Gedichte zur Geschichte

Über die Schlacht von Königgrätz

Viktoria hat heute Dienst am Tor:
"Garde, zeig deine Karte vor,
Preußische Garde, willkommen am Ort,
Aber erst das Losunswort."

"Wir bringen gute Losung heim,
Und als Parole 'nen neuen Reim,
Einen neuen preußischen Reim auf Ruhm."
"Nenn ihn, Garde!" "Die Höhen von Chlum."
Theodor Fontane
 
;)

Viktoria hat heute Dienst am Tor:
"Garde, zeig deine Karte vor,
Preußische Garde, willkommen am Ort,
Aber erst das Losunswort."

"Wir bringen gute Losung heim,
Und als Parole 'nen neuen Reim,
Einen neuen preußischen Reim auf Ruhm."
"Nenn ihn, Garde!" "Die Höhen von Chlum."
Theodor Fontane


Seht aber dort, vor der Schanz' der Dänen,
dem alten Danewerk - unter allen denen,
die sich heut allein mit dem Siege brüsten
und deren Waffenstolz nur Poetendiener küssten,
seht, wie beherzt sie in die Dänen kürassiern:
Die braven Mostschädeln mit ihrer kühnen Linzer Stirn!

Ha!
(1864, n.n. süddeutscher Dichter, publiziert 1866)
 
Angeregt durch die Grenada-Diskussion und durch einen Artikel über die Mona Lisa fiel mir ein Gedicht von Mario Benedetti ein. Der urugayanische Autor exerziert damit vor, dass man grammatische Probleme auch politisch beschreiben kann. Es heißt Ser y Estar.
Beides, ser und estar übersetzt man in andere Sprachen mit 'sein', untereinander sind sie aber nicht austauschbar und bilden eines der ersten Probleme welches Sprachlernern beim Erlernen der spanischen Sprache begegnet. Übersetzung folgt unten:

Ser y estar

Oh marine
oh boy
una de tus dificultades consiste en que no sabes
distinguir el ser del estar
para ti todo es to be
así que probemos aclarar las cosas

por ejemplo
una mujer es buena
cuando entona desafinadamente los salmos
y cada dos años cambia el refrigerador
y envía mensualmente su perro al analista
y sólo enfrenta el sexo los sábados de noche

en cambio una mujer está buena
cuando la miras y pones los perplejos ojos en blanco
y la imaginas y la imaginas y la imaginas
y hasta crees que tomando un martini te vendrá el coraje
pero ni así

por ejemplo
un hombre es listo
cuando obtiene millones por teléfono
y evade la conciencia y los impuestos
y abre una buena póliza de seguros
a cobrar cuando llegue a sus setenta
y sea el momento de viajar en excursión a Capri y a París
y consiga violar a la gioconda en pleno louvre
con la vertiginosa polaroid

en cambio
un hombre está listo
cuando ustedes
oh marine
oh boy

aparecen en el horizonte
para inyectarle democracia.

Übersetzung:

Ser und Estar

Oh marine
oh boy
eine deiner Schweirigkeiten besteht darin, dass Du nicht weißt,
wie man das 'ser' vom 'estar' unterscheidet.
für dich ist das alles to be
also lass uns die Dinge zu klären versuchen.

Zum Beispiel
ist (es von ser) eine Frau dann gut,
wenn sie auf richtige Weise die Psalmen schief singt
und alle zwei Jahre den Kühlschrank wechselt
monatlich den hund zum Psychologen bringt
und sich nur Samstags Abends auf Sex einlässt.

Dagegen ist (está) eine Frau gut
wenn Du sie anschaust und Dir Deine Augen ausfallen
und Du sie Dir vorstellst und vorstellst und vorstellst
bis Du glaubst, dass Du Dir mit einem Martini den Mut ansaufen könnest
aber es ist nicht so.

Zum Beispiel
ist ein Mann schlau (es bzw. ser listo = schlau sein)
wenn er per Telefon Millionen verdient
und das Gewissen und die Steuer umgeht
und eine gute Versicherugspolice abschließt
und richtig absahnt, wenn er 70 ist,
und dies der Moment ist, eine Reise nach Capri und nach Paris anzustreben
und er es erreicht mitten im Louvre die Gioconda zu vergewaltigen
mit einem Photo seiner atemberaubenden Polaroidkamera seines atemberaubenden Photohandys [Text aktualisiert durch den Übersetzer (C) El Quijote]

