Der Mythos von der Kriegsbegeisterung der Volksmassen im Herbst 1914

Das Bankensystem verlor in wenigen Tagen fast 1/5 seiner Kundeneinlagen - hinzu kamen die Goldhortung und die Kursstürze. Propagandistisch wurde das auch ausländischen Umtrieben zugeordnet, tatsächlich waren das inländische Effekte.


Vielen Dank!

OT: Was der Repo vor 6 Jahren nicht alles geschrieben hat....(War jetzt echt erstaunt)

Irgendwann ist mir bei den Papieren meiner Eltern/Großeltern ein 20 Markschein von 1912 untergekommen.
Hab ich in meinem jugendlichen Leichtsinn meine Mutter ausgelacht "ihr wart schön blöd, die Scheine habt ihr aufbewahrt, und die Goldstücke auf die Bank getragen"
"so dumm wären sie auch nicht gewesen, aber der Staat damals halt auch nicht, für jedes 20/20 Mark Goldstück, das man damals abgegeben hätte, hätte mein Großvater ein paar Tage Urlaub von der Front bekommen, und wer weiß..."
Womit sie natürlich auch wieder Recht hatte.

Deshalb meine Ergänzungsfrage: Hat darüber jemand nähere Informationen?
Tausch "Gold gegen Fronturlaub"
 
@Repo

So richtig kann ich mir das aus dem historischen Kontext nicht vorstellen, was nichts heißen muß. Als Journalist hätte ich seinerzeit getitelt "Gold geb ich für Eisen, Gold geb ich für Blut?". Eine derartige Urlaubsregelung wäre m.E. nicht historisch kontextgemäß. Ich kenne in der Literatur auch keinerlei Belegestellen für eine solche Urlaubsregelung. Ich lasse mich aber gerne eines anderen belehren.

Das wäre eine Fleißaufgabe, in der man das Armee-Verordnungs-Blatt (AVBl) durchsucht.

M.
 
@Repo

So richtig kann ich mir das aus dem historischen Kontext nicht vorstellen, was nichts heißen muß. n.

Meine Mutter war Jahrgang 1903. Ihre Aussagen zum 1. WK haben sich eigentlich in der Überprüfung immer als zutreffend herausgestellt.

Als Journalist hätte ich seinerzeit getitelt "Gold geb ich für Eisen, Gold geb ich für Blut?". Eine derartige Urlaubsregelung wäre m.E. nicht historisch kontextgemäß. Ich kenne in der Literatur auch keinerlei Belegestellen für eine solche Urlaubsregelung. Ich lasse mich aber gerne eines anderen belehre

Das ist richtig, die schiere Verzweiflung hat 17-18 aber zu mancherlei eigenartigen Konstrukten geführt.

Das wäre eine Fleißaufgabe, in der man das Armee-Verordnungs-Blatt (AVBl) durchsucht.
Was vermutlich noch nicht einmal reichen würde, mein Großvater war königlich württembergischer Soldat. Kann ja sogar sein, dass es da Sonderregelungen gab.

Meine damalige Aussage "schön dumm" hat natrülich in der Verwandt- Freund-schaft für Aufsehen gesorgt, und man hat es mir von Seiten von Zeitzeugen damals mehrmals bestätigt.
Insofern hoffte ich hier Bestätigung zu finden.

Naja, nicht das einzige ungelöste Rätsel:)
 
@Repo

Das muß kein Rätsel bleiben. Das AVBl galt natürlich in erster Linie für die preußische Armee, die anderen drei Armeen haben aber die grundsätzlichen Regelungen, mit Ausnahmen, w.z.B. bei Personalien etc., übernommen.

Ich meine aus ferner Sicht, da gab es auch keine Sonderregelungen für die württembergische Armee, so selbstständig wären die dann auch nicht gewesen. ;)

Nein, soetwas (angeführte Urlaubsregelung) wäre weder politisch noch militärisch durchsetzbar gewesen (ohne exakte Quellenunterstützung).

M.
 
