Hinrichtungen unter Varus in Germanien

Xander

Aktives Mitglied
Moin

In der Fernsehreihe "Die Germanen" wird an einer Stelle auf zahlreiche Hinrichtungen von Germanen unter Varus hingewiesen.

Dieses harte Vorgehen Varus soll der Anlass für Arminius Umdenken gewesen sein.

Sind die Hinrichtungen irgendwie überliefert, oder ist das nur ein spekulativer Rückschluss über tausend Ecken? :grübel:

Gruß
Andreas
 
Also, erstmal auf die schnelle fallen mir keine Belege ein, daher muss ich davon ausgehen, dass es ein spekulativer Gedanke ist, bis das Gegenteil erwiesen ist.

Allerdings möchte ich hier anführen, dass etwaiige Hinrichtungen zu erwarten sind.

Schließlich war Publius Quinctilius Varus vor seiner Statthalterschaft in Germanien, Statthalter von Syrien, wo er mit drei Legionen nicht nur eines der stärksten Aufgebote befehligte, sondern auch die Gerichtsbarkeit ausübte.
Den Aufstand in Palästina schlug er schnell und erbarmungslos nieder und ließ danach mutmaßlich 2000 Aufständische Kreuzigen.
Dass er seine in Syrien gewohnten Verhaltensmuster einfach abgelegt hätte als er nach Germanien beordert wurde dürfte doch als recht unwahrscheinlich gelten.
Daher halte ich es für mehr als Wahrscheinlich, dass er seinen Rechtssinn und sein Rechtsempfinden mit nach Germanien brachte, wo die "Todesstrafe" in diesem Sinne nicht existierte, schon gar nicht in allen Bereichen, in welchen das römische Recht sie vorsah.
Es sind also spekulative Rückschlüsse, allerdings nicht über Tausend, sondern lediglich über zwei Ecken, die darauf hindeuten könnten, das er die Germanen, eigentlich ein 'freies' Volk von 'freien Männern' in gewohnter Manier nach römischem Recht behandelte. So selbstverständlich wie in Syrien.

Gruß
WW
 
Belege dazu würden mich auch interessieren. Varus Aufgabe war es ja, eine Provinz und entsprechende Strukturen aufzubauen. Dazu gehörte auch die übliche Rechtssprechung. Der in besagter Dokumentation gezeigte Prozess, in dem Varus über Germanen zu Gericht sitzt und diese zum Tode verurteilt, passt irgenwie für mich nicht. Da fehlt der römische Ankläger / Geschädigte.

Ein römischer Statthalter war nicht für lokale Delikte zuständig. Das war Aufgabe der lokalen Städte oder Stämme. Varus hätte also diese lokale Gerichtsbarkeit stärken müssen und sich aus solchen Dingen raushalten. Nur wenn Römer angeklagt waren oder Ankläger waren, war er zuständig. Das mag in dem gezeigten Fall so gewesen sein, wurde aber nicht so dargestellt. Darüber hinaus war der Statthalter auch für Streitigkeiten zwischen den einzelnen Civitates zuständig, oder wurde oft vom lokalen Adel zur Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Honoratioren gebeten.

Für Streitigkeiten unter Germanen war er aber ansonsten schlichtweg nicht zuständig! Um die Klagen von Römern entgegenzunehmen reisten die Statthalter wie später auch die karolingischen Kaiser von Gerichtsstand zu Gerichtstand, um Recht zu sprechen. Auf genau so einer Reise ins Gebiet der Cherusker war Varus angeblich, als es zur Katastrophe kam. Wobei es etwas verwundert, warum er dazu in einer "befriedeten" Provinz 3 Legionen mitnimmt. Üblich wären 500-1000 Mann Singulares gewesen. Ganz so friedlich kann es also noch nicht gewesen sein, oder Varus hatte in diesem Sommer im Osten noch Anderes vor.

Das römische Rechtssystem war gerade nicht dazu geeignet, Unmut unter den eroberten Völkern zu schüren, da diese fast in allen Angelegenheiten ihre lokale Gerichtsbarkeit und ihre lokalen Gesetze behielten. Es würde mich wundern, wenn ein erfahrener Bürokrat wie Varus, das anders gehandhabt hätte. In Syrien hatte es Varus mit einer vollkommen anderen Situation zu tun. Dort schlug er einen Aufstand nieder, aber auch dort wird er sich kaum in lokale Angelegenheiten eingemischt haben, sofern die Sicherheit Roms nicht bedroht war.

Die Begründung, die Germanen hätten u.A. wegen der römischen Gerichtsbarkeit rebelliert scheint mir daher eher weit hergeholt. Es sei denn, sie hätten sich aufgeregt, daß sie in Prozessen gegen Römer (Steuereintreiber, Beamte, Soldaten, Sielder und Händler) schlechte Chancen hatten. Aber dafür fehlen die Belege und ein solcher Fall wurde in besagter Dokumentation auch nicht eindeutig dargestellt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Velleius Paterculus berichtet, dass Varus sich intensiv um die Rechtspflege gekümmert habe, aber von zahlreichen Hinrichtungen schreibt er nichts.

Cassius Dio führt als Ursache für die Unzufriedenheit der Germanen an, dass Varus sie allzu herrisch behandelt und Abgaben eingetrieben habe.

Lediglich Florus wirft dem Varus Grausamkeit (saevitia) vor, ohne das aber näher zu spezifizieren. Er erwähnt auch Varus' Interesse an der Rechtspflege und deutet an, dass die Germanen Varus' Jurisdiktion als grausam bzw. allzu streng empfunden hätten. Daraus kann man eventuell auf zahlreiche Hinrichtungen spekulieren. Allerdings ist Florus gerade hinsichtlich der Varusschlacht kein zuverlässiger Autor.
 
oder auf zu hohe Abgaben oder auf als zu belastend empfundene Auflagen etc.

Das schient mir der Hauptgrund gewesen zu sein. Die meisten Germanen sahen sich als Verbündete der Römer, die sie auch tatsäschlich waren. Dass ehemalige Feinde Roms in Germanien Tribute zu zahlen hatten, wurde wohl als normal empfunden. Aber von Provinz oder allgemeiner Steuerpflicht auch für Verbündete hatte ihnen Keiner was gesagt. Das ging natürlich mal gar nicht.

Dazu kam, daß die Germanen kaum steuerbare Überschüsse erwirtschafteten und die Römer das für Germanien ungeeignetste Finanzinstrument überhaupt zur Anwendung brachten: Steuerpächter (Publicani). Alternativ wäre damals eine Eintreibung über die Stämme möglich gewesen. Direkte Steuererhebung durch kaiserliche Beamte gab es erst später.

Wer sich da so selten dämlich angestellt hat ist unbekannt. Augustus, der zu hohe Erwartungen an Germanien stellte, obwohl ihm seine nahen Verwandten und Germanienkenner Tiberius und Drusus sicher von der lausigen Ertragslage berichteten? Varus, der die Ziele übererfüllen wollte? Oder die Publicani, die wie gewohnt in die eigenen Tasche wirtschafteten und deutlich mehr als gefordert eintrieben? Wahrscheinlich eine Kombination von Allem: Die Pachtverträge waren in Rom bereits zu hoch ausgehandelt worden, die Publicani schlugen noch ihren üppigen Gewinnzuschlag drauf, und Varus schritt warum auch immer nicht dagegen ein. Was die wenigsten Statthalter taten. Meist weil sie selbst gut daran verdienten.

Wir wissen es nicht. Ich vermute aber, daß hätten die Römer eine moderate Besteuerung mit Erhebung durch die Stammesfürsten eingeführt, wäre die Geschichte anders gelaufen. Möglich wäre es gewesen. Und in anderen Provinzen wurde es auch so praktiziert.

Aber die Gerichtsbarkeit? Nein, daran glaube ich nicht. Varus mag grausam gewesen sein. Aber wie gesagt, für das Meiste war er nicht zuständig und hatte auch nicht ausreichend Personal dazu. Fast jeder Germane wird, wie auch fast Alle Reichsbürger niemals einen Statthalter gesehen haben.

