Gedichte zur Geschichte

Marschall Vorwärts

Vorwärts!

Vorwärts! fort und immerfort!
Rußland rief das stolze Wort:
Vorwärts!

Preußen hört das stolze Wort,
Hört es gern und hallt es fort:
Vorwärts!

Auf, gewaltiges Österreich!
Vorwärts! tus den andern gleich!
Vorwärts!

Auf, du altes Sachsenland!
Immer vorwärts, Hand in Hand!
Vorwärts!

Bayern, Hessen, schlaget ein!
Schwaben, Franken, vor zum Rhein!
Vorwärts!

Vorwärts, Holland, Niederland!
Hoch das Schwert in freier Hand,
Vorwärts!

Grüß euch Gott, du Schweizerbund!
Elsaß, Lothringen, Burgund!
Vorwärts!

Vorwärts, Spanien, Engelland!
Reicht den Brüdern bald die Hand!
Vorwärts!

Vorwärts, fort und immerfort!
Guter Wind und naher Port!
Vorwärts!

Vorwärts heißt ein Feldmarschall.
Vorwärts, tapfre Streiter all!
Vorwärts!

Ludwig Uhland

Gebhard Leberecht von Blücher, Fürst von Wahlstatt (1742–1819) wurde von seinen Verehrern liebevoll und respektvoll »Marschall Vorwärts«, genannt.
 
Gotenzug

Gebt Raum ihr Völker unsrem Schritt: wir sind die letzten Goten.
...Wir tragen keine Schätze mit: - wir tragen einen Toten.
Mit Schild an Schild und Speer an Speer wir ziehen nach Nordlands Winden,
...Bis wir in fernsten grauen Meer die Insel Thule finden.
Das soll der Treue Insel sein: dort gilt noch Eid und Ehre:
... Dort senken wir den König ein im Sarg der Eichenspeere.
Wir kommen her - - gebt Raum dem Schritt! - aus Romas falschen Thoren:
...Wir tragen nur den König mit: - die Krone ging verloren.

Felix Dahn (1912)
 
Trutz, blanke Hans.


Heut bin ich über Rungholt gefahren,
die Stadt ging unter vor fünfhundert Jahren.
Noch schlagen die Wellen da wild und empört,
wie damals, als sie die Marschen zerstört.
Die Maschine des Dampfers zitterte, stöhnte,
aus den Wassern rief es unheimlich und höhnte:
Trutz, blanke Hans.


Von der Nordsee, der Mordsee, vom Festland geschieden,
liegen die friesischen Inseln im Frieden.
Und Zeugen weltenvernichtender Wut,
taucht Hallig auf Hallig aus fliehender Flut.
Die Möwe zankt schon auf wachsenden Watten,
der Seehund sonnt sich auf sandigen Platten.
Trutz, blanke Hans.


Im Ozean, mitten, schläft bis zur Stunde
ein Ungeheuer, tief auf dem Grunde.
Sein Haupt ruht dicht vor Englands Strand,
die Schwanzflosse spielt bei Brasiliens Sand.
Es zieht, sechs Stunden, den Atem nach innen,
und treibt ihn, sechs Stunden, wieder von hinnen.
Trutz, blanke Hans.


Doch einmal in jedem Jahrhundert entlassen
die Kiemen gewaltige Wassermassen.
Dann holt das Untier tiefer Atem ein
und peitscht die Wellen und schläft wieder ein.
Viel tausend Menschen im Nordland ertrinken,
viel reiche Länder und Städte versinken.
Trutz, blanke Hans.


Rungholt ist reich und wird immer reicher,
kein Korn mehr faßt selbst der größte Speicher.
Wie zur Blütezeit im alten Rom
staut hier täglich der Menschenstrom.
Die Sänften tragen Syrer und Mohren,
mit Goldblech und Flitter in Nasen und Ohren.
Trutz, blanke Hans.


Auf allen Märkten, auf allen Gassen
lärmende Leute, betrunkene Massen.
Sie ziehn am Abend hinaus auf den Deich:
»Wir trutzen dir, blanker Hans, Nordseeteich!«
Und wie sie drohend die Fäuste ballen,
zieht leis aus dem Schlamm der Krake die Krallen.
Trutz, blanke Hans.


Die Wasser ebben, die Vögel ruhen,
der liebe Gott geht auf leisesten Schuhen.
Der Mond zieht am Himmel gelassen die Bahn,
belächelt der protzigen Rungholter Wahn.
Von Brasilien glänzt bis zu Norwegs Riffen
das Meer wie schlafender Stahl, der geschliffen.
Trutz, blanke Hans.


Und überall Friede, im Meer, in den Landen.
Plötzlich wie Ruf eines Raubtiers in Banden:
Das Scheusal wälzte sich, atmete tief
und schloß die Augen wieder und schlief.
Und rauschende, schwarze, langmähnige Wogen
kommen wie rasende Rosse geflogen.
Trutz, blanke Hans.


Ein einziger Schrei - die Stadt ist versunken,
und Hunderttausende sind ertrunken.
Wo gestern noch Lärm und lustiger Tisch,
schwamm andern Tags der stumme Fisch.
Heut bin ich über Rungholt gefahren,
die Stadt ging unter vor fünfhundert Jahren.
Trutz, blanke Hans?



Detlev Freiherr von Liliencron, 1882
 
Erich Kästner, Jahrgang 1899

Wir haben die Frauen zu Bett gebracht,
als die Männer in Frankreich standen.
Wir hatten uns das viel schöner gedacht.
Wir waren nur Konfirmanden.

Dann holte man uns zum Militär,
bloß so als Kanonenfutter.
In der Schule wurden die Bänke leer,
zu Hause weinte die Mutter.

Dann gab es ein bißchen Revolution
und schneite Kartoffelflocken;
dann kamen die Frauen, wie früher schon,
und dann kamen die Gonokokken.

Inzwischen verlor der Alte sein Geld,
da wurden wir Nachtstudenten.
Bei Tag waren wir bureau-angestellt
und rechneten mit Prozenten.

Dann hätte sie fast ein Kind gehabt
ob von dir, ob von mir - was weiß ich!
Das hat ihr ein Freund von uns ausgeschabt,
Und nächstens werden wir Dreißig.

Wir haben sogar ein Examen gemacht
und das meiste schon wieder vergessen.
Jetzt sind wir allein bei Tag und bei Nacht
und haben nichts Rechtes zu fressen!

Wir haben der Welt in die Schnauze geguckt,
anstatt mit Puppen zu spielen.
Wir haben der Welt auf die Weste gespuckt,
soweit wir vor Ypern nicht fielen.

Man hat unsern Körper und hat unsern Geist
ein wenig zu wenig gekräftigt.
Man hat uns zu lange, zu früh und zumeist
in der Weltgeschichte beschäftigt!

Die Alten behaupten, es würde nun Zeit
für uns zum Säen und Ernten.
Noch einen Moment. Bald sind wir bereit.
Noch einen Moment. Bald ist es so weit!
Dann zeigen wir euch, was wir lernten!
 
Badisches Wiegenlied

1. Schlaf', mein Kind, schlaf leis',
Dort draußen geht der Preuß',
Deinen Vater hat er umgebracht,
Deine Mutter hat er arm gemacht,
Und wer nicht schläft in guter Ruh',
Dem drückt der Preuss' die Augen zu.
Refrain:
|: Schlaf', mein Kind, schlaf leis',
Dort draußen geht der Preuß'. :|

2. Der Preuß' hat eine blut'ge Hand,
Die streckt er über's badische Land,
Wir alle müssen stille sein
Als wie dein Vater unterm Stein.
Refrain:

3. Zu Rastatt auf der Schanz',
Da spielt er auf zum Tanz,
Da spielt er auf mit Pulver und Blei,
So macht er alle Badener frei.
Refrain:

4. Gott aber weiß, wie lang er geht,
Bis daß die Freiheit aufersteht,
Und wo dein Vater liegt, mein Schatz,
Da hat noch mancher Preuße Platz.
|: Schrei, mein Kindlein, schrei's:
Dort draußen liegt der Preuß! :|

Ludwig Pfau

Dieser Beitrag Pfaus zum badisch-pfälzischen Aufstands und zu den Rastatter standrechtlichen Erschießungen der vielen Aufständischen, denen die Flucht in die Schweiz und von dort nach Frankreich oder Amerika nicht gelungen war, dieses "Badische Wiegenlied" zielte genau so wie das Lied "Zum 18. März 1848" auf die Brutalität, man kann es nicht anders nennen, mit der Prinz Wilhelm von Preussen, der spätere Deutsche Kaiser Wilhem I., zuerst die Berliner Demonstration und später dann den Aufstand am Oberrhein niedergeschlagen, "nieder kartäscht" hatte, wie die Zeitgenossen meinten, weshalb sie diesen, nun wieder am Deutschen Eck zu Koblenz als Reiterstandbild zu besichtigenden Fürsten den Beinamen "Kartätschenprinz" gaben.

