Die Opferung der Hochseeflotte im Oktober 1918?

Also das mit den Dieselmotoren der deutschen Uboote würde ich dennoch nicht in ihrer Leistung überbewerten.

Sicherlich erfüllten die MAN Diesel alle Erwartungen der damaligen Zeit, aber dies waren ebend nicht a.) die einzigen Hersteller von Dieselmotoren und b.) gab es an Bord der Uboote noch jede Menge andere Technik, die Störanfällig (z.Bp. die Batterieanlage) sein kann. Was die Boote letztlich zur Heimfahrt zwang, kann keiner Mehr genau rekonstruieren, daher auch meine Bedenken gegen diverse Manipulationen der Maschinen an Bord oder gar kleine Meutereien.

Dieselmotoren für U-Boote der Kaiserliche Marine – Wikipedia
 
Nee, nix davon,
es hat mich schlicht interessiert, wie weit die Dieselmotoren als Uboot-Antrieb im 1.WK in der Entwicklung fortgeschritten waren.

Die von silesia aufgeführten ausgefallenen Uboote sind überwiegend UB-Boote, mit relativ schwacher Bewaffnung, zum Angriff auf die kpl. hightech Angloamiflotte mMn ungeeignet. Ehem. Flandernboote? evt. ausgeleiert?
Die aus vom Handelskrieg zurückgerufenen Uboote können ja unmöglich schon zurück, res. wieder seeklar gewesen sein.
Wird man eben nichts anderes gehabt haben.
 
Die aus vom Handelskrieg zurückgerufenen Uboote können ja unmöglich schon zurück, res. wieder seeklar gewesen sein.Wird man eben nichts anderes gehabt haben.

Die aus dem Handelskrieg zurückgerufenen U-Boote sollten unmittelbar die Positionen in der Nordsee einnehmen.

Aber die Aspekte des U-Boot-Ansatzes im Operationsbefehl kann man tatsächlich (selbst ohne Ausfälle auf dem Anmarsch) als Wunschdenken charakterisieren.


Nochmal zurück zu den Gedankengängen bzgl. Ansatz der Flotte - und Hills Recherchen. Bei diesen frühen "Vorstoßplanungen" ist mE zu berücksichtigen, dass so ziemlich für alles und jedes "Planungen" und Memoranden vorzufinden sind.

Ein (logistisch absurdes) Beispiel aus dieser Reihe: der zwischen dem 6. und 14.11.1914 diskutierte Vorstoß der I. (Schlachtkreuzer) und III. (vier ältere Panzerkreuzer) Aufklärungsgruppe zum Kreuzerkrieg in den Atlantik. Sie sollten sich ggf. mit dem Geschwader von Graf Spee auf dem Heimweg vereinigen und in einer nördlichen (I.) und südlichen (III.) Linie westlich England Handelsschiffe aufbringen. Zwecks Kohleversorgung (man konnte den Kohleverbrauch nicht über Dutzende Kohlenschiffe sicherstellen) war u.a. angesprochen, die Kohleversorgung "auf britischem Boden zu erzwingen".
[Angaben nach Marinearchiv, Der Kreuzerkrieg I, sowie Granier, Die deutsche Seekriegsleitung im Ersten Weltkrieg I]
 
Die Fußnote von Gross ist noch nachzutragen: S. 417:
"Nach dem Kriegsende setzte in Deutschland die Diskussion über die Erfolgsaussichten des geplanten Vorstoßes ein. Während Trotha ... und Brüninghaus ... dem Vorstoß wegen der Planung und der besseren Technik der deutschen Schiffe große Erfolgsaussichten einräumten, räumte Galster ... wegen der quantitativen Überlegenheit der Engländer und den qualitativen Verbesserungen auf der Grand Fleet bestenfalls die Chance auf einen Teilerfolg ein."

