Der Grassodenwall von Kalkriese

Liebe Alle,

vieles zu Kalkriese ist im Internet frei verfügbar, Ihr müsst in academia.edu unter Stichworten suchen. Auch meine Aufsätze sind dort zu finden

https://independent.academia.edu/Werz

Ebenso ist ein großer Teil der älteren Literatur von Google, Microsoft etc. digitalisiert und zugänglich gemacht worden. Zu finden in archives.org. Das Inhaltsverzeichnis findet sich unter

https://archive.org/search.php?query=mediatype:texts&sort=-publicdate

Tippt einfach einmal "Varus" ein. Zu empfehlen ist auch der Hathi Trust. Wie man als Bürger des alten Europa Publikationen des Hathi Trust herunter laden kann, erfahrt Ihr bei

https://www.kreidefossilien.de/kong...-helper-buecher-von-der-library-herunterladen


Viel Spaß bei der Literatursuche, ein gutes Neues Jahr und einen lieben Gruss

Uli Werz
 
Der 2016 am nördlichen Rand des Obereschs gefundene Teilbaschnitt einer (Wall?)-Aufschüttung führt sich im Osten bis zum heutigen Besucherzentrum fort.

Allerdings ist nicht gesichert, dass es sich tatsächlich um eine Wall-Graben-Anlage handelt bzw. ob dieses Erdwerk überhaupt in die Zeit um Christi Geburt datiert werden kann.
Es ist durchaus wahrscheinlich, dass es sich um einen mittelalterlichen bzw. frühneuzeitlichen Graben zur Begrenzung bzw. Entwässerung des Moores gegenüber den landwirstchaftlich genutzten Flächen des Oberesch handelt.
In seiner Art ist er der "neue" Wall nicht identisch mit dem Germanenwall im Süden der Fläche. Er hat z.B. nicht diese seltsame Schlangenform.
Also doch kein römisches Lager am Oberesch und einige Kalkriese-Gegner haben sich zu früh gefreut.
Auch die von Wolfgang Schlüter vertretene These wäre damit ad acta.
 
Also doch kein römisches Lager am Oberesch und einige Kalkriese-Gegner haben sich zu früh gefreut.

Vor kurzem hat der Grabungleiter Ortisi noch ausdrücklich eine römische Anlage für möglich gehalten:

Die Befunde gleichen in vielen (aber nicht allen) Aspekten denen des „Germanenwalls“. Es könnte sich also tatsächlich um eine römische Anlage handeln. Nach wie vor schwebt aber auch die Möglichkeit eines mittelalterlichen Bodeneingriffs im Raum. Eine Antwort erhoffen wir uns von den naturwissenschaftlichen Untersuchungen der Holzfunde aus dem Wallmaterial und der Grabenverfüllung. Mit etwas Glück werden uns die C14-Daten verraten, wann der mutmaßliche Wall angeschüttet und der Graben verfüllt wurden.

varusforschung.geschichte-multimedial.net/documents/Varus-Kurier_19.pdf
 
Lager oder nicht ist für die Varusschlachthypothese unerheblich. Es würde sich nur (und das gilt für jegliche Zuordnung, nicht nur für die zur Varusschlacht) die Interpretation dessen ändern, wie man sich konkret die Ereignisse auf dem Oberesch vorzustellen hat. Ein Lager würde die Hypothese vom Defileegefecht ad acta legen.
Die Befunde von 2016 waren dabei relativ unergiebig. Ergiebiger waren die vom vergangenen Jahr, vom Sommer 2107. Was in beiden Jahren ergiebig war, waren die Münzfünde, 2016 die acht Goldmünzen, die aus dem eh schon, was Goldmünzen angeht, herausragenden Fundplatz Kalkriese einen noch herausragenderen machen und die 200 Silbermünzen, die 2017 erschienen sind. Wobei die Münzefunde, was die Datierung angeht, nichts Neues ergeben haben. Am Schlussdatum von Kalkriese hat sich nichts geändert.
 
