Hannibal Alpenüberquerung

Politischen und militärische Gründe für eine Alpenüberquerung

1. Das Bündnis zwischen cisalpinen Kelten und Karthagern
In meinem vorherigen Posting hatte ich den Oberitalienischen Krieg Roms gegen die Kelten 225 bis 222 BC erwähnt, bei dem die norditalienischen Gentes der Boier und Insubrer von transalpinen Kelten unterstützt wurden, deren Heerkönige bei Poybios genannt werden (Geschichte II,21-31), und die als Anführer der Gaesaten bezeichnet wurden - bei Polybios werden in der Schlachtaufstellung der Schlacht auch die Taurisker erwähnt, ein späterer Bündnispartner der Boier aus dem ostalpinen Raum, für die Gaesaten wird eine Herkunft aus den Alpen und vom Rhodanus (und dem umliegenden Gallien) angeben. Auch von späteren und früheren Zuzügen von Söldner/Gefolgschaftsheeren transalpiner Kelten im Oberitalienschen Krieg berichtet Polybios. Es überschritten daher kurz vor Hannibal größere Heere die Alpen in Richtung der Poebene.
Titus Livius bezeichnet meiner Ansicht nach im Gegensatz zu Polybios richtig den Stamm, der Hannibal beim Übergang über die Alpen mit Kleidung, Proviant usw. unterstützt, als Allobroger, deren Hauptort an der Rhone das heutige Vienne war, und deren Einfluss sicher von Valence bis zum Genfer See reichte. Für den Alpenraum selbst werden keine Stammes-bezeichnungen bei Livius angegeben, Polybios spricht meiner Ansicht nach fälschlich von Gefechten mit den Allobrogern in den Alpen.
In der Küstenfahrtsbeschreibung des R.F.Avienus, Ora maritima , werden Namen einheimischer Stämme überliefert. Nach Avienus «erheben die Alpen
im Osten ihren schneeigen Rücken zum Himmel, und es werden die Fluren des gallischen Landes durch schroffe Bergspitzen durchschnitten, und immer wehen dort die Winde in Stürmen. In breitem Strome drängt die Rhone aus der Öffnung einer gähnenden Höhle hervor und pflügt mit
unbändiger Kraft den Boden Der Fluß aber nimmt von der Quelle seinen Weg durch das Gebiet der Tylangier, der Daliterner, durch die Fluren der Clahilker und das lemanische Land.»Auch Cäsar erwähnt im Bello gallico Stammesnamen (Seduner, Verargrer, Nantuaten), beim gescheiterten Versuch das Wallis zu gewinnen, um einen noch schnelleren Passweg über den St.Bernhard zu sichern. Er ordnet diese Stämme den Kelten zu, ob dies für die eventuell auf älteren Quellen beruhenden Stämme des Avienus gilt, ist wohl unsicher, eventuell sind dies ligurische Stammesbezeichnungen. Livius spricht von einer den Galliern ähnlichen Sprache der Bergbewohner (21,32). Ich beschreibe dies so ausführlich, weil es meiner Ansicht nach zusätzlich einmal das transalpine Bündnis der Kelten bezeichnet, der Allobroger und die oberitalienischen Kelten, auf die sich Hannibal stützen konnte, und der daher politisch/militärisch sichereres Glacis bedeutete, und den kürzesten Weg durch unsicheres Gebiet. Die Seealpen, das Hinterland der Hanibal feindlichen massaliotischen Küstenorte wie Nicea (Nizza) oder Antipolis (Antibes) beherrschten immer noch ligurische Stämme, so dass auch die Römer im späten 2.Jahrhundert BC nicht entlang der Küste die Straßenverbindung zur neuen südgallischen Provinz bauten. Die Via Domitia (gebaut zwischen 120 und 118 v.Chr.) verlief aus der Poebene zum Col de Montgenevre und folgte dann dem Durancetal. Erst nach Unterwerfung der Seealpenvölker unter Augustus wurde die Via Iulia Augusta als schnellste Verbindung nach Hispanien und Südgallien an der Mittelmeerküste errichtet. Der Weg nach Norden bis Valence hatte daher meiner Meinung nach auch den Grund, den schnellsten Weg zu den verbündeten Kelten zu suchen, und weitgehend unsicheres (ligurisches, "berggallisches") oder feindliches (massaliotisches) Terrain zu meiden. Gleichzeitgig war umgekehrt dies das für die Römer schwierigste Terrain: auch wenn Livius Bericht eines gallischen Landtags, auf dem die römische Gesandschaft mit ihrem Anliegen, Hannibal nicht durchziehen zu lassen, verhöhnt wurde, historisch meiner Meinung nach eher schon auf den Gallischen Krieg verweisen sollte (als Vorgeschichte zu diesem), zeigt es jedoch richtig, dass dieses Terrain außer dem Gebiet des alten Bundesgenossen Massalia Ihnen gegenüber feindlich oder unfreundlich war - ein Freundschaftsvertrag mit den Häduern (gallischer Stamm in der heutigen Bourgogne) ist erst ab 157/154 BC bekannt, in einer Phase, in der auch der ökonomische Einfluss Roms in Gallien immer spürbarer wurde.

2.Das Gebiet nördlich und südlich des Po
Im oben erwähnten Oberitalischen Keltenkrieg überschritten das erste Mal römische Legionen den Po. Placentia, das heutige Piacenza, Mutina (Modena) und Cremona wurde am Ende dieses Krieges als nördlichste römische Kolonien errichtet, jedoch erst kurz vor dem 2.Punischen Krieg (218 BC). Wie wenig stabil die Besetzung war zeigte sich schon im Vorfeld des Eintreffens Hannibals, als Mutina von boischen Truppen angegriffen und belagert wurde. Erst im Keltenkrieg 200 bis 190 BC unterwarf Rom auch als Konsequenz des Punischen Krieges das spätere Gallia cisalpina, mit Bononia/Bologna fiel 193 BC die letzte keltische(boische) italienische Stadt.
Provinz wurde Norditalien auch erst nach dem Punischen Krieg (später Gallia cisalpina oder Gallia citerior). Daher war dieses Gebiet trotz der militärischen Unterwerfung der keltischen Stämme der Insubrer und Boier bis 222 BC kein Status Quo erreicht, in dem sich die Situation nicht durch Aufstände schlagartig verändern konnte. Entsprechend vorsichtig agiert nach den Quellen auch Publius Scipio, der zwar auf einer Brücke den Po überquerte, aber nach einem ersten Reitergefecht (Gefecht am Ticinus), bei dem er auch verletzt wurde, sofort wieder auf die Südseite des Padus (Po) zurückzog (nach Placentia). Keltische Hilfstruppen gingen nach diesem ersten für die Römer verlorenen Gefecht zu Hannibal über, auch die Boier erschienen im Lager Hannibals, die anscheinend zuerst noch gezögert und den Verlauf der Ereignisse beobachtet hatten. Dies zeigt sehr deutlich, dass Rom zwar Verbündete ( Cenomaner und Veneter) nördlich des Appennin hatte, erste Kolonien baute und militärisch präsent war, von einem festen Bundesgenossensystem oder einer Provinzalisierung noch lange nicht gesprochen werden konnte. Eher waren die Kelten noch politisch autonome Gentes, die zu bestimmten Vertragsklauseln verpflichtet waren (Stellung von Geiseln, Hilfstruppen, Tribute, Duldung von Besatzung, Abgabe von Land). Strassentechnisch war die Via Aurelia ab 241 BC bis Pisa gebaut worden, um 220 Bc die Via Flaminia bis Ariminium an der Adria.
Auch das Verkehrsnetz war auf römischer Seite noch lange nicht in der Poebene angekommen. Die spätere Via Emilia am Nordrand des Appenin wurde erst nach dem Keltenkrieg 200-190 BC 187 v.Chr. von Ariminium bis Placentia erbaut.
 