Die Publicani allerdings, die hat der gemeine Germane erlebt. Wie sagte der Anführer des Pannonieraufstands noch, als er zu den Gründen für ihren Krieg kurz vorher im jahre 6 n. Chr. befragt wurde: "Ihr hättet Hirten schicken sollen, um die Schafe zu hüten, aber es kamen Wölfe"

Ohne diese verdammten Publicani bereits in Pannonien hätten wohl 9 n. Chr. 12 Legionen in Böhmen gestanden und die Cherusker wären wohl kaum auf dumme Ideen gekommen.
 
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Aber die Gerichtsbarkeit? Nein, daran glaube ich nicht. Varus mag grausam gewesen sein. Aber wie gesagt, für das Meiste war er nicht zuständig und hatte auch nicht ausreichend Personal dazu. Fast jeder Germane wird, wie auch fast Alle Reichsbürger niemals einen Statthalter gesehen haben.
Vielleicht klafften allerdings auch Theorie und Praxis auseinander. Erkläre einmal als kleiner Germane dem Statthalter, dass er für Dich nicht zuständig sei und sich in Deine Rechtsangelegenheiten nicht einzumischen habe. So etwas konnte man sich als Bewohner einer hellenistischen Stadt herausnehmen, die über Rechtskundige und einen einflussreichen Patron in Rom verfügte - wie wir u. a. durch Plinius d. J. wissen, traten die Provinzialen gegenüber dem Statthalter durchaus selbstbewusst auf -, aber bei wem sollte sich der Bewohner eines frischunterworfenen Landes beschweren?
Dass Varus ein Faible für die Rechtspflege hatte, glaube ich, denn das wird auch vom Zeitgenossen (und zumindest teilweise Zeitzeugen) Velleius Paterculus berichtet. Gut möglich, dass er es tatsächlich übertrieb und den Einheimischen die Vorzüge der römischen Gerichtsbarkeit demonstrieren wollte oder es ihm einfach Freude machte, interessehalber möglichst viele Fälle an sich zu ziehen. Dass er nicht allzu feinfühlig im Umgang mit den Germanen gewesen sein soll, berichtet ja auch Cassius Dio.
Dass das allerdings der (hauptsächliche) Grund für den Aufstand war, bezweifle ich auch. Allerdings kann er durchaus dem einen oder anderen einflussreichen Germanen auf den Schlips getreten sein, indem er sich in dessen Rechtsstreit einmischte und anders entschied als nach dem germanischen Stammesrecht zu entscheiden gewesen wäre, den Germanen also um sein Recht brachte. Wenn sich Varus über die althergebrachten Rechtsordnungen hinwegsetzte, empfanden die Germanen das bestimmt als schwerwiegenden Eingriff in ihre Freiheit, die ihnen als "Verbündeten" zustand.

Dass übrigens "fast alle Reichsbürger" niemals einen Statthalter gesehen haben werden, glaube ich nicht unbedingt. Der Statthalter einer römischen Provinz saß nicht nur in der Provinzhauptstadt, sondern zu seinen Hauptaufgaben gehörte es, durch die Provinz zu reisen und Gerichtstage, die auch für Petitionen genutzt wurden, abzuhalten. (Von einem Präfekten Ägyptens wissen wir, dass er einmal in nur zwei Tagen mit über 1.800 Petitionen überhäuft wurde.) Er wird also in alle größeren Städte seiner Provinz gekommen sein, und seine Ankunft wird dort durchaus auf Interesse gestoßen sein.
 
Was bedeutet denn "zu hoher Steuerdruck" konkret?
Dass Steuerpflichtige häufig ihre Steuerschulden nicht zahlen konnten oder wollten.
Dass in der Folge die eine oder andere Hand gegen die Steuereintreiber erhoben wurde, ist naheliegend. Und eine übereifrige und überkorrekte Gerichtsbarkeit konnte dies durchaus als Aufstand gegen Rom auslegen.
So abwegig ist also die Herleitung nicht.
 
