir uns das Jägerlatein der Wüste und der Arktis an. Und am Ende wundert er sich noch, dass er es nicht versteht!
Matze007 schrieb:
Aber wenn jemand aus einer Kultur stammt in der das Leben davon abhängt (oder mal abhing) dass man Fährten lesen kann, und es obendrein selbst ausgeübt hat, dann hat er einen Blick für so was.
Die Zeit in der das Überleben von der Jagd abhängt, ist lange vorbei.
Im Sinne meiner quellenkritischen und erkenntniskritischen Grundhaltung ergänze ich mal ein paar Kleinigkeiten zu den Lebensverhältnissen der beteiligten "
Indigenen". (Zu den Malaien schreibe nichts mangels Kenntnis.)
Die beteiligen San arbeiten in Namibia beruflich als Fährtenleser im Tourismus. Die Touristen sind vermutlich in erster Linie Europäer und Nordamerikaner auf Safari - egal ob Foto-Safari oder Großwildjagd. Das ist ihr Berufsalltag. Keiner von ihnen geht im Steinwerkzeugen auf Löwenjagd, weil das seit Jahrzehnten verboten ist im Sinne von Naturschutz und schlicht dem Geschäftsgrundsätzen des Großwildjagdtourismus widerspricht. (Der indigene Jäger hat in der Gegenwart den bescheidenen Auftrag dem Jagdtouristen den Hintern zu retten und final den Todesschuss zu setzen, wenn dem Tourist die Tötung des Großwilds nicht gelingen will und diesen zum Gegenangriff ansetzt.) Die Deutung von Menschenspuren war in Namibia gar nicht Teil ihres Jobs.
Für die Inuit sieht die Sache anders. Kanada und die USA ist Teil der 1. Welt.
Der moderne Inuit-Jäger jagt mit Gewehr und fährt Snowmobil. Er kann den Archäologen sehr wahrscheinlich wunderbar erklären, wie man den Motor repariert oder ein Gewehr sauber hält, weil genau das der Alltag von Inuit-Jägern im 21. Jahrhundert ist. (Ich gehe außerdem davon aus, dass die ursprüngliche Inuit-Kultur bereits High-Tech hatte und mit der Altsteinzeit gar nicht zu vergleichen ist. Hundeschlitten, Bärenfellhosen oder Kajaks aus Robbenhaut sind komplexe Technolgien, die erst das Leben in der Arktis ermöglichen. Die Arktis wurde erst spät besiedelt, weil die Techniken erst so spät entwickelt wurden. Diese Techniken wurden im 20. Jahrhundert sogar von den Europäern übernommen, insbesondere für die Antarktis-Expeditionen.)
Zu den australischen Aborigines:
Bis die 1960er wurden Kinder der Aborignes aus den Familien genommen und in Kinderheimen umerzogen (
Wikipedia: Stolen Generations). Der Staat griff zusätzlich mit Zwangsumsiedlungen ein. So wurde ihre Kultur vom australischen Staat, der Kirche und der europäischen Mehrheitsgesellschaft systematisch zerstört. Für die betroffenen Individuen bedeutet das wahrscheinlich eine Traumatisierung. Heute erinnern sich diese Aborigines an die Erzählungen ihrer Großeltern, die noch als Jäger und Sammler gelebt haben. Heute mit neuem Selbstbewusstsein und von der Totalität australischer Leitkultur zumindest teilweise befreit, versuchen viele Aborigines die Welt ihrer Großeltern in ihrer Freizeit wiederzuleben. Alles was man heute bei den australischen Aborigines entstammt ist einer vielfältig gebrochenen Traditionslinie.
Wenn Frühgeschichtler und Archäologen so tun (zumindest im populärwissenschaftlichen Diskurs leider die Regel ist), als wäre die Kultur der Aborigines ungebrochen, authentisch und wenigstens 10.000 Jahre alt, ist beiden Gruppen geholfen.
tracking-in-caves-online schrieb:
In order to compensate for this neglect we are running an innovative research program for several years already that focuses on the merging of indigenous knowledge and western archaeological science for the benefit of both sides.
Die Vorgeschichtler können endlich ihr Quellenproblem lösen und die Grenzen der Archäologie überwinden, während sich der "Indigene" geschmeichelt fühlen darf, weil er von weißen Wissenschaftlern anerkannt wird. Gesellschaftspolitisch ist das natürlich das durchaus eine gute Sache, aber wissenschaftlich ist das Murks. Vor- und Frühgeschichte wird so zu einer Art Esoterik, in der die Archäologen die Offenbarungen der Stammesältesten aufschreiben.
Diese Methode ist aber gar nicht innovativ, sondern erinnert mich eher an Thor Heyerdals Osterinsel
forschungen - experimentell, naiv und ein bisschen rassistisch, aber stets im Zeichen der Völkerverständigung.:winke: