Die Rolle des Täufers

Das Täuferbild in den Evangelien und bei Josephus

Die Historizität des Täufers braucht nicht bezweifelt zu werden, da er und einige Ereignisse aus seinem Leben auch im Geschichtswerk ´Jüdische Altertümer´ (Antiquitates Iudaicae) von Flavius Josephus erwähnt werden. Manche Historiker, beginnend mit dem Juden Heinrich Graetz im 19. Jh., haben vermutet, dass die entsprechende Passage eine Interpolation von christlicher Hand sei, was theoretisch möglich ist, da Josephus´ Text nur in christlichen Kopien vorliegt. Dagegen sprechen zwei Argumente: Erstens, die Differenzen zwischen den Angaben in den Evangelien und bei Josephus über den Hinrichtungsgrund; ein christlicher Interpolator hätte sich eng an die evangelistischen Vorgaben gehalten. Zweitens, die Nichterwähnung des Jesus in der Täuferpassage bei Josephus, die einem Interpolator gewiss nicht unterlaufen wäre, da dies eine gute Gelegenheit für die ´Bezeugung´ des Jesus durch einen nichtchristlichen Historiker geboten hätte.

Während Mt und Lk den Täufer als apokalyptisch gestimmten Prediger zeichnen, erscheint er in Ant. 18.117 als "guter Mann", der die Menschen zur Frömmigkeit ermahnt und ihre Seelen und Körper "reinigt". Nach 18.118 sind aus Sicht des Antipas die Reden des Täufers sogar imstande, die ihm hörige Menge zu einem "Aufstand" anzustacheln, so dass er vorsorglich getötet werden müsse. In den von Josephus genannten harmlos wirkenden religiösen Ambitionen des Täufers kann sich das rebellische Potential aber nicht erschöpfen, dass er verkörpert und seinen Anhängern vermittelt haben muss, um gravierende Befürchtungen bei Antipas auszulösen. Ein solches Potential ist, abweichend von Mt und Lk, im Mk wiederum nicht erkennbar; dort heißt es noch lapidarer als bei Josephus nur, dass Johannes die Taufe als Mittel der Sündenvergebung praktiziere.

Anders in Mt 3,9 f. (Gerichtspredigt), wo Aussagen des Täufers einen apokalyptischen Anstrich haben: Er bezeichnet die traditionellen Juden, also die Sadduzäer und die Pharisäer, als "Schlangenbrut" und spielt damit entweder auf die Negativität einer Giftschlange an oder aber, und das wäre tendenziell apokalyptisch, auf die Abstammung der genannten Gruppen aus einer Verbindung der Urmutter Eva mit der Eden-Schlange. Die Sprüche der Gerichtspredigt fehlen in Mk, werden in der Bibelwissenschaft daher der Quelle Q zugeordnet, wobei Q auch dem Mk-Autor vorgelegen haben soll. Das wirft die Frage auf, warum in Mk die für das Täufer-Bild so wichtige Gerichtspredigt nicht erscheint. Mk scheint in puncto theologische Harmlosigkeit des Johannes den Antiquitates jedenfalls näher zu stehen als Mt und Lk, wo es in der Gerichtspredigt in apokalyptischer Manier an die Adresse der Sadduzäer und Pharisäer heißt (Mt 3,10):

Es ist aber auch schon die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt. Jeder Baum nun, der keine gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen!
Aus der Predigt folgen drei Prämissen des Täufers: die unmittelbare Nähe des Endgerichts, die Nutzlosigkeit der Abrahamskindschaft für die Freisprechung und die Taufe als einziges Mittel, die Freisprechung zu erlangen, andernfalls das Feuer der Verdammnis droht. Eine wörtliche Authentizität der Täufersprüche ist allerdings weder für die Evangelien, sofern unabhängig von Q, noch für die Quelle Q selbst, falls überhaupt jemals existent, anzunehmen. Zu Q: Hätte diese hypothetische Sammlung wirklich authentische Jesus-Sprüche enthalten, wäre sie doch gehütet worden wie ein Schatz und darüber hinaus durch zahlreiche Kopien gesichert worden. Stattdessen scheint Q über Jahrhunderte nicht nur verschollen, sondern auch vergessen worden zu sein, und es blieb Bibelwissenschaftlern der Moderne vorbehalten, sie - spekulativ - wiederzuentdecken.

Die in den Antiquitates notierte Furcht des Antipas vor dem rebellischen Potential des Täufers macht eine aggressiv-apokalyptische Ausrichtung aber wahrscheinlich. Warum Josephus diese Haltung in seiner Darstellung nicht erwähnt hat, ist unschwer zu erraten. Er lebte zur Zeit der Abfassung als Rom-loyaler jüdischer Pensionär am Hof von Kaiser Domitian, der dem Judentum gegenüber äußerst kritisch gesonnen war. Dem Täufer eine antirömische Gesinnung zuzuschreiben und seinen Anhängern eine Bereitschaft, diese in die Tat umzusetzen, hätte das durch diverse Aufstände geschürte Misstrauen der Römer gegen die Juden, unter denen es viele Täuferanhänger gab, noch erheblich verschärft, woran Josephus kaum gelegen sein konnte.

Man kann also annehmen, dass Johannes über die Darstellung seiner Ambitionen in den Antiquitates hinaus ein in den Augen des Herodes Antipas staatsgefährdend-aggressives Potential verkörperte, das laut Josephus der Grund für seine präventive Hinrichtung war. Der Historiker neigte ohnehin dazu, messianisch-apokalyptische Themen aus seiner Darstellung jüdischer Religiosität auszuklammern.

Historizität des Herodias-Täufer-Konflikts

Diskrepanzen zwischen Mk und Josephus:

+ Während im Mk der Täufer als Ankläger der - nach jüdischen Kriterien - inzestuösen Ehe von Herodes Antipas mit seiner Nichte Herodias auftritt und auf Herodias´ Veranlassung hin schließlich getötet wird, kommentiert Joseph in den Antiquitates die Ehe der beiden zwar als aus jüdischer Sicht unrechtmäßig, erwähnt aber mit keiner Silbe eine Anklage dieses Verhältnisses durch den Täufer.

+ Während im Mk die Moralkampagne des Täufers als Hinrichtungsgrund gilt, ist es den Antiquitates (18.116-119) zufolge die Beliebtheit des Täufers beim Volk, die Antipas zu seiner Beseitigung motiviert, um einem Volksaufstand vorzubeugen.

Die Bankett-Szene

Es stellen sich u.a. folgende Fragen:

(1) Warum ist im Lukasevangelium nichts über das Bankett und Herodias´ Forderung nach dem Kopf des Täufers zu lesen?

(2) Wie wahrscheinlich ist es, dass Antipas ein Versprechen wie das geschilderte gegeben hat?

(3) Gibt es textuelle Vorlagen für das Enthauptungsmotiv?

(4) Wer könnte das tanzende Mädchen sein bzw. auf welche historische Person wird mit dieser Figur angespielt?

Zu (1):

Lukas gilt unter den vier Evangelisten als der beste Kenner der Herodes-Dynastie. Wenn er auf eine Wiedergabe der von ihm im Mk vorgefundenen Geschichte verzichtet hat, dann vielleicht deshalb, weil er die Fiktionalität durchschaute und das Verhältnis zu seinen Informanten durch eine kolportierte Fiktion nicht gefährden wollte.

Zu (2):

Herodes d.Gr. war 40 BCE vom römischen Senat zum König der Juden proklamiert und von Antonius und Oktavian drei Jahre später offiziell in sein Amt eingesetzt worden, nachdem er mit römischer Unterstützung den letzten hasmonäischen König, Antigonus, ausgeschaltet hatte. Von fünf Frauen hatte er sieben Söhne, von denen ihn drei (Antipater, Aristobul, Alexander) nicht überlebten, weil er sie hinrichten ließ. Drei anderen Söhnen (Antipas, Archelaus, Philipp II. genannt ´der Tetrarch´) vermachte er (a) Galiläa und Peräa, (b) Judäa und (c) ein Gebiet nordöstlich des Sees von Galiläa. Der siebte Sohn, Philip I., Onkel und später erster Gatte der Herodias und mit ihr Vater der Salome, wurde im Testament nicht bedacht und lebte als Privatmann fort.

Antipas, Archelaus und Philipp II. waren politisch vollständig von Rom abhängig, was sich schon darin zeigt, dass durch die Ratifizierung durch Augustus die testamentarischen Bestimmungen des Herodes bewilligt wurden und die Herrschaft der Brüder in Kraft treten konnte. Archelaus durfte auf eigenen, von Rom gewährten Wunsch den Königstitel führen, Antipas und Philipp II. mussten sich mit dem Tetrarch-Titel begnügen. Innerjüdisch wurde Antipas in aramäischer Sprache aber als ´malka´ tituliert, was in etwa dem Königstitel entspricht. In Mk 6,14 ist daher bezüglich Antipas vom ´König Herodes´ die Rede, während Lukas, auch hierin sachlicher, Antipas durchgehend als ´Tetrarch´ (Vierfürst) benennt.

Die politische Abhängigkeit der Herodes-Söhne zeigt sich auch in der Amtsenthebung des Archelaus durch Rom nach neun Jahren, weil die Brutalität seiner Herrschaft sogar für römische Verhältnisse jedes akzeptable Maß überschritten hatte. Stattdessen wurde Judäa zur drittklassigen römischen Provinz erklärt und ein römischer Präfekt als Bevollmächtiger eingesetzt ; ´drittklassig´ deshalb, weil diese Präfekten nur über den Stand eines Ritters verfügten. Erst mit Claudius´ Herrschaft ab 41 CE änderte sich die Bezeichnung des judäischen Statthalters in ´Prokurator´.

Juristisch wäre Antipas als Regent von Roms Gnaden also gar nicht in der Lage gewesen, gemäß dem angeblich an die Tänzerin gegebenen Versprechen einen Teil bis zur Hälfte seines Herrschaftsbereichs an eine andere Person abzutreten.

Hinzu kommt, dass Mk 6,21 die "Vornehmsten von Galiläa" als Gäste des Banketts nennt. Diese wären von einer Neuaufteilung der innergaliläischen Herrschaft unmittelbar betroffen und über Herodes´ angebliche Eid-Kapriole eher entsetzt als amüsiert gewesen, zumal ihre potentielle neue Gebieterin noch im (vor-)pubertären Alter stand (dazu unten mehr). Einem erfahrenen Regenten wie Antipas wäre ein so massiver Affront bestimmt nicht unterlaufen.

Zu bedenken ist auch, dass im Fall eines Wunsches der Tänzerin nach der "Hälfte des Königreichs" die Mutter der Tänzerin (Alter 10-12 Jahre, dazu unten mehr), die laut den gängigen Ausgaben des Mk Herodias ist (auch dazu unten mehr), mindestens bis zur Volljährigkeit des Mädchens (12,5 Jahre) höchstwahrscheinlich die Regierung an seiner Stelle übernommen hätte.

All das spricht in der Summe klar gegen die Historizität des Versprechens, außer es wäre während eines Blackouts gegeben worden, was in Mk 6 aber nicht im Ansatz ersichtlich ist.

Weiterhin spricht gegen die Historizität der Bezug auf das Buch Ester, das seinerseits in der Bibelwissenschaft als hochgradig fiktional gilt. Hier sind nochmals Zitate zum Vergleich:

Ester 5:

6 sprach der König zu Ester, da er Wein getrunken hatte: Was bittest du, Ester? Es soll dir gegeben werden. Und was forderst du? Auch die Hälfte des Königreichs, es soll geschehen.

Mk 6:

23 Und er schwur ihr einen Eid: Was du wirst von mir bitten, will ich dir geben, bis an die Hälfte meines Königreiches.
Mk 6,23 ist offensichtlich ein Plagiat von Ester 5,6. Dass Antipas, sozusagen in Partylaune, eine solche Äußerung als ironisches Zitat verstanden haben will, ist kaum vorstellbar angesichts der dramatischen Folgen, die das Versprechen des König Ahasverus, wohlgemerkt im Rahmen einer Fiktion, im Esterbuch zeitigt. Immerhin liefert der intratextuelle Kontext der zitierten Stelle einen Hinweis auf unbewusste Phantasien, die der Mk-Autor oder der Urheber einer in Mk 6 eingefügten Bankett-Legende auf die Protagonisten dieser Fiktion projiziert haben könnte. Genau diese Phantasien wären dann der Grund gewesen, warum es überhaupt zu diesem Plagiat kam.

Fazit zu Punkt (2):

Gegen eine Historizität von Antipas´ Versprechen an die Tänzerin ist einzuwenden, dass eine Einhaltung juristisch unmöglich gewesen wäre, dass Antipas zumindest einige der Feiergäste verärgert hätte und dass der Wortlaut ein literarisches Plagiat des Versprechens in Ester 5,6 zu sein scheint.

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(Fortsetzung im folgenden Beitrag)
 
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(Fortsetzung des vorausgehenden Beitrags)

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Zu (3): Gibt es textuelle Vorlagen für das Enthauptungsmotiv?