Gangflow, mir ist nicht klar wofür du argumentierst:
1. der 2. Punische Krieg hat gar nicht stattgefunden?
2. Hannibal führte sein Heer über einen alternativen Weg (See, Küste) nach Italien?
3. Der 2. Punische krieg fand nur in Iberien und Africa statt?

Grundsätzlich: Hannibals Entscheidung, den Krieg nach Italien zu tragen, war militärisch und politisch riskant, strategisch jedoch eine großartige Eröffnung dieses Krieges, die Rom zu einer großen Umgruppierung und Änderung seiner Strategie zwang.
Hannibal hatte in den cisalpinen Kelten eine Basis im Norden Italiens, um den Krieg von dort zu beginnen. Das seine politischen Prämissen nicht funktionierten, und er trotz seiner Siege strategisch immer mehr reaktiv agieren musste, steht auf einem anderen Blatt, er hat wahrscheinlich nicht mit dieser Widerstandskraft des römischen Bundessystems und der römischen Führung gerechnet.

Zu einer Seeroute ergänzend: die Überlegenheit der römischen Flotte wurde schon erwähnt, doch auch wenn er eine Flotte hochgerüstet hätte, wo hätte er landen sollen: in Etrurien? In Ligurien hätte er sich nach Norden zu den Kelten durchkämpfen müssen, so wie es die Römer in einigen Operationen in den Keltenkriegen taten.
Die gesamte Seeroute an der ligurischen Küste vorbei auch an den feindlichen massaliotischen Hafenstädten birgt viele Angriffspunkte für den direkten Kriegsgegner,
während der Zug durch das keltisch beherrschte Gebiet für die Römer fest unerreichbar war. Der Hannibal begleitende Histograph Sosylos beschreibt im einzigen gefundenen Fragment (Würzburger Papyrus) seiner Bücher eine Seeschlacht, wahrscheinlich 217 BC in der Ebromündung, die für eine Flotte Massilias und der Römer gegen die Karthager siegreich war.

Das einzige Überraschende
für eine Alpendurchquerung ist meiner Meinung nach ausschließlich die späte Jahreszeit im Oktober, wahrscheinlich rechneten die Römer damit, dass Hannibal in Gallien überwintern und festsitzen würde, während sie in Hispanien und Africa intervenieren könnten, und Hannibal ausmanövriert hätten -
und schließlich auch die Kriegselefanten, die in dieser Umgebung einen exotischen Charakter haben, bei der Überquerung des Nil oder Euphrat, des Atlas oder kleinasiatischer Berge einem zeitgenössischen Erzähler jedoch nicht derartig außerordentlich aufgefallen wären.

Dass Polybios bei damaliger Wissenlage und geographischen Kenntnissen nicht mit Google mithalten kann, und ein Erzähler ist, der seine Leser auch fesseln und beeindrucken will, ist nicht erstaunlich, und kann kaum gegen ihn ins Feld geführt werden. Leider gibt es von den karthagischen Histographen wie Sosylos und Silenos von Kaleakte , die Hannibal begleitet haben, wohl nur noch Fragmente, auch bei römischen Historikern wie Lucius Coelius Antipater (* um 180 v. Chr.; † um 120 v. Chr.) oder Cornelius Nepos (* um 100 v. Chr.; † nach 28 v. Chr.). Doch in keiner Quelle wird der Übergang der Alpen infragegestellt, oder ein alternativer Verlauf geschildert. Meiner Ansicht nach wäre dies bei zahlreichen Zeitzeugen und durchaus auch der Präsenz der karthagischen Literatur im 2. Jahrhundert BC kaum möglich gewesen, die Geschichte derart zu verfälschen. Die Kriegsschuldfrage hat dagegen eine ganz andere auch innenpolitische Bedeutung für Rom, und wird von Beginn an umstritten gewesen sein.
 
Gangflow, mir ist nicht klar wofür du argumentierst:
1. der 2. Punische Krieg hat gar nicht stattgefunden?
2. Hannibal führte sein Heer über einen alternativen Weg (See, Küste) nach Italien?
3. Der 2. Punische krieg fand nur in Iberien und Africa statt?

Ich neige dazu, er habe nicht stattgefunden. Oder nicht so wie geschildert.

Polybios wurde geboren:
60 Jahre nach dem 1. Krieg
20 Jahre nach dem 2. Krieg
Etwa 50 Jahre alt beim 3. Krieg.

Livius noch 100 Jahre später. Alles was der wußte kann er nur von Polybios haben. - Stimmt meine Vermutung?

Polybios war ein enger Vertrauter der Scipionen. Er hat ein gewaltiges Werk zusammengetragen. Kann man da so sicher sein, daß er alles akribisch mit Quellen abgeglichen hat. War da nicht der größte Antrieb es den Scipionen recht zu machen. Mit einem gehörigen Schuß Panegyrik.

Urban schreibt Polybios sei der einzige Gewährsmann für die Zusammenhänge des Ebrovertrages. Wer ihn unterzeichnet hat nennt er nicht.
Ist man sicher, daß der Vertrag in römischen Archiven vorhanden war?

Polybios schildert eindringlich den Ärger, den Hannibal mit den Allobrogern hatte. Lächerlich seine Vorstellung, sie seien nur am Tag zugange gewesen und jeden Abend zum Essen und Schlafen nachhause gegangen. In eine benachbarte Stadt.
Livius will es 100 Jahre später besser wissen und sieht keine Allobroger in den Bergen.

Riothamus #117:
Man muss berücksichtigen, dass bei den Römern bis hin zu Marius jede Generation aufs Neue die Kriegführung lernen musste.

Aber Polybios schildert in allen Einzelheiten die Schlacht von Cannae.
Wikipedia: Bis heute wird sie als Paradebeispiel einer Umfassungsschlacht an Militärakademien gelehrt.

Es ist nur meine Meinung. Ich habe das nicht studiert. Es wurde aber anscheinend in der Geschichte schon immer aus bestimmten Gründen an der Wahrheit vorbeigeschrieben.
(Kennt jemand das Buch von H. Detering „Falsche Zeugen“. Er versucht nachzuweisen, daß das 10. Buch des Plinius mit Briefen an Trajan nur den Zweck hatte zwei Christuszeugnisse unterzubringen. Diese Briefe stammen aus dem 16. Jahrhundert.)

PS: Noch eine Frage. Wurde der Corvus schon vor Polybios irgendwo erwähnt? Segelbootfreunde hier könnten sich vielleicht einmal den Corvus in Aktion vorstellen. Ein 10 m langes und 1,20 m breites Gerät zum Ausschwenken und Verhaken beim Gegner. Ein kleines Geländer links und rechts gegen das Runterfallen des Soldaten. Konnten sicher nur hintereinander das Brett betreten.
 