Vielleicht klafften allerdings auch Theorie und Praxis auseinander. Erkläre einmal als kleiner Germane dem Statthalter, dass er für Dich nicht zuständig sei und sich in Deine Rechtsangelegenheiten nicht einzumischen habe. So etwas konnte man sich als Bewohner einer hellenistischen Stadt herausnehmen, die über Rechtskundige und einen einflussreichen Patron in Rom verfügte - wie wir u. a. durch Plinius d. J. wissen, traten die Provinzialen gegenüber dem Statthalter durchaus selbstbewusst auf -, aber bei wem sollte sich der Bewohner eines frischunterworfenen Landes beschweren?
Das ist vollkommen richtig. Ohne einflussreiche Patrone, die es in Germanien damals wohl eher noch nicht gab, war man einem Statthalter hilflos ausgeliefert. Es mag auch dieses Gefühl der Hilflosigkeit gewesen sein, das zumindest Teile des germanischen Adels in die Opposition trieb.
Dass Varus ein Faible für die Rechtspflege hatte, glaube ich, denn das wird auch vom Zeitgenossen (und zumindest teilweise Zeitzeugen) Velleius Paterculus berichtet. Gut möglich, dass er es tatsächlich übertrieb und den Einheimischen die Vorzüge der römischen Gerichtsbarkeit demonstrieren wollte oder es ihm einfach Freude machte, interessehalber möglichst viele Fälle an sich zu ziehen. Dass er nicht allzu feinfühlig im Umgang mit den Germanen gewesen sein soll, berichtet ja auch Cassius Dio.
Dass das allerdings der (hauptsächliche) Grund für den Aufstand war, bezweifle ich auch. Allerdings kann er durchaus dem einen oder anderen einflussreichen Germanen auf den Schlips getreten sein, indem er sich in dessen Rechtsstreit einmischte und anders entschied als nach dem germanischen Stammesrecht zu entscheiden gewesen wäre, den Germanen also um sein Recht brachte. Wenn sich Varus über die althergebrachten Rechtsordnungen hinwegsetzte, empfanden die Germanen das bestimmt als schwerwiegenden Eingriff in ihre Freiheit, die ihnen als "Verbündeten" zustand.
Ich interpretiere diesen "Faible" des Varus anders.
Ein römischer Prätor und diese Funktion nahm ein Statthalter (auch) wahr, war mehr eine Mischung aus Gerichtspräsident und Untersuchungsrichter. Er prüfte die Anspruchsgrundlage und ließ eine Klage so zu oder auch nicht. Dabei legte er eine "Formel" fest. Etwa "Wenn nachgewiesen werden kann daß ....., dann ist der Angeklagte zu ..... zu verurteilen". Danach übergab er den Fall an einen Iudex, der die eigentliche Verhandlung führte. So setzten Statthalter in der Militärgerichtsbarkeit einfache Centurionen als Iudices ein. Varus scheint mehr als üblich Verhandlungen persönlich geführt zu haben. Dieses unübliche Verhalten war den antiken Autoren eine Erwähnung wert.
Dennoch sind seine Kapazitäten so nur noch beschränkter. Die Hauptlast der Rechtssprechung sollte in germanischer Hand geblieben sein. Aber sicher kann man sich auch mit wenigen "Schauprozessen" recht unbeliebt machen.
Dass übrigens "fast alle Reichsbürger" niemals einen Statthalter gesehen haben werden, glaube ich nicht unbedingt. Der Statthalter einer römischen Provinz saß nicht nur in der Provinzhauptstadt, sondern zu seinen Hauptaufgaben gehörte es, durch die Provinz zu reisen und Gerichtstage, die auch für Petitionen genutzt wurden, abzuhalten. (Von einem Präfekten Ägyptens wissen wir, dass er einmal in nur zwei Tagen mit über 1.800 Petitionen überhäuft wurde.) Er wird also in alle größeren Städte seiner Provinz gekommen sein, und seine Ankunft wird dort durchaus auf Interesse gestoßen sein.
Vielleicht klingt "fast alle" etwas übertrieben. Aber der weitaus größte Teil der Reichsbevölkerung lebte auf dem Land. Ein Statthalter bereiste nur wenige große Gerichtsstädte. In die vielen Kleinstädte kam er höchstens mal auf der Durchreise. Über die kam der gemeine Bauer aber selten hinaus.
Wieviele Menschen haben wohl den derzeitigen Statthalter Germaniens Angela Merkel schon persönlich kennengelernt, oder wenigstens einen Ministerpräsidenten? Trotz der zahlreichen Wahlkampfveranstaltungen in dieser Zeit wohl kaum Einer.
 