Ester 13 schildert in einer Splatterszene (13,7 ff.), wie Judith einen schlafenden assyrischen Offizier enthauptet und seinen Kopf säuberlich einwickelt, um ihn einer jüdischen Volksmenge zu präsentieren (13,18). Dann zeigt sie ihn dem Achior mit den Worten:

13,27 Und dass du es sehest, so ist hier der Kopf des Holofernes, der den Gott Israels trotzig gelästert hat (...)
Sowohl Ester wie Judith agieren, die erste durch Intrige, die zweite durch Gewalt, gegen fiktiv konstruierte Feinde des Judentums (Haman und Holofernes) und spiegeln damit den Plot des Mk-Narrativs, wo Intrige und Schwert sich nicht gegen Feinde des Judentums, sondern einen von dessen herausragenden Protagonisten (Johannes) richten. Ich gehe davon aus, dass auch die Judith-Erzählung zu dem Material gehört, aus dem der Mk-Autor oder der Urheber einer in Mk 6 eingefügten Legende sich für die fiktive Bankett-Perikope inspirieren ließen.

Ein anderer Bestandteil dieses Materials dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Vorfall um Lucius Quinctius Flaminius gewesen sein, der bei Livius, Cicero und Seneca nachzulesen ist und 184 BCE zu Flaminius´ Ausschluss aus dem Senat führte. Der Senator hatte auf einem Bankett dem Wunsch einer von ihm geliebten Kurtisane nachgegeben, an Ort und Stelle Zeugin einer Enthauptung zu sein, und einen verurteilten Gefangenen herbeibringen und vor den Augen der Kurtisane und der anderen Gäste köpfen lassen. Setzt man Antipas an die Stelle des Flaminius, Herodias bzw. die Tochter an die Stelle der Kurtisane, den Täufer an die Stelle des Gefangenen und die (fiktive) Verliebtheit des Antipas in die Tänzerin an die Stelle der Liebe des Flaminius zur Kurtisane, ergibt sich eine Analogie, die kaum zufällig ist.

Zu (4): Wer könnte das tanzende Mädchen sein bzw. auf welche historische Person wird mit dieser Figur angespielt?

a. Alter und sozialer Status der Tänzerin

Die Tänzerin wird in den griechischen Handschriften als ´korasion´ bezeichnet. Nach altorientalischen Kriterien ist sie damit jünger als 12,5 Jahre, also vermutlich 10-12. Eine betont erotische Note des Tanzes wird in den Evangelien nicht erwähnt, ist aus der begeisterten Reaktion der männlichen Zuschauer und insbesondere des Antipas aber herauszulesen. Nach den Kriterien der Antike verstößt diese Reaktion gegen kein moralisches Tabu. Der Tanz einer Aristokratin auf einer solchen Feier, gleich ob Tochter von Herodias oder Antipas (dazu unten mehr), hätte allerdings gegen die Norm jener Zeit verstoßen, dass solche typischerweise erotischen Darbietungen nur von Sklavinnen ausgeführt wurden und für Aristokratinnen unstatthaft waren. Manche Exegeten halten schon aus diesem Grund die Authentizität der Tanzszene für fragwürdig.

Ein möglicher Einwand, dass der Tanz nicht notwendigerweise erotisch gewesen sein müsse, wäre als Versuch, die Historizität der Szene mit einer unrealistischen Konstruktion zu retten, zurückzuweisen. Ernster zu nehmen ist ein anderer Einwand: dass eine Herodianerin, in diesem Fall die Tochter von Herodias oder Antipas, durchaus imstande gewesen sein könnte, Konventionen ihrer Zeit zu sprengen und - beispielsweise - auf einem Bankett verführerisch zu tanzen. Dagegen spricht aber die Nichtpräsenz der Herodias auf dem Bankett, die sich somit einer Konvention der Zeit fügt, der gemäß solche Feiern nur unter Männern stattfinden, ausgenommen eben tanzende Sklavinnen. Dass eine 11-jährige vermag, was die viel mächtigere Herodias nicht vermag, nämlich eine soziale Norm zu sprengen, ist mehr als unwahrscheinlich. Hinzu kommt, dass Antipas angesichts der Darbietung sehr überrascht wirkt. Handelte es sich wirklich um seine oder der Herodias´ Tochter, müssten ihm die Fähigkeiten des Mädchens doch vertraut sein, außer sie hätte, auch unwahrscheinlicherweise, ohne Antipas´ Wissen das Tanzen erlernt. Damit erledigt sich unter Voraussetzung der Tochterschaft der Tänzerin (von Herodias oder Antipas, mehr dazu im nächsten Abschnitt) auch die Möglichkeit, dass Antipas der Initiator der Tanzdarbietung (und damit des Konventionsbruchs) ist, da er in diesem Fall von der Qualität des Tanzes kaum überrascht wäre.

All diese Ungereimtheiten legen nahe, dass der in Mk 6 geschilderte, unzweifelhaft erotische Tanz einer Tochter der Herodias oder des Antipas auf einem Bankett als ahistorisch und fiktional anzusehen ist.

b. Wessen Tochter ist sie?

In alten Quellen herrscht Konfusion in der Frage, wessen Tochter das tanzende Mädchen ist oder sein soll. In Markus-Handschriften wie z.B. dem Alexandrinus-Manuskript ist von einer "Tochter der Herodias" die Rede, während andere Ausgaben, Sinaiticus, Vaticanicus und der Codex Bezae, die Variante "seine Tochter, Herodias", also eine Tochter des Antipas mit Namen Herodias, anbieten.

Aufgrund der Nennung der Herodias-Tochter Salome (aus ihrer Ehe mit Philipp I.) in den Antiquitates von Josephus hat die Übersetzung "Tochter der Herodias" eine Zeitlang die Oberhand behalten, wird aber zunehmend in Frage gestellt und in einigen neueren Bibelausgaben durch "seine (des Herodes Antipas) Tochter, Herodias" ersetzt. Bestärkt wurde die traditionelle Version sicher durch das Fehlen einer Tochter des Antipas in der historischen Überlieferung. Hinzu kommt, dass eine Tochter-Beziehung der Tänzerin zu Herodias der Tendenz in Mk 6, ihr die Schuld am Tod des Täufers anzulasten, viel mehr entgegenkommt als eine Tochter-Beziehung zu Antipas, der nur als unfreiwilliges Instrument für die Tatausführung gezeichnet wird.

c. Ist sie Salome?