Zuletzt bearbeitet:
@Repo

Das muß kein Rätsel bleiben. Das AVBl galt natürlich in erster Linie für die preußische Armee, die anderen drei Armeen haben aber die grundsätzlichen Regelungen, mit Ausnahmen, w.z.B. bei Personalien etc., übernommen.

Ich meine aus ferner Sicht, da gab es auch keine Sonderregelungen für die württembergische Armee, so selbstständig wären die dann auch nicht gewesen. ;)

Nein, soetwas wäre weder politisch noch militärisch durchsetzbar gewesen (ohne exakte Quellenunterstützung).


M.


Moment bitte,

ich habe nicht diese These in die Diskussion eingeführt.

Ich habe lediglich nachgefragt, ob eine solche Regelung hier einem der Forenmitglieder bekannt wäre.
OK, Dir nicht, und Du bezweifelst die Richtigkeit.

Die, von der ich die Aussage habe, ist für mich überaus vertrauenswürdig, ich habe ihr einst sogar das "Christkind" abgenommen:rofl:Und vom Klapperstorch hat sie mir nie erzählt, also eine Frau mit zweifellos hoher Reputation:)
 
Es wurden ja alle Hebel in Bewegung gesetzt, um Gold und Silber für die Reichsbank zu beschaffen. Dabei wurden auch ideelle wie materielle Vorteile in Aussicht gestellt.

Ich kann ebenfalls nicht nachprüfen, ob diese zitierte Praxis realisiert worden ist, Gold gegen Fronturlaub zu "tauschen", nicht nur während der "Metallwochen". Aus solchen Berichten auch in den Zeitungen kann man jedenfalls die Wahrnehmung der Urlaubspraxis gegen Goldablieferung erklären.

So berichtete die Lokalpresse darüber, zB Schleswiger Nachrichten, 24.1.1915:

"Um das in Privatbesitz noch befindliche Goldgeld in staatlichen Besitz zu bringen, damit es die geldliche Wehrkraft Deutschlands durch die Reichsbank stärken helfe, ist auch hier, wie erfolgreich schon in vielen anderen Orten, den Soldaten Urlaub in Aussicht gestellt worden, wenn sie Goldgeld gegen Papiergeld bei ihren Kommandos einwechseln lassen. Daß nun zu Hause mit Hilfe von Vater, Mutter und guten Freunden alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, um vor dem Ausrücken noch einen Extraurlaub herauszuschlagen, versteht sich von selbst."

Goldspenden

Studienhafte Untersuchungen zur Praxis des Fronturlaubs sind mir aus der Literatur nicht bekannt.
 
@silesia

Erstaunlich! Du formulierst zwar äußerst vorsichtig, mit Blick auf die veröffentlichte seinerzeitige Meinung, aber immerhin.

Ich kenne keinen Literaturbeleg in der historischen bzw. wirtschaftshistorischen Literatur, der eine solche Praxis anspricht. In keiner mir bekannten Biographie, Autobiographie wird eine derartige Praxis erwähnt, noch nicht einmal in Romanen.

Selbst im sozialdemokratischen- bzw. kommunistischen Geschichtskanon findet eine derartige Praxis keine Erwähnung. Was eigentlich der Erwartung entsprochen hätte. :grübel:


M.
 
Selbst im sozialdemokratischen- bzw. kommunistischen Geschichtskanon findet eine derartige Praxis keine Erwähnung. Was eigentlich der Erwartung entsprochen hätte. :grübel:


M.


Treffer mein Großvater war zeitlebens Sozialdemokrat und ist als solcher während seiner Wehrdienstzeit in ein Regiment "fern der Heimat" gezogen worden, nach Straßburg im Elsass.
 
...
Ich kann ebenfalls nicht nachprüfen, ob diese zitierte Praxis realisiert worden ist, Gold gegen Fronturlaub zu "tauschen", nicht nur während der "Metallwochen". Aus solchen Berichten auch in den Zeitungen kann man jedenfalls die Wahrnehmung der Urlaubspraxis gegen Goldablieferung erklären.

