Donatien, Alphonse Marquis de Sade, politischer Gefangener, Schriftsteller, Sexualpat

Gute Beiträge! Das Lukrezia B. die Philosophie en Boudoir anführt, finde ich gut.
Literarisch bewegt sich de Sade nämlich in der Form des Traktats, des Dialogs, der Persiflage auf einen der üblichen Fürstenspiegel nämlich auf wesentlich sichererem Terrain, als in der Form des Romans, wo er oft sehr langatmig schreibt.
Das Vorwort ist ja sozusagen sozialpädagogischer Art: Libertins jeden Alters und Geschlechts, für Euch allein sei dieses Werk geschrieben. Labt euch an seinen Grundsätzen, sie begünstigen eure Leidenschaften. Diese Leidenschaften, vor denen euch kalte platte Moralisten Angst machen wollen, sind nur die Mittel, die die Natur anwendet, um den Menschen dahin zu bringen, wo sie ihn sehen will." Im 5. Kapitel findet sich noch ein anderes, ursprünglich selbstständiges Traktat. Francais, encore un effort, si vous voulez etre repuplicains ( Franzosen, noch ein Einwand, wenn ihr Republikaner werden wollt.

de Sade/ Dolmance´ entwirft darin thesenhaft seine Philosophie er völligen Befreiung des Individuums: In der utopischen Gesellschaft de Sades herrscht absolute sexuelle Freiheit, sehr modern ist, daß er diese Freiheit auch den Frauen zubilligen will. Die Todesstrafe wird als staatlich sanktionierter Willkürakt abgelehnt. Atheismus, Ehebruch, Homosexualität, Blasphemie, allerdings auch Sexualmord, Inzest, Mord und Sodomie sollen straffrei werden.

De Sade entwickelt aus enttäuschtem Idealismus eine radikale Umwertung der christlichen Moral und des Theismus. Er wendet sich gegen das Aufklärungsdogma von der Evolution des Menschen und der menschlichen Gesellschaft. Er läßt tiefe Einblicke in die dunklen, atavistischen Seiten der Menschheit erkennen.

Vermutlich angeregt von Hobbes Leviathan, verneint de Sade die Vorstellung eines harmonischen Zusammenlebens der Menschen. Einige seiner Forderungen erscheinen aus heutiger Sicht durchaus modern. Die Philosophie en Boudoir ist im Grunde eine Form der Sozial- und Sexualutopie.
 
Ich bestreite nicht, daß ich den Marquis insgesamt positiv beurteile. Er ist doch in manchen seiner Vorstellungen sehr modern. Vor allem wüßte ich, Rechts- und Kriminalitätsgeschichte ist ja mein Faible, keinen Zeitgenossen, der ernsthaft an die Abschaffung der Todesstrafe oder die sexuelle Selbstbestimmung der Frau gedacht hätte. Als Persönlichkeit empfinde ich eine gewisse Sympathie für ihn, der zeitlebens zwischen allen Stühlen und 30 Jahre im Gefängnis saß. Als Autor enthüllt er die tiefsten Abgründe der menschlichen Psyche und Sexualität. Daß er dabei geradezu maßlos und genüßlich übertreibt, ist keine Frage. Wie Brissotin sehr klug bemerkt hat, wird, wer aufmerksam zu suchen versteht, Elemente seiner Figuren oder Phantasien bei sich selbst wiederentdecken können. Man kann darüber entsetzt sein, oder aber fasziniert, sofern man es sich eingesteht.

Damit muß ja nicht gesagt sein, daß man all das, was de Sade genüßlich zuoberst kehrt, im privaten Leben propagiert: Das uneingeschränkte Recht des Stärkeren, der grenzenlose Hedonismus, das Ausleben aller, selbst der bizarrsten Phantasien.