Dagegen
ist ein Mann präpariert (está; Estar listo = bereit sein, fertig sein)
Wenn Ihr
oh marine
oh boy

am Horiziont auftaucht,
um ihm die Demokratie zu injizieren
 
Zuletzt bearbeitet:
Schauenburgische Trauerklage und Grabelied (A. H. Buchholtz 1642)

O Schaumburg was für Not, o was für Tyranneien
Gehn itzund auf dich los! Wie hört man dich so schreien!
O Schaumburg, welcher Sturm trifft deine Burg so hart
Und hält Dir bis auf Blut und Leben Widerpart
Kann auch ein schwerer Feind auf dich Elende stechen
Als Krieg, Raub, Mord und Brand, die deine Säulen brechen,
Die dein geziertes Land dem öden Haufen gleich
Zu machen fertig sein? Wie stehst du so bleich.
Und warst so schön? Wo ist dein Prangen blieben?
Wo dein berühmter Schein? wer darf Dich so betrüben?
Wer hat Dich so erschreckt? Wo ist der Menschen Schar,
Mit welchem Dein Bezirk so wohl besetzet war?
Sind denn Dein dein' Acker nichts als bloße Wüsteneien,
An welchen weder Tier noch Mensch sich erfreuen
Und zu erholen hat? Wie ist der feiste Grund
Mit Dornen überschwemmt, da sonst der Weizen stund
Und andere Kornfrucht mehr? Die Zäune sind zurrissen,
Die Feldmark umgekehrt. Es ist mehr kaum ein Bissen,
Da vorher ein Ganzes war. Die Wälder stehen bloß,
Als wären sie gefegt, die Gärten baumelos,
Das Feld ohn Hasenspur; das Wild ist gleich verschwunden,
Das leichte Federvieh hat sich mit ihm verbunden,
Sie räumen dieses Land; nur Wölfe siehet man
Auf freier Straße gehn, so daß kein Ochse kann
und Schaf mehr sicher sein. Dein Weserfluß desgleichen
Fleußt traurig und ohn Mut, als wollt er von Dir weichen
Und stellen seinen Lauf von deinen Grenzen ab.
So gar bist du nichts mehr, o Schaumburg, als ein Grab,
In welches du dich selbst erbärmlich mußt verscharren.
Wer sollt hierüber nicht für Bangigkeit erstarren,
Dem, was du ehemals gewesen, ist bewußt?
Mir zittert Herz und Hand, ich fühl' in meiner Brust
Nur Angst und Ungemach. O mörderischer Degen,
Wilt Du denn Schaumburg gar bis auf den Staub ausfegen
Und reuten Stumpf und Stiel bis auf den Boden aus,
so daß dieses liebe Land, dies wunderschöne Haus,
sei eben diesem Gleich, das niemal ist gehöret,
auch nimmermehr gesen? Die Kirchen sind verstöret,
Und den Viehställen gleich. Die Schulen schweigen gar
Die Lehrer sind hinweg, der Schüler große Schar
Ist nicht zu finden mehr. Die Städte sind zubrochen,
Die Gassen bürgerlos vom starken Kriegespochen.
Die Dörfer sind verbrannt, der Baur ist ausgejagt,
Weil Kontribution ihn zu heftig plagt
Und andere Plackerei. Der beste Schatz im Lande,
Den Ernst der treue Prinz, am schönen Weserstrande
Zu Rinteln hat gelegt, ein Werk, des Ruhm und Preis
Kein Tichter, kein Poet gnug auszustreichen weiß,
Die Universität, dem hohen Gott zu Ehren,
Der Christenheit zu Steur (die Künste zu vermehren)
Andächtig aufgericht' ist in der Kriegesglut
Ganz ausgemergelt bis auf Leben, Mark und Blut.
So hat die wilde Faust, o Schaumburg; dich betastet
Und gar zu schweres Joch dir leider aufgelastet
Ist das nicht Straf genug? Wann daß des Leibes Glieder,
von Füßen bis zur Brust zubrochen, hin und wieder
Zustreuet müssen sein? Doch tät, o Schaumburg; dir
Ein solches nicht so weh, du kämest noch herfür,
Wann daß der Frieden-Arzt dich hätte mögen heilen
Und nicht ein größer Strahl mit seinen Donnerkeilen
Dir gar zu hart und schwer hätt' Uberlast getan!
O Weh, o großes Weh! Des ich für Angst nicht kann
Gedenken, weniger mit meiner Faust ohn Beben
Aufsetzen. O dein Häupt, dein Häupt daran Dein Leben
Und ganze Wohlfahrt hing, der hochgeborene Held,
Herr Otto, ist von dir gerissen aus dieser Welt.
...
Wie schmerzlich muß ich weinen,
Daß Du, mein frommer Herr, so schleunig von den Deinen
Hinweg gerissen wirst. Herr siehst du dann nicht,
Daß Schaumburg nur auf dich sein Hoffen hat gericht
Nächst Gottes Schirm und Schutz? Du bist des Stamms Erhalter,
Du deines Landes Herr und einger Erb-Verwalter
Von Manneslinie her. Soll dieser Stamm vergehn,
der so viel hundert Jahr hat müssen feste stehn?
Des Namen durch die Welt mit großem Ruhm geflogen
Und manchem Fürstenhaus ist ofters fürgezogen?
Soll dieser Stamm vergehn? So muss der Tränenbach
Der Augen nimmermehr aufhören; Weh und Ach
Mußt du armes Land ausrufen, kommt ihr Kleinen
Ihr großen folget nach und helfet mir beweinen
Des teuren Grafen Tod. Schaumburg, das hohe Schloß,
ist nach Herrn Otten Fall, des Letzten manneslos.