So berichtete die Lokalpresse darüber, zB Schleswiger Nachrichten, 24.1.1915:

"Um das in Privatbesitz noch befindliche Goldgeld in staatlichen Besitz zu bringen, damit es die geldliche Wehrkraft Deutschlands durch die Reichsbank stärken helfe, ist auch hier, wie erfolgreich schon in vielen anderen Orten, den Soldaten Urlaub in Aussicht gestellt worden, wenn sie Goldgeld gegen Papiergeld bei ihren Kommandos einwechseln lassen. Daß nun zu Hause mit Hilfe von Vater, Mutter und guten Freunden alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, um vor dem Ausrücken noch einen Extraurlaub herauszuschlagen, versteht sich von selbst."

Studienhafte Untersuchungen zur Praxis des Fronturlaubs sind mir aus der Literatur nicht bekannt.

@silesia

Ich habe, weil mich das Thema sehr interessiert, seit gestern alle historischen und wirtschaftshistorische Literatur die greifbar war, "durchgeforstet". Ich finde keine Belegstelle, dabei wäre aus heutiger und seinerzeitiger Sicht eine derartige Praxis "politisch hochbrisant" gewesen. Selbst im marxistischen wirtschaftshistorischen Kanon kein Hinweis, weder bei Mottek noch bei Kuczynski.

Nun kommt so eine Zeitungsnotiz nicht von ungefähr, wäre sie nicht erwünscht gewesen, hätte sie die Militärzensur kassiert.

In der "Heimat" waren die zuständigen Kommandos die Stammregimenter (Ersatztruppenteile) bzw. die Generalkommandos. Selbst da habe ich Zweifel, da ich fast keine Belgstellen für das Eingreifen von Generalkommandos oder Stammregimenter in die Bewirtschaftung von Rohstoffen finde, das war Sache (in Schleswig) des preußischen Kriegsministeriums.

Das AVBl liegt nicht vollständig digitalisiert vor, Zeitungsnotizen spiegeln manchmal auch "Wunschdenken" oder, mit Verlaub, "Latrinenparolen" wider, oder sie könnten auch gezielte Desinformationspolitik enthalten, die dann tradiert wurden - ich weiß es nicht. Ich meine, mehr geht in einem Forum nicht.

M.
 
Das AVBl liegt nicht vollständig digitalisiert vor, Zeitungsnotizen spiegeln manchmal auch "Wunschdenken" oder, mit Verlaub, "Latrinenparolen" wider, oder sie könnten auch gezielte Desinformationspolitik enthalten, die dann tradiert wurden - ich weiß es nicht. Ich meine, mehr geht in einem Forum nicht.M.

So sehe ich das auch. Mglw. (erwünschte) Parolen.

Mir ist das aus der Literatur völlig unbekannt.
 
Relativierung der Augusteuphorie (1914) in der Forschung ?

Hallo zusammen,

ich hatte gestern an der Universität meine erste Vorlesung in der der Professor die These aufstellte die Augusteuphorie 1914 sei in den letzten Jahren von der Forschung relativiert worden. Dies ist das erste Mal, dass ich dies gehört habe und es deckt sich auch überhaupt nicht mit meinen bisherigen Erkenntnissen. So wird diese ja auch in zeitgenösischer Literatur und Filmen (z.B. im Westen nichts Neues) dargestellt und es ist auch ein Faktum, dass Hochschullehrer 1914 einen Kriegsaufruf verfassten. Was haltet ihr von dieser These und kennt Ihr möglicherweise Literatur die diese unterstützt?
 
Hallo zusammen,

ich hatte gestern an der Universität meine erste Vorlesung in der der Professor die These aufstellte die Augusteuphorie 1914 sei in den letzten Jahren von der Forschung relativiert worden. Dies ist das erste Mal, dass ich dies gehört habe und es deckt sich auch überhaupt nicht mit meinen bisherigen Erkenntnissen. So wird diese ja auch in zeitgenösischer Literatur und Filmen (z.B. im Westen nichts Neues) dargestellt und es ist auch ein Faktum, dass Hochschullehrer 1914 einen Kriegsaufruf verfassten. Was haltet ihr von dieser These und kennt Ihr möglicherweise Literatur die diese unterstützt?