Darüber hinaus ergeben sich chronologische Komplikationen bei der Identifizierung der Tänzerin mit Salome. Laut Ant. 18.136 hat sich Herodias von Philipp I. relativ kurz nach der Geburt der gemeinsamen Tochter Salome scheiden lassen, um seinen Halbbruder Antipas zu heiraten. Legt man Josephus´ Chronologie des Aretas-Konflikts zugrunde, der zufolge Antipas und Herodias nicht vor 34 CE heirateten, wäre Salome zur Zeit des Banketts (zwischen 34 und 37 CE) ein Kleinkind gewesen und für die Identität der Tänzerin natürlich keine Option.

Zudem müsste Herodias zur Zeit von Salomes Geburt um die 40 gewesen sein. Geboren wurde sie jedenfalls vor 7 BCE, da in diesem Jahr Herodes d.Gr. seinen Sohn Aristobul, Herodias´ Vater, hinrichten ließ. Mit 40 und darüber bekamen in jener Zeit viele Frauen noch Kinder; seltsam ist nur, dass kein früheres Kind von Herodias historisch überliefert ist. Gesetzt, sie hat Philip I. mit etwa 16 geheiratet, wie bei herodianischen Frauen üblich, wäre sie über 20 Jahre lang entweder kinderlos geblieben oder ihre ausgetragenen Kinder wären alle frühzeitig gestorben.

Beide vorgenannten Unstimmigkeiten legen nahe, einer abweichenden Chronologie bei Josephus den Vorzug zu geben, der zufolge Salome spätestens 22 CE geboren war. In den Antiquitates heißt es, ein Bruder von Herodias, Agrippa I., habe nach dem Tod seines Jugendfreundes Drusus, einem Sohn des Tiberius, kurz nach 23 CE eine Reise zu Herodias nach Galiläa angetreten, um sie um finanziellen Beistand zu ersuchen. Zu diesem Zeitpunkt sei sie bereits mit Antipas verheiratet gewesen, der dem Hilfesuchenden zu einer Unterkunft in Tiberias und einem stattlichen Einkommen verhalf. Das weicht von der vorgenannten Chronologie um etwa 10 Jahre ab und wäre deutlich kompatibler mit dem Alter der Tänzerin in Mk 6, das wie gesagt auf 10-12 Jahre anzusetzen ist.

Unterm Strich ist aber zu sagen, dass eine definitive Festlegung auf eine Identität der Tänzerin nicht möglich ist. Weder ist entscheidbar, ob es sich um Herodias´ oder Antipas´ Tochter handeln soll, noch gestatten die divergenten Chronologien bei Josephus eine sichere Bestimmung des Alters von Herodias´ Tochter Salome. Klar ist immerhin, dass eine Identifizierung der Tänzerin mit Salome nur unter Vorbehalt erfolgen kann.
 
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Ich will hier nicht auf alle Details eingehen, nur zwei Einzelheiten:

Archelaus durfte auf eigenen, von Rom gewährten Wunsch den Königstitel führen
Es war genau andersherum: Herodes hatte seinen Sohn Archelaos zwar als König bestimmt, aber Augustus verweigerte ihm den Königstitel. Archelaos musste sich mit der Bezeichnung "Ethnarch" begnügen, die rangmäßig zwischen König und Tetrarch angesiedelt war.

Ein anderer Bestandteil dieses Materials dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Vorfall um Lucius Quinctius Flaminius gewesen sein, der bei Livius, Cicero und Seneca nachzulesen ist und 184 BCE zu Flaminius´ Ausschluss aus dem Senat führte. Der Senator hatte auf einem Bankett dem Wunsch einer von ihm geliebten Kurtisane nachgegeben, an Ort und Stelle Zeugin einer Enthauptung zu sein, und einen verurteilten Gefangenen herbeibringen und vor den Augen der Kurtisane und der anderen Gäste köpfen lassen. Setzt man Antipas an die Stelle des Flaminius, Herodias bzw. die Tochter an die Stelle der Kurtisane, den Täufer an die Stelle des Gefangenen und die (fiktive) Verliebtheit des Antipas in die Tänzerin an die Stelle der Liebe des Flaminius zur Kurtisane, ergibt sich eine Analogie, die kaum zufällig ist.
"Hohe Wahrscheinlichkeit" wohl kaum, zumal der Vorfall in mehreren, deutlich voneinander abweichenden, Varianten geschildert ist:
Die älteste bekannte Quelle zu dem Vorfall ist Valerius Antias, der den Vorfall tatsächlich wie Du schilderte. Ebenso Cicero und Valerius Maximus.
Wesentlich anders stellte den Vorfall hingegen Livius dar, der sich dabei auf die Rede des Censors Cato, mit der dieser des Flamininus' Rauswurf begründete, stützte: Demzufolge nahm Flamininus einen männlichen Lustknaben namens Philipp nach Gallia Cisalpina mit. Philipp beschwerte sich, dass sie Rom vor irgendwelchen Gladiatorenspielen verlassen hätten, und als "Entschädigung" bot Flamininus ihm aktiv an, irgendeinen Boier, der gerade als Überläufer im Lager weilte, zu töten. Als Philipp zustimmte, tötete Flamininus den Boier eigenhändig, allerdings nicht durch Köpfen.
Plutarch bietet eine Art Mischung aus den beiden Versionen. Sie ähnelt der von Valerius Antias und Cicero, allerdings war es bei ihm ebenfalls ein männlicher Geliebter.

So oder so stellt sich die Frage, ob die Evangelisten Markus und Matthäus gerade bewandert in römischer Geschichte waren.
 
b. Wessen Tochter ist sie?

In alten Quellen herrscht Konfusion in der Frage, wessen Tochter das tanzende Mädchen ist oder sein soll. In Markus-Handschriften wie z.B. dem Alexandrinus-Manuskript ist von einer "Tochter der Herodias" die Rede, während andere Ausgaben, Sinaiticus, Vaticanicus und der Codex Bezae, die Variante "seine Tochter, Herodias", also eine Tochter des Antipas mit Namen Herodias, anbieten.

Aufgrund der Nennung der Herodias-Tochter Salome (aus ihrer Ehe mit Philipp I.) in den Antiquitates von Josephus hat die Übersetzung "Tochter der Herodias" eine Zeitlang die Oberhand behalten, wird aber zunehmend in Frage gestellt und in einigen neueren Bibelausgaben durch "seine (des Herodes Antipas) Tochter, Herodias" ersetzt. Bestärkt wurde die traditionelle Version sicher durch das Fehlen einer Tochter des Antipas in der historischen Überlieferung. Hinzu kommt, dass eine Tochter-Beziehung der Tänzerin zu Herodias der Tendenz in Mk 6, ihr die Schuld am Tod des Täufers anzulasten, viel mehr entgegenkommt als eine Tochter-Beziehung zu Antipas, der nur als unfreiwilliges Instrument für die Tatausführung gezeichnet wird.
Dass das Mädchen die Tochter von Herodias war, ergibt sich aber auch aus Matthäus 14,8 und Markus 6,24, wo eindeutig steht, dass die Tänzerin ihre "Mutter" (griechisch "meter") fragte bzw. auf deren Weisung handelte. Da weiter vorne steht, dass Herodias an Johannes' Tod schuld war, kann es sich bei der "Mutter" nur um Herodias handeln.
 