Placentia, das heutige Piacenza, Mutina (Modena) und Cremona wurde am Ende dieses Krieges als nördlichste römische Kolonien errichtet, jedoch erst kurz vor dem 2.Punischen Krieg (218 BC). Wie wenig stabil die Besetzung war zeigte sich schon im Vorfeld des Eintreffens Hannibals, als Mutina von boischen Truppen angegriffen und belagert wurde. Erst im Keltenkrieg 200 bis 190 BC unterwarf Rom auch als Konsequenz des Punischen Krieges das spätere Gallia cisalpina, mit Bononia/Bologna fiel 193 BC die letzte keltische(boische) italienische Stadt.
Provinz wurde Norditalien auch erst nach dem Punischen Krieg (später Gallia cisalpina oder Gallia citerior). Daher war dieses Gebiet trotz der militärischen Unterwerfung der keltischen Stämme der Insubrer und Boier bis 222 BC kein Status Quo erreicht, in dem sich die Situation nicht durch Aufstände schlagartig verändern konnte. Entsprechend vorsichtig agiert nach den Quellen auch Publius Scipio, der zwar auf einer Brücke den Po überquerte, aber nach einem ersten Reitergefecht (Gefecht am Ticinus), bei dem er auch verletzt wurde, sofort wieder auf die Südseite des Padus (Po) zurückzog (nach Placentia).(..)Strassentechnisch war die Via Aurelia ab 241 BC bis Pisa gebaut worden, um 220 Bc die Via Flaminia bis Ariminium an der Adria.
Auch das Verkehrsnetz war auf römischer Seite noch lange nicht in der Poebene angekommen. Die spätere Via Emilia am Nordrand des Appenin wurde erst nach dem Keltenkrieg 200-190 BC 187 v.Chr. von Ariminium bis Placentia erbaut.
Dies gibt mir Anlaß, ein paar Fehlaussagen in meinem Beitrag weiter oben zu korrigieren:
Scipio reiste lt.Polybios von Pisa nach Massilia in 5 Tagen. Da standen Winde und Strömungen wohl sehr günstig. In Massilia hielt er sich, nachdem der Versuch, Hannibal zu stellen, gescheitert war, nicht lange auf, sondern machte sich schleunigst auf den Rückweg nach Pisa, das er aber, gem. Polybius, erst "etwa zur gleichen Zeit" [wie Hannibals Alpenüberquerung] erreichte - da gings dann offenbar duetlich langsamer gegen Wind und Strömung zurück. Von Pisa begab sich Scipio umgehend "durch Etrurien" an den Po. Also nicht, wie ich zuerst vermutet hatte, via Genua, das sich damals scheinbar noch neutral verhielt und lt. WP erst 216 v.Chr. ins Bündnis mit Rom trat.
Welchen Weg Scipio "durch Etrurien" und anschließend über den Appenin nahm, ist unbekannt. Die Via Flaminia war zwar bereits ausgebaut, bedeutete aber einen Riesen-Bogen nach Osten. Je nachdem, wo hineichend gängiger Übergang zwischen der Via_Cassia (Pisa-Florenz-Arezzo-Rom) und der Via_Flaminia bestand, betrug die Strecke nach Piacenza 600-700 km, also mindestens einen knappen Monat. Deutlich kürzer (330 km) wäre die Strecke über den Futa_Pass (Florenz-Bologna), aber sie führte quer durchs Boier-Territorium, deren Loyalität sich Scipio kaum sicher sein konnte. Für den noch etwas weiter westlich gelegenen Passo_della_Porretta (275 km), eine der hypothetischen Routen für Hannibals Appeninüberquerung zum Trasimenischen See, gilt ähnliches. Relativ sicher, und als alte etruskische Handelswege vielleicht auch einigermaßen gut passierbar, dürften die knapp 400 km langen Routen entlang des oberen Arnotals Richtung Forli oder Faenza gewesen sein.
Welchen Weg auch immer Scipio nahm - Polybios beschreibt Hannibal ähnlich erstaunt ob der raschen Appeninüberquerung, als umgekehrt Scipio über Hannibals Alpenübergang. So richtig damit gerechnet, dem anderen noch im Herbst in der Poebene zu begegnen, hatte scheinbar keiner der Beiden.
 
möglicherweise off-topic, also sicherheitshalber vorab Pardon
Welchen Weg auch immer Scipio nahm - Polybios beschreibt Hannibal ähnlich erstaunt ob der raschen Appeninüberquerung, als umgekehrt Scipio über Hannibals Alpenübergang. So richtig damit gerechnet, dem anderen noch im Herbst in der Poebene zu begegnen, hatte scheinbar keiner der Beiden.
Das ist faszinierend!

Keine Satellitenüberwachung, kein Mobilnetz, kein Telefon, kein Morse/Telegraphenkabel, keine Eisenbahn, keine optische Nachrichtenstaffette.

Was konnte Feldherr A am Po über seinen Gegner Feldherr B am Rhein wissen und wie aktuell konnten seine Informationen (Späher, Boten etc.) sein?

...ich kenne mich in den punischen Kriegen nicht aus, aber abgesehen von diesen: gibt es Quellen aus dieser Zeit, die Aufschluß geben über die Informationsverarbeitung der jeweiligen Strategen? Über deren Denkweise, Einschätzungen der Lage etc.?
 
Keine Satellitenüberwachung, kein Mobilnetz, kein Telefon, kein Morse/Telegraphenkabel, keine Eisenbahn, keine optische Nachrichtenstaffette.

Was konnte Feldherr A am Po über seinen Gegner Feldherr B am Rhein wissen und wie aktuell konnten seine Informationen (Späher, Boten etc.) sein?
Brieftauben?

Hannibal scheint, wie ja auch Biturigos Analyse weiter oben zeigt, extrem gut präpariert gewesen zu sein. Das Bündnis mit den Kelten war von langer Hand vorbereitet, und es wurde wohl auch intensive Geländeaufklärung im Vorweg betrieben. Polybios beschreibt Ansprachen an die Truppen, in denen Hannibal sie präzise auf die jeweils nächste bevorstehende Teiletappe vorbereitet. Er muß einen festen Marsch- und Terminplan im Kopf gehabt und auch kommuniziert haben - anders ist kaum erklärbar, daß die boiische Gesandschaft pünktlich nach Hannibals Rhonüberquerung dort eintraf. Sicherlich hat Hannibal, wie ein guter Schachspieler, auch die Möglichkeiten des Gegners im Voraus durchkalkuliert.
Scipio war ihm diesbezüglich wohl ebenbürtig, und die Römer haben ihrerseits ja später im Rücken des Gegners die Numidier "umgedreht". Jedoch fehlte den Römern teilweise wohl noch geographisches Wissen - Polybios nennt zwar die Donau, aber noch nicht den Rhein, und beklagt weitgehende Unkenntnis über die Geographie des transalpinen Galliens und den Fortgang der Küste jenseits der Säulen des Herakles.
 
Ich neige dazu, er habe nicht stattgefunden. Oder nicht so wie geschildert.

Warum? Und wie sah er deiner Meinung nach aus!

Polybios wurde geboren:
60 Jahre nach dem 1. Krieg
20 Jahre nach dem 2. Krieg
Etwa 50 Jahre alt beim 3. Krieg.

Livius noch 100 Jahre später. Alles was der wußte kann er nur von Polybios haben. - Stimmt meine Vermutung?
Nein, sie stimmt nicht.
Ich hatte weiter oben erwähnt, dass römische Historiographen (Verbesserung meiner eigenen Falschschreibung im Posting von gestern) auch karthagische /griechische Quellen (Sosylos, Silenos von Kaleakte, Chaireas) und andere römische Historiker (zit. Lucius Antipater) zur Verfügung hatten, übrigens auch das Werk Origines des Zeitzeugen und Beteiligten am 2.Punischen Krieg und Senators Cato des Älteren (geb. 234 v.Chr. † 149 v.Chr.), der in seinem 5.Band den 2.Punischen Krieg beschreibt. Titus Livius hatte auch die senatorische Geschichtsschreibung und das Staatsarchiv zur Verfügung, dies heißt jedoch nicht in Schwarz-Weißmanier ein Entweder - oder aufzumachen zwischen objektiver Wahrheit und interessengeleiteter Verfälschung, sondern die Historiographie kritisch zu würdigen - in jede Geschichtsschreibung gehen auch Interessen ein. ich zitiere aus dem Wikipediabeitrag zu Titus Livius:"Was die Art und Weise der Quellenbenutzung betrifft, so war sein vorrangiges Interesse nicht Wahrheit im Sinne von Historizität, obwohl er als Quellen die Annalistik (senatorische Geschichtsschreibung, nach Konsulatsjahren geordnet) hinzuzog. In erster Linie war er als Mitglied des Maecenaskreises daran interessiert, die römische Selbsterneuerungsideologie, die Augustus offiziell in seine Politik aufgenommen hatte, zu propagieren. „Zusammenfassung des ideologischen Programms Livianischer Histografie: Römische Geschichte schreiben heißt, die bona exempla aufzuzeigen, die von echten Männern gegeben wurden, auf Grund von altüberkommener Lebensführung gegeben werden konnten...“ (Nachwort Robert Fege zu "ab urbe condita", Bd. 1, Reclam-Verlag, Stuttgart 2003). Dies entspricht einem Konzept der Geschichtsschreibung, das schon Platon in seiner Politeia propagiert. Die Forderungen des Polybios, das heißt ein kritisches Dokumentenstudium, Autopsie der Schauplätze und eigene politische Erfahrung, erfüllte Livius in den erhaltenen Teilen nicht. Wie er die Zeitgeschichte behandelte, ist nicht bekannt."