http://www.guenther-emig.de/pfau/moer.html
 
Zum 18. März 1848

Vor dem Berliner Schlosse
Ertönt ein Trauerlied:
Da liegen viel hundert Tote,
Sie liegen in Reih und Glied.
Und Leich’ um Leiche tragen
Die Bürger stumm heran,
Als wollten sie sagen: König!
Da sieh, was du getan!

Da liegen sie, Mann und Knabe,
Starr mit zerfetztem Leib;
Da kommen sie weinend und klagend,
Braut, Schwester, Bruder, Weib.
Da schauen Väter und Mütter
Die toten Söhne an -:
Herrgott! Und das hat ein König,
Ein deutscher König getan!

Viel tausend Stimmen drohen:
Der König muß herab;
Er salutiert die Toten
Und nimmt die Mütze ab.
Da bluten all aufs neue
Bei ihres Mörders Nahn,
Als sprächen sie: das hat ein König,
Ein deutscher König getan!

Und viele werden's sprechen,
Viel tausend fern und nah;
Die Völker werden rächen
Den Frevel, der geschah.
Auf Sturmesflügeln bricht sich
Durch Land und Länder Bahn
Der Zornesschrei: Das hat ein König,
Ein deutscher König getan!

Weh! Volk, vom eignen Blute
Sind deine Hände rot;
Der Bruder schlug den Bruder,
Weil es ein Fürst gebot.
Ein großes Grab soll alle
In seinen Schoß empfah’n;
Drauf schreibet: Das hat ein König,
Ein deutscher König getan!

Dies Grab, es wird zum Grabe
Der königlichen Macht;
Die Blut gesäet haben,
Die ernten eine Schlacht.
Im Blute wird ersticken
Der alten Treue Wahn:
Gottlob! und das hat ein König,
Ein deutscher König getan!

Ludwig Pfau
 
Preisend mit viel schönen Reden

Schiller war 1782 aus Württemberg geflohen, was eine Generation später Justinus Kerner nicht hinderte, Württemberg ein Preislied zu widmen (allerdings einem früheren). Zwei Generationen später griff Karl Gerok das Thema erneut auf. Scheinbar, denn sein Thema war nicht mehr Württemberg.
Ein anderer Württemberger, Eduard Mörike, durchaus nicht so unpolitisch wie vielfach kolportiert, schrieb 1871 den Deutschen Kriegern ins Stammbuch:

Bei euren Taten, euren Siegen
Wortlos beschämt hat mein Gesang geschwiegen
Und viele, die mich darum schalten
Hätten wohl besser den Mund gehalten.


Hier zweimal Preisend mit viel schönen Reden

Der reichste Fürst

Preisend mit viel schönen Reden
ihrer Länder Wert und Zahl,
saßen viele deutsche Fürsten,
einst zu Worms im Kaisersaal.

Herrlich, sprach der Fürst von Sachsen,
ist mein Land und seine Macht,
Silber hegen seine Berge
wohl in manchem tiefen Schacht.

Seht mein Land in üppger Fülle,
sprach der Kurfürst von dem Rhein,
goldne Saaten in den Tälern,
auf den Bergen edlen Wein!

Große Städte, reiche Klöster,
Ludwig, Herr zu Bayern, sprach,
schaffen, daß mein Land den Euern
wohl nicht steht an Schätzen nach.

Eberhard, der mit dem Barte,
Württembergs geliebter Herr,
sprach: Mein Land hat kleine Städte,
trägt nicht Berge silberschwer;

doch ein Kleinod hält's verborgen:
daß in Wäldern noch so groß
ich mein Haupt kann kühnlich legen
jedem Untertan in Schoß.

Und es rief der Herr von Sachsen,
der von Bayern, der vom Rhein:
Graf im Bart! Ihr seid der reichste,
Euer Land trägt Edelstein!

Justinus Kerner 1818

><><><><><><><><><

Das beste Denkmal

Preisend mit viel schönen Reden
Ihrer Helden Glanz und Zahl,
Stritten einst bei Worms am Rheine,
Deutschlands Städte allzumal

Seinen Kurfürst auf der Brücke,
Seinen Friedrich pries Berlin,
Samt dem Chor der Schlachtenhelden,
Blücher, Zieten und Schwerin.