Am Schlussdatum von Kalkriese hat sich nichts geändert.
Was genau ist mit "Schlussdatum" gemeint?
In Kalkriese wird das Ereignis numismatisch auf 9 n.Chr. datiert. Demzufolge kommt nur die Varusschlacht in Betracht.
Ein "Schlussdatum", wie bei der Auflassung eines Lagers, ist meines Wissens in Kalkriese nicht feststellbar.
 
Was genau ist mit "Schlussdatum" gemeint?
In Kalkriese wird das Ereignis numismatisch auf 9 n.Chr. datiert. Demzufolge kommt nur die Varusschlacht in Betracht.
Jein, die numismatische Datierung läuft über die Schlussmünze. Das sind die Gaius-Lucius-Münzen, die sowohl als Aurei als auch als Denare (also als Gold und Silber) in Kalkriese vorliegen. Gaius und Lucius waren die Enkel Augustus' und seine designierten Nachfolger (daher die Münzen) starben aber 2 und 4 n.Chr. Daher ist das Schlussdatum der Münzen das Jahr 2, nachdem der jüngere Lucius gestorben war. Es ergab keinen Sinn mehr, die Brüder als designierte Nachfolger zu promoten. Hinzu kommen dann noch die Gegenstempel, die in Kalkriese gefunden wurden, hier unter anderem VAR (Varus?) und CVAL (C. Numonius Vala?). Nun wird von Gegnern der Varus-Hypothese diese Deutung und insbesondere bei VAR auch die Lesung an sich angezweifelt (dieser Zweifel ist allerdings darin begründet, dass gewisse Leute partout Varus in Kalkriese ablehnen). Auf der anderen Seite ist die Dissertation von Uli Wertz, die ich in einem Punkt kritisieren möchte, obwohl ich Anhänger der Varusschlachttheorie bin: Wertz datiert Gegenstempel danach, dass sie in Kalkriese gefunden wurden, auf das Jahr 9 (er gibt häufig Zeiträume an, in denen sie benutzt wurden). Das ist meines Erachtens methodisch unzulässig (wobei ich Wertz freilich in numismatischen Dingen keinesfalls das Wasser reichen kann), da der abschließende Beleg, dass es sich in Kalkriese um die Varusschlacht handelt, fehlt. Sie sind als nur unter Vorbehalt auf bereits 9 datierbar.
Mit den VAR- und CVAL-Gegenstempeln, wenn man die übrigen Gegenstempel nicht erst später ansetzt, ist die Datierung der Gegenstempel auf 7-9/9 anzusetzen, da Varus erst im Jahre 7 nach Germanien kam und sowohl er als auch Numonius Vala in der Varusschlacht starben und nach ihrem Tod eben keine Geldgeschenke mehr an ihre Untergebenen austeilen konnten.

Also Schlussmünze = spätestens 2 n. Chr., VAR-/CVAL-Gegenstempel = spätestens 9 n. Chr.

Nun haben Kalkriese-Gegner lange behauptet, dass der Münhorizont Varus sich vom Münzhorizont Germanicus nicht unterscheiden würde. Dagegen hat aber Johannes Heinrichs (Numismatiker, Uni Köln) eingewandt, dass in Köln, in einem auf das Jahr 14 datierten Brandareal 8/56 Münzen nachvarianisch waren. Nun wäre es schon sehr erstaunlich, wenn in den Germanicusfeldzügen anderhalb und zweieinhalb Jahre nach dem Brandereignis in Köln überhaupt keine nachvarianische Münze auftauchte, wo doch in den Kölner Brandhorizont bereits 1/7 der Münzen nachvarianisch war. Immerhin hat man in Kalkriese mittlerweiile (stand 2017) über 2000 Münzen geborgen.

Ein "Schlussdatum", wie bei der Auflassung eines Lagers, ist meines Wissens in Kalkriese nicht feststellbar.
Ich schrieb doch:

Wobei die Münzfunde, was die Datierung angeht, nichts Neues ergeben haben. Am Schlussdatum von Kalkriese hat sich nichts geändert.​
 
Jetzt habe ich es verstanden.
Es war also nur ein Missverständnis.