Es ist nicht vorstellbar, dass Polybios eine grobe Verfälschung der Kriegsschauplätze und des Ablaufs im 2. Jahrhundert BC vornimmt, abgesehen davon, dass ich sein Interesse warum er es tun sollte immer noch nicht erkennen kann.

Urban schreibt Polybios sei der einzige Gewährsmann für die Zusammenhänge des Ebrovertrages. Wer ihn unterzeichnet hat nennt er nicht.
Ist man sicher, daß der Vertrag in römischen Archiven vorhanden war?
Ralf Urban stellt die Existenz des Vertrages nicht in Frage (Roms Gallierkrieg 225–222 v. Chr. und der Ebrovertrag. In: Klaus Geus und Klaus Zimmermann: Punica – Libyca – Ptolemaica, Festschrift für Werner Huß, Leuven / Paris / Sterling VA 2001, S. 277–288), er gibt auch sofort am Anfang Quellen zum Ebrovertrag an wie Staatsverträge des Altertums, München 1969. Polybios ist meiner Ansicht nach geradezu gezwungen zum Ebrovertrag Stellung zu beziehen, weil er in der römischen Nobilität bekannt als Kriegsauslöser ist, und versucht die gescheiterten Absichten der Vertragsschließung zu verschleiern und von einer Gruppe um die Skipionen fernzuhalten, so seine These - und später im Text, dass sich natürlich damals in der römischen Öffentlichkeit die Frage stellte, wie es zu dieser Katastrophe kommen konnte (zugespitzt in Cannae), und die Hauptgegner Kelten und Karthager vereint in Italien vor Roms Haustür standen. Meiner Meinung nach ist es also genau umgekehrt: weil der Vertrag zu bekannt ist, konnte er nicht verschwiegen werden - er sprach aus damaliger Sicht nicht für die römische Führung, die nicht weitsichtig genug erschien, sondern die Barkiden ungestört eine neue Machtbasis in Hispanien aufbauen ließen, und Zeit gaben von der See - zur Landmacht zu werden.
Es ist nur meine Meinung. Ich habe das nicht studiert. Es wurde aber anscheinend in der Geschichte schon immer aus bestimmten Gründen an der Wahrheit vorbeigeschrieben.
Natürlich hast du ein Recht auf deine Meinung, und auch eventuell ein Bauchgefühl - als wissenschaftliche Begründung für eine historische Auseinandersetzung reicht dies jedoch nicht aus. Niemand, auch kein Historiker geht heute davon aus, dass habe ich dir noch einmal am Beispiel Livius erklären wollen, dass in den historischen Quellen die Wahrheit stehen würde, kritische Würdigung heisst heute sie mit anderen Quellen zu vergleichen, mit archäologischen Funden zusammenzuschauen, gesellschaftliche Rahmenbedingungen und Wisssenszustände mit einzubeziehen, und die philosphischen und ideologischen Hintergründe mitzureflektieren. Trotzdem (oder gerade deswegen) bleiben sie Quellen unseres Wissens über diese Zeit.
 
Dies gibt mir Anlaß, ein paar Fehlaussagen in meinem Beitrag weiter oben zu korrigieren:
Scipio reiste lt.Polybios von Pisa nach Massilia in 5 Tagen. Da standen Winde und Strömungen wohl sehr günstig. In Massilia hielt er sich, nachdem der Versuch, Hannibal zu stellen, gescheitert war, nicht lange auf, sondern machte sich schleunigst auf den Rückweg nach Pisa, das er aber, gem. Polybius, erst "etwa zur gleichen Zeit" [wie Hannibals Alpenüberquerung] erreichte - da gings dann offenbar duetlich langsamer gegen Wind und Strömung zurück. Von Pisa begab sich Scipio umgehend "durch Etrurien" an den Po. Also nicht, wie ich zuerst vermutet hatte, via Genua, das sich damals scheinbar noch neutral verhielt und lt. WP erst 216 v.Chr. ins Bündnis mit Rom trat.
Welchen Weg Scipio "durch Etrurien" und anschließend über den Appenin nahm, ist unbekannt. Die Via Flaminia war zwar bereits ausgebaut, bedeutete aber einen Riesen-Bogen nach Osten. Je nachdem, wo hineichend gängiger Übergang zwischen der Via_Cassia (Pisa-Florenz-Arezzo-Rom) und der Via_Flaminia bestand, betrug die Strecke nach Piacenza 600-700 km, also mindestens einen knappen Monat. Deutlich kürzer (330 km) wäre die Strecke über den Futa_Pass (Florenz-Bologna), aber sie führte quer durchs Boier-Territorium, deren Loyalität sich Scipio kaum sicher sein konnte. Für den noch etwas weiter westlich gelegenen Passo_della_Porretta (275 km), eine der hypothetischen Routen für Hannibals Appeninüberquerung zum Trasimenischen See, gilt ähnliches. Relativ sicher, und als alte etruskische Handelswege vielleicht auch einigermaßen gut passierbar, dürften die knapp 400 km langen Routen entlang des oberen Arnotals Richtung Forli oder Faenza gewesen sein.
Welchen Weg auch immer Scipio nahm - Polybios beschreibt Hannibal ähnlich erstaunt ob der raschen Appeninüberquerung, als umgekehrt Scipio über Hannibals Alpenübergang. So richtig damit gerechnet, dem anderen noch im Herbst in der Poebene zu begegnen, hatte scheinbar keiner der Beiden.

Ich denke du kannst ohne weiteres vom kürzesten Weg ausgehen - inzwischen, nach der Belagerung Mutinas und der 4.Legion unter dem Prätor Lucius Manlius durch die Boier, wurden sofort die eigentlich für Publius Cornelius Scipio gedachte Legion mit 5000 Bundesgenossen mit dem Prätor Gaius Atilius direkt ins boische Gebiet geschickt., ohne Konfrontation kam dieser bis Tannetum, weil die boischen Gegner sich zurückgezogen hatten. Der eben genannte Konsul Publius übernimmt diese dann bei seiner Rückkehr von der Rhone. Rom hatte also durch eine direkte Besetzung und Verlegung starker Kräfte die Lage zumindestens südlich des Padus wieder beruhigt und konsolidiert (Polybios 3, 40, Liv 21,40).
Tannetum scheint das heutige Taneto zwischen Parma und Reggio zu sein. Vielleicht ein Anhaltspunkt, über welchen Appeninpass der Konsul Publius nach Norden ging.
Kurz zu Genua: es scheint eine etruskische Stadtgründung zu sein, falls dies im 3.Jahrhundert noch etruskisch war, gehörte sie zum Bundesgenossensystem Roms. Das Problem ist das ligurische Hinterland, dass meines Wissens fest in der Hand ligurischer Stämme war.
@Augusto: was hälst du vom Cisa-Pass, italienisch Passo della Cisa?
 