Der Autor stammt aus Schöningen und war 1642 Professor in Rinteln. Die Universität wurde 1621 gegründet und 1809 geschlossen.
Das fast völlig verwüstete Schaumburg wurde 1647 in drei Teile geteilt. Nach dem 30-jähringen Krieg waren 30-40 Prozent der ursprünglichen Bevölkerung noch am Leben. Bis zum 7-jährigen Krieg (1759) hat der Frieden dann gehalten...


 

Interesantes und kritisches gedicht an die männerorientierte Gesellschaft im 19. Jh. von
Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848)

Am Turme

Ich steh' auf hohem Balkone am Turm,
Umstrichen vom schreienden Stare,
Und lass' gleich einer Mänade den Sturm
Mir wühlen im flatternden Haare;
O wilder Geselle, o toller Fant,
Ich möchte dich kräftig umschlingen,
Und, Sehne an Sehne, zwei Schritte vom Rand
Auf Tod und Leben dann ringen!

Und drunten seh' ich am Strand, so frisch
Wie spielende Doggen, die Wellen
Sich tummeln rings mit Geklaff und Gezisch,
Und glänzende Flocken schnellen.
O, springen möcht' ich hinein alsbald,
Recht in die tobende Meute,
Und jagen durch den korallenen Wald
Das Walroß, die lustige Beute!

Und drüben seh ich ein Wimpel wehn
So keck wie eine Standarte,
Seh auf und nieder den Kiel sich drehn
Von meiner luftigen Warte;
O, sitzen möcht' ich im kämpfenden Schiff,
Das Steuerruder ergreifen,
Und zischend über das brandende Riff
Wie eine Seemöve streifen.

Wär' ich ein Jäger auf freier Flur,
Ein Stück nur von einem Soldaten,
Wär' ich ein Mann doch mindestens nur,
So würde der Himmel mir raten;
Nun muß ich sitzen so fein und klar,
Gleich einem artigen Kinde,
Und darf nur heimlich lösen mein Haar,
Und lassen es flattern im Winde!

 
Aus der Geschichte

der Osmanischen Dichtkunst

von Joseph von Hammer-Purgstall (1836)


Sultan Süleyman I.
unter dem Dichternahmen Muhibbi,
d.i. der mit Freundschaft Liebende

Es ist das Aug' in Herzensgluth getauchet mir,
Von diesem Feuerquelle Alles raucht an mir,

Wenn ohne dich ich in den Herzensgluthen brenne,
Erscheine ich als Leichnam, den man peinigt mir.

O schenke! scheine ein dem, der nicht Liebe hauchet,
Von Liebe bin ich trunken, Wein gebricht nicht mir,

Ich schließe zu das Auge, um dein Bild zu sehen,
Geschloß'nes Aug' ist nicht in Schlaf getauchet mir,

Muhibbi seufzt im Schmerz der Nacht aus Seelenadern,
Begeisterung, nicht Hauch der Laute, haucht aus mir.
____________


Wieder bin ich verwirrt von Ambra duftender Locke,
Seel' und Herz sind geknüpft an das gekräuselte Haar,

Welchen befrag' ich um Kunde von Ihm, was soll ich beginnen?
Mit dem Herzen, das irr', streifet die Gauen hindurch,

Auch das Herz ist verwirrt durch schwarze verworrene Locken,
Hilfe wider das Aug', welchem das meinige thränt.