Ich sehe im Übrigen zwischen der biblischen Darstellung des Justizmordes an Johannes und der durch Josephus keinen besonderen Widerspruch, auch wenn die Evangelisten mehr auf das moralische (den doppelten Ehebruch), Josephus mehr auf das politische Moment dieses Justizmordes abhebt. Aber Jospehus selbst ist es ja wiederum, der eine Verbindung des Justizmordes an Johannes und dem Ehebruch zieht: Seiner Darstellung zufolge kam es zum Krieg zwischen den Nabaätern und den Judäaern, weil Herodes die Tochter des Aretas, seine legitime Ehefrau, für seine Schwägerin verstoßen habe und er habe diesen Krieg verloren, so meinten die Juden nach Josephus' Darstellung, weil er Johannes habe enthaupten lassen.
 
So oder so stellt sich die Frage, ob die Evangelisten Markus und Matthäus gerade bewandert in römischer Geschichte waren.

Sie müssen nicht unbedingt selber bewandert gewesen sein. Denkbar wäre, dass sie eine Art "Wanderlegende" aufgegriffen haben. (Marion Keuchen)

Wesentlich anders stellte den Vorfall hingegen Livius dar
Dabei gibt Livius die Version nach Valerius Antias wider, betont aber, dass Valerias einer unverbürgten Fabel aufgesessen sei (fabulae tantum sine auctore editae credidisset).

Falls Markus diese Fabel aufgeschnappt haben sollte, müsste er charakteristische Züge so stark abgewandelt haben, dass geradezu das Gegenteil herauskommt.
Bei Valerius Antias geht es der Geliebten darum, einer Enthauptung mit eigenen Augen zuzuschauen, darauf lässt Quinctius irgendeinen Verurteilten ins Esszimmer holen und dort hinrichten.
Markus dagegen legt Wert auf die Feststellung, dass Johannes im Kerker enthauptet wurde. Herodes lässt das seinen Gorilla erledigen, von der Tischgesellschaft ist niemand anwesend, und Herodias erst recht nicht.

Aber Wanderlegenden können natürlich auch charakteristische Züge verlieren und neue annehmen. Ob es sich um dieselbe Legende handelt, ist da weder zu beweisen noch zu widerlegen.
 
Der Grundtenor beider Geschichten dürfte ja sein, dass die jeweilige Autoritätsperson eine der wichtigsten staatlichen Aufgaben (die Rechtspflege bzw. sogar die Blutgerichtsbarkeit) überhaupt nicht ernst nahm, sondern sich lieber irgendwelchen Ausschweifungen hingab und die Richtertätigkeit für diese missbrauchte, sei es, indem ein römischer Amtsträger daraus eine Art Vergnügen zur persönlichen Belustigung der Gäste (bzw. einer Konkubine oder eines Lustknaben) machte, sei es, indem ein König die Urteilsfindung einer jungen Tänzerin und ihrer Mutter überließ.

Solche Vorwürfe hat es aber sicher in vielen Varianten gegeben. Mir fällt da beispielsweise die Geschichte über König Xerxes und Königin Amestris ein, die ebenfalls bei einem Festmahl die Mutter ihrer jungen Rivalin Artaynte in die Hand bekommen (und dann öffentlich verstümmeln lassen) haben soll.

Falls es hier Abhängigkeiten geben sollte, halte ich es für wahrscheinlicher, dass sie in griechischen oder persischen Geschichten zu suchen wären. Es könnte sich aber auch um ein allgemein bekanntes Motiv handeln, das mit vielen Königen in Verbindung gebracht wurde und vielleicht in Israel oder Syrien allgemein bekannt gewesen ist.
 
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Der Grundtenor erscheint mir schon verschiedener zu sein:
Bei Flamininus wurde sein skandalöses Verhalten als Amtsträger angeprangert, das völlig dem widersprach, wie sich ein römischer Würdenträger bzw. überhaupt ein Römer zu verhalten hatte.
Bei der Hinrichtung Johannes des Täufers hingegen wird weniger Herodes als Übeltäter angeprangert, sondern die Schuld der Herodias angelastet. Bei Herodes selbst wird sogar betont, dass er den Vollstreckungsbefehl nur widerwillig, weil er vor seinen Gästen nicht als Eidbrecher dastehen wollte, gab. Außerdem wusste Herodes, als er seinen Schwur leistete, noch nicht, was die Tänzerin fordern würde, und hielt sich nur notgedrungen daran. Flamininus hingegen handelte wesentlich aktiver und ohne solche "Verpflichtung".

Sie müssen nicht unbedingt selber bewandert gewesen sein. Denkbar wäre, dass sie eine Art "Wanderlegende" aufgegriffen haben.
Wanderlegende hin oder her, aber auch Dein Link gibt keine Hinweise darauf, dass sie außerhalb es römischen (und im Falle Plutarchs griechischen) "Bildungsbürgertums" kursiert wäre.

Dabei gibt Livius die Version nach Valerius Antias wider, betont aber, dass Valerias einer unverbürgten Fabel aufgesessen sei (fabulae tantum sine auctore editae credidisset).
Ausführlich gibt Livius die Cato-Version wieder, wie ich sie oben zusammengefasst habe. Erst danach fasst er noch knapp die Valerius Antias-Version, wie sie Chan wiedergegeben hat, zusammen.
 
Wanderlegende hin oder her, aber auch Dein Link gibt keine Hinweise darauf, dass sie außerhalb es römischen (und im Falle Plutarchs griechischen) "Bildungsbürgertums" kursiert wäre.

Ja, natürlich. "Denkbar" und "belegbar" sind zwei Paar Stiefel.



Ausführlich gibt Livius die Cato-Version wieder, wie ich sie oben zusammengefasst habe. Erst danach fasst er noch knapp die Valerius Antias-Version, wie sie Chan wiedergegeben hat, zusammen.
Ja, da fehlt das Wort "auch". Sagen wollte ich eigentlich:

Dabei gibt Livius auch die Version nach Valerius Antias wider, betont aber, dass Valerius einer unverbürgten Fabel aufgesessen sei .
 