Kann man da so sicher sein, daß er alles akribisch mit Quellen abgeglichen hat.
Polybios war einer der penibelsten Autoren überhaupt. Er kritisierte in seinem Werk (oft recht polemisch) immer wieder sogar winzigste Fehler, die er in anderen Werken fand (z. B. dass eine Stadt nicht durch das genannte Tor verlassen werden konnte, weil es in die falsche Richtung führen würde) und schickte anderen Historikern Briefe, in denen er sie auf Fehler, die er in ihren Werken entdeckt hatte, hinwies. Da konnte er sich selbst erst recht keine Blöße erlauben.
 
Ich denke du kannst ohne weiteres vom kürzesten Weg ausgehen. (..)
Tannetum scheint das heutige Taneto zwischen Parma und Reggio zu sein. Vielleicht ein Anhaltspunkt, über welchen Appeninpass der Konsul Publius nach Norden ging.
@Augusto: was hälst du vom Cisa-Pass, italienisch Passo della Cisa?
Taneto liegt an der Enza, insofern hatte ich zunächst an den enzaaufwärts liegenden Passo del Lagastrello, etwas östlich vom Passo della Cisa, gedacht. Beide teilen die selben Probleme - die Route führt durch das Gebiet der ligurischen Apuaner, die erst mit der Gründung von Luna 177 v. Chr. unter römische Kontrolle gerieten. Polybius spricht explizit vom Weg "durch Etrurien" - ob er darunter auch apuanisches Gebiet verstand, wage ich zu bezweifeln.
Ich denke, wenn man schon eine frisch erbaute Colonia in Modena hat, dann bietet sich diese auch als Zwischenstation nach der Appeninüberquerung an. Der kürzeste Weg dorthin führt über San Pellegrino in Alpe (1,630 m), beschrieben als "klassischer Entsafter in der Geschichte des Giro d’Italia". 1.630m hoch, Mitte Oktober, als Hannibal in den Alpen im Schneegestöber versinkt - ich denke, den können wir auch streichen.
Nee, nee - gemütlich über den 930m hohen Passo della Porretta, den Reno runter bis knapp westlich Bologna (sich dort noch mal blicken lassen, schadet ja vielleicht auch nicht), und dann über Modena nach Piacenza. So 300 km, zwei Wochen Marsch - paßt schon.
 
Der französische WP-Artikel zur Alpenüberquerung, übrigens absolut lesenswert und sehr viel detaillierter als sein deutsches Pendant, nimmt folgende Bestandsaufnahme vor, die ich auszugsweise wiedergebe:
https://fr.wikipedia.org/wiki/Passage_des_Alpes_par_Hannibal
Les rares représentations d'éléphants découvertes dans les Alpes franco-italiennes sont associées à des datations incompatibles avec le IIIe siècle av. J.-C. (..) Une autre représentation dans la « grotte de l'éléphant » dans les gorges du Toulourenc (Drôme) est couverte d'un voile de calcite, et est très ancienne, probablement du paléolithique[29].(..)
[Bei Sestrieres] Le creusement d'une tranchée par des résistants italiens a mis au jour divers objets, dont des torques celtes, probablement de l'âge du fer, et une surprenante défense d'éléphant. La période de conflit rendait impossible des recherches archéologiques, et les objets ont été dispersés, seul leur dessin a subsisté (..) Sa provenance peut avoir plusieurs origines ; elle peut avoir été rapportée par des mercenaires celtes engagés à Carthage ou dans les royaumes hellénistiques[30]. Sa disparition interdit toute étude sérieuse.(..)
Aimé Bocquet fait un rapprochement entre les plus anciennes monnaies allobroges ornées d'une tête de cheval, datées de 130/120 av. J.-C., et un modèle de monnaie punique de Sicile en usage vers 300 av. J.-C., portant également un profil de cheval. Il interprète cette similitude comme l'imitation de monnaies laissées par les soldats d'Hanniba (..) Dans le même type de rapprochement, Geoffroy de Galbert affirme que les deux tombes de chefs celtes de la période de la Tène II et les quatre grands foyers d'incinération, découverts en 1910[32], sont les témoins de combats qui les auraient opposés à Hannibal à la combe de Voreppe[33].
Kurzfassung, für die nicht des Französischen Kundigen:

  • Die seltenen Elephantendarstellungen in den Alpen passen zeitlich nicht. Die Höhlemalerei der "Elefantengrotte" an der Drome hat einen Calcitüberzug, der hohes Alter, wahrscheinlich paläolithisch, anzeigt.
  • Bei Sestrieres fanden italienische Widerstandskämpfer 1944 bei der Anlage von Schützengräben eisenzeitliche keltische Halsringe (torque), sowie eine Schutzpanzerung für Elefanten. Die Funde wurden zwar kurz beschrieben, aber nicht genauer untersucht, und gingen in den Kriegswirren verloren. Elefantenpanzerung mag auch über andere Wege (keltische Händler mit Karthago, hellenistischer Einfluß) in die Region gelangt sein.
  • Allobrogische Münzen von ca. 130/120 v. Chr. tragen karthagische Motive und werden als Imitation dort von Hannibal hinterlassener Münzen gedeutet. Ausgrabungsfunde (zwei Häuptlingsgräber an der unteren Isere, vier große Haufen verbrannter Leichen nahe des Isere-Emgpasses von Voreppe, NNW Grenoble) korrespondieren mit der von Polybios gelieferten Routenbeschreibung.
Dazu
https://de.wikipedia.org/wiki/Hannibals_Alpenüberquerung
Am Kleinen St. Bernhard soll laut Maximilien Henri de Saint-Simon, zitiert nach Cecil Torr 1924, im 18. Jahrhundert ein Elefantenskelett gefunden worden sein. Es gibt Berichte von gefundenen Helmen und Wurfspeeren im Verdontal. Auch wird von kathargischen Münzen nahe Saint-Jean-de-Maurienne gesprochen. All diese Meldungen sind nicht belastbar.[5][6]
Das ist nicht viel, aber mehr als gar nichts. Zu den Scheiterhaufen bei Voreppe sei angemerkt, daß die Lage nicht mit Polybios Entfernungsangaben übereinstimmt. Hierzu vorweg:
Seine Angaben zu Entfernungen stimmen in etwa bis auf die letzte Strecke von Narbonne zur Rhone.
Neu Carthago-Ebro = 2600 Stadien (520 km) Google 480 km
Ebro-Emporium = 1600 Stadien (320 km) Google 313 km
Emporium-Narbonne = 600 Stadien (120 km) Google 150 km
Narbonne-Rhone 1700 Stadien (340 km) Google bis Avignon 180 km, bis Orange 190 km, Valence (d’Isère) 290 km. Hier hat er sich gewaltig vertan.
Als Angabe für die Entfernung zur Rhone finde ich 1.600 Stadien. Der Bezugspunkt scheint in der Literatur umstritten - teilweise wird dort Emporium statt Narbonne angenommen, womit dann die Entfernung bis zur Rhone zum vermuteten Übergang westl. Avignon/ Orange wieder stimmt (hier wäre ein Blick in das Original hilfreich, um Übersetzungsfehler auszuschalten). Angemerkt sei auch, daß die Stadie kein exaktes Maß ist, und ihre Länge zwischen knapp 180m und etwas über 200m schwanken kann.
Hier Polybios weitere Entfernungsangaben*:

  • Rhonemündung - Rhoneübergang 4 Tage: Vermutlich ist der westlichste Rhonearm, dem Hannibal folgte, gemeint. La Grande-Motte - Avignon sind gut 80 km, das würde in etwa passen.
  • Rhoneübergang - "Insel" 4 Tage Eilmarsch: Die "Insel" wird allgemein als das Land zwischen Rhone und Isére angenommen. Nach ihrem "Bogen" über Lyon nähert sich die Rhone der ziemlich geradeaus nordöstlich fließenden Isére bei Chambery wieder auf unter 40 km, bei Berücksichtigung von Nebensystemen (Lac du Bourget) noch sehr viel weniger, an. Chateauneuf-du-Pape - Valence sind etwa 110 km, in Eilmärschen (zu solchen gab es, mit Scipio auf den Fersen, durchaus Anlaß) in 4 Tagen zu schaffen.
  • Rhoneübergang - Fuß des Alpenpasses 1.400 Stadien (250-280 km) / Weg entlang der Isere bis zum Alpenanstieg 800 Stadien (135-160 km): Sollten sich "Fuß des Alpenpasses" und "Alpenanstieg" auf den selben Ort beziehen, hätten wir indirekt Bestätigung dafür, daß Polybius den Beginn der Insel tatsächlich etwas nördlich Valence an der heutigen Mündung der Isere an die Rhone verortete. Bis Albertville (340m ü. NN) verläuft die Isere mit wenig Gefälle durch die Ebene bzw. ab kurz vor Grenoble durch ein weiträumiges Tal. Valence-Albertville sind ca. 180 km, Chateauneuf-du-Pape - Albertville ca. 300 km, beides etwas zu lang im Vergleich zu Polybios Angabe.
    Das vorgenannte Voreppe liegt nur etwa 80 km aufwärts der Iseremündung und paßt nicht zu Polybios Zahlen, auch Grenoble (100 km) scheint zu nah. Nimmt man an, Polybios hätte den Drac für den Oberlauf der Isere gehalten, kommt man in 135-160 km Entfernung von der Iseremündung in die Gegend von La Mure. Die diversen Aufstauungen des unteren Drac erschweren weitergehende topographische (und archäologische) Analyse. Das Tal der Romanche ist bis etwas südlich Le Bourg-d’Oisans (720m Höhe, ca. 150 km von Valence) gut gängig. An der oberen Isere wäre die Region um Montmélian (lt. frz. WP von kelt. mediolanum "heiliger Ort"), unweit der Mündung der Arc (Savoie), ein plausibler und mit Polybios Entfernungsangabe kompatibler Ort, ab dem die Kelten der "Insel" Hannibal auf eigene Faust weiter marschieren ließen.
  • Fuß des Alpenpasses-Paßende (oder Poebene) 1.200 Stadien (200-240 km): Die Übersetzung* "the length of the actual pass which would bring Hannibal down into the plain of the Po" ist bezüglich des Endpunkts mehrdeutig - hier mag ein Blick ins Original weitere Aufklärung bieten.

Nun Bewertung der in Frage kommende Wege:

  • Kleiner St. Bernhard: Albertville-Ivrea sind gut 210 km, passend zu Polybios Entfernungsangabe. Für das erste bei Polybios beschriebene Scharmützel mit den Allobrogen kämen alternativ die Engstelle von Feissons-sur-Isère, oder die vor Moûtiers in Frage. Letzgenannter Ort, als Darantasia auf der Tabula Peutingerania verzeichnet, ist gut als der von Polybios beschriebene regionale Hauptort vorstellbar. Der zweite Angriff wäre dann vor Bourg-Saint-Maurice am Paßfuß erfolgt - die Topographie von Bellentre, 10 km vor Bourg-Saint-Maurice, paßt, und der Namen mutet keltisch an. Allerdings müßte Hannibal schon ziemlich gebummelt haben, um die von Polybius angegebenen 6 Marschtage zwischen beiden Scharmützeln zu benötigen. Außer dem nicht nachprüfbaren Bericht aus dem 18. Jhd. über den Fund eines Elefantenskellets scheinen für diese Variante keine stützenden archäologischen Funde vorzuliegen [hat mal jemand Môutiers auf eisenzeitliche Zerstörungshorizonte geprüft?].
  • Maurienne (Tal der Arc) - Susatal: Hier stehen mit dem Mont Cenis (2.083m), dem Col de Clapier (2.488 m) und dem nahegelegenen Übergang am 2.450m hoch gelegenen Lac de Savine gleich drei Pässe zur Auswahl. Der Clapier bietet den Vorzug freien Blicks in die Poebene, wäre wegen seiner Höhe aber bei bevorstehendem Wintereinbruch nicht meine erste Wahl - nun gut, ich bin nicht Hannibal. Selbst wenn man den Ausgangspunkt etwas vor der Arc-Mündung bei Montmelian ansetzt, bleibt die Strecke bis in die Poebene (Rivoli) mit 180 km unter Polybios Angaben. Eng wirds das erste Mal vor Saint Michel de Maurienne, knapp 70 km hinter Montmelian, und zu weit für nur einen Tagesmarsch bis zur ersten Blockade durch lokale Kelten. Ein weiteres Problem ist, daß alle Pässe nach Süden gehen, was die berichteten Firnfelder nach dem Paßübergang unwahrscheinlich macht.
  • Romanche-Durance-Susatal: Wenig diskutiert. Erfordert zwei Paßübergänge Col du Lautaret (2.058 m) zur Durance (Briancon), und Col de Montgenèvre (1.850 m) ins Susatal. Beide sind aber verhältnismäßig niedrig, und erfordern keinen allzu tiefen Zwischenabstieg - Briancon liegt auf knapp 1.400 m. Hier macht weniger die Lokalisierung von Engstellen, als von Kandidaten für den von Hannibal zerstörten keltischen Hauptort Probleme. Mit gut 160 km ist die Strecke ebenfalls zu kurz. Sestriere, wo 1944 der vermeintliche Elefantenpanzer gefunden wurde, liegt nahe des Col de Montgenevre.
  • Drac-Durance-Poebene: Der Übergang vom Champsaur, dem oberen Dractal, ins Bassin der Durance führt über den Col Bayard (1.248 m) oder den Col de Manse (1.269 m) - beides eher "peanuts" im Vergleich zum Alpenhauptkamm. Problematischer sind da schon die Schluchten am Eingang zum Champsaur, die heiße Kandidaten für den von Polybios beschriebenen Engpaß darstellen. Von der Durance führen diverse Wege in die Poebene - von Norden nach Süden u.a. der vorbeschriebene Col de Montgenevre, der Col de Malaure (2 536 m, mit Blick in die Poebene) zum Tal der Pellice, der Col de la Traversette (2.947 m) ins obere Po-Tal, der Col Agnel (2.744 m) ins Varaita-Tal, der Col de Mary (2 613 m), zur Maira, und schließlich der Col de Larche (1.991 m) zur Stura di Demonte. Alle vorgenannten Routen, so weit in Google Maps überprüfbar, liegen im Bereich der von Polybios genannten 1.200 Stadien (200-240 km).
Die Drac-Route scheint mir am besten zu Polybios Beschreibung zu passen.

* zitiert aus http://penelope.uchicago.edu/Thayer/E/Roman/Texts/Polybius/3*.html
 

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Mit "surprenante défense d'éléphant" ist m.E. ein Stoßzahn und nicht eine Schutzpanzerung gemeint.
 
Vielen Dank Augusto für dies Fleissarbeit! Sehr anregend auch die einzelnen Fundhinweise. Den Allobroger-Münzen werde ich einmal nachgehen - es machte Lust eine frühherbstliche Wanderung auf französisch-italienische Alpenpässe zu unternehmen.
Anregung noch von mir:
Zu den Bergbewohnern: ich hatte Titus Livius zitiert, der von einer ähnlichen Sprache wie die Gallier schreibt - deswegen meine Überlegung, ob dies Salasser sein könnten - ich muss die Quelle noch einmal suchen, aber ich habe gelesen, dass die Salasser Überrest der Golasecca-Kultur waren mit der lepontischen Sprache, die festlandkeltisch war, weil ursprünglich während der Urnenfelderzeit / Bronzezeit eine transalpine Einwanderung in Norditalien aus dem Nordwesten stattgefunden habe (13.Jahrhundert BC). Die Salasser hätten sich vor den Kelten des 5./4. Jahrhunderts in die Alpen zurückgezogen (z.B. Südschweiz, Piemont). Soweit erinnere ich mich.
Kann jemand mehr sagen?
 