Die von ihnen angeführten Beweise sind interessant, aber es fehlt der Entscheidende:

Das Lager von Haltern war, so der heutige Wissensstand, das Lager Aliso.
Haltern (Aliso) wurde bekanntlich im Jahr 9 n.Chr. von den Römern aufgegeben.
Da der Münzhorizont von Haltern (Aliso) jenem von Kalkriese entspricht, muss auch die Schlacht von Kalkriese in das Jahr 9 n.Chr. datiert werden.

(Schlussmünze Caius-Lucius-Denar, Gegenstempel VAR, keine Münzen nach 9 n.Chr.)
 
Es spricht zwar einiges für die Gleichsetzung von Haltern mit Aliso, aber die Gewissheit, mit der etwa Aßkamp das vertritt, sehe ich nicht.

Was gegen die Gleichsetzung spricht, ist natürlich der bisherige Münzhorizont von Haltern. Hier besteht, vor allem nach dem Aufsatz von Johannes Heinrichs über den Kölner Brand und seine Münzen, von Seiten der Vertreter der Haltern=Aliso-Hypothese Erklärungsbedarf. Das ist, soweit ich das überblicke, noch nicht geleistet worden.

Was für die Gleichsetzung spricht, ist, dass Haltern natürlich ein sehr gut ausgebauter Komplex aus mehreren Lagern war, was dafür spricht, dass Haltern wichtig war und Aliso das einzig namentlich erwähnte Lager an der Lippe, was dafür spricht, dass Aliso entsprechend wichtig war. Auch liegt Haltern durchaus an einer für Aliso bestimmenden Position, in der Nähe der Mündung eines anderen Fließgewässers in die Lippe (in Haltern wäre das die Stever, heute etwa 1 km Luftlinie vom damaligen Uferkastell entfernt, wo vor 2000 jahren, weiß ich nicht). Die Lage an einer Mündung in die Lippe ist allerdings kein Alleinstellungsmerkmal.
 
Zuletzt bearbeitet:
Der Vergleich von Münzfunden aus dem Kölner Stadtgebiet mit Münzen der Legionen im Inneren Germaniens sieht sich leicht dem Vorwurf ausgesetzt, dass man Äpfel mit Birnen vergleicht.

Dagegen steht der Münzhorizont von Haltern im direkten Kontext des römischen Militärs und zur Varusschlacht 9 n.Chr. :

„Darüber hinaus ist die sog. Schlußmünze (Münze mit dem jüngsten Prägedatum) wichtig, die in Kalkriese und auch im Lager Haltern der Gaius/Lucius-Denar des Augustus ist. (...)
Die Art und Zusammensetzung dieser Denarfunde, insbesondere der hohe Anteil der Schlußmünze von rund 20% sowohl in den Horten als auch bei den Einzelstücken, macht - vor allem im Vergleich mit entsprechenden Funden des im Jahre 9 n.Chr. aufgelassenen Legionslagers Haltern an der Lippe - wahrscheinlich, daß sie ebenfalls 9 n.Chr. in den Boden gelangt sind.“


http://varusforschung.geschichte-multimedial.net/pages/muenzfunde1.html
 
Hallo,

@ Emma_66

Weder der Münzhorizont von Haltern, noch der in Kalkriese stehen im direkten Kontext zur Varusschlacht. Dies lässt sich durch Stempelvergleiche auf Lugdunum I Assen mittlerweile sehr gut nachweisen. Der Varianische Stempel (VAR) ist der jüngste in Waldgirmes. In Haltern hingegen ist es die Schlagmarke IMP m. Lituus (IMPL) und in Kalkriese sind es die Gegenstempel (TIB) und (CA).

Waldgirmes - VAR
Haltern - IMP_L (fehlt in Waldgirmes)
Kalkriese - TIB und CA (fehlt in Waldgirmes und auch Haltern)

Für Waldgirmes schreibt G. Rasbach 2014 auf S. 30:

"In mittlerer Höhe des Brunnenschachtes fand sich ein römischer As der 1. Lyoner Altarserie mit einem Gegenstempel des Varus, wodurch ein Terminus post quem von 7 n. Chr. – dem Beginn seiner Statthalterschaft für die Verfüllung gegeben ist. Außerdem zeigen Passscherbenverbindungen, dass der Brunnen wohl in einem Akt unbrauchbar gemacht wurde. Wie zu Beginn skizziert, muss dieses Ereignis aufgrund dendrochronologischer Daten in die Zeit nach Herbst/Winter 9 n. Chr. angesetzt werden."