In dem Herzen sitzt er mir, mit Liebkosungen tausend,
Während närrisch ich überall sehe herum.

Leute sagen, wer hat das Herz Muhibbi's geraubet?
Zauber der Lippen raubt's, welcher nach Herzen begehrt.
____________


Wer hat dich auf dem Throne der Schönheit bestellt zum Emire,
Mit der Liebe Band wer mich gefesselt ans Thor?

Keinen Augenblick trenn' ich mich vom Stabe der Seufzer,
Deiner Liebe Gram macht mich vom Jüngling zum Greis;

Deine Wimpern sind zwar nicht im Busen geblieben,
Aber der Bogen der Brau'n ward mir im Herzen zum Pfeil,

Augenmann* verstreut auf deinem Pfade Juwelen,
Doch die Allmacht hat mich zum Fakire gemacht.

Ostwind kam, so scheint's Muhibbi zum Haare des Freundes,
Denn der Morgen hat Moschus und Ambra gehaucht.

* Der Augapfel
____________


Wann die Lieb' ist Mann von Verdienst durch Pfeile der Seufzer,
Er durchbohrt das Geschick, gehet vorbey in der Welt.

Da die Geliebte mir des Genusses Hoffnung gegeben,
Wart' ein wenig, Tod, nimm mir die Seele noch nicht.

Da der Genuß des Pinienwuchses nicht werth ist der Mühe,
Denk' dir, jedes Elif wandle als Ceder einher.

Als die Nachtigall gestern sagte Muhibbi's Gedichte,
Hört's die Ros', und zerriß sehnend die Bind' um den Hals.
____________


Nimmer kommen mir zur Hand
Rosenwangen deinen gleich,
Nimmer in dem Rosenhain
Nachtigallen meinen gleich,

Wenn sich deinem Pfade weiht
Eine Seele meines gleichen,
Kommt doch nimmer mir zur Hand
Schelmenauge deines gleichen,

Gibt es in der Welt des Grams
Einen Stern der meines gleichen,
Aber nimmer kommt zur Hand
Kaiserritter deines gleichen,

Gibt es einen Herzensarzt
Für die Seelen deines gleichen,
Kommt doch nimmer mir zur Hand
Schwergekränkter meines gleichen,

Gibt es einen, welcher trinkt
Glas der Liebe meines gleichen,
Kommt doch nimmer mir zur Hand
Trunk'nes Auge deines gleichen.

Gibt es einen der verkaufe
Hochgenuß wie deines gleichen,
Kommt doch nimmer mir zur Hand,
Der ihn kaufe meines gleichen.

O Muhibbi, keiner fühlet
Schweren Kummer meines gleichen,
Aber nimmer kommt zur Hand
Freund voll Unheil deines gleichen.
____________


Wie können Sonn' und Mond sich untersteh'n,
Mit ihm dem Seelenfreund zu disputiren,
Kann Sonnenstäubchen denn sich untersteh'n,
Mit Sonn' als Quell' des Lichts zu disputiren?

Ich pflege jede Nacht im Dorngebüsch
Des Rosenhains, den Huld und Schönheit zieren,
Mit Nachtigallen bis zur Morgenzeit
Von ihm, dem Seelenfreund, zu disputiren.

Von Trennungshand geschlagen liegt das Herz
Krank in des Schmerzens und des Grams Revieren,
Wie Flöte ruhig keinen Augenblick,
Beginnt wehklagend es zu disputiren.

O schmäh mich nicht, wenn du mich mit den Hunden
An deiner Thür gewahrest disputiren,
Es pfleget um den Vorsitz ja ein Jeder
Mit seines Gleichen nur zu disputiren,

O sage nicht, Muhibbi, daß der Freund
Mit deinem Schmerz es wagt zu disputiren,
Wie können mit Sultanen Bettler denn
Sich jemahls untersteh'n zu disputiren?
____________

Den großen Herrscher hat die Geschichte des osmanischen Reiches gewürdigt, die der osmanischen Poesie hat es bloß mit dem Dichter zu thun; als solcher gehört er zwar keineswegs weder unter die größten noch großen, aber sein Diwan ist ein Denkmahl eines gebildeten Geistes und eines edlen Sinnes, der sich in vielen ethischen Distichen kund gibt.