Mit "surprenante défense d'éléphant" ist m.E. ein Stoßzahn und nicht eine Schutzpanzerung gemeint.
Mit dem Begriff habe ich gekämpft, und keine eindeutige Übersetzung gefunden - haben wir hier Muttersprachler an Bord, die helfen könnten?
Stoßzahn ist nicht unplausibel. In dem Fall wäre auf den Fund von Sestrieres ohne weitergehende (wohl nicht mehr mögliche) Untersuchung nicht viel zu geben - Stoßzähne mögen auf diversen Wegen in die cisalpine Gallien gelangt sein.
Zu den Bergbewohnern: ich hatte Titus Livius zitiert, der von einer ähnlichen Sprache wie die Gallier schreibt - deswegen meine Überlegung, ob dies Salasser sein könnten.
Die Salasser werden v.a. im Aostatal lokalisiert. Wie weit ihr Siedlungsgebiet darüber hinausreichte, ist unklar. Man versucht, ihre Sprache aus dem aktuellen valdostanischen Dialekt und Toponymen zu erschließen. Man hat dort keltische Wurzeln wie borna "Loch" und ussel "Anhöhe" festgestellt, andere Wurzeln wie barma "Felsüberhang" werden ligurisch gedeutet.
Schöne Zusammenfassung, mit Quellenangaben zur weiteren Spurensuche, bietet das französische WP:
https://fr.wikipedia.org/wiki/Salasses
Die Salasser sind deswegen relevant, weil T. Livius explizit sagt, Hannibal sei nicht durchs Gebiet der Salasser, und somit nicht über den Kl. St. Bernhard, gezogen.
Es gibt einige wesentliche Unterschiede zwischen Polybios und T. Livius:

  • Lt. Polybius folgte Hannibal von der "Insel" einem Nebenfluß der Rhone (wohl der Isére) aufwärts. Nach T. Livius dagegen wendete er sich nach der Intervention in den Thronkonflikt auf der "Insel" nach links zur Durance. Sofern T. Livius nicht rechts und links vertauschte, impliziert die Richtungsangabe, daß Hannibal zunächst wieder rhoneabwärts wanderte und erst von dort den Weg zur Durance einschlug. Dies bringt die ebenfalls diskutierten Routen entlang der Drôme (Rhône) und der Eygues ins Spiel.
  • Nach Polybios erreichte Hannibal die Poebene im Gebiet der Insubrer, nach T. Livius im Gebiet der Tauriner. Beide Gruppen sind ähnlich nebulös wie die Salasser, und die Tatsache, daß die Hauptbeschreibungen jeweils von T. Livius und Polybios stammen, hilft zur Aufklärung dieses Unterschieds auch nicht wirklich weiter. Die Tauriner werden darüber hinaus öfter mit den norischen Tauriskern und den "Hohen Tauern", darüber hinaus auch mit dem anatolischen Taurusgebirge, in Verbindung gebracht, und bieten hohes Potential für einen weiteren "Veneter-Thread".
Die vorgenannten Differenzen zwischen Polybios und T.Livius haben einige Forscher zu der Annahme gebracht, Hannibal hätte seine Truppen nach der Intervention auf der "Insel" zumindest zeitweise geteilt, und Polybios und T. Livius beschrieben die Wege unterschiedlicher Teilheere. Ich habe mir, weil ich T.Livius noch nicht im Detail studiert habe, dazu noch keine endgültige Meinung gebildet. Ich würde aber anraten, zunächst jeden der beiden als eigenständige Quelle zu bewerten, und keine voreilige Vermischung (z.B. Anwendung von Polybios Entfernungsangaben auf T. Livius Routenangaben) vorzunehmen.

Noch eine Anmerkung zu den Allobrogen: Die Tatsache, daß in Caesars Zeit ihre Hauptstadt in Vienne an der mittleren Rhone lag, hat viele dazu verleitet, die Bewohner der "Insel" mit den Allobrogen gleich zu setzen. Ich denke, dies ist falsch. Polybius gibt den Bewohnern der Insel kein Ethnonym. Er beschreibt:
"the Carthaginians being not at all easy on the subject of their passage through the territory of the Allobroges, he [der mit Hannibals Hilfe siegreiche Thronaspirant] protected them in the rear with his own forces and enabled them to reach the foot of the pass in safety. (..) For as long as they had been in flat country, the various chiefs of the Allobroges had left them alone, being afraid both of the cavalry and of the barbarians who were escorting them. But when the latter had set off on their return home, and Hannibal's troops began to advance into the difficult region, the Allobrogian chieftains got together a considerable force and occupied advantageous positions on the road by which the Carthaginians would be obliged to ascend."
Hier wird also klar zwischen den Hannibal eskortierenden "barbarians" von der "Insel", und den Allobrogen unterschieden. Leztere treten irgendwo ab der mittleren Isére, und dann in der ersten Phase des Alpenanstiegs, bis zur Zerstörung ihres Hauptorts durch Hannibal, ins Blickfeld. Beim zweiten Scharmützel direkt vor dem Paßübergang benutzt Polybios das Ethnonym "Allobrogen" nicht mehr.
Ich würde mal annehmen, daß interne Streitigkeiten auf der "Insel" und die offensichtlich nicht allzu freundschaftliche Beziehung zwischen den Allobrogen an der Isére und der Führung der "Insel" irgendwann zwischen Hannibal und Caesar dazu führten, daß die Allobrogen auch Kontrolle über die "Insel" gewannen.
Polybios Nennung der Allobrogen im Zusammenhang mit dem ersten Scharmützel ist übrigens ein wesentliches Indiz für eine der Nordrouten
(Kl. St. Bernhard, Arc, Romanche). Am oberen Drac siedelten nach vorherrschender Meinung, gestützt auf Strabon, nicht die Allobrogen, sondern die Tricorii, als dessen Hauptort Gap angenommen wird.
Hier sei aber auch angemerkt, daß zu Caesars Zeit das obere Isére-Tal und der Kl. St. Bernhard nicht von den Allobrogen, sondern von den Ceutronen bewohnt wurde (heut. Centron bei Môutiers wohl Forum Claudii Ceutronum, Inschriftenfunde in Aime, ident. mit CENNI des Trop. Alpium?). An der Arc siedelten die Meduller, deren Name im Ortsname Modane am Fuß des Mt.Cenis-Passes fortleben mag.
Als weitere kelto-ligurische Gruppe, die uns noch bei T. Livius begegnen wird, seien die Caturiger an der oberen Durance um Chorges (Caturimagus) und Embrun (Eburodunum) erwähnt. Wie weit ihr Einflußbereich reichte, ist unklar. Das Tropaeum Alpium* nennt die Brigiani (Briancon) separat. Die dort ebenfalls verzeichnete Vesubianer werden teilweise am Durance-Nebenfluß Ubaye lokalisiert, andere sehen sie eher an der Vésubie (Var). Die Edenaten mögen um Seyne gesiedelt haben.

*Übrigens sehr schön als "römischer Routenplaner" zu lesen: Ausgehend von Brig (Brixentes) ging es über Simplon oder Gotthard zu den Lepontiern, dann wieder zurück ins Wallis, wo nacheinander Uberer[13], Nantuaten[14], Seduner[13], und Veragrer an die Reihe kamen, dann über den Großen St.Gotthard die Salasser im Aostatal. Die anschließenden Acitavonen sind nichrt lokalsiert- ich könnte mir sie mir etymologisch vor dem Colle dell'Autaret, der vom oberen Arc-Tal ins Valle di Viù führt (übrigens eine auch gelegentlich für Hannibal diskutierte Variante) vorstellen. Militärisch-geographisch macht anschließende Eroberung der Täler zwischen Aosta- und Susatal (letzteres schon unter Caesar unter röm. Kontrolle gelangt) auf jeden Fall Sinn. Der anschließende Weg führte an die Arc (Meduller), Isére (Cenni), wohl durchs Allobrogerland an die Durance (Caturiger und Brigiani), und dann duranceabwärts zu Sogontiern (Sisteron) und Brodiontikern (Digne-les-Bains).
 
