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RAF-OPFER
"Wie kann man einen Menschen zum Schwein machen?"
Hans Eckhardt, Leiter der polizeilichen Sonderkomission Baader-Meinhof, wurde 1972 von der RAF ermordet. Eckhardts Witwe, 82, spricht im Interview mit SPIEGEL ONLINE nach 35 Jahren zum ersten Mal öffentlich über den Mord - und wirft der Politik mangelnde Sensibilität vor.
SPIEGEL ONLINE: Frau Eckhardt, ihr Mann wurde von der RAF 1972 ermordet, sein Mörder 16 Jahre später begnadigt. Ist es Ihnen schwer gefallen, die Entscheidung des damaligen Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz, Bernhard Vogel, zu akzeptieren?
Annemarie Eckhardt: Begnadigungen sind Entscheidungen von Politikern, die zu akzeptieren sind. Ich stelle den Rechtsstaat und seine Mittel nicht in Frage. Auf einer emotionalen Ebene indes sind solche Entscheidungen für mich schwer anzunehmen, das ist sicher verständlich. Ich habe von Manfred Grashof, dem Mörder meines Mannes, nach dessen Begnadigung nie ein Wort der Distanzierung von seinen Taten gehört oder gelesen, noch ein Wort der Reue. Doch meine Kritik gilt nicht nur den Tätern, sondern auch der Politik.
SPIEGEL ONLINE: Wen meinen Sie?
Eckhardt: Am Montagabend sagte Dr. Bernhard Vogel in der ARD, er habe vor den Begnadigungen, über die er als Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz entschied, immer auch Kontakt mit den Angehörigen der Opfer aufgenommen. Das Gegenteil ist der Fall und das ist ein Grund, warum ich mich heute zum ersten Mal seit der Ermordung meines Mannes öffentlich äußere.
SPIEGEL ONLINE: Auf welche Weise haben Sie von der Begnadigung Manfred Grashofs, die formell am 30.11.1988 ausgesprochen wurde, erfahren?
Eckhardt: Bei meinen Nachbarn wurde ein Zettel abgegeben. Darauf stand, ich möge bitte in der Staatskanzlei in Mainz anrufen. Das war alles. Ich habe das über die Polizei-Dienststelle meines Mannes in Hamburg machen lassen. So erfuhr ich von der Begnadigung und davon, dass Manfred Grashof schon seit einigen Jahren Freigänger war. Dass ich dem Mörder meines Mannes möglicherweise auf der Straße begegnen könnte, darüber wäre ich gern informiert worden. Auch hätte ich gern gewusst, dass Herr Dr. Vogel sich am 27. Oktober 1988 mit Manfred Grashof zum Gespräch getroffen hatte, um dann über die Begnadigung zu entscheiden. Dass er mit ihm sprach, war wohl notwendig, das stelle ich nicht in Frage. Doch die mangelnde Sensibilität mir gegenüber hat mich sehr verletzt. Ich fühlte mich durch diesen Zettel in meiner Würde missachtet.
SPIEGEL ONLINE: Wie haben Sie reagiert?
Eckhardt: Mit Hilfe eines Anwalts versuchte ich, zumindest ein anderes Entlassungsdatum zu erwirken. Manfred Grashof ist am 2. März 1989 aus der Haft gekommen, dem Datum, an dem er meinen Mann 17 Jahre zuvor lebensgefährlich verletzt hatte. Ich habe es als besonders verletzend empfunden, dass ausgerechnet dieses Datum für seine Entlassung gewählt wurde. Man wollte mich von Seiten der verantwortlichen Stellen sicher nicht persönlich treffen, wahrscheinlich geht die Sensibilität zwischen den einzelnen Stellen verloren, aber für mich ist diese Erfahrung sehr bitter gewesen. Es hätte ja der 26. Februar sein können oder der 5. März. Die Reaktionen aus der Staatskanzlei von Herrn Dr. Vogel und seinem Nachfolger Herrn Wagner habe ich als Floskeln empfunden.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie je darüber nachgedacht, noch einmal mit Bernhard Vogel in Kontakt zu treten?
Eckhardt: Nein. Ich war in seinen Augen offenbar nur die Witwe eines Polizeibeamten, die man nicht angemessen benachrichtigen muss.
SPIEGEL ONLINE: Wie haben Sie von dem Schuss auf Ihren Mann und seiner Verletzung am 2. März 1972 erfahren?