Der Grundtenor erscheint mir schon verschiedener zu sein:
Bei Flamininus wurde sein skandalöses Verhalten als Amtsträger angeprangert, das völlig dem widersprach, wie sich ein römischer Würdenträger bzw. überhaupt ein Römer zu verhalten hatte.
Bei der Hinrichtung Johannes des Täufers hingegen wird weniger Herodes als Übeltäter angeprangert, sondern die Schuld der Herodias angelastet. Bei Herodes selbst wird sogar betont, dass er den Vollstreckungsbefehl nur widerwillig, weil er vor seinen Gästen nicht als Eidbrecher dastehen wollte, gab. Außerdem wusste Herodes, als er seinen Schwur leistete, noch nicht, was die Tänzerin fordern würde, und hielt sich nur notgedrungen daran. Flamininus hingegen handelte wesentlich aktiver und ohne solche "Verpflichtung".

Natürlich wird Flaminius' Verhalten angeprangert; er war ja die Autoritätsperson in der Geschichte. Ich glaube aber, dass der antike Leser auch dem Herodes als Autoritätsperson einen großen Teil der Schuld gegeben haben wird, ähnlich wie es bei der von Herodot erzählten Festmahl-Geschichte am persischen Hof der Fall gewesen ist. Hier handelt es sich (wie bei der Herodias-/Johannesstelle) um das Handeln der Königin, der aber der König nicht (wie es seinem Amt entsprochen hätte) Einhalt gebietet, sondern von der er sich im Grunde die Zügel aus der Hand nehmen lässt.

Das ist ja auch ein gewichtiger Teil der Flaminiusgeschichte: Auch hier ist der Amtsträger - in dem Fall kein König, sondern ein Senator - entgegen seiner Position nicht willens oder in der Lage, einer ihm nahestehenden Person Einhalt zu gebieten.

Mann kann das meines Erachtens durchaus als eine deutlich Parallele ansehen, auch wenn die griechisch-persische Geschichte der biblischen natürlich nähersteht. Ich meine aber wie bereits gesagt, dass diese Variante in der Antike ohnehin mit verschiedenen Herrschern verbunden worden sein könnte.
 
Pingeligkeit am Rande (weil Chan sich da auch schon vertan hat):
Der Mann hieß Flamininus.
Die Flaminii waren ein Geschlecht, dessen wohl bekanntester Vertreter der Konsul Gaius Flaminius war, der am Trasimenischen See Schlacht und Leben gegen Hannibal verlor.
Die Flaminini waren eine Familie aus dem Geschlecht der Quinctii, deren bekannteste Vertreter unser Lucius Quinctius Flamininus und sein Bruder Titus Quinctius Flamininus, der Bezwinger Philipps V. von Makedonien und Neuordner (nach römischer Darstellung "Befreier") Griechenlands, waren.

Inhaltliches:
Herodes wird in den Evangelien "Objekt" (ja ich weiß, dass der Ausdruck seltsam ist, aber "Opfer" erscheint mir allzu unpassend) einer Intrige. Herodias und ihre Tochter manövrieren ihn in eine Situation, aus der er nicht mehr ohne Gesichtsverlust herauskommt, wenn er nicht Johannes töten lässt.
Bei Flamininus ist das anders. Bei Cato/Livius ist er überhaupt die treibende Kraft, bei Valerius Antias & Co. wird er von seiner Geliebten zumindest nicht genötigt, den Gefangenen töten zu lassen, sondern erfüllt ihr einen bloßen Wunsch. Er wäre in beiden Versionen der Geschichte sehr wohl in der Lage, seiner/seinem Geliebten ihren/seinen Wunsch abzuschlagen. Im Gegenteil, ihr/ihm den Wunsch zu verweigern wäre geradezu das, wonach er nach den römischen Wertvorstellungen verpflichtet gewesen wäre. Herodes hingegen wäre vor versammelten Gästen zum Eidbrecher geworden, wenn er die Erfüllung des Wunsches verweigert hätte. Er befand sich also in einer Situation, in der er nur noch entscheiden konnte, was für ihn das geringere Übel war: meineidig zu werden und sich so vor seinen Gästen zu blamieren oder sich eine Hinrichtung abpressen zu lassen. Flamininus hingegen konnte frei entscheiden; für ihn wäre bei einer Verweigerung außer einer schmollenden Geliebten nichts zu befürchten gewesen.
Xerxes steht in einer mittleren Position, wobei er gleich zweimal in die Zwickmühle gerät: Zuerst bringt Artaynte ihn dazu, ihr zu schwören, ihr jeden Wunsch zu erfüllen. Als sie dann den Mantel fordert, den Xerxes von seiner Gattin Amestris geschenkt bekommen hatte, möchte er sich natürlich drücken, gibt aber dann doch nach. Dann fordert Amestris die Mutter der Artaynte, in der sie die wahre Urheberin vermutet, und Xerxes gibt wieder nach.
 
Da hast Du natürlich recht! Allerdings war es ja weder für Xerxes noch für Herodes notwendig, einen solchen Eid zu leisten. Hier sehe ich eben eine Parallele: Wie man von einem römischen Amtsträger wie Flamininus :winke: (danke für die Erläuterung!) einen gewissen Respekt vor der ihm verliehenen Autorität erwartete, so dass er diese nicht für private Angebereien missbrauchte, konnte man von einem König erwarten, dass er sich seiner Macht bewusst war und nicht leichtfertig und aus einer Laune heraus einen so schwerwiegenden Eid ablegte.

Man kann das aber natürlich auch anders sehen, wie Du gesagt hast. Vielleicht erwarteten Xerxes und Herodes auch einfach nicht, dass ihre Frauen (bzw. im letzteren Fall auch deren Tochter) das in dieser Weise ausnutzen würden. Andererseits waren beiden wohl die Intrigen an einem Königshof durchaus vertraut, und Herodes dürfte die entsprechende Herodot-Stelle ja auch gekannt haben. Ganz unerwartet kann so etwas also auch nicht gekommen sein.
 
Herodes dürfte die entsprechende Herodot-Stelle ja auch gekannt haben. Ganz unerwartet kann so etwas also auch nicht gekommen sein.
Erwartest Du da nicht etwas zu viel von seiner Bildung? Selbst wenn er Herodot gelesen haben sollte (was wir nicht wissen), muss er sich nicht an alles erinnert haben. Ich habe Herodot vor etwa 20 Jahren vollständig gelesen (mich aber auch seither immer wieder mit ihm befasst), aber die von Dir erzählte Episode war mir nicht mehr erinnerlich, ich musste sie erst wieder nachlesen.
 