Zur angeblich qualitativen Überlegenheit der Hochseeflotte noch 1918:

Bereits Scheer ging im Vorfeld von dem Problem der großen Anzahl neuer britischer Schlachtschiffe mit 15inch-Hauptkaliber aus (5 QEs, 5 R-Klasse), die sich (nicht nur im Nachkriegsvergleich) als ebenbürtig zu den deutschen "Bayern" und "Baden" zeigten. In Auswertung der Skagerrakschlacht zeigte man sich auch beeindruckt (allerdings noch in Überschätzung der realen Verhältnisse), dass die QEs "den deutschen Schlachtkreuzern davon fuhren" -> Forstmeier/Breier: Deutsche Großkampfschiffe 1915-1918.

Ein anderer Aspekt ist dann ex post für diese Chancendiskussion bei GRoss wichtig. 1918 führte Großbritannien vor Kriegsende die neuen APC-Geschosse für die Großkaliber ein: dabei wiesen die Geschoßspitzen eine etwas größere Härte gegenüber den bisherigen "weicheren" APC-Granaten auf (die "cap" sorgte für die Fixierung des Geschosses beim Aufprall).
Zusätzlich wurde die Ladung ausgetauscht, und es wurde - der entscheidende Faktor - die Zündungs-Verzögerung nach Aufschlag/Durchschlag optimiert.

Ergebnis: die Durchschlagsleistungen wurden gegenüber den Skagerrak-Verhältnissen wesentlich gesteigert, die Granaten wiesen nach Durchschlag einen weiteren Weg ins Schiffsinnere bis zur Zündung auf (konnten also eher die vitalen Schiffszonen erreichen).


Diese britischen APC-Granaten mit Stand 1918 wurden nach dem Krieg bei den abzuwrackenden britischen ORION-Schlachtschiffen (vergleichbar der deutschen KAISER- oder KÖNIG-KLASSE) unter realen Bedingungen getestet, und zwar mit dem 13,5inch-Kaliber. Dabei ergaben sich verheerende Schäden auf ORION etc., die auf die Leistungssteigerung zurückzuführen waren, und die mit früheren Verhältnissen (1916) nicht mehr zu vergleichen waren.

Testberichte der Beschußversuche dargestellt in Burt, British Battleships of World War One.
 
Deist schreibt hier:
Der "Oberste Kriegsherr" wusste demnach auch von nichts.

Logische Konsequenz aus der neuen Struktur der Marineführung. Mit der Ende 1918 neuen Seekriegsleitung hatte Scheer eine Stelle geschaffen, die nicht mehr nur eine der vielen Immediatstellen des Kaisers darstellte, sondern er konnte im Namen des Kaisers den Einsatz der Marine lenken und verantworten.
Die Seekriegsleitung konnte selbstständig im Namen des "Obersten Kriegsherren" handeln, ohne gezwungen zu sein, Rückfragen zu halten und um Genehmigung ihrer Pläne zu bitten.
 
Interessant ist, dass bislang nichts zur Reaktion der Royal Navy auf die Planungen der Marine zum "Letzten Gefecht" in die Diskussion eingebracht worden ist. Das möchte ich nachholen, um den Chancenaspekt zu ergänzen (zur qualitativen und quantitativen Unterlegenheit der Hochseeflotte ist oben schon einiges gesagt).

Man findet den flotten Spruch bei Marder (From the Dreadnought to Scapa Flow, Band V): "The Admirality had a pretty good idea of what was going on."

Das hatte durchaus Tiefgang:

- das Zusammenziehen der deutschen U-Boote Ende Oktober war klar erkannt, durch Sichtungen sowie durch Funkaufklärung

- den starken Rückgang der U-Boot-Angriffe auf die Handelsschifffahrt

und insbesondere:

- ein starker Anstieg ("extraordinary") der Minensuchtätigkeit in den Ausfahrtzonen der Deutschen Bucht (u.a. Meldung vom 27.10.1918: mehr deutsche Minensuchoperationen in den letzten 10 Tagen als in den letzten 6 Wochen zusammen genommen).

Am 27.10.1918 wurde in der Admiralität diskutiert, dass eine große deutsche Aktion im Vorbereitung sei. Bereits am 23.10. wurde Beatty offiziell gewarnt, dass die Situation in der Nordsee derzeit "abnormal" sei. Am gleichen Tag wurden die Zerstörer-Flottillen der Navy umgruppiert, um auf einen deutschen Vorstoß vorbereitet zu sein. Fremantle äußerte, dass eine große deutsche Flottenoperation bevorstehe.