Eckhardt: Der Vorgesetzte meines Mannes benachrichtigte mich persönlich. Mein Mann war an dem Abend schon zu Hause gewesen, dann ist er dienstlich noch einmal weggerufen worden. Gegen 22.15 Uhr rief er noch einmal bei mir an und sagte: "Ich komme jetzt gleich nach Hause, es dauert nicht mehr lange." Meine nächste Erinnerung ist, dass ich im Krankenhaus angerufen habe und erfuhr, dass mein Mann und der ebenfalls verletzte Manfred Grashof im gleichen Krankenzimmer untergebracht waren. Ich rief bei der Dienststelle meines Mannes an und bat um Hilfe, mich zum Krankenhaus zu bringen. Die Situation regte mich sehr auf und so wurden mein Mann und sein Täter getrennt voneinander untergebracht. Ich durfte meinen Mann in der Nacht nicht sehen. Seine Verletzungen waren so schwer, dass man mir den Anblick nicht gestatten konnte oder wollte.
SPIEGEL ONLINE: Und Manfred Grashof?
Eckhardt: Nein, weder damals noch jemals später.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie je darüber nachgedacht, mit Tätern aus der RAF in Kontakt zu treten?
Eckhardt: Nein. Manfred Grashof zu begegnen ist unvorstellbar für mich. Wer so etwas Schreckliches tut, muss mit sich selbst fertig werden. Mein Mann lag nach seiner Verletzung 20 Tage lang im Koma, war nicht mehr ansprechbar. Das ist das Schreckliche, dieser plötzliche Schnitt. Wir hatten uns abends verabschiedet, und man sagt: "Bis nachher!" Aber da ist dann kein Nachher mehr.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie einen Umgang mit dem Attentat gefunden?
Eckhardt: Das habe ich bis heute nicht. Das Attentat war wie eine große Hand, die mein ganzes Leben zu einem ganz kleinen Etwas zusammengedrückt hat - und so ist es geblieben. Ich lebe allein, mein Mann und ich hatten keine Kinder. Es sind nicht gelebte Leben - das meines Mannes, aber auch meines. Seine Ermordung hat bei mir auch gesundheitliche Folgen nach sich gezogen. Bis heute leide ich etwa unter Schlafstörungen.
SPIEGEL ONLINE: Wurde Ihnen von staatlicher Seite Hilfe angeboten, psychologische Betreuung etwa?
Eckhardt: Nein, so waren die Zeiten damals noch nicht. Es gab keinerlei Routine mit solchen Fällen. Die Polizei-Behörde meines Mannes hat mich während des 20-tägigen Leidens meines Mannes, bis er starb, abgeschirmt. Nach einiger Zeit unterblieb dieser anfängliche Beistand dann. Es gab eine Art Staatsbegräbnis für meinen Mann. Rückblickend ist das sehr seltsam für mich. Auf der einen Seite gab es die äußerst aufwendige Bestattung und Jahre später kam dann diese entwürdigende Nachricht über die Entlassung des Mörders meines Mannes.
SPIEGEL ONLINE: Ihr Mann war von 1971 an mit der Leitung der Sonderkommission Baader-Meinhof beauftragt. War er sich der Risiken dieses Postens bewusst?
Eckhardt: Es waren ja noch die Anfänge der RAF, mein Mann ist 1972 ermordet worden. Die große Welle der Gewalttaten begann von 1975 an. Die Baader-Befreiung 1970, die heute oft als Geburtsstunde der RAF bezeichnet wird, wurde damals natürlich wahrgenommen, aber nicht in der Schwere eingestuft, mit der man sie heute sieht.
SPIEGEL ONLINE: Als Polizeibeamter trägt man immer auch das Berufsrisiko der Verletzbarkeit, auch des Angegriffenwerdens. Wie ist Ihr Mann damit umgegangen?
Eckhardt: Er hatte den Krieg überstanden, hatte tausend Gefahren bereits hinter sich gebracht - er ging zur Polizei, da man, wenn man als junger Mann aus der Kriegsgefangenschaft 1946 nach Hause kam, innerhalb von vier Wochen eine Arbeit nachweisen musste. Er war politisch unbelastet, war im Dritten Reich kein Mitglied der NSDAP gewesen. Ich glaube nicht, dass er darüber nachgedacht hat, ob der Beruf des Polizisten und später des Kriminalbeamten lebensgefährlich für ihn sein könnte. Er war ja auch nicht akut an der Fahndung beteiligt, sondern derjenige, der verantwortlich dafür war, dass Informationen zusammengetragen werden, für die Frage, wer observiert werden sollte und ähnliches.