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Was bedeutet denn "zu hoher Steuerdruck" konkret?
Dass Steuerpflichtige häufig ihre Steuerschulden nicht zahlen konnten oder wollten.
Dass in der Folge die eine oder andere Hand gegen die Steuereintreiber erhoben wurde, ist naheliegend. Und eine übereifrige und überkorrekte Gerichtsbarkeit konnte dies durchaus als Aufstand gegen Rom auslegen.
So abwegig ist also die Herleitung nicht.

Als Aufstand hat ein römischer Statthalter das wohl eher nicht empfunden, obwohl es wie im im Falle der Friesen tatsächlich dazu kommen konnte. Probleme mit Publicani und Steuerpflichtigen waren wohl eher lästiges Tagesgeschäft.
Daß man als Provinzialer selten vor einem Statthalter gegen die Publicani Recht bekam ist bekannt. Sofern man nicht in Kilikien lebte und der Statthalter zufällig gerade Cicero hieß.

Es war wie gesagt nicht das erste Mal, daß diese Publicani den römischen Staat in Teufels Küche brachten. Seit der Eroberung Siziliens bereitete dieses System Probleme.
 
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Laut Velleius Paterculus waren die Germanen so verlogen, dass sie Rechtsstreitigkeiten untereinander "erfunden" haben, um sie dann den Römern vorzulegen. Hinterher hätten sie dann ebenso verlogen gelobt, dass das römische Recht doch so viel besser sei als ihr eigenes, weil es mit friedlichen Mitteln Streitigkeiten belegen könne, die traditionell mit Waffengewalt beendet worden seien...

Das mag propagandistisch überzeichnet sein, aber es lässt trotzdem den Schluss zu, dass die Germanen nicht mehr Herren über ihr eigenes Rechtssystem waren. Römisches Recht war demnach nicht nur dann berührt, wenn römische Bürger involviert waren. Beispielsweise wenn es zu Differenzen zwischen Stämmen oder Gruppen kam. Es kann nicht in römischem Interesse gelegen haben, dass die "unterworfenen" Stämme sich gegenseitig an die Gurgel gingen. Römisches Recht muss schon bei jeglicher Nutzung von Grund und Boden eine Rolle gespielt haben, da mit der Unterwerfung formell (und oft genug auch faktisch) das gesamte Eigentum der Unterworfenen in römische Hand überging. Dass sich Germanen unter römisches Recht gepresst fühlen konnten, spricht auch Tacitus in seinen Annalen (I, 59) an. Dort legt er dem Arminius "in den Mund", dass die Germanen in ihrem Gebiet "Ruten, Beile und Toga" zu sehen bekommen würden, während andere Völker nichts von römischen Strafen und römischen Abgaben wüssten. Die "Beile" weisen auf die Rutenbündel der Liktoren hin, die den hohen römischen Amtsträgern vorangetragen wurden und die meiner Kenntnis nach das Recht zur Verhängung der Todesstrafe symbolisierten.

Für Widerstand wird dabei nicht nur der Umstand gesorgt haben, dass plötzlich "Fremde" für die Rechtsprechung zuständig waren. Auch die Art der Rechtsausübung muss den Germanen fremd gewesen sein. So berichtet Tacitus, dass kein "König" das Recht hatte, Untergebene irgendwie zu züchtigen. Ein bei Hedemünden gefundenes römisches Halseisen belegt, dass die Römer diesbezüglich weit weniger "feinfühlig" waren und Körperstrafen für ganz normal hielten.

Ich glaube nicht, dass die Unterworfenen solche Vorgänge als Nebensächlichkeiten aufgefasst haben. Derartige Strafen können selbst bei Menschen, die nicht persönlich betroffen waren, Empörung ausgelöst haben.

MfG
 
In der Fernsehreihe "Die Germanen" wird an einer Stelle auf zahlreiche Hinrichtungen von Germanen unter Varus hingewiesen.

Dieses harte Vorgehen Varus soll der Anlass für Arminius Umdenken gewesen sein.

Sind die Hinrichtungen irgendwie überliefert, oder ist das nur ein spekulativer Rückschluss über tausend Ecken?