- Am 29.10.1918 kam schließlich die klare Ansage an Beatty: "it seems now absolutely clear that the enemy wishes you to come out to the Southward over a submarine trap." - Genauer und kürzer kann man wohl einen gegnerischen Operationsplan nicht beschreiben. Dies dürfte auch in Zusammenhang mit den Zerstörer-Verlegungen stehen. Allerdings vermutete man, dass die Hochseeflotte nur kurz hinter ihrer Minenbarrikade hervorkommen könnte, einige Stunden herumfunkt und dann wieder verschwindet. Man verglich die Operation mit Medway 1667 und den Breda-Verhandlungen.

Aus all dem folgt: die Royal Navy war ausreichend gewarnt und hatte zwei Optionen: Zurückziehen des Kanal-Schiffsverkehrs und Verbleiben im Hafen oder Abfangen der Hochseeflotte auf dem Rückweg gemäß der deutschen Zeitplanung. Sehr wahrscheinlich (dazu ist aber bei Marder nichts vermerkt) ist auch ein britischer U-Boot-Streifen zum Abfangen gelegt worden.


Bemerkenswert finde ich den zweiten Hinweis auf den deutschen Vorlauf der Auslaufplanung, nämlich die Minensuchoperationen seit dem 17.10.1918 (!). Diese passen zeitlich mit den schon genannten U-Boot-Befehlen perfekt zusammen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Bemerkenswert finde ich den zweiten Hinweis auf den deutschen Vorlauf der Auslaufplanung, nämlich die Minensuchoperationen seit dem 17.10.1918 (!). Diese passen zeitlich mit den schon genannten U-Boot-Befehlen perfekt zusammen.

Minenaktionen wurden im Bereich der deutschen Bucht aber schon ab Mai 1918 verstärkt durchgeführt. Oder nicht sogar schon ab Ende 1917?

Wenn hier allerdings das Minenräumen auf den Zeitraum wenige Wochen vor dem Termin Ende Oktober für den Flottenangriff hindeutet, würde es bedeuten, daß diese Aktion schon viel Früher geplant wurde.
Das wiederum bedeutet, daß es sich also nicht um die immer beschriebene, Handlung der alles entscheidenden Seeschlacht als Ehre und Rettung des Sieges in diesen Krieg als kurzfristige Aktion der Seekriegsleitung darstellt.:grübel:
 
Wenn hier allerdings das Minenräumen auf den Zeitraum wenige Wochen vor dem Termin Ende Oktober für den Flottenangriff hindeutet, würde es bedeuten, daß diese Aktion schon viel Früher geplant wurde. Krieg als kurzfristige Aktion der Seekriegsleitung darstellt.:grübel:

... in den 10 Tagen vor dem 27.10.1918 (so jedenfalls die britische Aufklärung). Schau Dir dazu noch oben die #60 zu den U-Booten an: 21./22.10.1918. Das paßt.
 
... in den 10 Tagen vor dem 27.10.1918 (so jedenfalls die britische Aufklärung). Schau Dir dazu noch oben die #60 zu den U-Booten an: 21./22.10.1918. Das paßt.


Also beim kurzen Überfliegen der Schiffe, die für Minenaktionen herangezogen wurden, kann ich keine Unregelmäßigkeiten der Aktivitäten feststellen.

So wurden Minenfreie Wege geräumt, um immerwieder die Vorpostenschiffe bzw. die AGen schnell einsetzten zu können. Die kleinen Kreuzer der II.AG und der IV.AG waren dabei ständig im Einsatz, um Sicherungsaufgaben zu übernehmen bzw. selbst Minensperrgürtel zu legen.

Um hier etwas genaueres darzustellen, benötigten wir Informationen der Minenräumflottillen.

http://startext.net-build.de:8080/b...=854F3FECDEE6418EBCC24168AA92C77C&searchPos=2
Unter Punkt 4.2.1.2.5.1. Verbandsstäbe der Sicherungsstreitkräfte der Kaiserlichen Marine findet man die Akte RM 60-I Führer der Minensuch- und Räumverbände der Hochseestreitkräfte.
(Kennt sich jemand hier aus mit einer Akteneinsicht?)