Literatur:
Geschichte der Osmanischen Dichtkunst
bis auf unsere Zeit
Mit einer Blüthenlese aus zweytausend, zweyhundert Dichtern
von Hammer-Purgstall
Zweiter Band (von der Regierung Sultan Suleiman's des Gesetzgebers
bis zu der Sultan Murad's III. 1521-1574)
Pesth, 1837
Conrad Adolph Hartleben's Verlag

(Seite 4 - 7)


ist zwar kein großer osmanischer Dichter, aber immerhin ein Sultan, der unter den Sultanen ein relativ guter Dichter war. (Die anderen Sultane waren aber auch nicht schlecht...)
Einige Zeilen vermutlich an seine geliebte Haseki Hürrem Sultan (Roxelane) gerichtet.

aus:
http://www.deutsche-liebeslyrik.de/osmanisch/osmanisch.htm


Ciao, lynxxx
 
Zuletzt bearbeitet:
ORIENT – OKZIDENT

Geheimnis!
Gottvertrauen!
Kismet!
Holzgitter, Karawanserei, Karawane
ein Brunnen zum Gebet!
Und die Sultane,
tanzend auf einem Silber-Tablett!
Maharadscha, Padischah,
Ein tausend Jahre alter Schah.
An den Minaretten perlenbestickte Schuhe;
Und Frauen mit hennagefärbten Nasen
Besticken mit ihren Füßen einen Rahmen.
Imame mit grünen Turbanen
rufen durch den Wind zum Gebet!
Das ist der Orient,
den der französische Dichter sieht.
Das ist der Orient jener Bücher,
die jede Minute und in Millionen
die Druckerpresse verlassen.
Doch weder gestern noch heute
gab oder gibt es einen solchen Orient,
und einen solchen Orient
wird es auch morgen
nicht geben ...

NÂZIM HIKMET
(türkischer Dichter und Dramatiker, 1902-1963)

 
Grodek (1914)
Am Abend tönen die herbstlichen Wälder
von tödlichen Waffen, die goldenen Ebenen und blauen Seen darüber die sonne düster hinrollt,
umfängt die Nacht sterbende Krieger,
die wilde Klage ihrer zerbrochenen Münder;
Doch Stille sammelt im Weidengrund rotes Gewölk,
Darin ein zürnender Gott wohnt.

Georg Trakl
 


Das ist mir zu düftig. Welches geschichtliche Ereignis steht dahinter?
Du gibts hier einen Trakl-Verschnitt, das hat er nicht verdient.

Grodek

Am Abend tönen die herbstlichen Wälder
Von tödlichen Waffen, die goldnen Ebenen
Und blauen Seen, darüber die Sonne
Düstrer hinrollt; umfängt die Nacht
Sterbende Krieger, die wilde Klage
Ihrer zerbrochenen Münder.
Doch stille sammelt im Weidengrund
Rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott wohnt
Das vergoßne Blut sich, mondne Kühle;
Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.
Unter goldnem Gezweig der Nacht und Sternen
Es schwankt der Schwester Schatten durch den schweigenden Hain,
Zu grüßen die Geister der Helden, die blutenden Häupter;
Und leise tönen im Rohr die dunkeln Flöten des Herbstes.
O stolzere Trauer! ihr ehernen Altäre
Die heiße Flamme des Geistes nährt heute ein gewaltiger Schmerz,
Die ungebornen Enkel.

http://www.literaturnische.de/Trakl/sonst.htm#grodek
 
Aus aktuellem Anlass:
“La Ciudad” - Gonzalo Millán « Palimpsesto
Gonzalo Millán: La Ciudad


El río invierte el curso de su corriente.
El agua de las cascadas sube.
La gente empieza a caminar retrocediendo.
Los caballos caminan hacia atrás.Los militares deshacen lo desfilado.
Las balas salen de las carnes.
Las balas entran en los cañones.
Los oficiales enfundan sus pistolas.
La corriente se devuelve por los cables.
La corriente penetra por los enchufes.
Los torturados dejan de agitarse.
Los torturados cierran sus bocas.
Los campos de concentración se vacían.
Aparecen los desaparecidos.
Los muertos salen de sus tumbas.
Los aviones vuelan hacia atrás
Los rockets suben hacia los aviones.
Allende dispara.
Las llamas se apagan.
Se saca el casco.
La Moneda se reconstituye íntegra.
Su cráneo se recompone.
Sale a un balcón.
Allende retrocede hasta Tomás Moro.
Los detenidos salen de espalda de los estadios.
11 de Septiembre.
Regresan aviones con refugiados.
Chile es un país democrático.
Las fuerzas armadas respetan la constitución.
Los militares vuelven a sus cuarteles.
Renace Neruda.
Vuelve en una ambulancia a Isla Negra.
Le duele la próstata. Escribe.
Víctor Jara toca la guitarra. Canta.
Los discursos entran en las bocas.
El tirano abraza a Prat.
Desaparece. Prat revive.
Los cesantes son recontratados.
Los obreros desfilan cantando
¡Venceremos!
 