Als Varus im Jahre 7 Oberbefehlshaber der römischen Rheinarmee wurde, betrachtete er - in Unkenntnis der wirklichen Verhältnisse - die ostrheinischen Gebite als befriedet und dem Imperium zugehörig. Auf jeden Fall bediente er sich der von ihm zuvor in Syrien geübten Mittel und Methoden, auf die Velleius Paterculus (Hist. Rom. 2,118) anspielt: "Wie wenig er ein Verächter des Geldes war, bezeugte seine Verwaltung der Provinz Syrien. Als armer Mann war er nämlich in ein reiches Land gekommen, und als reicher Mann hatte er ein armes Land verlassen."

Varus wollte das rechtsrheinische Germanien so rasch wie möglich in die Strukturen einer römischen Provinz pressen, an die Stelle der einheimischen öffentlichen Gewalt, die bisher unter der Militärherrschaft fortbestand, die römische setzen und damit das Land zu einer Quelle von Einkünften machen - und zwar sowohl für den Fiskus als auch den Prokonsul.

Daher forderten die Versuche des Varus, mit den Rechtsbegriffen einer entwickelten staatlichen Gesellschaft innere Stammeskonflikte zu schlichten, Misstrauen und Widerstand der Betroffenen heraus. Der Widerstand, der auf jede Fremdherrschaft beinahe gesetztesmäßig folgt, breitete sich somit im Gebiet zwischen Weser und Mittelrhein vor. Dio Cassius sagt dazu:

"Als aber Quinctilius Varus nach der Verwaltung der Provinz Syrien den Oberbefehl in Germanien übernahm und hier als oberster Verwaltungsbeamter regierte, wollte er mit einem Male Wandel schaffen. Er gab ihnen Befehle, als ob sie Sklaven seien, und verlangte von ihnen wie von Untertanen Steuern. Das ließen sie sich aber nicht gefallen. Die Fürsten wollten ihre einflussreiche Stellung nicht einbüßen und die große Masse des Volks zog die gewohnte Ordnung der Dinge der fremden Zwangsherrschaft vor." (Dio Cassius 46, 18)

Somit bildete nicht zuletzt die die gesallschaftlichen Verhältnisse Germaniens ignorierende Besatzungspolitik des Varus ein auslösendes Moment der germanischen Erhebung. Von "zahlreichen Hinrichtungen", wie sie die TV-Reihe propagiert, habe ich allerdings bislang nichts gehört und kenne dazu auch keine Quelle.
 
Varus wollte das rechtsrheinische Germanien so rasch wie möglich in die Strukturen einer römischen Provinz pressen, an die Stelle der einheimischen öffentlichen Gewalt, die bisher unter der Militärherrschaft fortbestand, die römische setzen...
...
Daher forderten die Versuche des Varus, mit den Rechtsbegriffen einer entwickelten staatlichen Gesellschaft innere Stammeskonflikte zu schlichten, Misstrauen und Widerstand der Betroffenen heraus.
Das halte ich auch für wahrscheinlich. Allerdings würde ich noch hinzufügen, dass dies vermutlich keine "einsame Entscheidung" des Varus war. Vielmehr dürfte er auf Befehl des Augustus so gehandelt haben. Als dieser "verhängnisvolle Politikwechsel" vollzogen wurde, steckte Rom mitten im Pannonienkonflikt, der dem Reich alle Kräfte abverlangte und zeitweise sogar zu Hungeraufständen in Rom führte. Rom konnte sich die "nachsichtige" Politik in Germanien einfach nicht mehr leisten. Die Paterculus-Berichte über den gierigen, dummen und unfähigen Varus halte ich für erlogen. Der Mann hatte sich vielfach bewährt und war ein vertrauenswürdiges Werkzeug seines Kaisers.

MfG
 
...Der Mann hatte sich vielfach bewährt und war ein vertrauenswürdiges Werkzeug seines Kaisers.

Vielleicht ist aber genau das auch der Grund, weshalb er nicht auf ausdrückliche Order aus Rom, sondern quasi in Eigenregie so verfahren hat, wie er es nunmal hat.

Varus hatte sich in Syrien bewährt, was ihm Vertrauen einbrachte. Nachdem Syrien unter Kontrolle war wurde Varus, eben darum, nach Germanien versetzt, um die dortige Provinz zu romanisieren und den Barbareneinfällen und Unruhen zu begegnen.
Oder er wurde quasi aus Machtpolitischen Überlegungen aus einer recht wichtigen Provinz in eine unruhige und unzivilisierte Provinz versetzt, wo er vermeintlich keinen Schaden anrichten konnte.