Würde es aber nicht Sinn machen, die Fahrwege durch die Minenfelder zu räumen, um die Front-Uboote sicher in die deutschen Häfen fahren zu lassen. Die Briten waren ja auch weit bis 1918 damit beschäftig die Deutsceh Bucht immerwieder zu verminen.

Hier noch ein Interessanter Link, zum Thema, vobei hervorgeht, daß der Operationsbefehl schon Anfang Oktober in Ausarbeitung gebracht wurde.

http://books.google.de/books?id=n3S...resnum=5&ved=0CBIQ6AEwBA#v=onepage&q=&f=false
 
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Signal zur Konterrevolution?

In einem Artikel/Aufsatz im Vierteljahresheft für Zeitgeschichte 1/1988 wird dargelegt, daß H.Herwig davon überzeugt sei, daß der geplante Flottenvorstoß Okt 1918 geplant worden sei, den Kanzler Prinz Max von Baden zu stürzen.
Als Gründe für die These werden folgende Problematiken genannt:

1.) ein verlorenes Seegefecht würde eine politische Krise auslösen und die dt. Waffenstillstandsverhandlungen unglaubwürdig machen; was wiederum zu einer Bildung einer neuen Regierung in Deutschland führend sollte

2.)ein Sieg zur See würde im Umkehrschluß das Vertrauen zwischen Marine und Nation wieder herstellen; somit das Friedensprogramm des Kanzlers diskreditieren und ebenfalls zu einer Bildung einer neuen Regierung in Deutschland führen

Diese Argumente passen zu der politischen Position der dt. Flotte, in der sie vor dem Krieg hineinwuchs und legt dar, warum sie während des Krieges im Kampf zurückgehalten wurde.
Sie sollte demnach in der Masse nie zu militärischen Zweck dienen, sondern immer das politische Gewicht im Außland, wie im Innland halten bzw. dieses Gewicht zu beeinflußen, eingesetzt werden.

War die Seekriegsleitung Ende 1918 damit nicht mit dem wirklichen Vorsatz und Ernsthaftigkeit des Flottenvorstoßes in Planung gegangen, sondern wollten die Offiziere damit die revoltierende Stimmung innerhalb der großen Kriegsschiffe anderweitig kanalisieren, um die politische Lage Deutschlands zu ändern und um eigensinnig die neue Zukunftsflotte zu retten bzw. zu rechtfertigen?


War am Ende die Meuterei Okt 1918 in den Geschwadern von der Seekriegsleitung geplant bzw. bewusst kalkuliert?


Quelle:http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1988_1
http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1988_1.pdf

 
Nein, sehr unwahrscheinlich, vermute ich.

1. Die SKL wäre sich bewußt gewesen, m.E., dass sie schnell in die Rolle eines Zauberlehrling hätte kommen können und die Dynamik der Entwicklung nicht hätte mehr kontrollieren können.

Sie wäre dann das Opfer ihrer eigenen konspirativen Strategie geworden. Das Riskio wäre zu hoch gewesen und somit nicht tragbar. Der Nutznießer wären unter Umständen die geworden, die man sicherlich nicht am Erfolg beteiligen wollte, die SPD oder die USPD.

2. Die eigene militärische Sozialisation der Offiziere der Marine reduziert das Handlungsrepertoir. Es wäre mit dem Ehrverständnis der meisten Marineoffiziere kaum in Übereinstimmung zu bringen, Strategien bzw. Handlungen im Umfeld des Landes- bzw. Hochverrat zu initiieren, selbst wenn der Zweck die Mittel hätte heiligen können.
 
Aber was bewog die Seekriegsleitung, die für die Operation zusammengezogenen Geschwader in der Nordsee, nach Ausbruch der anfänglichen Gehorsamsverweigerung wieder auf die Stützpunkte in Nord- und Ostsee zu verteilen.

Die Briten hielten ihre Schlachtflotte immer fern von Häfen und Werften bzw. der Bevölkerung, da sie wohl genau um das revoltierende Potential der Matrosen wußten.