Mit dem Begriff habe ich gekämpft, und keine eindeutige Übersetzung gefunden - haben wir hier Muttersprachler an Bord, die helfen könnten?
Stoßzahn ist nicht unplausibel. In dem Fall wäre auf den Fund von Sestrieres ohne weitergehende (wohl nicht mehr mögliche) Untersuchung nicht viel zu geben - Stoßzähne mögen auf diversen Wegen in die cisalpine Gallien gelangt sein.

Gib bei Google "défense d'éléphant" ein und du wirst sehen dass da lauter Stoßzähne auftauchen. Ich bin zwar kein "französischer Muttersprachler" aber auf spanisch nennt man das auch so und ich denke nicht, dass es sich um ein "falschen Freund" handelt.

Stoßzähne mit punischen Inschriften hat man übrigens auch in der Nähe von Cartagena gefunden (im Mar Menor). Das kann schon eine Handelsware gewesen sein. Wozu sollte man jedoch eine Rüstung für Elefanten einführen, wenn man keine Elefanten hat?
 
Pferde können auch ausgezeichnet schwimmen, und trotzdem, wenn ein Gewässer zu tief zum waten war, hat man in der Vergangenheit stets versucht, Kavallerie über Brücken zu führen oder mit Fähren überzusetzen.
 

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Zu den erwähnten Gentes Salasser, Tauriner, Allobrogern
Bei den Salassern habe ich mich tatsächlich verlesen, sie stehen in keinem Zusammenhang mit der Golaseccakultur. Mir war bei Livius aufgefallen, dass er die Sprache der Bergbewohner als der Gallischen ähnlich bezeichnet (21,32), Polybios erwähnt dies nicht, da der Gegner bei ihm die als Kelten bezeichneten Allobroger sind (für die ersten Kämpfe am Alpenrand, bei den folgenden Auseinandersetzungen gibt er keine namentliche Bezeichnung der Gegner, Pol 3,50-53)). Ich hatte mich an die Golaseccakultur erinnert, die durch eine frühe Migration in der Urnenfelderzeit nach Norditalien entstanden ist, und die lepontische Sprache (ein Zweig des festlandkeltischen, protogallisch) gesprochen hatte. https://books.google.de/books?id=7T...IVARIsCh1RHwHb#v=onepage&q=lepontisch&f=false
"Rückzugsgebiet" der Golaseccakultur war die südliche Schweiz, Tessin, nachdem es zur Eroberung der Poebene durch keltische Stämme im 5./4.Jahrhundert BC gekommen ist. Die Lepontier stimmen aber nicht mit den Salassern überein, das Lepontische kann daher nicht die dem gallischen ähnliche Sprache gewesen sein. Bei Demandt werden die Salasser erwähnt, dass sie nicht nur den Großen St.Bernhardpass sondern auch den Col du Clapier beherrschten (Demandt, S.90, die Kelten), der ein Alpenübergang der möglichen Hannibalrouten ist. Keltoligurisch würde zu deiner Beschreibung des valdostanischen Dialekts passen.
Zu den Taurinern, die anscheinend auch Turin seinen Namen gegeben haben, und die bei Polybios erst später erwähnt werden (3,60, Liv 21,38-39)), weil Hannibal sie versucht zum Bündnis zu bewegen, was scheitert, erobert er ihre wichtigste Stadt, zählt Birkhan (Kelten, S.99) zu einer ligurischen Vorbevölkerung, die sich gegen die keltische Eroberung behaupten konnte. Sie werden daher wahrscheinlich auch nicht die Bergbevölkerung sein, die mit dem karthagischen Heereszug in Gefechte verwickelt war. Bei Strabon findet sich ein Fragment aus Buch 34 des Polybios, dort erwähnt er nur vier Pässe durch die Alpen (Strab.4,6,12), "einen durch das Taurinerland, den Hannibal wählte". Später in der Geschichtsschreibung tauchen keltoligurische Könige im Susatal auf, namentlich Donnus und Cottius, die bis in augusteiische Zeit ihre Unabhängigkeit wahren konnten, und trotzdem in einem Vertragsverhältnis mit dem römischen Reich gestanden haben, da über dieses Gebeit die wichtige Via Domitia über den Col du Montgenevre verlaufen ist und der Zugang zum Mont-Cenis-Pass ist. https://de.wikipedia.org/wiki/Susa_%28Piemont%29
Bisher habe ich keine Quelle gefunden, die eine Bezeichnung dieses Stammesverbands wiedergibt.
Zu den Allobrogern:
Kurz nachdem ich geschrieben hatte, dass ich Livius Version folgen würde, dass Hannibal schon an der Rhone auf die Allobroger (Streit der Brüder) getroffen wäre, kamen mir auch Zweifel - Livius kann natürlich ihm bekannte politisch-geographische Verhältnisse übertragen haben. Der Sitz der Allobroger ist auch für die frühere Zeit bekannt und belegt,
die in mehreren Schlachten (Schlacht von Vindalum, heute Port de la Traille 122 v.Chr.; zusammen mit den Arvernern 121 v.Chr. an der Iseremündung) von konsularischen Armeen geschlagenen Allobroger werden in das römische Einflussgebiet und die spätere Provinz Narbonensis integriert.
Natürlich bleibt zwischen den Erwähnungen bei Polybios und diesen Ereignissen im Zuge der Eroberung Südgalliens 125 - 121 BC Zeit genug für eine Veränderung des Siedlungsraums der Allobroger, dazwischenliegende frühere Quellen fand ich nicht, auch keine archäologischen Funde, die den Siedlungsraum erkennen lassen. Rom intervenierte offiziell aus zwei Gründen gegen die Allobroger: einmal weil diese flüchtige Kriegsgegner von den Salluviern aufgenommen hatten und nicht auslieferten, und auf Bitten der in einem lockeren Freundschaftsverhältnis (Hospitum publicum, siehe Dobesch ausgewählte Schriften) stehenden Häduer, wahrscheinlich seit 154 oder 157 v.Chr. bestehendes Vertragsverhältnis. Nach dem zweiten punischen Krieg und der Eroberung Norditaliens gegen ligurische und gallische Stämme ist die römische Außenpolitik in nördlichere Gebiete vorgestoßen (Freundschaftsvertrag mit Noricum vor 170 BC), Verträge mit aquitanischen Stämmen: beide Verträge weisen auf wichtige Handelsrouten (Bernsteinstraße nach Aquileia im Osten und eine Route zum Zinnhandel entlang der Garonne über Tolosa. Im 2.Jahrhundert BC bis zum Krieg mit den Römern waren die Arverner die principes galliae, und verschiedene Gentes waren ihre Klientel und Bündnispartner, unter anderem die Rutener, Volcae und Allobroger. Wenn eine Art Schutzbündnis mit den Allobrogern bestanden hat, war der römischen Politik bewusst, dass sie damit den ersten Stamm Galliens herausfordern mussten - mit der Einkerkerung des arvernischen Königs Bituitus ( :still: ) und seines Sohnes auf Alba schwächte man bewusst die stirps regia der Arverner und protegierte eine römerfreundlichere Fraktion - das Königtum war de facto außer Kraft gesetzt. Dieser kleine Exkurs sollte zeigen, dass Gallien nicht vom 2.punischen Krieg bis zum gallischen Krieg Julius Cäsars ein geographischer Raum war, der jenseits römischer Interessen lag, sondern eine der Einflusszonen römischern Außenhandels und Politik war.
Im Anhang noch ein Text im Kern zur römischen Politik in den Ostalpen, der jedoch auch am Rand die Politik in den Westalpenraum mit einbezieht.
http://www.academia.edu/6827120/Die_Roemer_auf_den_Paessen_der_Ostalpen
 
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