Cheng I Sao (1775-1844)

SRuehlow

Mitglied
Cheng I Sao, was ungefähr Frau des Cheng I heißt, war eine militärische Anführerin des frühen 19. Jahrhunderts, die sich durchaus mit Frauen wie Jeanne d´Arc oder Boacidea messen kann. Sie war eine der geführchtesten Piratinnen der asiatischen Meere und Anführerin eines piratischen Bundes, der auf seinem Höhepunkt mehr als 50000 Männern und Frauen zu einem gemeinsamen Interesse vereinte – der Piraterie und Auflehnung gegen den chinesischen Staat.

Cheng I Sao wurde um 1775 in der südchinesischen Provinz Guangdong geboren, das wir auch unter dem Namen Kanton kennen. Über die Kindheit und die Jugend dieser berühmten Frau ist nur sehr wenig bekannt, da die Quellentexte nur sehr wenig hergeben. Sie tritt das erste Mal aus dem Schatten der Vergangenheit um 1801 heraus. Als Prostituierte und Freudenmädchen hatte Cheng I Sao es zu einer gewissen Berühmtheit in ihrer Provinz gebracht. 1801 heiratet sie den Piratenführer Cheng I, der schon eine beachtliche Anzahl an Kaperfahrten und Rauberoberungen vorweisen kann.
Cheng und ihr Mann schufen einen Bund von Freibeutern, die einer Armee glich. Hunderte hochseetüchtiger Dschunken, kleiner, wendiger Schiffe und unzählige Boote standen mit mehr als 50000 Mann Besatzung unter ihrem Kommando. Die Küstengewässer Südchinas waren ihr hauptsächliches Jagdgebiet. Sie überfielen wie die Heuschrecken kleinere Städte und die Küstenstreifen am Zulauf des Perlflusses und erpressten Fischer und Bauern gleichermaßen. Sie lebten nicht wie Robin Hood und gaben den Armen das, was sie den Reichen abnahmen – sie lebten ausschließlich für ihre Bedürfnisse.
Jagd wurde auf jedes Schiff gemacht, dass in diesen Gewässern kreuzte. Selbst die Gebiete um Batavia und Malaysia waren nicht sicher vor ihren Aktionen. Die erbeuteten Schiffe wurden in die Flotte einverleibt und mit den erbeuteten Prisen Handel an den Küsten getrieben. Die Männer und Frauen, die auf den Schiffen Dienst taten, lebten mit ihren Familien auf den Dschunken, die sich zu, auf dem Wasser treibenden, Städten aus Schiffen zusammen schlossen. Die ernorme Anzahl an kampftüchtigen Schiffen und die emense Anzahl der Piraten an einem Ort war der Grund, warum das chinesische Kaiserreich nicht mit der Plage fertig wurde und ein Angriff auf eine schwimmende Stadt einem Selbstmordkommando glich.
Zwischen 1805 und 1807 hatte Cheng I und seine Frau einen jungen Mann adoptiert und zu Cheng Is Nachfolger aufgebaut – Chang Po. Chang Po war ein Bauernsohn, der bei einem der Eroberungsfeldzüge gefangen genommen worden war. Er muss ein sehr sympathischer Mann gewesen sein, denn er war unter den Freibeutern überaus beliebt, so dass der Anführer Cheng I sich höchstpersönlich um die Ausbildung und das leibliche Wohl kümmerte. Chang Po teilte nach dem Tod Cheng Is 1807 schon bald das Lager mit der geschäftstüchtigen Cheng I Sao.
Ab 1807 übernimmt Cheng I Sao als Oberbefehlshaberin den Piratenbund und ihr neuer Liebhaber und baldiger Mann die täglichen Operationen. Gemeinsam legen sie einen Verhaltenskodex für den Bund der roten Flagge fest, so nannten sie den schon bestehenden Bund der südchinesischen Piraten. Der Kodex sieht drakonische Strafen für jedes Fehlverhalten vor – meist wird mit dem Tode bestraft.