Hier hatten nun auf allen großen dt. Kriegsschiffen die Matrosen und Heizer ein Ausslaufen verhindert und dennoch verlegt man nun die brodelnden Schiffe in die Häfen zu den ausgelaugten Arbeitern bzw. der Bevölkerung...Bildlich gesehen, hat man damit die Lunte der Revolution doch erst an die Bombe gelegt!?

Das macht doch auch keinen Sinn.
 
Das offensichtliche Irrationale scheint an vielen Punkten die Normalität der Entscheidung darzustellen. Warum sollte die Marineleitung nicht auch ein Oper ihrer eigenen Fehlentscheidungen geworden sein.

Die Torheit der Regierenden: Von Troja bis Vietnam: Amazon.de: Barbara Tuchman, Reinhard Kaiser: Bücher

Vielleicht ist dieses ein Beispiel für kontraproduktive Entscheidungen. Im Rahmen der Entscheidungstheorie-Forschung stößt man immer wieder auf das Phänomen, dass "nichtidentierte Nebenwirkungen" die positiven Intentionen einer Handlung gravierend konterkarrieren.

Wir unterstellen zudem die Transparenz der Situation mit der Informationsversorgung von heute für die damaligen Entscheidungsträger. Zudem berücksichtigen wir nicht die emotionale Aufladung am Ende des WW1.

Nicht eindeutig ist zudem der Einfluß normativer bzw. dogmatischer Annahmen, im Sinne von Ideologien bzw. Glaubenssystemen, auf die Handlungsalternativen.

Ein Aspekt, der gerne übersehen wird.
 
@thanepower: Das ist ein logische Erklärung und die macht auch Sinn.

Aber: Ich möchte nochmals auf die Problematik der Gehorsamsverweigerung und Meutereien innerhalb der beiden größten Marinen, vor allem an Personal, zurückkommen.

Nachdem ein Großteil der Flotte in der Hand von roten Soldatenräten war und auch die Kommandanturen in Kiel, Cuxhaven und Wilhelmshaven an die roten Matrosen abfielen, gab es einen Vorfall, indem die Offiziere mittels Patriotismus einen Teil der Landbatterien wieder in die Hand zu bekommen versuchten, mit einer Falschmeldung über anrückende britische Geschwader auf die deutsche Küste.

Zudem gab es den Befehl der Royal Navy in den ersten Tagen des Waffenstillstandes, nicht mit den Soldatenräten zu verhandeln und wenn deutsche Schiffe in die Internierung gehen sollten, würde man das Feuer auf Schiffe mit roter Fahne sofort eröffnen. Den Briten war der ernst der Lage, die von den Meuternden dt. Matrosen ausging sehr bewußt.
Warum dann nicht von der dt. SKL, zumal die Erfahrungen schon 1917 gesammelt werden konnten. Blieb der Tod von Reichpietsch und Köbis für die Admiralität ohne weitere Konsequenz für solche Vorfälle?
 
1. Die SKL wäre sich bewußt gewesen, m.E., dass sie schnell in die Rolle eines Zauberlehrling hätte kommen können und die Dynamik der Entwicklung nicht hätte mehr kontrollieren können.

Sie wäre dann das Opfer ihrer eigenen konspirativen Strategie geworden. Das Riskio wäre zu hoch gewesen und somit nicht tragbar. Der Nutznießer wären unter Umständen die geworden, die man sicherlich nicht am Erfolg beteiligen wollte, die SPD oder die USPD.

Und dabei möchte ich doch mal auch auf die Theorien der inneren Zersetzung mit der Überlieferung Lenins nach Russland erinnern. Soweit ich im historischen Bilde bin, hat die deutsche Kriegsleitung in kauf genommen, die bolschewistischen Gedanken Lenins ohne Rücksicht auf Verluste und deren Tragweite auch über die rusischen Grenzen hinaus, als russische Wehrkraftzersetzung zu nutzen. Warum sollte solch ein Szeanario nicht auch in Deutschland ange- bzw. durchdacht worden sein?
 
Aber was bewog die Seekriegsleitung, die für die Operation zusammengezogenen Geschwader in der Nordsee, nach Ausbruch der anfänglichen Gehorsamsverweigerung wieder auf die Stützpunkte in Nord- und Ostsee zu verteilen.