Denn wie Paterculus schreibt: "Als armer Mann betrat er das reiche Syrien, als reicher Mann verließ er das arme Syrien", hatte sich Varus in Syrien auch persönlich bereichert.
Mein Ansatz hier ist wirklich rein spekulativ und stützt sich auf keinerlei Fakten sondern beinhaltet lediglich eigene Überlegungen.
Es erscheint mir auch nicht gerade unglaubwürdig, dass Varus sich weder mit seinem Erfolg in Syrien noch der persönlichen Bereicherung nicht nur Freunde unter den Würdenträgern machte. Syrien war das Tor nach Osten, eine Kornkammer und Handelszentrum. Man könnte ihn versetzt haben um ihn zwar zurechtzustutzen, ihn gleichzeitig aber nicht völlig zu verlieren.

Ungeachtet dieser Überlegung:
Augustus wird, während sein Augenmerk auf andere Teile des Reiches gerichtet waren darum bemüht gewesen sein, dass jene Provinzen die nicht in seinem Fokus standen von Männern seines Vertrauens und gewisser Kompetenzen kontrolliert wurden. Vielleicht wollte er deshalb Varus an der Nordgrenze eingesetzt wissen, um ihm sozusagen den Rücken frei zu halten. Ergo würde er nicht unmittelbar alles kontrollieren was sein Statthalter macht, sondern diesem Vertrauen.
Daher glaube ich nicht, dass Varus direkte Order hatte wie zu verfahren wäre, sondern dass man einen erfolgreichen Statthalter, der sich bewährt hatte genommen hat, und ihn in eine schwierige Provinz versetzte damit man sich eben nicht selber um diese Provinz zu kümmern hatte.
Man wird eher gesagt haben: 'Varus, bringe mir Frieden an meiner Nordgrenze, damit ich mich gen Osten wenden kann.'

Daher glaube ich, dass Varus allein die Mittel und Methoden bestimmt hatte um diese Ziele zu erreichen, ohne konkrete Order des Kaisers.
Allerdings dürfen wir, die wir heute diskutieren auch nicht vergessen, dass Varus ein Kind seiner Zeit war.

Wie ich in meinem vorherigen Post andeute, er ist in einer Kultur aufgewachsen, die andere Völker, insbesondere nordische Völker als Wildlinge ohne Kultur, anders als Griechenland, betrachtete. In einer Gesellschaft die sich stark von jener der "Germanen" unterschied und er wurde durch seine Erfahrungen in Syrien geprägt.
Man kann ihm nicht wirklich vorwerfen, dass er ein funktionierendes System von einer befriedeten Provinz in das noch recht wilde Germanien übertragen wollte. Einzig, weil er die "Germanen" als Unterworfene, nicht als Verbündete wahr nahm, ergo falsch behandelte kann man ihm als eine Art Arroganz, oder Lernunwilligkeit oder Inflexibilität auslegen.

Gruß
WW
 
Römisches Recht war demnach nicht nur dann berührt, wenn römische Bürger involviert waren. Beispielsweise wenn es zu Differenzen zwischen Stämmen oder Gruppen kam. Es kann nicht in römischem Interesse gelegen haben, dass die "unterworfenen" Stämme sich gegenseitig an die Gurgel gingen.

Korrekt. Für Rechtsstreitigkeiten unter den verschiedenen Civitates war der Statthalter zuständig. Den Germanen mag es nicht gefallen haben, daß sie sich nicht mehr die Köpfe einschlagen dürfen.

Bei stammesinternen Streitigkeiten der Nobilität, konnte der Statthalter angerufen werden. Vielleicht haben die Germanen das getan, oder er hat sich tatsächlich eingemischt.

In der besagten Dokumentation verhandelt Varus allerdings ein triviales lokales Verbrechen, wie einen Diebstahl unter gemeinen Germanen. Es ensteht hier der Eindruck, als hätten ab sofort alle Prozesse vor einem römischen Gericht stattgefunden. Das ist aber sicher kompletter Unsinn.
 