Königsberg mit Hochgefühle
Wies den Denkerkönig Kant,
Denn als Fürst im Reich der Geister
Schlägt die Schlachten der Verstand.

Denker machen Köpfe helle,
Sänger machen Herzen warm,
Seine Dichterdioskuren
Zeigte Weimar Arm in Arm.

Aber wessen Kunst verewigt
Jedes edle Gotteswerk?
Mainz, die Nachbarin am rheine,
Lobte ihren Gutenberg.

Und von München bis nach Dresden,
Und von Frankfurt bis nach Wien,
Jede Stadt in deutschen Gauen
Wies auf ihre Helden hin.

Worms, die alte Städtefürstin,
Welche ein Jahrtausend sah,
Mit zerbroch’ner Mauerkrone
Schweigend saß sie lange dar.

Sprach: „Mein Hort der Nibelungen
Liegt versenkt in Rheines Flut,
Meiner Kaiser Reichspaläste
Sanken hin in Feuers Glut.

„Dichter kann ich euch nicht weisen,
Krieger nicht mit Schwert und Schild, -
Aber kommt vor meine tore,
Seht ein deutsches Mannesbild!

„Christensinn und Heldengröße
Seht in diesem Bild gepaart,
Tapf’re Fürsten, edle Städte
Seht um diesen Mann geschart!

„Sehet meine Luther stehen,
Jeder Zoll ein Mann, ein Held,
Mit dem Bibelbuch im Arme
Beut er Trutz der ganzen Welt!

„Steht mit ehr’nem Fuß gewurzelt
Auf granitnem Postament,
Blickt mit hohem Haupt nach oben
In das klare Firmament.

„Spricht: „Hie steh’ ich, kann nicht anders,
Amen und Gott helfe mir!“
Und Gott half, und Gott zu Ehren
Steht er nun auf ewig hier.“

Und die stolzen Schwesterstädte
Sprachen all’ aus einem Mund:
„Worms am Rhein, du bist die reichste,
Dein Held steht auf Felsengrund!“

Karl Gerok (1868)
 
Justinus Kerner - war das nicht der, über den eine böse Zunge gesagt haben soll, daß ihn seine Dichterkollegen für einen guten Arzt gehalten hätten und seine Arztkollegen für einen guten Dichter?
 
Spuren aus dem www
Suchbegriff kerner"guter dichter"

Antwort von Mercy :
Auf den Kerner habe ich gelauert, aber beim dritten Versuch kam er. Schließlich gehörte er "zu jenen Ärzte-Dichtern, von denen die Kollegen Ärzte zu sagen pflegen, sicher sei er ein guter Dichter, und die Kollegen Dichter, sicher sei er ein guter Arzt" (Thaddäus Troll).
Im Glas ist er geniessbarer als auf Papier, der Kerner.
Prost!
 
Die Tränen Schottlands


Mein Schottland, gehst im Trauerkranz,
Fort ist dein Fried, dein Lorbeerglanz.
Der Söhne Kühnheit, lang verehrt,
Verblutend liegt auf Heimaterd,
Und deiner Dächer Schutz und Wehr
Erquickt den Wandrer nimmermehr.
Nur Rauch und Trümmer weit und breit,
Als Monument der Grausamkeit.

Der Hausherr stumm die Hände ringt,
Sein Hab und Gut der Krieg verschlingt.
Gedenkt der Kindlein, sieht sein Weib,
Verflucht sein Leben, seinen Leib.
Im Felsen hoch sein Vieh verdirbt,
Der Hirte mit ihm Hunger stirbt.
Die Jungfrau fleht in Schand und Not,
Die Kindlein liegen bleich und tot.

Wer übertraf an Tapferkeit
In aller Welt, durch Raum und Zeit,
An Größe deiner Waffen Ruhm
Und deiner Recken Heldentum?
Gebrochen liegt dein Mut jedoch,
Dein Nacken beugt sich unters Joch.
Was nie besiegt durch Fremder Tat,
Das fiel durch Ränke und Verrat.