Das ist gut möglich, ja. Man denkt ja automatisch, dass gebildete Menschen der klassischen Antike die Werke, die wir heute kennen, auch gut kannten. Das ist aber ja nur eine Auswahl, und vielleicht hat Herodes Herodots Werke auch gar nicht gelesen. Ich könnte mir aber vorstellen, dass er - falls er sie gelesen haben sollte - als Angehöriger eines Königshauses Anekdoten vom Perserhof eher in Erinnerung behalten hat als wir moderne Menschen.
 
Ich sehe im Übrigen zwischen der biblischen Darstellung des Justizmordes an Johannes und der durch Josephus keinen besonderen Widerspruch, auch wenn die Evangelisten mehr auf das moralische (den doppelten Ehebruch), Josephus mehr auf das politische Moment dieses Justizmordes abhebt. Aber Jospehus selbst ist es ja wiederum, der eine Verbindung des Justizmordes an Johannes und dem Ehebruch zieht: Seiner Darstellung zufolge kam es zum Krieg zwischen den Nabaätern und den Judäaern, weil Herodes die Tochter des Aretas, seine legitime Ehefrau, für seine Schwägerin verstoßen habe und er habe diesen Krieg verloren, so meinten die Juden nach Josephus' Darstellung, weil er Johannes habe enthaupten lassen.

Ganz Deiner Meinung.

Hinzu kommt die Frage, was Josephus hier aus seinen Quellen "abgeschrieben" bzw. übernommen hat, wie zB von Nikolaos von Damaskus und andere. Dann stellt sich wieder die Frage, welche Intention dieser (unbekannte) Autor damit verbunden hat oder auch welche "Wandervorstellungen" er übernommen haben könnte, wenn er denn welche übernommen hätte.

Der Aufsatz im Blackwell Companion Josephus führt im Beitrag von Ilan, "Josephus on Women" dazu folgende Überlegung aus:

"Nicolaus was not alone in this style of writing in his day. The way he portrays the women relatives of Herodian royalty was taken over by the anonymous historian(s), who described the rule of Herod’s grandson, King agrippa and his womenfolk (his wife Cyprus and his sister Herodias), a source which Josephus also used (see Schwartz 1990, 48).

Here too, many of the actions taken by the male actors Josephus describes, particularly agrippa, but also his uncle and brother‐in‐law Herod antipas, are prompted by the words of their womenfolk, and these sometimes lead them to their downfall.

Perhaps even the story of how Herodias of the New Testament manipulated the beheading of John the Baptist (Matt. 14:3–12; Mark 6:17–28) can be seen as belonging to such historiography. Yet it should be emphasized that Josephus himself, when he writes as a firsthand witness to events, never engages in this sort of rhetoric. In his Jewish War and in his Life, women never take center stage, and are only ever mentioned when they happen to be on the scene and their actions cannot be ignored. In this, his writing resembles much more that of 1 Maccabees than that of Nicolaus of Damascus."

Was als diverse Geschichtchen über "womenfolk" wiederum nicht die Evangelisten zu scheren brauchte.
 
Für den Tod Johannes des Täufers kann Nikolaos von Damaskus allerdings kaum als Quelle gedient haben, da er während der späten Republik und unter Augustus lebte und wirkte. Zur Zeit von Johannes' Hinrichtung war Nikolaos also höchstwahrscheinlich schon tot.
 
Für den Tod Johannes des Täufers kann Nikolaos von Damaskus allerdings kaum als Quelle gedient haben, ...

Das wird auch nicht behauptet.

Es geht hier um das Erzählmuster intriganten "womenfolk", in dem Nikolaos und weitere Quellen (von denen dann eine übernommen sein könnte) übereinstimmen. Die sonstige Abstützung auf Nikolaos ist nur Kontext.
 
Wesentlich anders stellte den Vorfall hingegen Livius dar, der sich dabei auf die Rede des Censors Cato, mit der dieser des Flamininus' Rauswurf begründete, stützte: Demzufolge nahm Flamininus einen männlichen Lustknaben namens Philipp nach Gallia Cisalpina mit. Philipp beschwerte sich, dass sie Rom vor irgendwelchen Gladiatorenspielen verlassen hätten, und als "Entschädigung" bot Flamininus ihm aktiv an, irgendeinen Boier, der gerade als Überläufer im Lager weilte, zu töten. Als Philipp zustimmte, tötete Flamininus den Boier eigenhändig, allerdings nicht durch Köpfen.

Bei Livius wird der Vorfall exakt so wie von mir skizziert beschrieben, ohne Involvierung eines, wie du tautologisch formulierst, "männlichen Lustknaben", siehe Livius 39,43,2-4:

Titus Livius (Livy), The History of Rome, Book 39, chapter 43

43. [8] [7] [6] Valerius Antias, as one who had never read the speech of Cato and had accepted the story as if it were nothing but a story anonymously circulated, gives another version,1 similar, however, in its lust and cruelty. [2] [9] He writes that at Placentia a notorious woman, with whom Flamininus was desperately in love,2 had been invited to dinner. There he was boasting to the courtesan, among other things, about his severity in the prosecution of cases and how many persons he had in chains, under sentence of death, whom he intended to behead. [3] Then the woman, reclining below him, said that she had never seen a person beheaded and was very anxious to behold the sight. Hereupon, he says, the generous lover, ordering one of the wretches to be brought to him, cut off his head with his sword. [4] This deed, whether3 it was performed in the manner for which the censor rebuked him, or as Valerius reports it, was savage and cruel: in the midst of drinking and feasting, where it is the custom to pour libations to the gods and to pray for blessings, as a spectacle for a shameless harlot, reclining in the bosom of a consul, a human victim sacrificed and bespattering the table with his blood!
Zum Thema Flamininus:

Der Grundtenor erscheint mir schon verschiedener zu sein:
Bei Flamininus wurde sein skandalöses Verhalten als Amtsträger angeprangert, das völlig dem widersprach, wie sich ein römischer Würdenträger bzw. überhaupt ein Römer zu verhalten hatte.
Bei der Hinrichtung Johannes des Täufers hingegen wird weniger Herodes als Übeltäter angeprangert, sondern die Schuld der Herodias angelastet. Bei Herodes selbst wird sogar betont, dass er den Vollstreckungsbefehl nur widerwillig, weil er vor seinen Gästen nicht als Eidbrecher dastehen wollte, gab. Außerdem wusste Herodes, als er seinen Schwur leistete, noch nicht, was die Tänzerin fordern würde, und hielt sich nur notgedrungen daran. Flamininus hingegen handelte wesentlich aktiver und ohne solche "Verpflichtung".