Moral in diesem Zusammenhang bedeutet für mich vor allem, zu erkennen, daß Moral, Menschenwürde, die Freiheit des Individuums etwas sehr relatives sind, daß Kultur, Bildung, Intelligenz keine Versicherung gegen Barbarei sind. Vor allem aber, daß die Freiheit des Individuums nicht ohne die Menschenwürde gewährleistet sein kann, umgekehrt aber die Menschenwürde die Freiheit des Individuums beinhalten muß.
 
...die ach so schrecklichen Amoralisten, Nihilisten, Libertins a la Swidrigailow, Smerdjakow, Vater Karamasow und Stawrogin in Dostojewskis Romanen*) sind winzige Zwerge, die man mit der Lupe suchen muss, im Vergleich zu den Protagonisten der Romane von de Sade, insbesondere was den Doppelroman Justine et Juliette und das Romanfragment 120 Tage von Sodom betrifft. Zu schweigen von den Möchtegern-schockierenden "Monstern" des Trivialgenres a la schweigende Lämmer und roter Drache, deren "pervers-kranke" Serienkiller geradezu lächerlich gegenüber einem Herzog von Blangis**), dessen Bruder**) (einem Bischof), einem Präsidenten Curval**) und einem Steuerpächter Durcet**) oder einem Saint-Fond**) und Noirceuil**).

de Sade als Erzähler ist raffiniert! Zumeist fällt der Leser auf seine erzählerischen Tricks herein, zuckt zurück vor Entsetzen angesichts der massenhaften Scheußlichkeiten, welche drastisch beim Namen genannt werden. Dabei könnte es doch stutzig machen, dass Heine den "Höllenroman" (Justine) anerkennend erwähnte, dass Horkheimer und Adorno den "Bluthusten der Revolution" schätzten, dass Apollinaire explizit satirisch-ornamental***) mit seinen elftausend Ruten an des Sade anknüpft, dass Fellini das "Sado-KZ" der 120 Tage ins faschistische Italien aktualisiert. Die Botschaft selber ist so schrecklich wie die geradezu enzyklopädische****) Aufreihung der Bosheiten (welche nur dem Amüsement der auch untereinander bestialischen Libertins dienen) - sie sind nichts anderes als die gottgewollte, drohnenhafte, menschenverachtende und amoralische Oberschicht der Gesellschaft am Vorabend der franz. Revolution.

"wie kann es sein, dass Samson mit einer Eselskinnbacke tausend Philister erschlug und hernach aus dieser Eselskinnbacke ein Quell reinen Wassers sprudelte? Sie werden zugestehen: man muss schon selber ein wenig Eselskinnbacke sein, um solche Geschichten zu glauben oder zu erfinden." (Justine et Juliette)

Saperlot - fast zwanzig Jahre ist dieser Faden alt... wie dem auch sei: wer sich beim schweigen der Lämmer und ähnlich seichtem Zeugs (Sieben, Zodiac-Killer, roter Drache) wohlig gruselt, der wird natürlich von de Sade lakonisch-formbewußter Drastik ein bissel gezaust - hat aber den Vorteil, wenn auch entsetzt, Weltliteratur zu lesen.

________
*) was natürlich nichts an der immens hohen literarischen Qualität ändert!!!
**) Figuren (Libertins)
***) und zynisch-satirisches findet sich zuhauf bei de Sade, der seinen wohlkalkulierten gesteigerten monströsen Reigen der absurdesten Perversitäten auch mit lakonischer Komik auszustatten vermochte!
****) de Sade setzt das enzyklopädische aufklärerische als Erzählmittel ein, quasi ein Diderot der Gemeinheiten
 
...die ach so schrecklichen Amoralisten, Nihilisten, Libertins a la Swidrigailow, Smerdjakow, Vater Karamasow und Stawrogin in Dostojewskis Romanen*) sind winzige Zwerge, die man mit der Lupe suchen muss, im Vergleich zu den Protagonisten der Romane von de Sade, insbesondere was den Doppelroman Justine et Juliette und das Romanfragment 120 Tage von Sodom betrifft. Zu schweigen von den Möchtegern-schockierenden "Monstern" des Trivialgenres a la schweigende Lämmer und roter Drache, deren "pervers-kranke" Serienkiller geradezu lächerlich gegenüber einem Herzog von Blangis**), dessen Bruder**) (einem Bischof), einem Präsidenten Curval**) und einem Steuerpächter Durcet**) oder einem Saint-Fond**) und Noirceuil**).

