Bezugnehmend auf These 2 hier
#16:
Wie beweist man eine Ablehnung einer neuen Lebensweise aus jener Zeit?
Das
ist eine gute Frage, und beweisen lässt sich meine Behauptung wohl nicht. Dennoch hier einige Argumente.
Die mesolithische Bevölkerung führte, den Funden zufolge, kein schlechtes Leben. Regelmäßige Versorgungsengpässe lassen sich nicht feststellen, diese gab es wohl nur in langen oder harten Wintern, wenn die Nahrungsreserven aufgebraucht oder verdorben waren.
abei ist anzumerken, dass die Ackerbauern im Durchschnitt bis zu 10cm kleiner waren als ihre wildbeuterischen Vorgänger.
Es lassen sich Behausungen dieser Jäger/Sammler nachweisen, die (zumindest im Winter) einen geschützten Unterschlupf boten, Hütten und Zeltkonstruktionen, die wahrscheinlich aus Holzstangen und Rentierfellen bestanden; der Rand wurde mit Steinen am Boden festgehalten (diese wurden gefunden). Also auch wenn hier eine nomadische Lebensweise herrschte, muss von festen, nicht oder schwer transportablen Winterquartieren ausgegangen werden, die dann auch eine Art Vorratshaltung möglich und wahrscheinlich werden lassen.
Entscheidend ist die völlig andere Lebensweise. Der Unterschied zwischen der mesolithischen und neolithischen Bevölkerung könnte kaum größer sein (Nomaden-Seßhafte, Jäger & Sammler-Viezüchter & Bauern). Auch das Geistesleben und die Gedankenwelten dürfte grundsätzlich anders gewesen sein, und tatsächlich lässt sich beim Übergang von der Wildbeuterei zum Ackerbau anhand Beerdigungssitten, Kult- und Kunstgegenständen ein Kulturwandel feststellen.
Und wann in der Menschheitsgeschichte wäre ein solch grundlegender Wandel der Lebens-, Denk- und Wirtschaftsweise einfach von statten gegangen bzw. wann wäre eine solch entscheidend andere Lebensweise einfach übernommen worden?
Ich denke eher, dass es der hohe Zeitaufwand und die geringere Planbarkeit der Jagd waren, die letztlich dazu führte, dass die sesshafte Lebensweise gegenüber der Jagd bevorzugt wurde.
Besonders das mit dem Zeitaufwand der Jagd sehe ich anders. Alles, was ich bisher über diese Frage gelesen habe, widerspricht dieser Aussage (vor allem ethnologische Quellen). Eine aneigenende Wirtschaftsweise ist natürlichweise weniger zeitintensiv als eine produzierende, da man sich nicht um die Bestellung des Bodens bzw. die Aufzucht des Viehs kümmern muss. Erst unter Bedingungen, die nur noch Jagd auf Kleintiere zulässt, könnte dies ändern, aber solch schlechte Bedingungen herrschten damals nicht, das lässt sich anhand der Knochenfunde nachvollziehen. (Um 100 Hasen zu jagen braucht man ev. mehr Zeit, als ein Rind aufzuziehen; aber die Jagd auf ein Hirsch dürfte hier weniger Zeit in Anspruch nehmen, selbst wenn einem das Biest das eine oder andere mal entkommt.)
Die Planbarkeit des Jagderfolges ist tatsächlich ungewiss. Ich möchte aber daran erinnern, dass auch und gerade die frühe Landwirtschaft von den Launen des Wetters abhing und Missernten bestimmt nicht selten waren.
Als das zusammen mit der Tatsache, dass es noch lange mesolithische Wildbeuter gab, während in den fruchtbaren Tälern bereits Ackerbauern aus Südosteuropa/Orient siedelten bringt mich zu dem Schluss, dass die mesolithische Bevölkerung gerne bei ihrer angestammten Lebensweise geblieben wäre und diese nicht freiwillig aufgab, wie hier vermutet:
Mir dünkt, dass der "südosteuropäische Beitrag" (LW-Technologien, domestizierte Tiere und Pflanzen) an der Neolithisierung Europas von den Mitteleuropäern herzlich begrüßt wurde. Und dass Mitteleuropa in einer Umbruchphase steckte, weil die altbewährte Lebensweise die Menschen nicht mehr ausreichend ernähren konnte. Und in just dieser Zeit kommen diese neue Menschen mit neuen Ideen, die den europäischen Mesolithikern Hoffnung auf ein besseres Leben machen.
Das Leben der neolithischen Ackerbauern war nicht besser, sondern eher härter, wenn man die verrichteten Arbeiten betrachtet.
Um gleich noch die Vorteile aufzuzeigen, die ich natürlich auch sehe (immerhin
hat sich die Landwirtschaft ja durchgesetzt):
Der erste und wichtigste Punkt ist die größere mögliche Bevölkerungsdichte. Die Ertäge der Landwirtschaft lassen sich steigern, indem mehr Boden urbar gemacht und bestellt wird. Dies ist einer wildbeuterischen Gesellschaft nicht möglich. Ein bestimmtes Revier bietet einer bestimmten Zahl Menschen ein Auskommen; mehr Menschen müssen die Ressourcen überstrapazieren und damit das Revier auf Dauer schädigen.
Damit verbunden ist eine komplexere soziale Struktur, dass Entstehen der hierarchischen, spezialisierten Gesellschaft. Das das ein reiner Vorteile für die sind, die in einer solchen Struktur leben halte ich allerdings nicht für gesagt. Die Linienbandkeramsiche Kultur kannte kämpferische Auseinandersetzungen mit Toten und Verletzten, und sie kannte rituelle Menschenopfer im Zusammenahng mit kannibalischen Ritualen. (Ich will allerdings nicht behaupten, den Mesolithiker wäre so etwas fremd gewesen.)
Zum Abschluss noch ein Wort zur Ertböller-Kultur: Diese ordne ich eher dem Meso- denn dem Neolithikum zu, da Ackerbau und Viehzucht (als produzierende Wirtschaftsformen) eher eine Nebenrolle spielten. Im Vordergrund standen aneignende Wirtschaftsformen, vor allem Fischfang und andere Meerstiere (Muscheln!). Nur unter diesen Bedingungen konnte eine solche Mischung aus alten und neuen Formen entstehen. Dabei ist anzumerken, dass ergiebige Quellen auch im Mesolithikum eine seßhafte Lebensweise ermöglichten.
Hier, beeinflusst von den nahrungsreichen Küstengebieten, konnte sich also eine Mischkultur entwickeln, da die mesolthische Urbevölkerung die Möglichkeit hatte, einige Aspekte der neolithischen Revolution zu rezipieren und zu übernehmen, ohne gänzlich díe angestammte aneignende Lebensweise aufzugeben.