Es geht nicht um eine Eins-zu-eins-Übernahme, sondern um eine grundsätzliche Analogie zwischen Flamininus-Anekdote und Mk 6-Perikope, wobei einzelne Elemente und Relationen verändert und hinzugefügt sind. Das Variieren von gegebenen Narrativen ist ein übliches Verfahren in der Literatur (wozu auch das NT zählt). Jean Anouilhs ´Antigone´ beispielsweise basiert auf dem Original von Sophokles, weist aber z.T. gravierende Veränderungen auf. Oscar Wildes "Salome", vertont von Richard Strauss, variiert das Markus-Original ebenfalls ganz erheblich: Hier fordert die Tänzerin (´Salome´ genannt) den Kopf aus eigenem Antrieb, der ein sexueller ist, genauer: ein oralsexueller, da das Objekt ihrer Begierde die Lippen des Täufers sind. Bei einer persönlichen Begegnung im Gefängnis gesteht sie ihre Liebe, wird aber brüsk zurückgewiesen. Daher gibt sie Antipas´ Bitte nach, auf dem Fest für ihn zu tanzen, wofür sie als Lohn alles von ihr Gewünschte erhalten solle, und erhält den Kopf des Täufers, dessen Mund sie nun endlich küssen kann.

Anbei eine Grafik von Aubrey Beardsley mit diesem Motiv.

In der belletristischen Praxis laufen solche Variationen unter dem Motto ´Frei nach...´.

Dazu der Literaturwissenschaftler Prof. Pierre Brunel, "Companion to Literary Myths, Heroes and Archetypes" (ich verlinke die Seite direkt, da der Text keine Seitenzahlen enthält):

https://books.google.de/books?id=gJ...pels had a famous model in the story"&f=false

The Gospels had a famous model in the story of Lucius Flamininus (or Flaminius), a governor of Gaul (...) Most of the elements in the Gospels are there - except that in the Gospels the dance is directly linked to the beheading, and the crime is perpetrated by two women. Comparisons have also been drawn between the death of John the Baptist and that of Cicero, whose severed head was taken to Fulvia, who avenged herself on her enemy by piercing his tongue - a detail which the Fathers of the Church were to graft on to the story of John the Baptist.
Wie ersichtlich, ist die Schreibung von Flamininus für Brunel nicht eindeutig bestimmbar.

Gerd Theissen, ein bedeutender Professor für Neues Testament, schreibt über die Herodias-Perikope in "Lokalkolorit und Zeitgeschichte in den Evangelien", 99:

Mk 6,17ff. lässt in der Tat Herodäerinnen in einem dunklen Licht erscheinen, das ihn gewiss nicht gerecht wird. Wir müssen diese Geschichte in jene üble Nachrede einreihen, die im 1. Jhdt. viele Herodäerinnen verfolgt hat.
Weit entfernt davon, ein grundsätzlicher Verfechter der Ahistorizität der Evangelien zu sein, stellt Theissen doch klar, dass für ihn die Markus-Passage über Herodias keinen historischen Wert hat, sondern eine gegen die Frauen dieser Dynastie gerichtete Propaganda ist. Zu den vielen Zweiflern an der Historizität der Perikope gehört auch oben zitierter Brunel:

https://books.google.de/books?id=gJ...ence of this fatal dance is suspect."&f=false

The historical existence of this fatal dance is suspect.
Ich möchte mit Obigem nochmals die in meinen langen Beiträgen angesprochene historische Fragwürdigkeit der Perikope hervorheben, auf die in den bisherigen Antworten, soweit ich sehe, überhaupt nicht eingegangen wurde, als wäre diese Frage ganz nebensächlich.

Zur Frage der Vaterschaft des Antipas gibt es, wie gesagt, einige aktualisierte Übersetzungen, denen zufolge die Tänzerin die gemeinsame Tochter von Antipas und Herodias ist und Mutter und Tochter den gleichen Namen tragen. Letzteres wird wegen seiner Unwahrscheinlichkeit von Kritikern gegen die Korrektheit der aktualisierten Übersetzung angeführt. Ein weiteres Argument ist die angebliche Textkorruption von Vaticanus und Sinaiticus, wo sich die Antipas=Vater-Version findet. Der Übersetzerstab von Nestle-Aland scheint das anders zu sehen, da in seiner neuesten Übersetzung Herodes Antipas als Vater genannt wird ("seine, des Herodes´ Tochter, Herodias").

https://www.bibelwissenschaft.de/st...e-bibelausgaben/griechisches-nt/nestle-aland/

Die 28. Auflage des griechischen Neuen Testaments von Nestle-Aland bildet mit ihrem unübertroffenen textkritischen Apparat weltweit die Grundlage für das wissenschaftliche Studium und die Auslegung des griechischen Neuen Testaments.


Common English Bible:

22 Herod’s daughter Herodias came in and danced, thrilling Herod and his dinner guests. The king said to the young woman, “Ask me whatever you wish, and I will give it to you.” 23 Then he swore to her, “Whatever you ask I will give to you, even as much as half of my kingdom.”
24 She left the banquet hall and said to her mother, “What should I ask for?”
“John the Baptist’s head,” Herodias replied.
NET Bible:

https://en.wikipedia.org/wiki/New_English_Translation

The translation and extensive notes were undertaken by more than twenty biblical scholars who worked directly from the best currently available Hebrew, Aramaic, and Greek texts.[1] The NET Bible was initially conceived at an annual meeting of the Society of Biblical Literature in November 1995 in Philadelphia, Pennsylvania.

21But a suitable day came, when Herod gave a banquet on his birthday for his court officials, military commanders, and leaders of Galilee. 22When his daughter Herodias came in and danced, she pleased Herod and his dinner guests. The king said to the girl, “Ask me for whatever you want and I will give it to you.” 23He swore to her, “Whatever you ask I will give you, up to half my kingdom.” 24So she went out and said to her mother, “What should I ask for?” Her mother said, “The head of John the baptizer.” 25Immediately she hurried back to the king and made her request: “I want the head of John the Baptist on a platter immediately.”
 

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Chan, was sagst Du denn zur Parallele bei Herodot? Die scheint mir der Herodiaserzählung noch etwas näher zu stehen, weil hier die Frau des Herrschers die entscheidende Rolle spielt und den König in einer Weise unter Druck setzt, dass er sich ihrer Forderung kaum entziehen kann. Ravenik hatte ja bereits darauf hingewiesen, dass in beiden von Livius überlieferten Anekdoten Flamininus die entscheidende Rolle spielt und ganz ohne Auftrag bzw. auf einen bloßen Wunsch hin aktiv wird.
 
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