Des frohen Tages verdienten Lohn
Nie mehr besingt der Flöte Ton.
Nie wieder Scherz und Heiterkeit
Die dunkle Winternacht erfreut.
Nur Gram und düstern Wehgesang
Beschwört der Klage dumpfer Klang
Und bleich durch Nacht und Heide ziehn
Die Schatten der Erschlagnen hin.

O leidgeprüfter Schicksalstag,
Dem Gott auf ewig Gnad versag!
Wo auf den Sohn der Vater schoss,
Der Sohn des Vaters Blut vergoss.
Selbst als verhallt das Schlachtgeschrei,
Der Sieger Hass war nicht vorbei:
Den Nackten und Besiegten droht
Das Henkerschwert, der Flammentod.

Verlassen irrt durch Schottlands Heid
Die fromme Mutter, todgeweiht,
Das Haupt umtost vom rauen Wind,
Vor Hunger schreit ihr Waisenkind.
Beraubt des Obdachs, ohne Brot,
So wartet still sie auf den Tod.
Auf freiem Feld sie weinend liegt,
Im Arm ihr totes Kind sie wiegt.

Solang mir heiß noch strömt mein Blut,
Gedenken will in stummer Wut
Ich meines Schottlands Schicksalstag,
Solang mein Herz noch schlagen mag.
Und seiner Feinde Niedertracht
Verfluche meiner Verse Macht:
"Mein Schottland, gehst im Trauerkranz,
Fort ist dein Fried, dein Lobeerglanz."

Ballade von Tobias Smollett, 1746
Geschrieben nach der Schlacht
von Culloden.
 
Die schlesischen Weber

Im düstern Auge keine Träne,
Sie sitzen am Webstuhl und fletschen die Zähne:
"Deutschland, wir weben dein Leichentuch,
Wir weben hinein den dreifachen Fluch -
Wir weben, wir weben!

Ein Fluch dem Götzen, zu dem wir gebeten
In Winterskälte und Hungersnöten;
Wir haben vergebens gehofft und geharrt,
Er hat uns geäfft, gefoppt und genarrt -
Wir weben, wir weben!

Ein Fluch dem König, dem König der Reichen,
Den unser Elend nicht konnte erweichen,
Der den letzten Groschen von uns erpreßt
Und uns wie Hunde erschießen läßt -
Wir weben, wir weben!

Ein Fluch dem falschen Vaterlande,
Wo nur gedeihen Schmach und Schande,
Wo jede Blume früh geknickt,
Wo Fäulnis und Moder den Wurm erquickt -
Wir weben, wir weben!

Das Schiffchen fliegt, der Webstuhl kracht,
Wir weben emsig Tag und Nacht -
Altdeutschland, wir weben dein Leichentuch,
Wir weben hinein den dreifachen Fluch -
Wir weben, wir weben!


Heinrich Heine (1844)
 
Kurt Tucholsky
Die freie Wirtschaft (1930)

Ihr sollt die verfluchten Tarife abbauen.
Ihr sollt auf Euren Direktor vertrauen.

Ihr sollt die Schlichtungsausschüsse verlassen.
Ihr sollt alles weiter dem Chef überlassen.
Kein Betriebsrat quatsche uns mehr herein.
Wir wollen freie Wirtschafter sein!
Wir diktieren die Preise und die Verträge -kein Schutzgesetz sei uns im Wege.
Ihr braucht keine Heime für Eure Lungen, keine Renten und keine Versicherungen.
Ihr sollt Euch allesamt was schämen, von dem armen Staat noch Geld zu nehmen!
Ihr sollt nicht mehr zusammenstehen -Wollt Ihr wohl aus einander gehen!
Ihr sagt: Die Wirtschaft müsse bestehen.
Eine schöne Wirtschaft! Für wen? Für wen?
Das laufende Band, das sich weiterschiebt, liefert Waren für Kunden, die es nicht gibt.
Ihr habt durch Entlassung und Lohnabzug sacht Eure eigene Kundschaft kaputtgemacht.
Denn Deutschland besteht -Millionäre sind selten -aus Arbeitern und Angestellten!
Und Eure Bilanz zeigt mit einem Male einen Saldo mortale.
Während Millionen stempeln gehen.
Die wissen, für wen!"
 
Die Moorsoldaten

Wohl kein anderes in den Lagern der Nationalsozialisten geschriebenes Lied hat eine solche Popularität und Verbreitung erreicht wie das im Sommer 1933 im KZ Börgermoor entstandene Lied der Moorsoldaten.