Die Schiffe hatten sich am 29.10.1918 auf Schilling Reede versammelt.
(RM 8/1011, Bl. 7-12, Chef des Stabes der Seekriegsleitung)

Erstmal gab es folgende Reaktion:
In der Nacht vom 30.10.1918 auf den 31.10.1918 wurde trotz der Unruhe-Meldungen vom 29./30.10. noch das Auslaufen der Torp.-Boote mit Ansatz gegen die englische Ostküste befohlen; die Flotte sollte bis zum Minengürtel decken und die Boote innerhalb des Minengürtels wieder aufnehmen.
(RM 8/1007 Bl. 23-24, Kommando Hochseestreitkräfte)

Das läßt einiges zur Einschätzung der Lage durchblicken.

Am 30.10. um 4 Uhr nachmittags Chefsitzung. Die Verbandschefs "glauben, ihre Verbände zu einer solchen Unternehmung in der Hand zu haben". BdA äußert Zweifel über "von der Tann". BdT und BdU sind sich ihrer Verbände sicher, der Befehl wird daher ausgegeben. Gewählt werden sollte "Weg 420". Die Schlachtgeschwader sollen getäuscht werden durch FT-Befehl "Auslaufen zum Evolutionieren". Wegen Wetterverschlechterung findet kein Minensuchen statt. In der Dunkelheit gibt es weitere Schwierigkeiten mit Meuterern, man befürchtet nun weitere Ausschreitungen beim Auslaufen am 31.10.

Deswegen und "mit Rücksicht darauf, dass es sich im Ganzen offenbar um eine weitgehende Verhetzung und z. Zt. um eine äußerst erregte und daher zu Explosionen neigende Stimmung unter den Mannschaften handelt", wird für den 31.10. das planmäßige Standortverteilen befohlen (Anmerkung: "auf ausdrückliche Bitte des Chefs III. Geschwader"):

"III. Geschwader nach Kiel entlassen, I. Aufklärungsgruppe, II. Aufklärungsgruppe Wilhelmshaven einlaufen bis auf Vorposten-Kleine-Kreuzer." Baden geht auf Wilhelmshaven-Reede, Flottenstab auf "Kaiser-Wilhelm-II." zurück.
(Abzeichnung des Schriftstücks: v.Trotha)

Danach lag der Plan zur Verteilung schon vor den Unruhen vor. Darauf wurde wegen der Unruhen zurück gegriffen, da die Verteilungen zur Beruhigung dienen sollten.

Am 1.11. wurde wieder diskutiert:
"Es steht daher zur Beantwortung der Frage, wie der Sache Herr zu werden sei, folgendes zur erwägung:
a) Wohin mit den Leuten?
b) Woher sofort gute Offiziere auf die Schiffe?
Als Ergänzung zu den Jorckschen Ausführungen drahtet Hochseechef, daß er ausdrücklich betone, daß kein Grund vorliegt, Innenlage auf großen Schiffen zu schwarz z beurteilen."

(RM 8/1011, siehe oben)

Am 3.11., Chef des Stabes der Seekriegsleitung (RM 8/1011, Bl. 71-88):
"V.Trotha schildert dann, wie unter diesem zunehmenden Druck [siehe oben] durch die Unruhen auf den einzelnen Schiffen Kommando der Hochseestreitkräfte schließlich von allen Unternehmungen [Anm: es gab 2 Varianten!] Abstand nehmen mußte. Die Verbände seien verteilt worden. Die Verbände lägen jetzt an verschiedenen Plätzen, wo die Vorgesetzten ihre Leute wieder in die Hand zu bekommen suchen."

Damit kam es zu Mißverständnissen: es wurden zu viele Leute an Land gelassen, unerwartet fehlten Besatzungsmitglieder beim Einschiffen, an Land geschahen inzwischen Reibungen zwischen empörten U-Boots-/Torp.Boots-Besatzungen und Besatzungen der großen Schiffe.