Quelle: G. Rasbach "Bronzene Reiterstatuen aus der augusteischenStadtgründung von Waldgirmes – ein herausragender Neufund frühkaiserzeitlicher Großplastik" (2014)

Da Germanicus das Schlachtfeld 15 n. Chr. besucht hatte, dessen Gegenstempel (CAESAR in Ligatur) gibt es ja in der Germania Magna, scheidet Kalkriese aus. Auf Grund von Stempelanalysen gibt es nur ein einziges Gebiet, wo sich die Schlagmarken des Germanicus mit denen des Varus überschneiden - am Eggegebirge. Das Varianisches Geld noch zu Germanicus-Zeiten umlief, zeigt auch der Münzfund von Warburg. Dort wurde ein Lugdunum I As mit den Schlagmarken des Varus und Germanicus gefunden. Unweit dessen fand man weitere Münzen mit Gegenstempel des Varus als auch Münzen mit dem Gegenstempel des Germanicus.

J. Heinrichs geht davon aus, dass die Truppen des Germanicus kein Geld mit in die Germania nahmen. Hier irrt er sich. Das numismatische Bewegungsprofil der Münzen des Germanicus-Horizont beweist das Gegenteil.

@ ELQ

ich habe mittlerweile Münzen des Germanicus-Horizont an unterer Ems und unterer Weser gefunden (Einzugsgebiet Nordsee), jedoch verläuft die Spur nur nördlich (ehem. Chaukengebiet) in Richtung Elbe.
 
Hallo Hermundure,

vielen Dank für die Informationen. Das klingt alles sehr interessant, aber leider für mich nicht nachvollziehbar.

Inwiefern betrifft das Kalkriese?
Die Stempel TIB und CA können doch auch vor 9 n.Chr. aufgebracht worden sein.



In der Zwischenzeit habe ich etwas zu Haltern gefunden. In einer Pressemitteilung des LWL (Landschaftsverband Westfalen-Lippe) von 2010 steht:

„Die Details aus der schriftlichen Überlieferung passten immer auf Haltern. Jetzt können wir auch von archäologischer Seite die Aliso-These bekräftigen. Denn laut der Schriftquellen bestand das Lager Aliso bis 16 n.Chr. fort und wurde im Winter 9/10 n.Chr. von Germanen belagert. In Haltern belegen nun unter anderem germanische Skelette aus einem Töpferofen und die Überlagerungen von Grabanlagen in der Gräberstraße, dass dieser Stützpunkt tatsächlich noch über das Jahr 9 n.Chr. hinaus mit römischen Soldaten besetzt war.“

Wie soll man das verstehen?

Wenn Haltern noch bis 16 n.Chr. besetzt war, dann zeigen die dortigen Fundmünzen logischerweise den Germanicushorizont.

Könnte das bedeuten, dass auch der Fundort von Kalkriese, mit vergleichbarem Münzhorizont wie in Haltern, in diese Jahre datiert werden kann?


http://www.lwl.org/pressemitteilungen/mitteilung.php?urlID=22740
 
Entschuldigung, mein Fehler.
Aber ob Haltern Aliso ist oder nicht, war gar nicht meine Frage.

Es geht mir darum, dass der Germanicushorizont im Lager Haltern, das bis 16 n.Chr. belegt war, vorliegt.
Könnte das bedeuten, dass auch der Fundort von Kalkriese, mit vergleichbarem Münzhorizont wie in Haltern, in diese Jahre datiert werden kann?
 
Hallo Emma,

Du hast recht mit Deiner Vermutung. Wer in Haltern einen Germanicushorizont erkennt, muss dies zwangsläufig auch für Kalkriese annehmen. Es gibt unter den augusteischen Fundplätzen keine zwei Orte die bei den Münzen/Gegenstempeln so nahe beisammen liegen wie Haltern und Kalkriese.