Die Stadt

Der Fluss kehrt seinen Lauf um.
Das Wasser der Kaskaden steigt.
Die Menschen beginnen rückwärts zu gehen.
Die Pferde gehen rückwärts. Die Soldaten lösen die Glieder auf.
Die Kugel verlassen das Fleisch.
Die Kugeln treten in die Kanonen ein.
Die Offiziere stecken ihre Pistolen ins Futteral.
Der Strom kehrt in die Kabel zurück
Der Strom dringt in die Steckdosen ein.
Die Gefolterten hören auf sich zu winden.
Die Gefolterten schließen ihre Münder.
Die Konzentrationslager leeren sich.
Die Verschwundenen tauchen auf.
Die Toten verlassen ihre Gräber.
Die Flugzeuge fliegen rückwärts.
Die Raketen steigen zu den Flugzeugen auf.
Allende schießt.
Die Flammen verlöschen.
Er nimmt den Helm ab.
Die Moneda [chilenischer Präsidentenpalast] bildet sich ganz neu.
Sein Schädel setzt sich wieder instand.
Er kehrt auf den Balkon zurück.
Allende geht bis Thomas Morus zurück.
Die Verhafteten verlassen den Rücken voran die Stadien.
11. September.
Es kehren Flugzeuge mit Flüchtlingen zurück.
Chile ist ein demokratisches Land.
Die Streitkräfte respektieren die Verfassung.
Die Soldaten kehren in ihre Kasernen zurück.
Neruda wird wiedergeboren.
Er kehrt in einer Ambulanz nach Isla Negra zurück.
Ihn schmerzt die Prostata. Er schreibt.
Víctor Jara spielt Gitarre. Er singt.
Die Ansprachen kehren in die Münder ein.
Der Tyrann umarmt Prat.
Er verschwindet. Prat wird zum Leben erweckt.
Die suspendierten werden wieder unter Vertrag genommen.
Die Arbeiter ziehen singend vorbei.
¡Venceremos - Wir werden siegen!
 
[SIZE=+2]Vatis Argumente [/SIZE](1968) Also wenn Vati loslegt,
dann bringt er so seine
Argumente.
"Zum Beispiel Fall Dutschke",
sagt Vati,
"möchte ich gern mal mit sprechen
wirklich und wisst ihr
was ICH ihm dann sagen würde?"
"Lieber Rudi Dutschke",
würde Vati sagen,
"das ist ja alles ganz gut und schön
aber kaputtschlagen
kann jeder
doch wie is denn mit
ÄRMEL AUFKREMPELN ZUPACKEN AUFBAU'N?"

Ja, Vati scheut keine
Auseinandersetzungen
und trotz allem
hat er ein Herz
für die jungen Leute.
"Lieber Rudi Dutschke",
würde Vati sagen,
"wissen Sie, was das hieß,
studieren damals?
Keine Bücher! Kein Brot! Kein Bier!
Ja, da hatte keiner
Flausen im Kopp,
die Welt verbessern
und so.
In alten Kommißklamotten,
'n paarmal gewendet -
so sind wir rumgelaufen.
Aber wir haben uns gewaschen
und wenn´s keine Seife gab
mit Sand -
jawohl mit Sand!
Und von wegen AStA,
Mitbestimmung...
Wissen Sie was der gemacht hat?
Gehamstert,
dass wir was zu essen hatten -
wir und die Professoren
und trotzdem
wir waren auch richtige Studenten,
haben zusammengehockt, nächtelang,
die Köpfe uns heiß geredet.
Aber wir haben
gelernt! gelernt! gelernt!
und nochmals gelernt!
Und wir haben's geschafft.
Und warum?
Weil wir haben gewusst,
was das heißt:
ÄRMEL AUFKREMPELN, ZUPACKEN, AUFBAU'N!"

Ja, Vati hat wirklich geschuftet,
"Von nichts kommt nichts",
das ist sein Wahlspruch,
"und immer sauber bleiben,
das lohnt sich."
"Lieber Rudi Dutschke",
würde Vati sagen,
"und heute?
Die jungen Leute,
jammern und Wehgeschrei,
passt dies nicht,
passt das nicht,
Orgasmusschwierigkeiten!
Wenn ich sowas schon höre."

