... Der Hauptunterschied zwischen der Kriegsführung der Römer und der ihrer Zeitgenossen lag nicht in den Motiven - darin waren die eigensinnigen und individualistischen Griechen anders -, sondern in der Wildheit, mit der sie kämpften. Die Römer der zweiten Hälfte des ersten vorchristlichen Jahrtausends kämpften mit solchem Ingrimm, dass nur die Mongolenhorden, Dschingis-Khans oder Tamerlans fünfzehnhundert Jahre später mit ihnen verglichen werden können. Widerstand, vor allem, wenn es um belagerte Städte ging, reizte sie dazu, die Besiegten restlos abzuschlachten. Polybius, der große Historiker der frühen Militärgeschichte der Stadt, schildert, wie Scipio Africanus im Jahre 209 v. Chr. während des Zweiten Punischen Krieges nach der Erstürmung der Stadt Carthago Nova (das spätere spanische Cartagena) seinen Soldaten <<entsprechend römischem Brauch gebot, gegen deren Bewohner vorzugehen. Er befahl ihnen, jeden zu töten, den sie sahen, keinen zu verschonen und mit dem Beutemachen erst zu beginnen, wenn der Befehl erging. Sinn dieses Brauches ist es, Furcht und Schrecken zu verbreiten. Demzufolge sieht man in von Römern eigenommenen Städten nicht nur hingeschlachtete Menschen, sondern sogar aufgeschlitzte Hunde und abgeschnitetene Gliedmaßen anderer Tiere. Bei dieser Gelegenheit war das Ausmaß des Gemetzels außergewöhnlich groß.<<
Was sich in Carthago Nova zugetragen hat, wiederholte sich oft, auch auf dem Schlachtfeld und zuweilen in Städten, die sich in der Hoffnung ergeben hatten, ein Massaker abzuwenden. Im Feldzug von 199 v. Chr. wurden zerstükelte Leichnahme von Makedonen gefunden. Einen so schwere Schändung der Toten galt allen Griechen als Sakrileg, da sie im Kampf Gefallene stets beerdigten, ob Freund oder Feind. Wenn die archäologischen Hinweise auf ein Blutbad, angerichtet im Verlauf der zweiten römischen Invasion in Britannien, nicht täuschen - sie wurden in der Nähee von Maiden Castle in der englischen Grafschaft Dorset gefunden -, hielt sich diese Praxis bis ins erste nachchristliche Jahrhundert. Harris schreibt dazu: <<In mancher Hinsicht ähnelt das Verhalten der Römer dem vieler anderer nichtprimitiver Völker der Antike. Doch ist nur von wenigen anderen bekannt, dass sie im Krieg mit so großer Grausamkeit vorgegangen sind und zugleich eine so hohe Stufe der politischen Kultur erreicht zu haben. Auch wenn das Römische Weltreich großenteils das Resultat rationalen römischen Handelns war, so hatte es doch auch dunkle und irrationale Wurzeln. Zu den verblüffendsten Eigenheiten der römischen Kriegsführung gehört deren Regelmäßigkeit - nahezu alljährlich zogen die Römer aus, um mit beträchtlicher Gewaltätigkeit gegen andere Völkerschaften zu kämpfen -, und dieses Regelmäigkeit läßt das Phänomen als pathologisch erscheinen.>>
Im Zusammenhang der vergleichenden Militärgeschichte darf uns das nicht überraschen. Gewaltbereitschaft äußert sich in vielerlei Formen. Zwar scheuen die meisten Menschen vor Gewaltausübung zurück, wenn sie mit Gefahr für Leib und Leben verbunden ist, doch verhält sich dies bei einer Minderheit anders. Die Kriegsführung der Phalanx mündete im Augenblick des Zusammenstoßes in einen erschrekenden Ausbruch von Gewaltätigkeit , auch wenn dessen Wirkkraft durch die Schwerfälligkeit der Phalanx eingeschränkt war. Wer sich daran beteiligte, musste sich über seinen Selbsterhaltungstrieb wie auch über die kulturelle Hemmung hinwegsetzen, Menschen von Angesicht zu Angesicht zu töten. Was die Griechen auf die eine Weise zu überwinden gelernt hatten, lernten die Römer auf eine andere. Bei aller gesellschaftlichen und politischen Kultur hatten sie sich einen hinreichend starken Jagdinstinkt bewahrt, um über Mitmenschen wie über Beutetiere herzufallen und ihre Opfer mit einer Missachtung des Lebens zu töten, die man sonst nur bei wild lebenden Tierarten findet. ...