Gruss
jchatt
 
Der Münzhorizont von Haltern paßt aber nicht zu Germanicus.

Nun haben Kalkriese-Gegner lange behauptet, dass der Münhorizont Varus sich vom Münzhorizont Germanicus nicht unterscheiden würde. Dagegen hat aber Johannes Heinrichs (Numismatiker, Uni Köln) eingewandt, dass in Köln, in einem auf das Jahr 14 datierten Brandareal 8/56 Münzen nachvarianisch waren. Nun wäre es schon sehr erstaunlich, wenn in den Germanicusfeldzügen anderhalb und zweieinhalb Jahre nach dem Brandereignis in Köln überhaupt keine nachvarianische Münze auftauchte, wo doch in den Kölner Brandhorizont bereits 1/7 der Münzen nachvarianisch war. Immerhin hat man in Kalkriese mittlerweiile (stand 2017) über 2000 Münzen geborgen.

Zu dem Münzfund aus dem Jahr 14 hat El Quijote damals (also 2014 biggrin.gif ) einen Thread eröffnet: Der Germanicus-Horizont: Kalkriese und ein Brand in Köln 13/14 n. Chr.

Wenn das in Haltern ausgegrabenen Lager das im Jahr 9 belagerte Aliso sein sollte, dann kann es nicht das im Jahr 16 belagerte Lager Aliso sein.

Ich habe schon spekuliert, dass es zwei Alisos gegeben haben mag: Das Haltern Kalkriese Dilemma
 
Der Münzhorizont von Haltern paßt aber nicht zu Germanicus.
Da in Haltern das Enddatum 16 n.Chr. archäologisch nachgewiesen wurde (siehe Pressemitteilung des LWL) , muss der Münzhorizont notgedrungen zu Germanicus passen.



Zu dem Münzfund aus dem Jahr 14 hat El Quijote damals (also 2014Anhang anzeigen 17098 ) einen Thread eröffnet: Der Germanicus-Horizont: Kalkriese und ein Brand in Köln 13/14 n. Chr.
Ich hatte brereits dazu geschrieben:
Der Vergleich von Münzfunden aus dem Kölner Stadtgebiet mit Münzen der Legionen im Inneren Germaniens sieht sich leicht dem Vorwurf ausgesetzt, dass man Äpfel mit Birnen vergleicht.

Zur Fixierung des Germanicushorizontes benötigt man einen Fund im militärischen Kontext, rechtsrheinisch. Und das ist nunmal: Haltern.
 
Zuletzt bearbeitet:
Da in Haltern das Enddatum 16 n.Chr. archäologisch nachgewiesen wurde (siehe Pressemitteilung des LWL) , muss der Münzhorizont notgedrungen zu Germanicus passen.
Du meinst diesen Artikel?
Da missinterpretierst du den Artikel leider. Denn Haltern hat dasselbe Schlussdatum wie Kalkriese. Die jüngste Münze ist auch dort Gaius-Lucius, als auf 2 zu datieren. Wie das in Haltern mit den Gegenstempeln aussieht, weiß ich nicht aus dem Kopf, meine aber, dass diese in der Verteilung zwar anders sind als in Kalkriese, aber im Wesentlichen dieselben [Es würde freilich ein Gegenstempel reichen, der unstreitig nachvarianisch wäre]. Sprich: Auch wenn Aßkamp gerne in Haltern das bekannteste (weil quellenmäßig einzig namentlich erwähnte) Lippelager Aliso sehen möchte, so gibt es nach wie vor auch Argumente, die dagegen sprechen. Die Datierung in Haltern auf eine Belegung nach dem Winter 9/10 wird in dem von dir geposteten Artikel eben nicht über Münzen sondern alleine über die geschnittenen Grabanlagen geleistet.