@Sephiroth

Naja, "Im Westen nichts Neues" ist nun nicht gerade ein zeitgenössischer Film.

Worauf stützte in der Vl Dein Prof. diese These (?), oder hat er sie einfach nur in den Raum gestellt?

M.
 
Er ist zumindest relativ zeitnah nach dem Ende des 1. WK erschienen (1930), als die Ereignisse im allgemeinen Gedächtnis doch noch sehr präsent waren.
Er hat sich in de Vorlesung auf ein Essay von Marie Herzfeld bezogen, welche ein pessimistisches Bild der Zeit um die Jahrhundertwende zeichnete und auch andere Intellektuelle zitiert und von einer verbreiteten Angst vor dem Ausbruch eines Krieges gesprochen. Daraufhin meinte ein Kommilitone, dass diese Darstellung völlig derjenigen widerspreche, die in der Schule gelehrt würde. Auf diesen Einwurf hin stellte der Professor die These in den Raum.

Mir war sie bisher völlig unbekannt.
 
Sephiroth schrieb:
ich hatte gestern an der Universität meine erste Vorlesung in der der Professor die These aufstellte die Augusteuphorie 1914 sei in den letzten Jahren von der Forschung relativiert worden.

Das ist auch mein Erkenntnisstand.
 
Hallo Turgot,

vielen Dank für deine Antwort. Könntest du mir möglicherweise Sekundärliteratur nennen, die diese These vertritt? Damit ich mich in diese, für mich neue These, etwas einlesen kann. Das wäre super.
 
Man kann nicht pauschal behaupten, das im Deutschen Reich die Menschen alle vom Ausbruch des Krieges in einen Zustand der Begeisterung verfielen. Es gab eine ganz Menge an unterschiedlichen Reaktionen. Die reaktionen in der Stadt unterschieden sich beispielsweise von denen auf dem Land. Es sind aber gerade die Reaktionen der städtischen Bevölkerung, wo es spontane Demonstrationen für den Krieg gegeben hatte. So wurden vaterländische Lieder gesungen. Und es waren vor allem die bürgerlichen Journalisten, die die Kriegebegeisterng thematisierten und breiten Raum zur Verfügung stellten. Das Urteil der Berichterstattung fiel ganz überwiegend positiv aus.

Theodor Wolff schrieb aber, das im Deutschen Reich wie in den anderen Ländern der größte Teil der Bevölkerung den Ausbruch des Krieges auch als ein umklammerndes Reisengespenst und keineswegs nur als ein frohes Ereignis wahrnahm.
 
Beispielsweise die von Hirschfeld, Krumreich und Renz herausgegebene Enzyklopädie Erster Weltkrieg. Ist ein anerkanntes Standardwerk.
 
Er ist zumindest relativ zeitnah nach dem Ende des 1. WK erschienen (1930), als die Ereignisse im allgemeinen Gedächtnis doch noch sehr präsent waren.
Er hat sich in de Vorlesung auf ein Essay von Marie Herzfeld bezogen, welche ein pessimistisches Bild der Zeit um die Jahrhundertwende zeichnete und auch andere Intellektuelle zitiert und von einer verbreiteten Angst vor dem Ausbruch eines Krieges gesprochen. Daraufhin meinte ein Kommilitone, dass diese Darstellung völlig derjenigen widerspreche, die in der Schule gelehrt würde. Auf diesen Einwurf hin stellte der Professor die These in den Raum.

Mir war sie bisher völlig unbekannt.

@Sephiroth

Turgot war so freundlich und hat Dir bereits geantwortet und da schließe ich mich seiner und Deiner Meinung an.

Dein Prof. kommt mit seinem Argumentarium in ein argumentatives Problem. Von den Meinungsäußerungen einiger Intellektuellen "um die Jahrhundertewende" auf die "Augusteuphorie" schließen zu wollen, dürfte angesichts der Literatur- und Quellenlage nicht nur sehr schwierig, sondern kaum möglich sein. ;)

M.
 
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