Getextet von Wolfgang Langhoff (1901-1966) und dem Bergmann Johann Esser (1896-1971), vertont von dem kaufmännischen Angestellten Rudi Goguel (1908-1976), war das Lied bereits in den Jahren bis 1945 europaweit und in der englischen Version The Peat Bog Soldiers auch in den USA bekannt. Gesungen wurde es u.a. von den Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg oder als Chant des Marais in der französischen Résistance.

Seit 1945 gehört das Moorsoldatenlied zum festen Repertoire von Gedenkveranstaltungen im In- und Ausland. Zugleich fand es Eingang in den Liederkanon der Arbeiter- und Folkbewegung, fungierte je nach politischen und kulturellen Zwecken als Protestlied und tauchte in etlichen Liederheften und Songbooks als Volks-, Friedens- oder Wanderlied auf; in anderen Fällen verkam es in den 1970er und 1980er Jahren zu einer bierseligen Schunkel- und Mitklatschnummer.

1. Wohin auch das Auge blickt. Moor und Heide nur ringsum. Vogelsang uns nicht erquickt, Eichen stehn kahl und krumm. Wir sind die Moorsoldaten und ziehen mit dem Spaten ins Moor! Wir sind die Moorsoldaten und ziehen mit dem Spaten ins Moor!


2. Hier in dieser öden Heide ist das Lager aufgebaut, wo wir fern von jeder Freude hinter Stacheldraht verstaut. Wir sind die Moorsoldaten und ziehen mit dem Spaten ins Moor! Wir sind die Moorsoldaten und ziehen mit dem Spaten ins Moor!


3. Morgens ziehen die Kolonnen in das Moor zur Arbeit hin, graben bei dem Brand der Sonne, doch zur Heimat steht der Sinn. Wir sind die Moorsoldaten und ziehen mit dem Spaten ins Moor! Wir sind die Moorsoldaten und ziehen mit dem Spaten ins Moor!


4. Heimwärts, heimwärts! Jeder sehnt sich nach Eltern, Weib und Kind. Manche Brust ein Seufzer dehnet, weil wir hier gefangen sind. Wir sind die Moorsoldaten und ziehen mit dem Spaten ins Moor! Wir sind die Moorsoldaten und ziehen mit dem Spaten ins Moor!


5. Auf und nieder geh´n die Posten, keiner, keiner kann hindurch, Flucht wird nur das Leben kosten, vierfach ist umzäunt die Burg. Wir sind die Moorsoldaten und ziehen mit dem Spaten ins Moor! Wir sind die Moorsoldaten und ziehen mit dem Spaten ins Moor!


6. Doch für uns gibt es kein Klagen, ewig kann´s nicht Winter sein, Einmal werden froh wir sagen: Heimat, Du bist wieder mein! Dann ziehn die Moorsoldaten nicht mehr mit dem Spaten in´s Moor! Dann ziehn die Moorsoldaten nicht mehr mit dem Spaten in´s Moor!

Von diesem Lied gibt es mehrere Fassungen.
Die Moorsoldaten
 
Zuletzt bearbeitet:
Kriegsende

(markierung einer wende)

1944 1945

krieg krieg
krieg krieg
krieg krieg
krieg krieg
krieg mai
krieg
krieg
krieg
krieg
krieg
krieg
krieg

Ernst Jandl
aus: Sprechblasen (1968)
 
Danke euch allen, die ihr hier fleißig postet. Nach einem mäßigen Beginn meinerseits ist aus diesem Thread mehr geworden, als ich mir erhofft hatte.
Weiter so! :hoch:

Gruß Rafael
 
Trümmerliteratur

Inventur

Dies ist meine Mütze,
dies ist mein Mantel,
hier mein Rasierzeug
im Beutel aus Leinen.

Konservenbüchse:
Mein Teller, mein Becher,
ich hab in das Weißblech
den Namen geritzt.

Geritzt hier mit diesem
kostbaren Nagel,
den vor begehrlichen
Augen ich berge.

Im Brotbeutel sind
ein Paar wollene Socken
und einiges, was ich
niemand verrate,

so dient es als Kissen
nachts meinem Kopf.
Die Pappe hier liegt
zwischen mir und der Erde.

Die Bleistiftmine
lieb ich am meisten:
Tags schreibt sie mir Verse,
die nachts ich erdacht.

Dies ist mein Notizbuch,
dies meine Zeltbahn,
dies ist mein Handtuch,
dies ist mein Zwirn.