"Lieber Rudi Dutschke",
würde Vati sagen,
"Nun hören Sie mal gut zu:
was Sie hier sehen,
ringsherum,
das haben WIR - WIR Ihre Väter,
die sie 'Würstchen' nennen;
WIR haben das hingestellt
und darum, verstehen Sie,
darum
lassen wir uns von Euch nicht sagen,
wie wir zu leben haben.
Sie - Ihr alle
streckt doch eure Beine unter unsern Tisch!
Wer kann das denn heute noch?
Macht das doch erstmal nach:
ÄRMEL AUFKREMPELN, ZUPACKEN, AUFBAU'N!" Also was Vati
nun gar nicht mag,
das sind die Klugscheißer
und Intellektuellen
aber gute Rasse
erkennt er sofort.
"Lieber Rudi Dutschke",
würde Vati sagen,
"ich mach ihnen einen Vorschlag:
Ich weiß,
Sie sind aus andrem Holz geschnitzt,
als die meisten der jungen Leute.
Sie machen sich
ihre Gedanken,
treten für Ihre Sache ein
und in vielem haben sie sogar recht.
Mir passt hier auch manches nicht,
das können Sie mir glauben.
Als ich so alt war, wie sie -
ich habe mir auch nichts gefallen lassen,
hatte immer krach:
Mit dem Fähnleinführer,
dem Spieß,
um ein Haar und
ich wäre bei der Strafkompanie gelandet!
Aber bei aller Aufsässigkeit,
wenn Not am Mann war,
da hieß es doch:
ÄRMEL AUFKREMPELN, ZUPACKEN, AUFBAU'N!

Also wie gesagt,
lieber Rudi Dutschke",
würde Vati sagen,
"ich mach ihnen einen Vorschlag:
Sie kommen zu mir,
in meinen Betrieb,
Personalabteilung.
Und in einem Jahr -
in einem Jahr -
sind Sie mein Assistent meine rechte Hand
und dann
steht ihnen alles offen."
"Na? Bin mal gespannt
was er dann sagen wird,
Euer Rudi Dutschke",
meint Vati,
"Aber das andere ist ja bequemer,
alles kaputtschlagen",
würde Vati sagen,
"bloß nicht
ÄRMEL AUFKREMPELN, ZUPACKEN, AUFBAU'N!"

Also wenn Vati loslegt,
dann fragt man sich immer:
Was ist der bloß immer so wütend?
Hat er gemerkt,
dass ihn keiner mehr
ernst nimmt?!
 
Da krieg ich doch glatt wegen vergessener Namensnennung eine Rotbewertung. Den Namen liefere ich natürlich gerne nach:

Franz-Josef Degenhardt
 
Nochmals, wie oben schon, ein Gedicht von Sultan Süleyman I., dem Prächtigen (1520-1566), ein "Ghazel":


"O Herz, lass Rauschmittel fahren; wenn du trinken möchtest, so trink tulpenroten Wein.

Das königliche Basilikum ist im Garen erblüht und hat überall seine leopardengefleckte Matte verbreitet.

Komm und trink Muskatwein im Garten, glaub nicht, Trunkenheit sei schädlich oder wider das Gesetz.

Denn ein fränkischer Mundschenk hat den Wein eingeschenkt.

Muhibbi lass die Gelegenheit nicht verstreichen: lass nicht die Hand vom tulpenroten Wein."

nach:
Georg Jacob. Sultan Soliman des Grossen Divan in einer Auswahl. Berlin 1903, S. 69-70, Nr. 37

Muhibbi war ja sein Dichter-Pseudonym, d.h. der mit Freundschaft Liebende

Dann mal schnell den Bocksbeutel rausholen... :rofl: :still:
 
Ich dachte immer, der Koran verbietet das.
Tja, man lernt nie aus, neh? ;)
btw. in der Bibel steht auch viel, was in der Geschichte geflissentlich nicht befolgt wurde.
Nun widme ich mich mal deinen Links.
Übrigens gilt der Wein hier wahrscheinlich als Metapher, weil Süleyman kein großer Weintrinker war. Er war mehr der Asket-Typ. Anders als sein Sohnemann. (Wahrscheinlich nicht von ihm, sondern vom Gärtner... danach nur unfähige Sultane... :rofl:aber das ist ein anderer Thread...)
 
Ich dachte immer, der Koran verbietet das.
Ich seh grad richtig, das bezieht sich ja auf meine Aussage.

Tja, da biste wohl voll in die Vorurteilsfalle getappt! Nicht jeder Japanologe ist Japaner, nicht jeder Amerikanist ist Indianer, nicht jeder Orientalist ist Muslim.