SPIEGEL ONLINE: Waren die Mitglieder der RAF in seinen Augen politische Täter?
Eckhardt: Sie orientierten sich in ihren Kampfzielen ja unter anderem am südamerikanischen Guerilla-Kampf, wollten mit diesen Methoden das System der Bundesrepublik verändern. Auch ich sehe sie als politische Täter, wobei sie sich in ihrem behaupteten Kampf natürlich sehr überhöht darstellten. Sie hatten ja zu keinem Zeitpunkt ein breites Unterstützerfeld. Es ist bedauerlich, dass auch bis heute manche Intellektuellen nicht einsehen, wie viel Schaden und Verletzung durch die Taten der RAF angerichtet wurden. Ihre Morde waren sinnlos. Die einzige wirkliche Konsequenz sind der Schmerz und der Verlust für die Angehörigen.
SPIEGEL ONLINE: Wie dachte Ihr Mann über die Studentenbewegung?
Eckhardt: Die Forderung der Studenten nach Aufklärung der persönlichen Verantwortungen im Dritten Reich empfanden mein Mann und ich als legitim. Ich weiß noch genau, ich war Mitte der Sechziger Jahre in Hamburg am Mittelweg tätig; damals hatte die Stadt noch etwa 32 Konsulate. Vorm US-amerikanischen Konsulat wurde ständig protestiert. Auch vor dem Amerikahaus wurde gegen den Vietnamkrieg demonstriert. Man hat damit gelebt, das ist ja auch in Ordnung. Dafür leben wir in einer Demokratie. Die zunehmende Radikalisierung bei den Studentenprotesten hat mein Mann mit Besorgnis betrachtet.
SPIEGEL ONLINE: Es gibt die These, das Eingreifen der Polizei habe zu dieser Radikalisierung beigetragen.
Eckhardt: In einigen Fällen mag das vielleicht so gewesen sein, aber zu einer Radikalisierung gehören zwei Seiten. Wie aus den Studentenprotesten die RAF entstehen konnte, ist mir bis heute unbegreiflich. Man konnte sich in der Bundesrepublik für Veränderungen engagieren. Dafür brauchte man doch niemanden umzubringen. Wir lebten doch in einer Demokratie. Und wie kann man einen Menschen zum System machen? Zum Schwein?
SPIEGEL ONLINE: Wie haben Sie Ihren Mann in Erinnerung?
Eckhardt: Er war sehr musikalisch. Durch ihn habe ich eigentlich zum ersten Mal richtige Jazzmusik gehört. Mein Mann kam während seiner Kriegsgefangenschaft im Zweiten Weltkrieg in verschiedenen US-amerikanischen Bundesstaaten bis nach Louisiana. Wenn der Krieg nicht gewesen wäre, hätte er vielleicht einen ganz anderen beruflichen Weg eingeschlagen.
SPIEGEL ONLINE: Gibt es etwas, das Ihren Mann in Ihren Augen besonders ausgezeichnet hat?
Eckhardt: Seine Offenheit und seine Freundlichkeit. Er war ein sehr humorvoller Mensch, auch sehr zuverlässig und verantwortungsbewusst. Er hatte die Überzeugung, dass man mit jedem Menschen reden könne.
SPIEGEL ONLINE: Wie denken Sie über den heutigen Umgang mit der Geschichte der RAF?
Eckhardt: Die Aufarbeitung ist aus meiner Sicht sehr zurückhaltend und oft noch sehr einseitig. Bis heute gibt es das kollektive Schweigen der Täter aus der RAF. Und nach wie vor sind viele Fragen offen, so zum Beispiel: Wie weit reichte das Unterstützernetzwerk der DDR für die RAF? Welche Rolle spielte der russische Geheimdienst? Und wo ist eine Antwort, eine Reflektion der Täter über ihre menschenverachtende Haltung, etwa, dass Polizisten Schweine sind.
Das Interview führte Anne Siemens, Journalistin und Buchautorin, für SPIEGEL ONLINE.
[ Anm. : A. Siemens ist Autorin des im Eingangspost beschriebenen Buches]