Denn laut der Schriftquellen bestand das Lager Aliso bis 16 n.Chr. fort und wurde im Winter 9/10 n.Chr. von Germanen belagert. In Haltern belegen nun unter anderem germanische Skelette aus einem Töpferofen und die Überlagerungen von Grabanlagen in der Gräberstraße, dass dieser Stützpunkt tatsächlich noch über das Jahr 9 n.Chr. hinaus mit römischen Soldaten besetzt war. Außerdem deuten nachträgliche Sperrvorrichtungen an Süd- und Osttor wie auch unmittelbar südlich des Hauptlagers geborgene Geschosse wie Schleuderbleie, Steinkugeln und dreiflügelige Pfeilspitzen auf eine Belagerung hin.
Im Prinzip kann aber, wenn die Grabanlagen nicht datiert sind, bei der Belagerung lediglich festgestellt werden, dass die der Darstellung bei Tacitus und Frontinus in Teilen entsprechen, was allerdings nichts darüber besagt, ob nicht im Zuge der Varusschlacht außer Aliso auch andere Lippelager belagert wurden.

Und wenn man mal genauer hinsieht, dann sind etwa die in den Öfen bestatteten Toten, die als gefangene feindliche Germanen interpretiert werden, alles andere als unproblematisch. Diese kamen nämlich laut der Strontiumisotopenanalyse aus dem Schwarzwälder oder Böhmischen Raum, wären also entweder gar keine Germanen gewesen oder aber Markomannen, jedenfalls keine Cherusker. Das wirft eine Menge an Fragen auf. Waren das Hilfstruppen der Römer? Im Pannonischen Aufstand Gefangene? Ist die Bestattung wirklich pietätlos gewesen? Ich bin mir nicht sicher da ich den Befund nicht im Einzelnen kenne, ob jemand pietätlos oder pietätvoll bestattet wurde, erkennt man ja u.a. auch daran, wie er niedergelegt wurde (wobei es da interessante Körpergräberfunde aus der augusteisch-tiberischen Zeit gibt, wo den Toten zwar die üblichen Grabbeigaben beigegeben wurden, aber sie dennoch offenbar alles andere als sanft in die Grabgrube kamen). Jedenfalls wird die Bestattung auch deshalb als pietätlos interpretiert, weil die Toten in außer Gebrauch gekommenen Töpferöfen bestattet wurden. Und da muss man doch zumindest mal innehalten. Immerhin - und das war den Römern wichtiger als opulente Grabbeigaben (wir finden teilweise riesige Grabmonumente aber keinerlei Beigaben bei manchen Römern) - waren die Töpferöfen als Grabmonumente obertägig zu sehen.

Fazit:
- Wer sind die Toten aus den Töpferöfen? War ihre Bestattung pietätlos?
- Wie sind die sich schneidenden Grabmonumente datiert? Ist die Datierung ohne die unbewiesene Prämisse vorgenommen worden, das Haltern Aliso ist und damit die jüngsten Monumente dort mindestens bis 16 gehen müssten?

Ergebnis:
Es spricht zwar einiges für die Gleichsetzung von Haltern mit Aliso, aber die Gewissheit, mit der etwa Aßkamp das vertritt, sehe ich nicht.
 
Genau genommen gehört dieser Artikel aus der taz:

https://www.taz.de/Archiv-Suche/!5455707&s=schönherr&SuchRahmen=Print/

in dieses Thema, da hauptsächlich die Germanenwall-Theorie behandelt wird.

Wie bereits gesagt, finde ich diesen Artikel grundsätzlich unpassend und zu polemisch. Inhaltlich muss ich darauf vertrauen, was die kommenden Grabungskampagnen erbringen werden.

Am Wochenende hatte ich Zeit, mich hier im Forum ein bisschen einzulesen.
Großes Kompliment für dieses Forum!
Zum Beispiel wurde dieses Thema zum „Grassodenwall“ bereits 2004 (!) eröffnet und diskutiert, ob die Erbauer Germanen oder Römer waren.

Zu dieser Zeit wurde in Kalkriese dieses Thema noch intern diskutiert und verworfen. Aber hier war es öffentlich und, wie wir heute wissen , von besonderer Relevanz.

Hätten die Archäologen nur damals schon in dieses Forum geschaut... Aber hätte es etwas geändert?
 
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