Kriegstagebuch Seekriegsleitung, 7.11.1918 (RM 5/6358, Bl. 153 und Anlage XVII):
"Hochseechef detachierte die einzelnen Verbände nach Ostsee, Elbe und Jade, um sie dort in die Hand der Führer zu bringen. In Wilhelmshaven schien Ruhe somit wieder gesichert.
Mit dem Eintreffen des III. Geschwaders übertrugen sich die Unruhen am 1.11. abends nach Kiel. ... Am 3.11. mittags kam es schon zu Schießereien zwischen den Meuterern und den Absperrtruppen, ...Die von der Regierung nach Kiel entsandten Abgeordneten Haußmann, Noske, Struve und Hoff konnten eine dauernde Beruhigung der Lage nicht erzielen."


Zu den Folgen aus der unruhe 1917 gibt es eine Anweisung von Scheer, 6.8.1917 (RM 92/3240, Bl. 40-41). Darin geht es um die Aufrechterhaltung der Disziplin sowie geeignete Maßnahmen.


Sehr zu empfehlen ist Nicolas Wolz, Das lange Warten. Kriegserfahrungen deutscher und britischer Seeoffiziere 1914 bis 1918, Paderborn 2008.

Nachtrag: Dokumente oben zitiert aus Materialien aus dem Bundesarchiv, Heft 9, herausgegeben von Gerhard Granier: Die deutsche Seekriegsleitung im Ersten Weltkrieg, Bände I bis III, dort unter den entsprechenden Daten abgedruckt (Band IV nur zum U-Boot-Krieg).
 
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Linienschiff Schlesien 1918

Durch die Recherchen zu den Linienschiffen Schlesien und Schleswig-Holstein bin ich auf ein interessantes Ereignis im November 1918 mit der Schlesien gestoßen.

Die Schlesien verließ am 5.Nov Kiel, mit der Kaiserlichen Flagge, vorbei am III. Geschwader das schon komplett Rot beflaggt war. Darauf erfolgte ein Scheinwerferspruch "Sofort kehrtmachen und einlaufen, Soldatenrat" und "Warum haben Sie keine rote Fahen gesetzt?" Beides wurde ignoriert.

Am Abend, als Schlesien schon in der Flensburger Förde ankerte, meldete der Kommandant der Marineschule Mürwik, daß der Soldatenrat in Kiel den Befehl gegeben hat, die Schlesien in der Nacht durch Torpedoboote zu versenken. Der Soldatenrat war überzeugt, daß sich an Bord des Schiffes der Großadmiral Prinz Heinrich von Preußen und Prinz Aldelbert befänden.

Gibt es zu diesen Befehl des Soldatenrates nähre Informationen? Hatte der Soldatenrat ernsthaft vor, die Kriegsschiffe einzusetzen?
 
Durch die Recherchen zu den Linienschiffen Schlesien und Schleswig-Holstein bin ich auf ein interessantes Ereignis im November 1918 mit der Schlesien gestoßen.

Die Schlesien verließ am 5.Nov Kiel, mit der Kaiserlichen Flagge, vorbei am III. Geschwader das schon komplett Rot beflaggt war. Darauf erfolgte ein Scheinwerferspruch "Sofort kehrtmachen und einlaufen, Soldatenrat" und "Warum haben Sie keine rote Fahen gesetzt?" Beides wurde ignoriert.

Am Abend, als Schlesien schon in der Flensburger Förde ankerte, meldete der Kommandant der Marineschule Mürwik, daß der Soldatenrat in Kiel den Befehl gegeben hat, die Schlesien in der Nacht durch Torpedoboote zu versenken. Der Soldatenrat war überzeugt, daß sich an Bord des Schiffes der Großadmiral Prinz Heinrich von Preußen und Prinz Aldelbert befänden.

Gibt es zu diesen Befehl des Soldatenrates nähre Informationen? Hatte der Soldatenrat ernsthaft vor, die Kriegsschiffe einzusetzen?

@Köbis17

So ein Ereignis in dieser "aufgeregten" Zeit zu rekonstruieren ist sehr schwer, Du weißt, da kochen "Latroinenparolen" hoch, die dann kolportiert werden.

Ersteinmal habe ich bei der Schilderung eine gewisse Grundskepsis.