Die chinesische Regierung, durch den enormen Zuwachs an Piraten, sieht sich um 1809 an die Wand gestellt und ist nicht mehr Herr der Lage. Die Gewalt haben sie schon lange verloren, im Südchinesischen Meer. Die Regierung beauftragt einen Spezialist mit der Ausfindigmachung der Piraten und deren Anführer. General Li Ch´ang-keng soll mit einer riesigen Regierungsflotte die Piraten dingfest machen, die Anführer gefangen nehmen und sie nach Beijing bringen, wo ihnen der Prozess gemacht werden soll. Doch das Unternehmen scheitert in der Schlacht von Kwangtung, in der die Freibeuter einen triumphalen Sieg davontragen und der General getötet wird. Noch im selben Jahr belagern mehr als 10000 Piraten die Stadt Kanton, deren Einwohner sich auf die Seite der Regierung gestellt haben und sich weigern Lösegelder an die Piraten zu zahlen. Im Jahre 1809 werden die zahlreichen Küsterregionen Südchinas stärker heimgesucht, denn Cheng I Sao will ein Exempel statuieren. Niemand hat sich ihrer Herrschaft zu widersetzen. Zahlreiche Dörfer und kleinerer Städte werden von ihren Piratenarmeen überrannt und dem Erdboden gleichgemacht. Das Dörfchen Shashan leidet in diesen Monaten besonders unter der Rache Cheng I Saos. Mehr als 1000 Bewohner werden geköpft, Geschlecht und Alter spielten keine Rolle. Die Köpfe wurden als Warnung an die Bäume der Küste gehängt.

Auf dem Höhepunkt ihrer Macht besitzt Cheng I Sao mehr als 200 riesige Dschunken, mehr als 2000 Mann nehmen pro Operation teil. Jedes Schiff, und es sind mehr als 700 gewesen, ist mit mindestens 15 bis 20 Geschützen ausgestattet und verfügt über eine Mannschaft von 200 Mann. Die Flotte der Piraten ist größer als einige militärische Flotten europäischer Mächte zu dieser Zeit.
Da die chinesische Regierung nicht Herr der Lage wird, bittet sie die Portugiesen und Engländer um militärische Hilfe. Diese wittern die Chance in China mehr Einfluss zu bekommen, wenn es ihnen gelingt, die Piraten im Südchinesischen Meer zu besiegen. Doch bevor es soweit kommt, bietet die chinesische Regierung Amnestie für alle Freibeuter, die sich freiwillig ergeben. Cheng I Sao ergreift diese Gelegenheit und begibt sich 1810 nach Kanton. Dort wird am 18. April desselben Jahres ein Friedensvertrag unterzeichnet, in dem man, nachdem die Piraten Waffen und Schiffe abgegeben haben, von einer weiteren Bestrafung absieht. Die Freibeuter dürfen ihre bisherigen Prisen behalten und ein unbehelligtes Leben führen. Cheng Po wird in den Rang eines Leutnants des chinesischen Militärs aufgenommen und darf eine Flotte von 20 hochseetüchtigen Dschunken unterhalten, natürlich auf Staatskosten. Am 20. April ergeben sich 17318 Piraten und 226 Dschunken gehen in Staatseigentum über. Cheng I Sao und ihr Mann ziehen sich nach Fukein zurück, wo sie ein paar Jahre später einen Sohn gebärt. Chang Po stirbt 1822 im Alter von 36 Jahren. Nach seinem Tod geht Cheng I Sao nach Kanton zurück und eröffnet ein Haus für Glücksspiele. Sie stirbt friedlich 1844 im Alter von 69 Jahren.

Drei Jahre lang hatte sie eines der größten logistischen Unternehmen geleitet, bzw. die größte, jemals existierende Vereinigung von Piraten und Freibeutern.


Quellenangabe:
Cordingly, David: Unter schwarzer Flagge, Legende und Wirklichkeit des Piratenlebens; Zürich 1999
 
Zurück
Oben