Günter Eich (1945)

<><><><><><><><><><><><><>

Camp 16

Durch den Stacheldraht schau ich
grad auf das Fließen des Rheins.
Ein Erdloch daneben bau ich,
ein Zelt hab ich keins.

Ich habe auch keine Decke.
Der Mantel blieb in Opladen.
Wenn ich ins Erdloch mich strecke,
find ich keinen Kameraden.

Zur Lagerstatt rupf ich Luzerne.
Nachts sprech ich mit mir allein.
Zu Häupten mir funkeln die Sterne,
es flüstert verworren der Rhein.

Bald wird die Luzerne verdorrt sein,
der Himmel sich finster bezieht,
im Fließen des Rheins wird kein Wort sein,
das mir süß einschläfert das Lid.

Nichts wird sein als der Regen, -
mich schützt kein Dach und kein Damm, -
zertreten wird auf den Wegen
das Grün des Frühlings zu Schlamm.

Wo blieben die Kameraden?
Ach, bei Regen und Sturm
wollen zu mir sich laden
nur Laus und Regenwurm.

Günter Eich (1945)

<><><><><><><><><><><><><>

Latrine

Über stinkendem Graben,
Papier voll Blut und Urin,
umschwirrt von funkelnden Fliegen,
hocke ich in den Knien,

den Blick auf bewaldete Ufer,
Gärten, gestrandetes Boot.
In den Schlamm der Verwesung
klatscht der versteinte Kot.

Irr mir im Ohre schallen
Verse von Hölderlin.
In schneeiger Reinheit spiegeln
Wolken sich im Urin.

Geh aber nun und grüße
die schöne Garonne
Unter den schwankenden Füßen
schwimmen die Wolken davon.

Günter Eich (1945)
 
Lyrik in Zeiten der Ohnmacht

Reinhold Schneider wurde unter der Naziherrschaft mit einem Schreibverbot belegt. Aber in geheim gedruckten oder handgeschriebenen Gedichten und Erzählungen kritisierte er die Nazidiktatur. Mit Werner Bergengruen u. a. stand Schneider im Zentrum des katholischen Widerstands gegen den Nationalsozialismus.
1944 wurde Schneider wegen Hochverrats angeklagt. Mit knapper Not entging er infolge des baldigen Kriegsendes dem Tod.

Allein den Betern

Allein den Betern kann es noch gelingen
Das Schwert ob unsern Häuptern aufzuhalten
Und diese Welt den richtenden Gewalten
Durch ein geheiligt Leben abzuringen.

Denn Täter werden nie den Himmel zwingen:
Was sie vereinen, wird sich wieder spalten,
Was sie erneuern, über Nacht veralten,
Und was sie stiften, Not und Unheil bringen.

Jetzt ist die Zeit, da sich das Heil verbirgt,
Und Menschenhochmut auf dem Markte feiert,
Indes im Dom die Beter sich verhüllen,

Bis Gott aus unsern Opfern Segen wirkt
Und in den Tiefen, die kein Aug' entschleiert,
Die trockenen Brunnen sich mit Leben füllen.

Reinhold Schneider (1936)

Die Täter werden nie den Himmel zwingen
 
William Butler Yeats - Easter 1916


I HAVE met them at close of day
Coming with vivid faces
From counter or desk among grey
Eighteenth-century houses.
I have passed with a nod of the head
Or polite meaningless words,
Or have lingered awhile and said
Polite meaningless words,
And thought before I had done
Of a mocking tale or a gibe
To please a companion
Around the fire at the club,
Being certain that they and I
But lived where motley is worn:
All changed, changed utterly:
A terrible beauty is born.

That woman's days were spent
In ignorant good-will,
Her nights in argument
Until her voice grew shrill.
What voice more sweet than hers
When, young and beautiful,
She rode to harriers?
This man had kept a school
And rode our winged horse;
This other his helper and friend
Was coming into his force;
He might have won fame in the end,
So sensitive his nature seemed,
So daring and sweet his thought.
This other man I had dreamed
A drunken, vainglorious lout.
He had done most bitter wrong
To some who are near my heart,
Yet I number him in the song;
He, too, has resigned his part
In the casual comedy;
He, too, has been changed in his turn,
Transformed utterly:
A terrible beauty is born.