Da Du in Marinedingen sehr viel bewanderst bis als ich; kennst Du die Dislozierung der Torpedoboot-Flottillen die an diesem 5. November 1918 überhaupt in der Lage gewesen wären, die ankernde "Schlesien" zu erreichen?

Wenn ja, stell einfach den Verbandsnamen- bzw. nummer ein. Mal sehen, was sich dann im Archiv finden läßt.

Der Aktenbestand zu Mürwik ist bei Deiner Fragestellung keine Hilfe, da:


"Überlieferung
Für die Marinekriegsakademie sind nur wenige Unterlagen (Hervorhebung durch mich) aus der Zeit der Führergehilfenausbildung und der neuen Marineakadmie vorhanden, darunter Ausbildungsberichte, Lehrgangsmaterial sowie Abschlußberichte der 1943 und 1945 abgehaltenen Lehrgänge.
Die Marineärztliche Akademie ist nur mit einem Aktenband vertreten. Nur bruchstückhaft sind wenige Unterlagen von der Marinekriegsschule Mürwick erhalten. Vereinzelt sind auch Akten der Schiffsartillerieschule Saßnitz, der Marineflugabwehrschule Usedom, der Marineflakschule Swinemünde und der U-Boot-Abwehrschule Gdingen überliefert.


Erschließungszustand (Kommentar)
Findbuch, Archivalienverzeichnis..."

Vergl.:

http://startext.net-build.de:8080/barch/MidosaSEARCH/Bestaendeuebersicht/index.htm?search=Marineschule%20M%C3%BCrwik&KontextFb=KontextFb&searchType=any&searchVolumes=all&highlight=true&vid=Bestaendeuebersicht&kid=E06E188847594521BE79E4565407CEB3&uid=9B532635D702458D80D44BEEB2A7A600&searchPos=8

Da scheint es wohl kein KTB mehr zu geben.

Blieben also nur die KTB's der betreffenden Schnellboot-Flottille und das KTB der Schlesien bzw. Sitzungsprotokolle des Kieler Soldatenrates.


M.
 
Zuletzt bearbeitet:
Gross, Hochseeflotte 1918 bietet leider nichts zum Ereignis.

In Marinearchiv, Nordsee 7, sind Berichtsfragmente enthalten. Danach sei SMS Schlesien als Kadettenschulschiff in Begleitung einiger Torpedoboote ausgelaufen, Schulschiff "Schleswig-Holstein" wird nicht erwähnt. Auch ein im Dock befindliches Linienschiff (König) soll die Kriegsflagge gesetzt haben, wurde aber von Land aus mit Gewehrfeuer beschossen. Dabei soll der Kapitän verletzt und zwei Offiziere getötet worden sein.

"SMS Schlesien" soll nach einigen Tagen wieder in den Hafen eingelaufen sein. Der Bericht enthält nichts zu den Ereignissen an Bord der Schiffe, die rote Flagggen gesetzt hatten.

Das Kriegstagebuch der Seekriegsleitung (Entwürfe, gezeichnet von Scheer) berichtet ebenfalls von den Vorgängen. SMS Schlesien ist demnach bis in dänische Gewässer gelaufen. Berichtet wird ebenfalls von den Vorgängen um SMS König.
 
Gibt es zu diesen Befehl des Soldatenrates nähre Informationen? Hatte der Soldatenrat ernsthaft vor, die Kriegsschiffe einzusetzen?

Das stimmt insoweit mit der Darstellung bei Haffner, Die deutsche Revolution 1918/19, überein, wonach die Schlesien "unter den drohenden Kanonen" auf die offene See floh. Das wird vermutlich "nur" der Eindruck an Bord der Schlesien gewesen sein.

Betr. KTB der Schlesien wird bei Schmidt, Heimatheer und Revolution 1918 auf den Nachlaß des F.Kap. v.Waldeyer-Hartz, BA-MA N171, Seite 2-4, verwiesen.

Die Besatzungen der Torpedoboote hatten sich jedenfalls Tage zuvor geweigert, auf meuternde Schiffe zu schießen, da man nicht gegen die eigene Flotte/eigene Schiffe kämpfen würde. Vermutlich galt das auch umgekehrt.
 
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