Capisci was ich meine?

Sitze hier mit Springerstiefeln und Glatze in der sächsischen Schweiz und sinniere über das Schubladendenken in unserem schönen Lande... :still:
 
[mod]Ich habe mir erlaubt, diesen Beitrag von Lenvikkjerring aus diesem Thread zu kopieren, der vollständige Beitrag steht dort. EQ[/mod]


Ich habe im Buch "Das fröhliche Pommernbuch" von 1951 diesen Ausschnitt, im Stralsunder Dialekt geschrieben, gefunden.

O jr munich vnd pfaffen,
was hant jr gethan?
Habt vns gemacht yu affen;
die leng`mag`s nyt bestan,
es soll euch bald gerewen,
das sage ich vorwar,
die haut soll man pluwen
vnd ziehen bey dem haer.
Kisten-seckel-feger

Ihr hatt`vns hart getrucket
durch Enticrist zu Rom
vnd jamerlich entzucket
fleiß, eyer, keß vnd raum;
durch ablas brieffe vorkauffet
die vnser seligkeit,
das gelt von vnsgerauffet;
wirt euch warlich laidt!
Kisten-seckel-feger

Wenn irgendjemand Dies richtig lesen kann, muss er mich unbedingt anrufen und mir die im Dialekt mal vorlesen, ich bekomme dies jedenfalls nicht hin.

:winke:
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Ich finde, dass ist das Beste von Tucholskys Gedichten. Schöner Bezug von Geschichte, Gegenwart und Zukunft. Und erschreckend, dass es 1919 geschrieben wurde, sodass seine Jahresangabe stimmt...
"Und nach abermals zwanzig Jahrenkommen neue Kanonen gefahren. –"


Krieg dem Kriege

Sie lagen vier Jahre im Schützengraben.
Zeit, große Zeit!
Sie froren und waren verlaust und haben
daheim eine Frau und zwei kleine Knaben,
weit, weit –!

Und keiner, der ihnen die Wahrheit sagt.
Und keiner, der aufzubegehren wagt.
Monat um Monat, Jahr um Jahr ...

Und wenn mal einer auf Urlaub war,
sah er zu Haus die dicken Bäuche.
Und es fraßen dort um sich wie eine Seuche
der Tanz, die Gier, das Schiebergeschäft.
Und die Horde alldeutscher Skribenten kläfft:
»Krieg! Krieg!
Großer Sieg!
Sieg in Albanien und Sieg in Flandern!«
Und es starben die andern, die andern, die andern ...

Sie sahen die Kameraden fallen.
Das war das Schicksal bei fast allen:
Verwundung, Qual wie ein Tier, und Tod.
Ein kleiner Fleck, schmutzigrot –
und man trug sie fort und scharrte sie ein.
Wer wird wohl der nächste sein?

Und ein Schrei von Millionen stieg auf zu den Sternen.
Werden die Menschen es niemals lernen?
Gibt es ein Ding, um das es sich lohnt?
Wer ist das, der da oben thront,
von oben bis unten bespickt mit Orden,
und nur immer befiehlt: Morden! Morden! –
Blut und zermalmte Knochen und Dreck ...
Und dann hieß es plötzlich, das Schiff sei leck.
Der Kapitän hat den Abschied genommen
und ist etwas plötzlich von dannen geschwommen.
Ratlos stehen die Feldgrauen da.
Für wen das alles? Pro patria?

Brüder! Brüder! Schließt die Reihn!
Brüder! das darf nicht wieder sein!
Geben sie uns den Vernichtungsfrieden,
ist das gleiche Los beschieden
unsern Söhnen und euern Enkeln.
Sollen die wieder blutrot besprenkeln
die Ackergräben, das grüne Gras?
Brüder! Pfeift den Burschen was!
Es darf und soll so nicht weitergehn.
Wir haben alle, alle gesehn,
wohin ein solcher Wahnsinn führt –

Das Feuer brannte, das sie geschürt.
Löscht es aus! Die Imperialisten,
die da drüben bei jenen nisten,
schenken uns wieder Nationalisten.
Und nach abermals zwanzig Jahren
kommen neue Kanonen gefahren. –
Das wäre kein Friede.
Das wäre Wahn.
Der alte Tanz auf dem alten Vulkan.
Du sollst nicht töten! hat einer gesagt.
Und die Menschheit hörts, und die Menschheit klagt.
Will das niemals anders werden?
Krieg dem Kriege!
Und Friede auf Erden.
 
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