Hearts with one purpose alone
Through summer and winter seem
Enchanted to a stone
To trouble the living stream.
The horse that comes from the road.
The rider, the birds that range
From cloud to tumbling cloud,
Minute by minute they change;
A shadow of cloud on the stream
Changes minute by minute;
A horse-hoof slides on the brim,
And a horse plashes within it;
The long-legged moor-hens dive,
And hens to moor-cocks call;
Minute by minute they live:
The stone's in the midst of all.

Too long a sacrifice
Can make a stone of the heart.
O when may it suffice?
That is Heaven's part, our part
To murmur name upon name,
As a mother names her child
When sleep at last has come
On limbs that had run wild.
What is it but nightfall?
No, no, not night but death;
Was it needless death after all?
For England may keep faith
For all that is done and said.
We know their dream; enough
To know they dreamed and are dead;
And what if excess of love
Bewildered them till they died?
I write it out in a verse -
MacDonagh and MacBride
And Connolly and pearse
Now and in time to be,
Wherever green is worn,
Are changed, changed utterly:
A terrible beauty is born.

..

Im Gedenken an die Opfer des Osteraufstandes 1916 in Dublin.
 
Eine Übersetzung von Mirko Bonné:

Ostern 1916

Ich traf sie frühabends meistens,
Sie kamen mit leuchtenden Augen
Von Schalter und Pult aus tristen
Achtzehnhunderter-Bauten.
Kurz nickend ging ich vorbei
Mit harmlosen netten Worten
Oder blieb stehen und sagte ein, zwei
Harmlose nette Worte
Und dachte, bevor ich es tat,
An einen Spottvers oder Witz,
Wie ihn ein Duzfreund gerne hat,
Wenn man im Club am Feuer sitzt,
Überzeugt, daß sie und mich
Nichts als die Narrentracht verband.
Alles änderte sich vollständig.
Furchtbare Schönheit entstand.

Tags lebte diese Frau
In stummer Emsigkeit;
Die Stimme war so rauh
Vom nächtelangen Streit.
Welch zarteres Stimmchen gab's,
Als sie, jung und umworben,
Mitritt auf Hasenjagd?
Er stand der Schule vor,
Ritt unser Flügelpferd,
Und er dort, sein Helfer und Freund,
Hat ihn erst lang nur verehrt
Und schließlich selbst von Ruhm geträumt,
So fühlend schien seine Natur,
So mutig und fein sein Kopf.
In dem da sah ich immer nur
Den Maulheld und besoffnen Tropf.
Einigen, die mir nahe stehen,
Hat er viel Unrecht zugefügt,
Und doch sei er im Lied erwähnt;
Im täglichen Theaterstück
Mitspielen will er weiter nicht;
Auch er hat es für sich erkannt
Und wandelte sich vollständig:
Furchtbare Schönheit entstand.

Herzen mit einem Ziel allein
In Sommer wie Winter scheinen
Verzaubert in den Stein,
Um den sich die Wirbel nie einen.
Das Pferd, das von der Straße stürzt,
Der Reiter, Vögel, deren Route
Aus Wolken in die Wolken führt -
Anders in jeder Minute;
Ein Wolkenschatten auf dem Fluß,
In jeder Minute anders;
Am Ufer strauchelt ein Huf,
Und ein Pferd plantscht im Wasser;
Das Moorhuhn stakst, taucht eben
Und läßt den Lockruf fallen;
In jeder Minute Leben -
Der Stein inmitten von allem.

Nicht endender Verzicht
Kann Stein aus Herzen machen.
O reicht es denn noch nicht?
Himmels Sache. Unsere Sache,
Zu murmeln Name auf Name
Wie die Mutter fürs Kind,
Das doch Schlaf überkam,
Rannte es noch so wild.
Ist es nicht Nachtbeginn?
Nein, Nacht nicht - sondern Tod.
War's letztlich ein Tod ohne Sinn?
Vielleicht hält England Wort
Nach all dem Hin und Her.
Ihr Traum ist bekannt - es genüge,
Sie träumten und sind nicht mehr.
Und was wenn Zuviel der Liebe
Sie in den Tod trieb seinerzeit?
Ich schreib es in einen Vers:
MacDonagh und MacBride
Und Connolly und Pearse,
Jetzt und auch zukünftig
Vereint im grünen Band,
Veränderten sich vollständig:
Furchtbare Schönheit entstand.

Ostern 1916

Erläuterung
 
Zurück
Oben