de Sade als Erzähler ist raffiniert! Zumeist fällt der Leser auf seine erzählerischen Tricks herein, zuckt zurück vor Entsetzen angesichts der massenhaften Scheußlichkeiten, welche drastisch beim Namen genannt werden. Dabei könnte es doch stutzig machen, dass Heine den "Höllenroman" (Justine) anerkennend erwähnte, dass Horkheimer und Adorno den "Bluthusten der Revolution" schätzten, dass Apollinaire explizit satirisch-ornamental***) mit seinen elftausend Ruten an des Sade anknüpft, dass Fellini das "Sado-KZ" der 120 Tage ins faschistische Italien aktualisiert. Die Botschaft selber ist so schrecklich wie die geradezu enzyklopädische****) Aufreihung der Bosheiten (welche nur dem Amüsement der auch untereinander bestialischen Libertins dienen) - sie sind nichts anderes als die gottgewollte, drohnenhafte, menschenverachtende und amoralische Oberschicht der Gesellschaft am Vorabend der franz. Revolution.

"wie kann es sein, dass Samson mit einer Eselskinnbacke tausend Philister erschlug und hernach aus dieser Eselskinnbacke ein Quell reinen Wassers sprudelte? Sie werden zugestehen: man muss schon selber ein wenig Eselskinnbacke sein, um solche Geschichten zu glauben oder zu erfinden." (Justine et Juliette)

Saperlot - fast zwanzig Jahre ist dieser Faden alt... wie dem auch sei: wer sich beim schweigen der Lämmer und ähnlich seichtem Zeugs (Sieben, Zodiac-Killer, roter Drache) wohlig gruselt, der wird natürlich von de Sade lakonisch-formbewußter Drastik ein bissel gezaust - hat aber den Vorteil, wenn auch entsetzt, Weltliteratur zu lesen.

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*) was natürlich nichts an der immens hohen literarischen Qualität ändert!!!
**) Figuren (Libertins)
***) und zynisch-satirisches findet sich zuhauf bei de Sade, der seinen wohlkalkulierten gesteigerten monströsen Reigen der absurdesten Perversitäten auch mit lakonischer Komik auszustatten vermochte!
****) de Sade setzt das enzyklopädische aufklärerische als Erzählmittel ein, quasi ein Diderot der Gemeinheiten

Vielleicht braucht es, um so etwas schreiben zu können, einfach nur ein gehöriges Maß an Wut. Meine Güte de Sade hat fast 15 Jahre (!) gesessen. Eigentlich bestand sein ganzes Vergehen darin, dass er das Geld seiner Schwiegereltern verputzte und vielleicht mal etwas mit seiner Schwägerin hatte.

Wirklich erstaunlich finde ich, dass ein Mensch der solange seiner Freiheit beraubt wurde, es fertigbrachte, sich nicht an denen zu rächen, denen er die Haft verdankte. de Sade war kurze Zeit Richter, es wäre ihm vermutlich möglich gewesen, Rache zu üben- aber er hat es- weshalb auch immer- nicht getan.

Das ist doch immerhin bemerkenswert, ich denke, nur wenige Verurteilte, die so viel mitgemacht haben wie de Sade, wären dazu in der Lage.
 
Verschiedentlich ist zu lesen, dass der Marquis bereits vor seiner Inhaftierung, vor allem gegenüber Frauen, eine sadistische Seite gezeigt habe. Als versierter Küchenpsychologe glaube ich nicht, dass de Sade im Kittchen bloß eine verständliche Aggression verarbeitet hat. Andere in seiner Lage schrieben Gedichte, Biographien oder historische Werke …

Wo wir schon bei de Sade sind, gilt das Hervorkramen eines Strangs von 2006 eigentlich schon als Leichenschändung? ;)
 
De Sade hatte zwei Prostituierten sogenannte Pilles galantes verabreicht. Das war so etwas wie das Viagra des 18. Jahrhunderts. Mozart schrieb seiner Cousine allerlei Sauereien, das er sie damazenieren wolle. Damaszenerpillen, diavolini und wie die Dinger hießen, enthielten Canthariden, und nicht selten auch andere Drogen.