Zuletzt bearbeitet:
Nur am Rande:
Das germanische Stammesrecht ist in vielen Belangen nicht so wild und barbarisch, wie es den römischen Augen vorkam.

Gruß
WW
 
Das mag propagandistisch überzeichnet sein, aber es lässt trotzdem den Schluss zu, dass die Germanen nicht mehr Herren über ihr eigenes Rechtssystem waren.
Hier ist auch zu beachten, was im rechtsrheinischen Germanien so los war.
Viele Stämme hatten gerade erst ihre "Wohnsitze" gewechselt oder ihren Einflussbereich auf Kosten anderer ausgedehnt. Eine Unterscheidung von einer legalen "Herrschaft" und einer Fremdherrschaft ist natürlich schwer. Leicht ist nur die Feststellung, dass die Römer noch fremder waren, als die anderen. Die besagte Stammeslandschaft im Mittelgebirgsraum existierte in der Formvielleicht seit höchstens 30 Jahren.
Beispielhaft dafür ist die Umsiedlung der Usipeter, Sugambrer und Ubier auf die linke Rheinseite, das plötzliche Auftauchen der Chatten im selben, die Abwanderung der Markomannen nach Böhmen ...
Da war eine Welt im Umbruch.
Dort ein funktionierendes Rechtssystem zu unterstellen, ist schon mehr als gesagt. Die bei der Auseinandersetzung zwischen Varus und Arminius agierenden Truppen dürften nicht nur die Herrschaft der Römer erlebt haben, sondern sich auch noch lebhaft eine "Landnahme" der Marser, Chatten pp. bzw. an die "Gründung" des Stammes erinnern können.

Die Cherusker sind vielleicht "älter", aber gerade bei denen ist ja überliefert, dass da der Wurm drin ist.
Auf der anderen Seite scheint es auch innerhalb der Stämme nicht so recht funktioniert zu haben, wenn man mal das überlieferte Beispiel eines gegeneinander intrigierenden Cherusker-Adels verallgemeinert.

Dass es unmöglich für die Römer war, die Germanen zu beherrschen ist ein Fehlschluss. Chauken und Friesen blieben trotz aller Dreistigkeit des Varus und des Arminius treu unter römischer Oberherrschaft. Tacitus überliefert sogar, dass die Friesen Rinderhäute als Tribut/Steuer an Rom lieferten. Erst als sie Frauen und Kinder als Tributzahlung in die Sklaverei liefern sollten, soll es zum Aufstand gekommen sein.
Die Stämme im Linksrheinischen wurden in das Imperium integriert, wenn auch nicht ohne Probleme. Gerade die Bataver wurden immer wieder als die Vorzeigegermanen durch die römische Geschichtsschreibung beschrieben. Sie behielten ihres Stammesidentität auch noch als Förderaten Roms für mehrere Jahrhunderte.

Rückfrage: Was wissen wir über germanisches Stammesrecht in der Zeit der Zeitenwende?
Im Grunde wissen wir da gar nichts. Wir kennen nur die Namen einzelner Warlords.
Das, was in älterer manchmal als Militärdemokratie bezeichnet wird, sehe ich eher als eine Indiz für eine fehlende Zivilgesellschaft. Es ist dann eher die Frage, ob nicht schon die bloße "Befriedung" Germaniens znd die Ablösung des Faustrechts nicht schon eine Provokation darstellt, da ja so der Kriegerthos nicht mehr ausgelebt werden konnte oder eber nur noch unter römischen Oberbefehl.
 
Zuletzt bearbeitet:
Rückfrage: Was wissen wir über germanisches Stammesrecht in der Zeit der Zeitenwende?
Eigentlich gar nichts. Die älteste nähere Information findet sich in Tacitus' Germania (vor allem Kap. 12 und 20), und die entstand ein Jahrhundert später.
Allerdings ist freilich nicht mit revolutionären Veränderungen im Laufe des Jahrhunderts davor zu rechnen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Allerdings ist freilich nicht mit revolutionären Veränderungen im Laufe des Jahrhunderts davor zu rechnen.

Mit einem tieferen Verständnis des Tacitus für germanisches Rechtsempfinden allerdings auch nicht.

Jedenfalls ist nichts zu erkennen, wodurch White_Wolfs Aussage zu rechtfertigen wäre.
 
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