Daraufhin zeigten die Damen de Sade an, zogen aber die Anzeige später zurück. Wegen der Liason mit seiner Schwägerin erwirkte seine Schwiegermutter ein lettre de cachet gegen de Sade, und er wurde nach seiner Rückkehr nach Paris verhaftet. Er saß zunächst in Festungshaft, wo er u. a. auch einen Domestiken hatte. Nach einem Fluchtversuch wurde er in die Bastille verlegt, wo er wohl mehrere Jahre saß. Er soll sich selbst ein Megaphon gebastelt haben, mit dem er versuchte, das Volk aufzuwiegeln, indem er behauptete, die gefangenen würden abgeschlachtet.
De Sade verfasste in der Bastille u. a. die 120 Tage von Som, Aline et Valcour, Die Philosophie im Boudoir und seine härtesten Pornos Justine und Juliette.
Er wurde von der Bastille in die Nervenheilanstalt Charenton verlegt, und er kam erst 1790 frei, wurde aber 1801 auf Betreiben Fouchés erneut verhaftet.

Als Revolutionsrichter rettete er 1792 seine Schwiegereltern vor der Guillotine. Er galt als zu lasch und moderat und geriet deshalb 1794 ins Abseits.

De Sade hat mehr als 15 Jahre gesessen, ohne dass jemals Anklage erhoben und ein ordentliches Gerichtsverfahren stattgefunden hat.
 
Mozart schrieb seiner Cousine allerlei Sauereien, das er sie damazenieren wolle.

" ... ich werde alsdan in eigner hoherperson ihnen Complimentiren, ihnen den arsch Petschieren, ihre hände küssen, mit der hintern büchse schiessen, ihnen Embrassiren, sie hinten und vorn kristiren, ihnen, was ich ihnen etwa alles schuldig bin, haarklein bezahlen, und einen wackeren furz lassen erschallen, und vielleicht auch etwas lassen fallen..."
https://www.hs-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/18Jh/Mozart/moz_br03.html


Wo hast Du das "damaszenieren" gefunden?
 
" ... ich werde alsdan in eigner hoherperson ihnen Complimentiren, ihnen den arsch Petschieren, ihre hände küssen, mit der hintern büchse schiessen, ihnen Embrassiren, sie hinten und vorn kristiren, ihnen, was ich ihnen etwa alles schuldig bin, haarklein bezahlen, und einen wackeren furz lassen erschallen, und vielleicht auch etwas lassen fallen..."
https://www.hs-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/18Jh/Mozart/moz_br03.html


Wo hast Du das "damaszenieren" gefunden?

Ich glaube Hans Georg Behr hat das so zitiert, aber bei der Frage nach der Fundstelle da bringst du mich in Verlegenheit, das führt bald zu Behrs wilder Zeit, als der Volksverlag Linden Behrs Cannabis-Kochbuch "Nebukadnezars Traum" veröffentlichte.

Ein Hobby-Bäcker vom Rauschgift-Dezernat hat mal Behrs Rezepte beim Betriebsausflug der Polizei Anno 1980 oder 1981 nachgebacken. Behr hatte dabei schon nicht ganz ernst gemeinte Turbo-Dosen angegeben. Wer dem nacheifert ist für gefühlte 1 Millionen Jahre stoned.

Der Hobby-Bäcker, und (Ex-) Rauschgift-Fahnder hatte es, wie sich später herausstellte, zu gut gemeint. Etliche Beamte hatten Überdosen von bis zu 10 g Haschisch zu sich genommen und benötigten ärztliche Hilfe.
 
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